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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Dezember 2002; 19:28
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Nach der Premiere: (1)

> Eine griechische Tragoedie

Um 1700 Uhr senkte sich der Vorhang. Standing Ovations der Gstopften im
Parkett, ueberwiegend Jubel auf den mittleren Raengen und selbst auf den
billigen Plaetzen mit eingeschraenkter Sicht noch tosender Applaus, nur
vereinzelt Pfiffe. Ein OeVP-Publikumserfolg quer durch die Bank, von der
ersten bis zur letzten Reihe.

Die Auslastung lag bei 84.27% und 42.3% der ZuschauerInnen waehlten an
diesem Abend eine dunkle Garderobe. Schwarz ist wieder im Kommen, ist
traditionell und harmoniert mit dem neoklassizistischen Theater- und mit dem
neoklassischen Theoriegebaeude, waehrend Blau zerknittert, zerknittelfeldert
wirkt, Gruen ungewohnt bieder sich den Kleidervorschriften angebiedert hat
und Rot schlicht dem Teppich gleicht, der am Boden liegt.

Auf der Premierenparty wurde dann der Intendant bestaetigt, ein
4-Jahreszwangsabo verteilt und die Spielplanaenderung - weniger niveauloser,
rechtsextremer Theaterdonner und Klamauk, dafuer ein Mehr an solider,
rechtskonservativer Demagogie und Dramaturgie - bekanntgegeben.

Was stand am 24. November 2002 eigentlich am Programm? Eine Erstauffuehrung:
das Trauerspiel Oesterreich inszeniert als griechische Tragoedie. Nun zum
Stueck.

Der Chor der Gutmenschen fordert im Sprechgesang den Kopf eines in der
politischen Mythologie bislang unbekannten Fabelwesens: eines maennlichen
Frauenministers. Die Rufe: Haupt ab! Haupt ab! verhallen, werden nicht
erhoert, aber unerhoert steigen aus den Hallen des Hades die Seelen, die
Ideen einer tot geglaubten, toedlichen Ideologie, weil Zerberus der
Hoellenhund durch Hojac den Kettenhund ersetzt wurde. Sein Herr, der starke
Mann, der Halbgott der Halbdebilen, weil er zur Haelfte einer von ihnen ist,
der Herakles aus dem Sueden, hat aber nicht nur Kettenhunde an der kurzen
Leine, sondern auch eine Koenigskobra, die er im Kampf gegen die traegen
Giganten und ideologischen Missgeburten in Form von Gewerkschaften und
Nationalstaaten vorausschickt. Doch sein Schicksal will es, dass er trunken
vom Gift der Selbstsucht, besoffen wie der gauggelnde Dionysos, in seiner
devot untergebenen Amphibie, dem siebenkoepfigen Regierungsungeheuer, seine
Todfeindin Hydra waehnt. So holt er in voelliger Selbstueberhebung und nicht
mit feiner Klinge zum Rundumschlag aus. Da fallen die Weichbirnen von der
ungeheuerlichen Kreatur wie Fallobst und aus den Halsstuempfen wachsen die
Stumpfkoepfe nicht neu, weil die erhitzte Stimmung sie ausbrannte. Oh, welch
Metamorphose! Dem frevelhaften, uebermuetigen Machtrausch entspringt ein
Kater, der sich wehleidig zurueckzieht, aber weiterhin um das ausgebrannte,
kopflose Ungeheuer schleicht, das sich mit vulkanischen Eifer in eine
Groteske, in eine Chimaere verwandelt, aber nicht aus widerspruechlichsten
Tierteilen, sondern nur aus Hinterteilen, die einander nicht riechen
koennen. Ein Zustand, der den Urzustand, das Chaos in den gesamten
Regierungskosmos bringt. Die Konzerngoetter am Olymp und ihre politischen
Goetterboten sind ueber diese frevelhafte Hybris veraergert; sie schaeumen
vor Wut und der Wutschaum, der Abschaum der Reaktion gebiert eine zierliche
Gestalt, nicht Aphrodite, nein, den schweigenden Philosophen, der in fast
vergessener Zeit gelassen die Pruefungen der drei Weisen bestand und
gemeinsam mit dem in Ungnade gefallenen Halbgott, dem Vater der blauen
Medusa, die Buechse der Pandora oeffnete, um Unheil den Menschen zu bringen.
Das Chaos beenden lautet nun sein Auftrag und das Orakel Demoskop weissagt
ihm einen grossen Triumph, wenn er die Medusa besiegt, mit der er einst die
Gesichtszuege vom grossen Koenig Atlas, der die himmlische Last der
Alpenrepublik traegt, versteinerte, als dieser ihm ein Quartier in seinem
Reiche verweigern wollte. Als Belohnung wird dem kleinen Heroen ein
Sternbild versprochen, die Aufnahme neuer Sterne im europaeischen Banner.
Bei seiner Aufgabe erhaelt er die Hilfe der massenmedialen Sirenen, diesen
daemonischen Mischwesen aus menschlichen Leibern und Vogelhirnen. Besonders
der Medienriese, der gekroente Zyklop, der, wenn er ein rechtes Auge haette,
auf diesem blind waere, zwitschert so verfuehrerisch in seinem Sinne, dass
alle Boote, die nicht vom blauen ins schwarze Verderben uebersetzen wollen,
Schiffbruch erleiden und an den Klippen der Macht zerschellen. Dem Chor der
Linken steht das Wasser bis zum Hals und die Schutzgoettin des heldenhaften
Taktikers, Pallas Athene, erhaelt als Praesent das Haupt der Medusa, die
auch ohne Rumpf jeden sozialen Fortschritt laehmt. Die Odyssee, die
gesellschaftliche Irrfahrt wird fortgesetzt.

Das Wahldrama ist beendet, hat ein Nachspiel, der Epilog hat begonnen. Die
Botschaft der Tragoedie an uns, die untergegangene, gekenterte Linke, ist
trotz dem einsetzenden Sessel- und Kulissenruecken, den
Sondierungsgespraechen vernehmbar: Oppositionelle Sisyphusarbeit ist
gefragt, doch auch das Bewusstsein, dass man den Grundstein einer neuen
Gesellschaft auf den Haengen des Kapitalismus ewig waelzen, aber nicht
dauerhaft auf dem Gipfel halten kann. Wir haben Berge zu versetzen, ein
Bergmassiv massiver Ausbeutung Stueck fuer Stueck abzutragen. Glueck auf.
*Roman Gutsch*

(1) Anm. der Redaktion: Am besten im Karl Loebl-Tonfall zu lesen


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