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Aussendungszeitpunkt: 19. Dezember 2000 - 15:34
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Gewerkschaft/Pakistan/Solidaritaet:

> Vom "Verschwinden" der Kinderarbeit

und wohl doch gewuenschten Nebenwirkungen der
Privatisierung - Interview mit Khalid Mehmood

*

Von 05. - 19. November 2000 war der Nationale Vorsitzender der
Pakistan Trade Union Defence Campaign (PTUDC) Khalid Mehmood in
Oesterreich. Er berichtete ueber die politische und
gesellschaftliche Situation in Pakistan und die Schwierigkeiten,
aber auch Erfolge ihrer gewerkschaftlichen Arbeit berichten.

Die Zeitschrift "Der Funke" organisierte in Zusammenarbeit mit
verschiedenen Gewerkschafts- und Jugendorganisationen eine
oesterreichweite Rundreise mit Veranstaltungen zu den Themen:
PTUDC, Kinderarbeit, Frauen im Trikont und Koloniale Revolution
organisieren. Auszerdem fuehrte der Funke mit Mehmood ein
Interview, dasz sie der akin uebermittelte, damit auch unter
unserem p.t. Publikum mehr ueber die pakistanische Situation
bekannt wird.

Khalid Mehmood wurde am 1. Mai 1972 geboren. 1991 fuehrte er einen
wichtigen Arbeitskampf der Telekom-Angestellten. Dieser Streik war
1997(!) der Anlasz, ihn und 96 weitere Kollegen aus dem
Unternehmen fristlos zu entlassen. Khalid wurde 5mal verhaftet,
das erste Mal mit 13 Jahren aufgrund seiner Aktivitaeten als
Schueler gegen die damalige Militaerdiktatur. Aufgrund von
Folterungen hat er eine bleibende Sehschwaeche.

Neben seiner Funktion als Zentralsekretaer der PTCLSU ist er seit
zwei Jahren der Generalsekretaer der PTUDC (Kampagne zur
Verteidigung der pakistanischen Gewerkschaften), die 1995 mit dem
Ziel, die Einheit der Gewerkschaftsbewegung wiederherzustellen und
AktivistInnen vor staatlicher Repression zu verteidigen,
gegruendet wurde. In dieser Funktion wurde er von der Gewerkschaft
der Eisenbahner nach Oesterreich eingeladen.

*

FRAGE: In Oesterreich verbindet man mit Pakistan vor allem
Kinderarbeit.

KHALID MEHMOOD: In Pakistan sind mehrere multinationale Konzerne
taetig, vor allem aus der Sportindustrie, die in der Vergangenheit
wegen der Ausbeutung von Kindern stark unter Beschusz geraten
sind. Insgesamt muessen in Pakistan rund 30 Millionen Kinder
arbeiten, trotz aller gegenteiligen Behauptungen der
pakistanischen Regierung breitet sich dieses Phaenomen immer mehr
aus. Du wirst heute in allen Sektoren der Wirtschaft arbeitende
Kinder antreffen - in der Industrie, in der Landwirtschaft, als
Dienstpersonal in privaten Haushalten, in Hotels oder an
Tankstellen.

F: Welchen Effekt haben die internationalen Proteste und
Boykottaufrufe, die sich z.B. gegen die pakistanische
Teppichindustrie gerichtet hatten?

Man hat teilweise Schulen fuer die arbeitenden Kinder gebaut, um
Schule und Arbeit verbinden zu koennen. Um sagen zu koennen, dasz
Kinder in zunehmendem Ausmasz nicht mehr in den Fabriken arbeiten,
haben die Konzerne kleinere Produktionseinheiten geschaffen oder
greifen auf Heimarbeit zurueck, wo Kinder noch immer unter
katastrophalen Bedingungen arbeiten muessen. Man hat versucht, auf
den internationalen Druck zu antworten, indem man der
Oeffentlichkeit die Kinderarbeit nicht mehr direkt vor Augen
fuehrt.

F: Wie soll die Kinderarbeit bekaempft werden?

