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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Oktober 2002; 14:28
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USA/Frieden/Bewegung:
> "Es tut sich was" in der US-Friedensbewegung
Zigtausende gehen gegen Kriegsplaene des Weissen Hauses auf die Strasse
Vivian Stromberg hat nie geschwiegen, wenn die USA-Regierung zum Krieg
blies. Andere waren nach dem 11. September 2001 wie gelaehmt. Nun scheint
es, als sei die US-amerikanische Friedensbewegung neu erwacht. "Es tut sich
was", sagt Vivian Stromberg, als sie ihr Buero der Frauen- und
Kinderhilfsorganisation "Madre" nach einem anstrengenden Tag
verlaesst. "Immerhin, es tut sich etwas", wiederholt die 59-Jaehrige, haelt
inne und erklaert: "Der offene Krieg ist noch nicht im Gange, und gemessen
daran, dass wir auf die Aggressionskriege Washingtons immer erst dann
reagiert haben, wenn die Bomben bereits fielen, ist dies ein
tschritt."
Die ehemalige Musiklehrerin Vivian Stromberg marschierte bereits in den 60er Jahren auf Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg mit, sie beteiligte sich an linken und feministischen Bewegungen und gruendete 1983 zusammen mit anderen Frauen, schockiert von der USA-Politik in Nikaragua, die Organisation "Madre" (http://www.madre.org). Die Gruppierung hat USA-weit inzwischen mehr als 20000 Mitglieder, und dass sie im Gegensatz zu anderen Lateinamerika-Solidaritaetsgruppen die Repression der Reagan-Aera und des FBI ueberlebt ha
t, ist
der Tatsache zuzuschreiben, dass "Madre" von Anfang an nicht nur die Hilfe
von Rechtsanwaelten in Anspruch nahm, sondern auch auf einer peniblen
Rechnungsfuehrung beharrte.
Mittlerweile unterstuetzt "Madre" Menschenrechtsorganisationen ueber
Lateinamerika hinaus. An ihrer grundsaetzlichen Ablehnung der Kriege
saemtlicher USA-Regierungen macht Vivian Stromberg keine Abstriche. Der
geplante Irakkrieg ist in aller Munde. Laut Umfragen verfolgen fast 90
Prozent der USA-Bevoelkerung die Nachrichten ueber den "Krieg gegen den
Terrorismus" taeglich mit. Und in der Rest-Linken, aber nicht nur dort,
bemuehen sich alte und neue Aktivisten - auch Menschen, die nach dem 11.
September schockiert waren und zum Afghanistankrieg schwiegen oder ihm sogar
zustimmten - um Hintergrundinformationen. Nicht wenige davon haben auch ihre
Bereitschaft bekundet, wieder auf die Strassen zu gehen.
"Immerhin, es tut sich was", sagt Vivian Stromberg aber auch
desillusioniert. Denn ihr sind, wie sie sagt, die Auseinandersetzungen
der "Kein Blut fuer Oel"-Demonstrationen Anfang der 90er Jahre noch in
unangenehmer Erinnerung. Die Massendemonstrationen in den USA waren damals
zwar, wie Stromberg erlaeutert, am Anfang von breiten Buendnissen
gekennzeichnet. Doch im Verlauf des Krieges traten die tiefen politischen
Unterschiede innerhalb der Linken an die Oberflaeche und fuehrten zur
Spaltung der Bewegung: an der Frage naemlich, wie das Regime Saddam Husseins
einzuschaetzen sei. Aus "No blood for oil" war bei beinharten Ultralinken,
die die Antikriegsbuendnisse zu dominieren versuchten, die
Losung "Verteidigt Saddam Hussein gegen den USA-Imperialismus" geworden -
und da wollten viele nicht mehr mitgehen.
Der Stand der Dinge heute: Zahlreiche Grueppchen politisch Unorganisierter
haben sich in ueber 250 Staedten und kleinen Ortschaften in den USA
formiert. Politische und religioese Pazifisten, College- und
Universitaetsinitiativen, Organisationen und sogar vereinzelt
Mainstream-Politiker haben bekundet, gegen einen Irakkrieg zu sein. Auf
nationaler Ebene existieren inzwischen zwei Buendnisse, die bereits jetzt
Zehntausende zu mobilisieren in der Lage sind: "Not in our name" (Nicht in
unserem Namen) und "ANSWER" (Antwort). Am 26.Oktober konnte man auf den
ersten nationalen Grossdemonstrationen in Washington und San Francisco die
ersten Fruechte der Organisationsarbeit sehen.
