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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Oktober 2002; 15:24
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USA/Medien/Buecher:

> Mehr Hitze als Licht

Ein ausgestiegener Insider der TV-Welt in den USA macht sich Gedanken ob des
Mainstreams der US-Medien

Einen Einblick in die amerikanische TV- und Print-Welt liefert Danny
Schechter, Chefredakteur von MediaChannel und frueherer Produzent bei ABC
und CNN, in seinem im September erschienenen Buch "Media Wars: News at a
Time of Terror", in dem er fragt, ob der 11. September auch die Medien in
den USA veraendert hat. Seine Antwort ist ein qualifiziertes Nein.

Vor dem 11. September 2001 beherrschte der Sex-Skandal um den hierzulande
voellig unbekannten Politiker Gary Condit (Democrat) die Schlagzeilen.
Nachrichten uebers Ausland machten nur rund 10% der Nachrichten aus, und die
handelten meistens von Naturkatastrophen oder oberflaechlich von
kriegerischen Auseinandersetzungen (z.B. im Nahen Osten). Der Begriff
"infotainment" stand fuer eine Berichterstattung, die sich mit Vorliebe
Themen wie "In welcher Stadt sind die Menschen am dicksten" und "Hai-Attacke
vor Floridas Kueste" widmete. Medienkritiker Larry Gelbart nannte das
US-Fernsehen a weapon of mass distraction (etwa "Massenzerstreuungswaffe"),
und Schechter selbst pflegte zu sagen: "The more you watch, the less you
know."

Fuer eine kurze Zeit aenderte sich das Bild. Nach dem 11.9. stand das
Ausland im Rampenlicht. Doch die Perspektive blieb gleich: Der Blick auf das
Ausland war vorwiegend negativ beladen, und der Krieg gegen den Terror
sorgte bei den Auslandsberichten fuer den noetigen Bezug zu den USA.
Lediglich 7% der Kommentatoren im Fernsehen sind laut Schechters Analyse als
Kritiker der Bush-Regierung einzustufen. Und waehrend FOX News (unter der
Leitung vom ehemaligen Republican-Berater Roger Ailes) der Konkurrenz CNN
vorwarf, die Taliban "zu fair" zu behandeln, fand Schechter keinen
Unterschied zwischen den Sendern: Bis zu 77% der Kommentatoren aeusserten
ueberhaupt keine Kritik an der Bush-Regierung. Nicht verwandte
Auslandsthemen wie etwa die Wirtschaftkrise in Argentinien seien daneben
fast untergegangen.

Dabei sind auch wichtige Inlandsthemen untergegangen: Als der Enron-Skandal
endlich im US-Fernsehen kam, machte er nur 6% der Sendezeit der abendlichen
Nachrichtensendungen aus - weniger als die Berichte ueber eine Frau in
Houston, die ihre Kinder ertraenkte. Die Journalisten machten sich zwar
Gedanken ueber die Veraenderungen in ihrer Berichterstattung, aber auf eher
banale Art: Etwa ob ein TV-Moderator die US-Fahne als Stecker anhaben
sollte. Grundlegende Kritik wurde selten geaeussert, und selbst wenn wurde
sie voellig ignoriert, etwa als CBS-Moderator Dan Rather folgendes sagte:
"Es gab eine Zeit in Suedafrika, da bekamen Menschen, wenn sie Abweichler
waren, einen brennenden Autoreifen um ihren Hals. Und in gewissen Sinne ist
die Angst hier, auch etwas umgehaengt zu bekommen, dass man einen flammenden
Reifen des Patriotismusmangels um seinen Hals kriegt. ... Das ist jetzt
diese Angst, die Journalisten davon abhaelt, die haertesten der harten
Fragen zu stellen." Das sagte Rather im Interview mit der BBC. Laut
Schechter ist das Interview weder im US-Fernsehen gesendet worden, noch
wurde es im Fernsehen oder in einer grossen Zeitung kommentiert.

Manche persoenlichen Erfahrungen des Filmemachers sind auch interessant. So
wollte er ein "Making Of" ueber das Musikvideo "We Are Family" unter der
Regie von Spike Lee zugunsten der Opfer des 9.11. drehen. Doch als die Liste
der Nutzniesser ploetzlich der eingeladenen Komoediantin Joan Rivers zu
"breitgefaechert" schien, verliess sie das Studio unversehens, jedoch nicht
ohne "Fuck World Peace" ausgerufen zu haben. Durch ihre verbalen Angriffe in
der Presse schreckte sie noch andere Stars davon ab, an dem Video
teilzunehmen, und drohte Schechter mit Prozessen, falls er ihren Ausspruch
in seinem Film bringt. Damit sie nicht missverstanden werde, liess sie
verlauten, sie habe eigentlich gesagt: "Fuck the Muslims".

"Americans do not know that they do not know"

Leider sind solche aufschlussreichen Anekdoetchen selten in Schechters Buch.
Es schwankt stark zwischen statistischer Analyse und persoenlich Erlebtem
und listet nicht genug treffende Beispiele fuer die bewusste Irrefuehrung
der US-Bevoelkerung auf, um seine wenigen allgemeinen Urteile ueber die
US-Medien zu untermauern. Ohne genuegend solcher handfesten Beispiele wirkt
aber selbst eine Schlussfolgerung, die man in jeder Medienkritik findet,
wenig ueberzeugend: naemlich, dass die US-Medien ihr Publikum als
Konsumenten statt als Buerger sieht.

Dabei gibt es genug Desinformation zu entlarven. Zum Beispiel geben
US-Kommentatoren oft zu, die USA haetten die Taliban unterstuetzt, behaupten
aber, das habe nur dem Ziel gedient, die Sowjetunion aus Afghanistan zu
vertreiben - aehnlich argumentiert kein Geringerer als Samuel Huntington,
Autor des vielzitierten Buchs "Kampf der Kulturen". Tatsaechlich sind die
Taliban erst 5 Jahre nach Abzug der UdSSR ueberhaupt militaerisch aktiv
geworden, und selbst dann hatten viele von ihnen keine Kriegserfahrungen. Im
Krieg gegen die UdSSR haben die USA die Mudschaheddin unterstuetzt. Die
Clinton-Regierung hat ab 1994 die Taliban unterstuetzt, um den Westen
Afghanistans zu stabilisieren, damit dort eine Pipeline gebaut werden kann.

Eine weitere Luege, die in den US-Medien kursiert: Die neue Behauptung der
Bush-Regierung, Saddam Hussein haette 1998 die UN-Inspektoren des Landes
verwiesen. Hat er nicht, sondern Clinton hat sie heimgerufen, damit sie die
bevorstehende Bombardierung heil ueberstuenden.

Und die Desinformationskampagne geht weiter: Ueber die 350.000
Demonstranten, die Ende September in London gegen den Alleingang der USA
gegen den Irak protestierten, berichteten die grossen US-Zeitungen entweder
gar nicht, oder sie sprachen fluechtig von "Tausenden Demonstranten". So
schuetzt die US-Presse die Amerikaner vor den Protesten im Ausland. (Craig
Morris, 14.10.2002 / bearb.)

Volltext: http://www.telepolis.de/deutsch/special/med/13392/1.html


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