Die Kinderarbeit hat in Laendern wie Pakistan eine eindeutige
Ursache - das allgemeine Elend. 53% der 140 Millionen Pakistanis
leben unter der Armutsgrenze. Wir haben 30 Millionen Arbeitslose.
Unzaehlige Familien sind gezwungen, ihre Kinder arbeiten zu
lassen. Eine Schulbildung ist fuer sie nicht zu finanzieren. Durch
die Privatisierung der Schulen und Unis und der massiven Erhoehung
des Schulgeldes ist das Bildungssystem voellig auf eine kleine
Elite zugeschnitten. Der Anteil fuer Bildungsausgaben am
Gesamtbudget ist nicht hoeher als 0,3%. Der fuer Gesundheit 0,7%.
Solange es Armut, Arbeitslosigkeit und keine soziale Absicherung
im Alter gibt, wird es hier auch Kinderarbeit geben.

F: Wenn nur 1 Prozent des Budgets fuer Bildung und Gesundheit
aufgewendet werden, wohin flieszt das Geld dann?

Die beiden groeszten Brocken sind die Ausgaben fuer das Militaer
und dann natuerlich fuer die Zinszahlungen aufgrund der gewaltigen
Staatsschulden. Das Regime steht unter enormem Druck der
internationalen Institutionen, IWF und Weltbank. Pakistan steht
jetzt vor dem voelligen Ausverkauf. Das Militaerregime trifft
gerade die Vorbereitungen fuer eine massive Privatisierungswelle.
Im oeffentlichen Dienst sollen von den 3,7 Millionen
Beschaeftigten 1 Million ihren Job verlieren. Geplant ist, dasz
alle, die weniger als 10 Jahre und alle, die mehr als 25 Jahre
beschaeftigt sind, abgebaut werden. Fuer die Jungen soll es keine
Form der sozialen Abfederung geben. Weiters will die Regierung
Eisenbahn und Telekom privatisieren. Die Politik des Downsizings
fuehrt zu Massenentlassungen. Durch die Privatisierungserloese
soll, so der IWF, die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden.
Die zu erwartenden Summen sind aber viel zu gering, um einen
Aufschwung herbeifuehren zu koennen. Ganz zu schweigen davon, dasz
ein groszer Teil des Geldes ohnedies durch die Korruption
verschlungen wird. Die oekonomische Lage ist derart aussichtslos,
dasz der Westen auf die Militaers offen Druck ausuebt, verstaerkt
auf Repressionen gegen die ArbeiterInnen zu setzen.

F: Wie schaut diese Repression aus?

Seit der Machtuebernahme durch die Militaers vor einem Jahr wurde
eine ganze Reihe gewerkschaftsfeindlicher Gesetze beschlossen.
Gewerkschaftliche Gegenwehr auf einer legalen Basis soll so
unmoeglich gemacht werden. Im oeffentlichen Dienst wird alles von
den Militaers kontrolliert. In den Betrieben patrouillieren
bewaffnete Soldaten. Waehrend des Eisenbahnerstreiks vor einigen
Monaten wurden etliche Gewerkschafter verhaftet, das Buero der
groeszten Gewerkschaft einfach geschlossen. Auch wurden bereits
fuehrende Aktivisten der PPP, die fuer ihre sozialistischen Ideen
bekannt sind, verhaftet. Die Polizei kommt regelmaeszig in unser
Gewerkschaftslokal und droht uns mit Repressionen. Wir muessen
damit rechnen, dasz das Regime von einem Tag auf den anderen, ohne
irgendeinen Vorwand, seine volle Brutalitaet zeigen wird.

F: Kannst du etwas ueber die Pakistan Trade Union Defece Campaign
(PTUDC) sagen?

Anlasz zur Gruendung der PTUDC war die Ermordung des bekannten
Gewerkschafters Arif Shah im Jahr 1995. Sein einziges "Verbrechen"
war, dasz er kompromiszlos gegen die Privatisierungsplaene
gewerkschaftlichen Widerstand organisiert hatte. Seine Moerder
waren von Unternehmern angeheuert worden.

