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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 22. Oktober 2002; 15:17
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Schwarz-Weiss:

> Ich kann mich nicht integrieren, bitte helfen Sie mir!

Eine Auseinandersetzung

Ein Text aus dem "ZEBRATL", dem Magazin des Vereins ZEBRA - Zentrum zur
sozialmedizinischen, rechtlichen und kulturellen Betreuung von Auslaendern
und Auslaenderinnen in Oesterreich

*

Ich werde oft gefragt, wo ich herkomme und ich antworte, dass ich aus
Nigeria stamme. Obwohl die Frage laestig ist, ist sie fuer mich okay, weil
ich ueber meine Antwort nicht nachdenken muss. Aber ich werde sehr selten
gefragt, ausser auf Aemtern und oder beim Ausfuellen von Formularen, welche
Nationalitaet ich habe. Wenn es so ist, werde ich nervoes, mein Herz rast,
mir steht Schweiss auf der Stirn, und ich sage mir: "Hoppla, Aufpassen",
weil ich zuerst nachdenken muss, ob ich Oesterreicher bin oder nicht, obwohl
ich seit 1999 eingebuergert bin. Mein innerer "Scanner" muss zuerst die
Person, die die Frage gestellt hat, ueberpruefen, ob sie es sarkastisch oder
ernst gemeint hat, bevor ich eine Antwort gebe. Ich muss sehr vorsichtig
sein, weil ich schon einmal ausgelacht worden bin, als ich mich als
Oesterreicher vorgestellt habe, und die Wahrheit ist, dass ich mich tief in
meinem Herzen nicht so fuehle.

Es stellt sich daher die Frage, warum ich mich nicht als Oesterreicher
fuehle, obwohl ich rechtlich und offiziell Oesterreicher bin. Habe ich
einfach einen Komplex oder ist es irgendwas Tieferes? Ich bin neidisch
gewesen, als ich mit meinem Freund aus Kanada, der urspruenglich auch aus
Nigeria stammt, geredet habe und sehr oft solche Saetze wie: "I am Canadian"
oder "I am going back home" (damit meinte er Kanada) oder "I will take my
kids to Nigeria soon to see the country and visit my parents" gehoert habe.
Ich wuerde dagegen sagen: "Ich bin Nigerianer, aber ich habe die
oesterreichische Staatsbuergerschaft", oder "Ich gehe zurueck nach
Oesterreich" oder "Ich nehme meine Kinder mit nach Nigeria, um mein Land
kennen zu lernen und meine Eltern zu besuchen."

Diese Sachen, ich meine, wie ich mich vorstelle, vor allem, wenn es meine
Identitaet betrifft, sind oft unbewusst, sie kommen einfach aus einem
inneren Gefuehl. Luege ich mich an? Ich habe einen Job, sogar einen guten
Job, ich habe eine liebe Frau (selbst gebuertige Oesterreicherin), wir haben
zusammen ein suesses und wunderschoenes Kind. Ich muss mir keine Sorgen um
meinen Aufenthalt in Oesterreich machen, die deutsche Sprache beherrsche ich
nicht schlecht und trotzdem fuehle ich mich hier nicht zuhause. Warum?
Vielleicht bin ich undankbar demgegenueber, was Oesterreich mir gegeben hat
oder vielleicht will ich mich einfach nicht in die Gesellschaft integrieren
oder "anpassen", (ist nicht mein Lieblingswort) oder vielleicht stimmt
irgendwas nicht mit dem Begriff "Integration" oder wie wir das Wort
verstehen, nutzen und erleben und vielleicht stimmt auch irgendwas nicht mit
dieser Gesellschaft?

Ich bin kein politischer Kommentator und ganz sicher kein Politiker, ich bin
auch kein Sozialwissenschaftler, mein Interesse, was Integration betrifft,
liegt nicht in der Analyse der Integrationspolitik in Oesterreich, sondern
ich bin nur ein Mensch, der die praktische Umsetzung dieser Worte taeglich
erlebt, und moechte aus dieser Sichtweise darueber reden.

Ich habe am Anfang, als ich nach Oesterreich kam, oft gedacht: "Wie schoen
das sein wird, wenn ich die deutsche Sprache gut beherrsche. Dann kann ich
endlich kommunizieren, Frauen ansprechen, Freundschaften aufbauen, mich
besser auf den Behoerden verstaendigen, ich werde ganz leicht einen Job
finden, selbst eine Wohnung finden, ich kann ..., ich werde ...,wenn ich die
Sprache beherrsche".

Aber Jahre spaeter war ich doch nicht integriert, obwohl ich die Sprache
ziemlich gut kann. Integration liegt nicht nur an der Sprache, das ist mir
jetzt klar. Aber woran? Oder muss ich doch noch den steirischen Dialekt
lernen" Aber um "Gotts wuen, des is schwa". Dann muss ich ja auch den
wienerischen Dialekt lernen, damit ich mich auch in Wien anpassen (Sie
wissen ja: Mein Lieblingswort) kann. Wie soll ich denn jetzt damit anfangen?
Vielleicht gibt es doch noch einen Weg, da ich mich integrieren muss.

