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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. September 2002; 15:28
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Nahost:

> Das Ende Jordaniens?

Ein US-Angriff gegen den Irak ist auch fuer einen anderen Staat gefaehrlich:
fuer das Koenigreich Jordanien.

Das bisher wichtigste Resultat des so genannten «Krieges gegen den
Terrorismus» war im Nahen Osten die Bildung einer Scharon-Bush-Achse. Sie
kam zustande, weil der schlaue Scharon den weniger begabten amerikanischen
Praesidenten zu ueberzeugen vermochte, dass sein Krieg gegen den «Terror»
der Palaestinenser «der gleiche» sei wie der Krieg Bushs gegen die Taeter
des 11. September. Dabei hat Scharon die Unterstuetzung aller
proisraelischen Falken innerhalb und ausserhalb der amerikanischen
Verwaltung erhalten. Unbestimmte Aussagen des Praesidenten, nach denen er
irgendwann in der Zukunft einen nicht naeher umschriebenen
palaestinensischen Staat «sehen koenne», verkleideten die Achse
oberflaechlich.

Diese Beschoenigung erfolgte, weil die amerikanische Aussenpolitik die
Zustimmung der arabischen Staaten sucht. Die Regimes der arabischen Staaten
durchschauen allerdings den duennen Dekorationsschleier. Doch sie sind
wirtschaftlich und politisch zu abhaengig von den USA und militaerisch zu
schwach gegenueber Israel, als dass sie etwas gegen die Scharon-Bush-Achse
unternehmen koennten.

Sie hoffen wohl auch, dass das Lippenbekenntnis Bushs den Zorn der arabische
n Strasse zu mildern vermag. Jedenfalls erhielt Scharon fuer die
Zwischenzeit - bis der sehr hypothetische palaestinensische Staat entsteht -
freie Hand, die besetzten Gebiete in ein grosses Gefaengnis fuer die
PalaestinenserInnen zu verwandeln. Gewissermassen als israelisches
Gegenstueck zum amerikanischen Guantánamo. Die Umfassungsmauern und
Stacheldrahtverhaue rund um die Westjordangebiete («the wall» genannt) sind
im Bau. Die Rolle der Gefaengniswaerter, der Quaeler und Provokateure,
koennten die vom israelischen Staat bewaffneten Siedler, gestuetzt auf die
Panzer der israelischen «Verteidigungskraefte» (wie sie offiziell heissen),
uebernehmen.

Weitere Konsequenzen des «Terrorkrieges» im Nahen Osten zeichnen sich heute
ab. Sie haengen mit der oft wiederholten Absicht Bushs und seiner Mentoren
zusammen, im Irak die Absetzung Saddam Husseins durch Gewaltanwendung zu
erzwingen. Es sind die US-Amerikaner, welche diese Absichten
gebetsmuehlenartig wiederholen. Es sind aber, was man nicht uebersehen
sollte, die Israelis, welche am meisten profitieren, falls es zu einer
Verwirklichung solcher Plaene kommt. Der Irak besitzt die einzige Armee
aller arabischen Staaten, die Israel einigermassen gefaehrlich werden
koennte, jedenfalls so weit, dass sie dem juedischen Staat Schaden antaete.
Alle anderen arabischen Armeen sind «gezaehmt» in dem Sinne, dass sie es
sich nicht leisten koennen, Israel auch nur herauszufordern. Wenn nun

Saddam Hussein entmachtet wird (was er natuerlich durchaus verdiente) und im
Irak entweder ein heilloses Chaos nach afghanischem Muster oder, wohl
weniger wahrscheinlich, ein Satellitenregime der USA zustande kaeme, waere
die Gefahr eines irakischen Angriffes, entweder durch Jordanien oder durch
Syrien hindurch oder zur Luft mit Raketen, mit der Israel heute rechnen
muss, weitgehend gebannt.