Die pakistanische Gewerkschaftsbewegung ist extrem zersplittert.
Es gibt in Pakistan mehr als 8.600 Gewerkschaften, alleine bei der
Eisenbahn sind es 134, bei der Telekom 15. Dabei sind keine 2
Prozent aller ArbeiterInnen ueberhaupt gewerkschaftlich
organisiert. In der Privatwirtschaft gibt es fast nur gelbe
Gewerkschaften. Wer eine echte Gewerkschaft gruenden will, begibt
sich in Lebensgefahr. Die Bewegung ist entlang ethnischer,
regionaler, politischer, religioeser Linien gespalten. Das Ziel
der PTUDC ist es, alle Gewerkschaften, die ernsthaft fuer die
Rechte der ArbeiterInnen kaempfen wollen, auf einer gemeinsamen
Plattform zu vereinen. Derzeit sind mehr als 20 Gewerkschaften aus
den verschiedensten Bereichen (Eisenbahn, Telekom,
Zuckerindustrie, oeffentliche Banken, Gemeindebedienstete,
Zuckerindustrie, Stahlindustrie...) in der PTUDC
zusammengeschlossen. In vielen privaten Fabriken arbeiten unsere
KollegInnen in der Illegalitaet.

F: Was sind eure wichtigsten Kampagnen derzeit?

Im Mittelpunkt steht unser Kampf gegen Privatisierungen und
Massenentlassungen. Vor allem bei der Eisenbahn und der Telekom.
In der Zuckerindustrie fuehrten wir ebenfalls eine Reihe von
harten Streiks. In einer Fabrik konnten wir nach einer
dreimonatigen Besetzung sogar das Unternehmen zum nachgeben
zwingen.

Immer wichtiger wird der Kampf fuer die Rechte weiblicher
Arbeiterinnen. Vor allem die multinationalen Konzerne stellen mehr
und mehr Frauen ein. Ihre Loehne liegen in der Regel 42 Prozent
unter einem Durchschnittslohn maennlicher Kollegen, waehrend
Maenner etwa 10 Stunden arbeiten, muessen sie 12-15 Stunden pro
Tag arbeiten. Sexuelle Belaestigung ist allgegenwaertig. Es gab
bereits mehrere Faelle, dasz Frauen erst in der Dunkelheit die
Fabriken verlassen und dann auf dem Heimweg vergewaltigt wurden.
Deshalb haben wir eine Kampagne zur Verkuerzung der Arbeitszeit
von weiblichen Arbeiterinnen bei vollem Lohn gestartet. In 2
Betrieben waren wir aufgrund des mutigen Auftretens unserer
Aktivistinnen mit dieser Forderung auch schon erfolgreich.

F: Wie siehst du allgemein die Rolle der Frauen in der pakistanischen
Gesellschaft?

Schon die letzte Militaerdiktatur setzte verstaerkt auf islamisch
fundamentalistische Gruppen. Dies schlug sich in einer Reihe von
diskriminierenden Gesetzen nieder. So zaehlt vor Gericht etwa ein
Mann soviel wie zwei Frauen. Oder wenn eine Frau eine
Vergewaltigung anzeigen will, braucht sie 4 maennliche Zeugen, die
sie unterstuetzen. Gelingt ihr das nicht, kann sie zu 14 Jahren
Haft verurteilt werden. Derzeit sitzen rund 5000 Frauen deshalb im
Gefaengnis.

Hinzu kommt das Wiederaufleben einer Reihe von Traditionen, wie
die sogenannten "Ehrenmorde". Diesem ungeschriebenen Gesetz
zufolge kann eine Frau, der "unmoralisches Handeln" vorgeworfen
wird, von ihren maennlichen Familienmitgliedern bestraft werden.
Verstuemmelung, Gruppenvergewaltigung und auch Mord sind die
Folge.

F: Welche Rolle spielen islamisch fundamentalistische Gruppen in
Pakistan?

Das sind Faschisten. Ihr Einflusz stuetzt sich auf Waffengewalt,
Einschuechterungen und gewaltige finanzielle Mittel. Das Geld
bekommen sie durch den Drogenhandel (vor allem Heroin) und
Waffenschmuggel und durch mehr oder weniger direkte Unterstuetzung
seitens des Regimes. Mit ihren gelben Gewerkschaften sind ein
Rammbock der Unternehmen gegen die ArbeiterInnen. Der Aufstieg des
islamischen Fundamentalismus ist eine der reaktionaersten Gefahren
in dieser kranken Gesellschaft.

F: Was erwartest du dir von dieser Reise nach Oesterreich?

