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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Jaenner 2003; 12:36
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Debatte:

> Die Welt ist sonderbar

Zu Fritz Pletzl, "Oekologischer Thatcherismus", akin 2/03 (akin-pd
21.1.2003)

Lieber Fritz, die Welt ist sonderbar und passt anscheinend nicht immer in
irgendein ideologisches Schema. Noch sonderbarer ist aber (man hoert ja viel
von der schwarz-blaue Regierung und ihren entsetzlichen Auswirkungen, vor
allem im Sozialbereich), dass ich jetzt ueberraschenderweise WENIGER fuer
die Krankenversicherung bezahle als vorher und das dieser asozialen
Regierung verdanke! Da hab ich mich natuerlich lachend gefreut, weil ich zu
jenen gehoere, die ungefaehr am Rande des Existenzminimums leben.

Passt diese Tatsache jetzt in dein Weltbild oder nicht? Aber bitte mich
nicht falsch verstehen: selbstverstaendlich bin ich gegen die Fortsetzung
der Regierung. Ich mag aber auch keine schwarz-rote Regierung, die pausenlos
die oesterreichische Bundesverfassung verarscht und so manches Menschenrecht
mit Fuessen tritt. Na, was dann?

Du, lieber Fritz, bist offenbar dafuer, dass wir jetzt weiter diese
schwarz-blaue Regierung geniessen, bis vielleicht irgendwann eine rot-gruene
kommt, in der ploetzlich nach links gerueckte Gruene sich grossartig
durchsetzen! Auf die Frage, was denn an der SPOe so gut sei, dass man dort
alles durchsetzen koennte, hab ich bis jetzt keine einzige konkrete Antwort
bekommen.

Natuerlich bin ich NICHT fuer irgendeinen "oekologischen Thatcherismus",
eine Privatisierung auf "Teufel komm raus". Aber auch nicht fuer den
Sozialismus, fuer die Verstaatlichung auf "Teufel komm raus"! Ich habe keine
politischen Wanderungen (von den Sozialisten zu den Kommunisten, den
Marxisten zu den Maoisten, von den Leninisten zu Sozialdemokraten und von
dort zu den Gruenen) hinter mir und glaube auch nicht, dass der Kommunismus
eine bessere Welt schafft. Egal, welches politisches System, es schafft
Ungleichheit und Unfreiheit, weil die Welt eben sonderbar ist, weil nicht
nur das Wirtschaftssystem, sondern auch Religion und Moral, Biologie und
Erziehung, psychische Verfassung und das Wetter das Zusammenleben der
Menschen bestimmen. Machen wir uns doch nichts vor. Wenn die Menschen die
freie Wahl haben, dann gehen sie tausendmal lieber zu McDonalds essen und
schauen sich im Fernsehen Starmania an. Noch soviel Ideologie und
menschliche Moral koennen sie davon nicht abhalten. Den besten
Hinterwaeldler koennte man aus der Wueste holen und er wuerde mit
allerhoechster Wahrscheinlichkeit gluecklich sein, wenn er in einen
Hamburger reinbeisst oder sich einen amerikanischen Action-Film anschaut.

Wieso ist es dann aber sonderbar, wenn man beklagt (und es eben nicht in das
antikapitalistische Weltbild passt), dass unsere Landwirtschaft so
halbstaatlich organisiert ist, dass es die Produktion der Gueter fuer Multis
wie McDonalds und Transporte und Exporte hoch subventioniert und so die
laendlichen Strukturen ueberall in der dritten Welt kaputt macht??? Es ist
genau umgekehrt wie du, lieber Fritz, die Sache darstellst: die
Subventionspolitik der EU wird die Kleinbauern aus Polen schnell ueberrennen
und ruinieren, wenn sich nicht endlich das System radikal aendert.

Du lachst gerne, wenn du meine Ausfuehrungen liest. Lach nur! Geh lachend zu
den Kleinbauern ins Burgenland und sag ihnen, dass du das gut findest, dass
der Grossbauer von nebenan hochsubventioniert immer reicher wird, weil er
seine Produkte so billig anbieten kann, und Kleinbauern fuer ihre Arbeit
ueberhaupt nichts mehr verdienen, weil sie zum gleichen Preis verkaufen
muessen.

Es ist unmoeglich, hier die ganze Schande der
EU-Landwirtschafts-Subventionspolitik in ihrer Kompliziertheit darzustellen.
Aber, wenn ein dreiviertelstaatliches System zu so einer Ungerechtigkeit
fuehrt, warum sollte man dann nicht die "Privatisierung" fordern?

Selbstverstaendlich hab ich das alles ernst gemeint, lieber Fritz! Und um es
noch einmal zu wiederholen: ich empfehle den Blick ueber den Tellerrand
hinueber nach Neuseeland, wo man genau das - Einstellen aller
landwirtschaftlichen Subventionen - gemacht hat mit all den Auswirkungen,
die ich beschrieben habe: die Fluesse sind wieder sauber und die Landschaft
wieder schoener.

Das ist schon sehr skurril: da bist du einerseits streng glaeubig gegen den
Kapitalismus, auf der anderen Seite findest du es aber anscheinend gut, dass
es Supermaerkte gibt, die Billigschrott-Nahrungsmittel anbieten, die die
Leute krank machen und die Fluesse vergiften. Und du scheinst ein Freund der
Massentierhaltung zu sein!

Und noch eins: die Linke ist deshalb so schwach, weil sie so gar keine
Visionen und Utopien mehr hat. Und da ist sie selbst schuld daran, weil sie
noch immer an uralte Rezepte glaubt, die aus der (marxistischen) Analyse des
Kapitalismus im 19. Jahrhundert stammen: "Verstaatlicht" ist gut und
"Privat" ist schlecht. *Thomas Herzel*



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