Veranstaltungen und Demonstrationen finden seit Wochen statt, bisher sehr
zum Unwillen des Friedensspektrums aber eingeschraenkt durch eine
Medienblockade. Zwar berichten oertliche Medien - das lokale Fernsehen meist
ausgenommen - von einer Mahnwache hier und dort. Doch in den national
verbreiteten Zeitungen wie "New York Times" und "USA Today" existiert die
neu erwachte Friedensbewegung noch nicht, geschweige denn in den grossen
Fernsehnetzen. Doch dank Internet und dem werbefreien linken
Radionetzwerk "Pacifica", das immerhin in einigen Ballungszentren zu
empfangen ist, kann man einiges erfahren:
Mehr als 300 "peace events" gab es im September, darunter an Orten im
Sueden, Norden und Mittleren Westen, von denen man nie zuvor gehoert hat.
880 Menschen, demonstrierten gegen einen Auftritt des Bush-Sprechers Ari
Fleischer in Middlebury im Bundesstaat Vermont; 44 wurden in San Francisco
festgenommen, als Demonstranten ein Bundesgebaeude als Protest gegen die
Kriegsresolution des Kongresses blockierten; 300 versuchten eine Bush-Rede
in Knoxville im Bundesstaat Tennessee zu unterbrechen; 200 Demonstranten an
der Universitaet in Miami, 85 in Englewood (New Jersey), 100 bei einer
Spontandemo durch Downtown Indianapolis, 60 marschierten ueber den
Gemuesemarkt von Traverse City (Michigan) und sagen "Give peace a chance".
In Cincinnati demonstrierten am 7. Oktober laut oertlicher
Presse "Tausende", als Praesident Bush sein Kriegsgeheul erneuerte. Das "Not
in our name"-Netzwerk (http://www.notinourname.net), das von Angehoerigen
von Opfern des 11. September gegruendet worden war, aus Opposition gegen den
Afghanistankrieg eine pazifistische Gruppe namens "Peaceful tomorrows" ins
Leben gerufen hatte und daraus ein loses nationales Netzwerk machte,
berichtete, dass am 6. Oktober in 28 US-amerikanischen Staedten rund 85000
Menschen gegen einen Irakkrieg demonstrierten. Allein im New Yorker Central
Park versammelten sich 25000 Kriegsgegner. Auch die Abstimmung im
USA-Kongress mobilisierte Tausende. Am 3. Oktober wurden 16 Demonstranten in
Philadelphia beim Versuch festgenommen, das Buero des republikanischen
Senators Rick Santorum zu besetzen. Aehnliche Versuche erfolgten bei
Dutzenden anderer Politiker. Ende September waren 3000 Menschen vor das Haus
des Vizepraesidenten Dick Cheney in Washington marschiert.
Erwaehnung finden in den nach spektakulaeren Erklaerungen gierenden
Massenmedien bislang freilich nur die Stimmen von Prominenten. Der Saenger
Harry Belafonte machte vor kurzem von sich reden, als er Aussenminister
Colin Powell in einer Talkshow mit scharfen Worten geisselte, sich innerhalb
seiner Regierung wie ein unterwuerfiger Sklave zu verhalten. Und mehrere
Hollywood-Groessen, Barbara Streisand etwa und Martin Sheen, machten
deutlich, dass sie von einem Angriff auf Irak nichts halten.
Auch Vivian Stromberg, die Leiterin von "Madre", ueberlegt zusammen mit den
sechs fest angestellten Frauen ihrer Organisation, wie eine dauerhafte
Struktur geschaffen werden koennte, mit der sich die Kriegsplaene des
Weissen Hauses durchkreuzen liessen. Nach Washington am 26. Oktober wollte
sie nicht fahren, wie sie sagt, die Demonstration sei ihr zu sehr
von "ANSWER" dominiert, hinter der sich die straff gefuehrte,
marxistisch-leninistische Workers World Party verbirgt, die seit vielen
Jahren Buendnispolitik mit dem Anwerben von Kadern verwechselt. Trotzdem,
sagt Stromberg, wuensche sie der Demonstration das Beste und eine
Teilnehmerschar von Zehntausenden.
Stromberg selbst hatte sich damals - mitten im USA-Krieg gegen Irak - von
den Zerwuerfnissen innerhalb der Antikriegsbewegung angewidert, zusammen mit
einigen erfahrenen Kaempinnen selbst auf den Weg in den Nahen Osten gemacht.
Im jordanischen Amman hatte "Madre" Lastwagen gemietet und darauf
tonnenweise Spielsachen, Medizin und Nahrung geladen. Stromberg und ihre
Mitstreiterinnen kamen bis Bagdad durch - wo sie die mit USA-Dollars
erworbenen Gueter an die Not leidende Bevoelkerung verteilten.
(Max Boehnel, New York in: "Neues Deutschland", 24. 10. 02 / bearb.)
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