Unser Kampf fuer ein menschenwuerdiges Leben ist
alles andere als einfach. Hunger und Elend auf der einen sowie
staatliche Repression auf der anderen Seite, das sind die
Alternativen, die wir haben. Ohne internationale Solidaritaet
koennen wir diesen Kampf nicht fuehren. Das Wissen, dasz wir im
Falle von Verhaftungen und Unterdrueckung auf die Hilfe unserer
KollegInnen aus anderen Laendern setzen koennen, ist enorm wichtig
fuer uns. Mit dieser Reise wollen wir wichtige Kontakte zu den
Gewerkschaften in Oesterreich etablieren, die fuer uns im Fall des
Falles grosze Bedeutung haben koennen.

Neben der moralischen und politischen Unterstuetzung, die ich hier
erfahren habe, ist natuerlich auch die finanzielle Unterstuetzung
fuer uns lebensnotwendig. Es fehlt uns an technischer Ausruestung,
an Hauptamtlichen, dazu kommt, dasz die Kommunikation zwischen den
Gruppen in den verschiedenen Landesteilen sehr teuer ist. Wir
muessen kostspielige Sicherheitsvorkehrungen treffen. Wenn immer
wir einen Arbeitskampf vorbereiten, muessen die involvierten
KollegInnen in den Untergrund gehen.

Ziel ist es, mit dieser Kampagne dauerhafte Beziehungen zwischen
der pakistanischen und der oesterreichischen Arbeiterbewegung
aufzubauen. Wir koennen nur erfolgreich sein, wenn die
ArbeiterInnen international kaempfen.

***

Bei seinem Abflug wurde Khalid Mehmood umgerechnet oeS 36.530,32
in US-Dollar mitgeben koennen. Dies ist ein erster finanzieller
Beitrag zum Aufbau einer adaequaten technischen Infrastruktur im
Buero der PTUDC. Diese Kampagne soll aber keine Eintagsfliege
sein. Es ist Zeit, dasz der internationalen Solidaritaetsarbeit
endlich der Stellenwert geben wird, den sie einnehmen musz, wollen
wir in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft bestehen. Mit der
Kampagne "Meine Spende kaempft" will "Der Funke" dazu beitragen.

Unterstuetzt wird die Kampagne unter anderem von: Gewerkschaft der
Eisenbahner, OeGB-Bildungsreferat Oberoesterreich und Tirol,
Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), Gewerkschaft Agrar-
Nahrung-Genusz (ANG), Gewerkschaft der Postbediensteten,
Gewerkschaft Druck und Papier Salzburg, Wiener Gewerkschaftsschule
(WGS), OeGJ, GPA-Jugend, Sozialistische Jugend Oesterreich, SJ
Niederoesterreich, SJ Vorarlberg, SJ Wien, SJ Moedling, SJ
Alsergrund, SJ Auhof, SJ Roemerberg, SJ Freistadt, Jusos Tirol,
AKS Tirol, VSSTOe Innsbruck, SOJA Amstetten, ACUS Amstetten, FSG
Moedling, SPOe-Bildung Moedling, SPOe-Bezirksfrauenkomitee
Moedling, SPOe-Frauen Tirol, Initiative fuer eine Sozialistische
Politik der SPOe, KPOe Fohnsdorf, Die Arbeit, KSV Innsbruck,
UGOeD, Assoziation Marxistischer Jugendlicher, AKL, Gruene
Akademie, Fakultaetsvertretung GEWI Wien, StrV Politikwissenschaft
Uni Wien, Pufl-GRAS, Renner Institut, Suedwind, Volksstimme, Die
Mitbestimmung, Frauensolidaritaet, die AktivistInnen der Amnesty
International-Gruppe fuer verfolgte Gewerkschafter, Betriebsrat
der Papierfabrik Poels, Jugendvertrauensrat der OeBB-
Lehrwerkstaette Linz und "Der Funke"

Wer weitere Informationen braucht oder die Kampagne "Meine Spende
kaempft ... in Pakistan" unterstuetzen will, wende sich bitte an:
Meine Spende kaempft, Postfach 112, 1096 Wien oder:
getra72@hotmail.com. Direktspenden an die PTUDC bitte an: PSK
92.10.68.57; Blz. 60000
 
 

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