Wenn der Irak als Bedrohung Israels ausfaellt, hat dies Folgen fuer
Jordanien. Jordanien ist 1921 als Pufferstaat zwischen der arabischen Welt
und dem damaligen britischen Mandat Palaestina gegruendet worden und hat
diese Funktion bis heute bewahrt. Es deckt die weitaus laengste Grenze, die
fruehere Waffenstillstandslinie, zwischen Israel und der arabischen Welt ab.
Irakische und saudische Truppen sind manchmal in Krisenzeiten in Jordanien
stationiert worden, doch haben sie noch nie von dort aus Israel angegriffen.
Denn die jordanische Armee stand dazwischen. Als Pufferstaat wurde Jordanien
subventioniert, zuerst von Britannien, dann von den USA, dann aus Kuweit und
Saudi-Arabien - allgemein von den Maechten, die israehsch-arabische Kriege
vermeiden wollten. Auch der Frieden zwischen Israel und Jordanien hat an
dieser Konstante nichts geaendert - im Gegenteil, er festigte sie
vertraglich.

Doch ein gezaehmter oder permanent ins vorindustrielle Zeitalter
zurueckbombardierter Irak (voruebergehend zurueckbombardiert wurde er schon
einmal 1991) wuerde Jordanien «unnoetig» machen. Das heisst jenen
Pufferstaat Jordanien mit seinen haschemitischen Koenigen, wie er bis heute
besteht. Die israelischen Falken, die mit Scharon und seinen Freunden in der
israelischen Koalitionsregierung heute den Ton angeben, haben eine zweite
Verwendung fuer Jordanien im Auge: als «Staat der Palaestinenser". Das
heisst, sie moechten den so genannten «Transfer» organisieren, indem sie die
PalaestinenserInnen der Westjordangebiete moeglichst vollstaendig nach
Jordanien vertreiben. Jordanien als transjordanisches Koenigreich und
Pufferstaat wuerde an einer solchen Aktion zugrunde gehen, die Masse der
Vertriebenen wuerde den Staat ruinieren.

Solange der Irak als Gefahr fuer Israel existiert, ist daher die Zeit fuer
den «Transfer» nicht reif Doch wenn der Irak aufhoert, eine Bedrohung fuer
Israel darzustellen, koennten die israelischen Falken in Jordanien die
zweite Verwendung ihres Nachbarlandes in Szene setzen. Zurzeit werden die
PalaestinenserInnen der Westjordangebiete dafuer nach Moeglichkeit muerbe
gemacht. Bush als Verbuendeter Scharons sorgt dafuer, dass niemand dagegen
ernstlich Einspruch erhebt.

Der Umstand, dass heute von diesen zu erwartenden Folgen eines
amerikanischen Irak-Feldzuges nicht gesprochen wird, beweist nicht, dass die
israelischen Falken nicht an sie denken. Es liegt nicht in ihrem Interesse,
derartige Perspektiven heute an die grosse Glocke zu haengen. Dies wuerde
nur noch groessere Widerstaende gegen den angekuendigten amerikanischen
Angriff auf Bagdad in der arabischen und in der muslimischen Welt, ja
vielleicht sogar einen leisen Protest in den zaghaften europaeischen
Hauptstaedten ausloesen.

Wer solche Perspektiven fuer blosse Spekulationen haelt, sei daran erinnert,
dass Scharon seinerzeit als Verteidigungsminister unter Premierminister
Menachem Begin mit dem Libanon-Feldzug von 1982 Ziele vergleichbarer Art
verfolgte. Damals wollte er das strategische Gleichgewicht in der Levante zu
Israels Gunsten verschieben, indem er ein Buendnis zwischen Israel und den
libanesischen Maroniten unter Baschir Gemayel anstrebte. Der Plan missriet,
weil Baschir Gemayel am 14. September 1982, nachdem er bereits unter
israelischem Druck zum Praesidenten Libanons gewaehlt worden war, einer
(wahrscheinlich syrischen) Bombe erlag.

Als der israelische Libanon-Feldzug begann, der von Anfang an als Vorstoss
gegen Beirut geplant war, behaupteten Scharon und seine damaligen
militaerischen Sprecher, in absichtlicher Irrefuehrung sogar der eigenen
Regierung, es sei nur eine Inkursion nach Suedlibanon in der Tiefe von
vierzig Kilometern geplant, dann wuerden die israelischen Truppen anhalten.
Eine heute historische, aber fuer die Psychologie des Falken Scharon sehr
bezeichnende Episode.
(Arnold Hottinger, WOZ Nr.36; 5.9.02; Der Autor ist freier Journalist und
war langjaehriger Nahost-Korrespondent der NZZ.)


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