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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. September 2002; 16:06
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Rinks und Lechts/Prinzipielles:
> "Einheimische Verbrechen hochspielen"
Wie gehen linke Intellektuelle damit um, wenn sie von den falschen Leuten zu
Kronzeugen berufen werden? Alfred Schobert versuchte in der deutschen
anarchistischen Zeitschrift "Graswurzelrevolution" (Nr. 271, September 2002)
am Beispiel eines angeblichen "Interviews" der National Zeitung mit Noam
Chomsky die Problematik zu beleuchten.
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Die rote Kopfzeile der National Zeitung (NaZe) 26/02 lautete: "Warum Israel
das Recht bricht". Angekuendigt wurde so - und das konnte doch
ueberraschen - ein "Interview mit dem juedischen Philosophen Chomsky". Eine
Woche spaeter wurde die Fortsetzung wie folgt angekuendigt: "Wer stuerzt die
Welt in den Krieg? Was ein mutiger Jude enthuellt" (NaZe 27/02).
Was hat der Linguist vom MIT, dessen nun schon Jahrzehnte waehrendes mutiges
Engagement gegen die imperiale Politik der USA ihn unbestreitbar zu einem
der herausragenden linken Intellektuellen unserer Zeit macht, denn mit der
NaZe zu tun? Ueber seinen Uebersetzer baten wir Chomsky um eine
Stellungnahme zu dem Vorgang. Chomsky erinnert sich nicht daran, jemals von
der NaZe gehoert zu haben. Er habe kein Interview mit ihr gefuehrt und
schloss: "So there is nothing to worry about." Ist das wirklich so einfach?
Warum wehrt sich Chomsky nicht gegen ein seiner Aussage nach gefaelschtes
Interview in einem rechtsextremen Blatt? Widerspraeche dies seiner
Interpretation der Meinungsfreiheit? Unabhaengig von diesen Fragen muss
zudem grundsaetzlich gefragt werden, was Chomsky fuer die extreme Rechte
attraktiv macht.
Ein Grundzug in Chomskys politischem Werk und zwei konkrete Interventionen
Chomskys haben dazu gefuehrt, dass er zum Gewaehrsmann in der Publizistik
der extremen Rechten geworden ist: Erstens versuchen Teile der extremen
Rechten in Deutschland, Chomskys Engagement gegen den US-Imperialismus zu
vereinnahmen, gegen den sie auch sind - freilich um von imperialer Politik
Deutschlands zu schweigen; einen besonderen Reiz erhaelt Chomskys Kritik
fuer die extreme Rechte dadurch, dass Chomsky haeufig zugleich Israel als
"Klientel-Staat" der USA kritisiert. Zweitens sind selbstverstaendlich
Chomskys Stellungnahmen zugunsten Finkelsteins ein Aufhaenger fuer die
extreme Rechte. Drittens schliesslich stoesst Chomskys Eintreten fuer die
Redefreiheit der Holocaust-Leugner bei der extremen Rechten auf
Begeisterung.
Zu den irritierendsten Aspekten der Rezeption des Buches "Die
Holocaust-Industrie" in der Publizistik der extremen Rechten in Deutschland
gehoerten die positiven Bezugnahmen auf Chomsky. Auch da wurde er in der
NaZe (15/01) als "entschiedener Menschenrechtler und Verfechter freier
Meinungsaeusserung auch fuer revisionistische Autoren" gefeiert. Und unter
einem Jugendfoto Chomskys schrieb das Hetzblatt weiter: "Nicht zuletzt fuer
die Menschenrechte der Palaestinenser hat er sich wiederholt engagiert zu
Wort gemeldet." Zuvor war Chomsky publikumswirksam fuer Finkelstein
eingetreten. In "Die Woche" (28.7.2000) erklaerte er seine Zustimmung zu
Finkelsteins Hauptthese, die im uebrigen seit Jahrzehnten seine eigene sei.
Der Holocaust werde "seit den spaeten 60er Jahren ausgebeutet. Und zwar
nicht nur zur Rechtfertigung der israelischen Besetzung im Nahen Osten,
sondern auch aus innenpolitischen Gruenden in den USA (und anderswo im
Westen) und schlicht aus vulgaerem Karrierismus. Finkelsteins Analyse einer
'Holocaust-Industrie' ist deshalb voellig korrekt."