Definitiv Wienerschnitzel bestellen

Ich habe oft gedacht, dass ich psychisch krank bin, weil ich nicht verstehen
konnte, warum es sehr schwer ist, mich als Oesterreicher zu fuehlen, und
auch schwer ist, mich in Oesterreich zu integrieren. Ich habe geglaubt, dass
ich mich nicht genug bemueht habe! Ich dachte, um Oesterreicher zu sein,
muss ich Wienerschnitzel bestellen, wenn ich in einem Restaurant bin,
Extrawurst als Jause mit zur Arbeit nehmen. Ich darf nicht laut reden, wenn
ich ein oeffentliches Verkehrsmittel benutze, beim Einkaufen in einem
Supermarkt muss ich zu Boden schauen. Das war trotzdem noch zu wenig, um
mich in Oesterreich zu integrieren.

Um zu ueberpruefen, ob ich den Begriff Integration richtig verstehe, habe
ich versucht, von den "einfachen Menschen" unter Bezugnahme auf ihre
Gefuehle, herauszufinden, was die "wirkliche" Definition oder Bedeutung von
Integration ist.

Ich meine, nicht die Definition, die wir in Buechern finden, denn in
Buechern sind Theorien aufgeschrieben, und Theorien wissen nichts von
Gefuehlen. Meine "auslaendischen" Freunde sagen, dass Integration von
Menschen unmoeglich ist. Sie sagen, dass Integration Aenderung bedeutet und
das es nicht moeglich ist, dass sich Menschen aendern. Integration betrifft
nur die EU; die Waehrung (Euro), ihre Zusammenarbeit im Bereich der
Wirtschaft usw.. Ja, klar! Dann weiss ich, warum es immer schwer war, mich
zu integrieren. Ich bin schwarz, aber in Oesterreich gibt es nur Weisse.
Sicher, Weiss und Schwarz passen nicht zusammen, oder doch? Eine fremde
Sprache kann man erlernen, aber die Hautfarbe ist unveraenderbar. Man kann
sich keine andere aneignen.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich rede nicht von Rassismus, sondern
von Integration. Sorry, ich habe das Wort jetzt so oft verwendet, dass ich
glaube, einer von den Politikern zu sein. Ich rede aber von Gefuehlen, von
Interaktionen zwischen Menschen. Ich rede von der Wertschaetzung, die
Menschen sich gegenseitig entgegenbringen sollten. Ich rede davon, wie wir
Menschen uns gegenseitig sehen und annehmen. Vielleicht hat es doch mit
Rassismus zu tun. Vielleicht sind die zwei Worte verwandt.

Ich moechte nicht illusorisch klingen, denn ich weiss, dass es ueberall auf
der Welt Rassismus gibt, und auch auslaendische Freunde haben dies in ihren
Gespraechen mit mir erwaehnt. So ist der Rassismus in Laendern wie
Frankreich und England sogar noch schlimmer als hier. Aber eines ist ganz
klar, die schwarzen Menschen fuehlen sich in diesen Laendern zu Hause, so
wie ich mich auch zu Hause gefuehlt habe, waehrend meines einwoechigen
Besuchs in London. Dort hat mich keine/r so komisch angeschaut, ich war
sogar irrelevant, gesichtslos, einfach nur ein Mensch - wie alle anderen.
Diese Indifferenz ist herrlich, dass die Leute mich sehen, so wie ich bin
oder mich auch ueberhaupt nicht sehen, ist wie ein Traum.

In London war es fuer mich sehr schoen und ganz leicht, mich als
Oesterreicher vorzustellen, und ich habe erwartet, dass die Leute mich
fragen, wieso ich Oesterreicher bin. Aber keiner hat gefragt: Niemand hat es
registriert, es war egal, wo ich herkomme.

Ich war fuer sie nur ein Mensch. Mein Ego war trotzdem verletzt, da ich
keine Chance gehabt habe, stolz ueber Oesterreich zu reden.

Ich weiss, dass viele Leute mich komisch finden und sich einfach denken
werden, warum ich nicht nach London auswandere, wenn ich mich dort zu Hause
gefuehlt habe. Sicher, das waere ganz einfach. Ich will mich aber auch hier
zu Hause fuehlen und ich kann das auch. Ich habe es schon gelernt, schon
kapiert: Was ich tun muss, um mich hier zu integrieren. Ich muss farbenblind
sein, dann wuerde ich keine Weisse mehr sehen, gehoerlos sein, damit ich die
Sprachen nicht unterscheiden koennte und letztlich das Wort "Integration"
aus meinem Sprachschatz ausloeschen, damit ich ueber die Umsetzung dieses
Wortes nicht mehr nachdenken muss. Dann bin ich hier zu Hause?
*Godswill Eyawo*



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