Die Holocaust-Leugnung betreibende Stroemung innerhalb der internationalen
extremen Rechten weiss Chomsky schon seit den 80er Jahren zu schaetzen. Der
Holocaust-Leugner Germar Rudolf plauderte in den Staatsbriefen (StB) aus,
wozu juedische Autoren und insbesondere linke juedische Autoren den Nazis
dienen (sollen). Rudolfs Ziel ist, auf laengere Sicht, eine Allianzbildung
der besonderen Art: "Zarte Kontakte dieser Gruppe kritischer Israelis zu
dissidenten Juden in westlichen Laendern aufzubauen, die auch Kontakte zum
Holocaust-Revisionismus nicht scheuen, duerfte nicht schwerfallen, zumal die
Kritik an der Mythologisierung des Holocaust und an gewissen talmudischen
(Miss)-Interpretationen der Tora bei beiden Gruppen identisch sind. Ob diese
israelischen Juden dann auch bereit sind, neben den gesellschaftlichen
Folgen der Mystifizierung des Holocaust auch die historiographischen zu
kritisieren, steht zu wuenschen und bleibt abzuwarten" (StB 11/ 1995, 26).
Zu den Linken, die Kontakte zu den Holocaust- Leugnern nicht scheuen,
zaehlte Rudolf ausdruecklich auch Chomsky.
Da die extreme Rechte gezielt Chomsky (und andere Linke) zu vereinnahmen
sucht, ist es - erst recht nach den exterministischen Terroranschlaegen vom
11. September und dem folgenden "Krieg gegen den Terror" - um so
bedauerlicher, dass in der linken und insbesondere libertaeren
Chomsky-Rezeption seine eben erwaehnten ueberaus problematischen
Positionseinnahmen so unkritisch aufgenommen werden. So verkommt die weithin
begruesste Chomsky-Biographie Robert F. Barskys in den Passagen ueber
Chomskys Unterstuetzung des Holocaust-Leugners Robert Faurisson zur
Hagiographie, sieht Chomsky in der Rolle des Opfers einer Kampagne von
"Klone[n] von Kommissaren" (Chomsky) und praesentiert Faurisson mit Foto als
"umstrittene[n] franzoesische[n] Forscher". Ganz nebenbei zitiert Barsky
eine Passage aus einem Brief Chomskys, die auch auf das nun erschienene
"Interview" Chomskys in der NaZe ein anderes Licht werfen koennte;
vielleicht ist das doch - und zwar grundsaetzlich - something to worry
about: "In den spaeten siebziger Jahren zum Beispiel [...] war die einzige
Zeitschrift, in der ich regelmaessig veroeffentlichen konnte, Inquiry, die
Zeitschrift des rechtsradikalen Cato-Institute."
Ich moechte aufbauend auf einer Ueberlegung Chomskys eine Anregung fuer die
Chomsky-Lektuere geben. Fuer die Rezeption Chomskys in Deutschland (wie auch
anderswo ausserhalb der USA) liefert sein "grundlegendes moralisches
Prinzip" eine Richtlinie, die politisch vorwaerts weisen koennte. Er
formulierte es in einem Brief an seinen Biographen: "Das grundlegendste
moralische Prinzip muesste dazu fuehren, die einheimischen Verbrechen im
Vergleich zu denen der offiziellen Feinde 'hochzuspielen', das heisst,
diejenigen Verbrechen 'hochzuspielen', gegen die man etwas unternehmen
kann." Folgt man diesem Grundsatz, ginge es nicht lediglich darum, Chomskys
Kritik an den USA aufzusaugen, worin sich die Lektuere bei manchen Fans
erschoepft, und weiter zu verbreiten; vielmehr waere sie einzubetten und zu
ergaenzen durch die Kritik an dem Staat, in dem man lebt. Vor allem zoege
man so eine politische Demarkationslinie zu all jenen, die aus
[beispielsweise] teutonischer Motivation die USA kritisieren und sich dabei
gelegentlich (aber immer oefter) auch auf Chomsky berufen. (gekuerzt)
Volltext nachzulesen unter: http://www.graswurzel.net/271/chomsky.shtml
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