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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. September 2002; 15:16
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Frauen/Afghanistan:

> All die schoenen Versprechen

Anfang Oktober jaehrt sich der Beginn des Krieges der USA gegen Afghanistan.
Viel Sympathie fuer diesen Krieg wurde auch mit der Menschenrechtssituation
im Taliban-Staat gewonnen. Doch Unterdrueckung und Armut ist fuer viele
afghanische Frauen nach wie vor Alltag. Und die internationale
Hilfsbereitschaft laesst bereits wieder nach.

«Vierhundert StudentInnen draengen sich im grossen Hoersaal der
naturwissenschaftlichen Fakultaet der Universitaet Kabul, hundertfuenzig
davon sind Frauen. Eine von ihnen, Sohal, sagt: «Ich kann Ihnen gar nicht
sagen, wie das fuer mich ist; zum im ersten Mal erleben wir das, die
Universitaet, diese Atmosphaere. Wir alle koennen studieren, Jungen und
Maedchen gemeinsam.»

So beginnt die britische Journalistin Natasha Walter ihren Bericht ueber
Frauen in Afghanistan, der am 20.Juli in der britischen Zeitung «The
Guardian» erschien. Bei allem Einfuehlungsvermoegen, mit der die Verfasserin
ihre Begegnungen mit afghanischen Frauen schildert, muss man fragen,
inwieweit sich daraus ein realistisches Bild ueber die Lage der afghanischen
Frauen ergibt.

Sohal will Ingenieurin werden, erzaehlt sie der britischen Journalistin.
Beim Abendessen zu Hause machen sie und ihre Schwestern Witze ueber
Gulbuddin Hekmatyar und Burhanuddin Rabbani, zwei der maechtigen Warlords,
die Kabul in den neunziger Jahren in Schutt und Asche legten. «Manchmal kann
man nur lachen», sagt ihre Mutter, waehrend sie sich mit einem Zipfel ihres
Kopftuchs ein paar Traenen abwischt. Und auch Sohal lacht nicht, als sie von
jenen schlimmen Jahren erzaehlt, da nach dem Abzug der Sowjets die vom
Westen aufgeruesteten und bezahlten Krieger der Mudschaheddin um die Macht
in Kabul kaempften. «Nacht fuer Nacht sassen wir hier zusammengedraengt in
einer Ecke und horchten auf die Bomben und Raketen. Morgens gingen wir nach
draussen und halfen beim Einsammeln der Leichen. Wir konnten nicht denken,
wir warteten nur auf den Tod.»

Eine andere junge Frau, Latifa, schreibt in ihrem Buch «Das verlorene
Gesicht», sie habe zur gleichen Zeit ein weitgehend normales Leben gefuehrt.
Soweit es sich normal leben liess in einer Stadt, in der taeglich hunderte
Raketen einschlugen, die das bis dahin verschonte Kabul in Truemmer legten.
Die Universitaetsbibliothek wurde ausgeraubt und niedergebrannt, das
Nationalmuseum gepluendert und zerstoert. «Und wir lebten trotzdem weiter.
Ich ging zur Schule, und an einem Tag, an dem 300 Raketen auf Kabul fielen,
heiratete meine Schwester Schakila.»

Als die Kaempfe allzu nahe rueckten, verliess Sohals Familie ihr Haus.
Schliesslich flohen sie vor den Taliban und verbrachten zwei Jahre in
Pakistan. Aber das elende Leben als Fluechtlinge dort zwang sie zur
Rueckkehr nach Kabul. Zum dritten Mal verliessen sie Kabul im letzten
Winter - diesmal wegen der US- amerikanischen Bomben. Jetzt fangen sie von
vorn an und versuchen, sich aus den Truemmern wieder ein normales Leben
aufzubauen.

Aber was ist schon normal fuer afghanische Frauen? Sie haben sich
entschlossen, an die Zukunft zu glauben. «Moechten Sie wissen, warum ich das
hier noch trage?» fragt eine von ihnen die britische Journalistin und haelt
ihr ihre himmelblaue Burka entgegen. Die Burka. Ist es nicht absurd, dass zu
Beginn des 21. Jahrhunderts ein Kleidungsstueck eine derartige ideologische
Bedeutung erlangt hat? Als Laura Bush, die Frau des US-Praesidenten,
waehrend des amerikanischen Feldzuges gegen die Taliban im Oktober 2001 ihre
Stimme erhob fuer die Befreiung der afgharfischen Frauen, erfuhr die
Weltoeffentlichkeit, dass der Krieg fuer die Abschaffung des
Ganzkoerperschleiers gefuehrt wurde.

Bomben gegen Burkas

Auf jeden Fall war die Burka ein nuetzliches Instrument, um die Solidaritaet
von europaeischen und US-amerikanischen Frauen zu mobilisieren. Wie bereits
im Kosovo-Konflikt wurde die Verletzung elementarer Menschenrechte
missbraucht, um die Bedenken der Friedensfreunde und -freundinnen gegen
Krieg in einem der aermsten Laender der Welt zum Schweigen zu bringen.

Ohne Zweifel haben die buergerlichen Frauen in Kabul die Dekrete der
Taliban, die ihnen unter anderem das Tragen der Burka vorschrieben, als
schlimmen Eingriff in ihre Persoenlichkeitsrechte, empfunden. Uebrigens war
das Recht, unverschleiert zu gehen, auch den Staedterinnen erst 1956
zugebilligt worden.

Den Mudschaheddin, die sich ab 1992 um den Besitz der Hauptstadt stritten,
war dieses Recht ein Dorn im Auge. Noch vor der Machtuebernahme durch die
Taliban erliess der Gerichtshof des Islamischen Staates Afghanistan eine
«Verordnung ueber Frauenkleidung», derzufolge Frauen den ganzen Koerper mit
einem langen Schleier verhuellen mussten. Die Verordnung verbot Frauen auch,
ihre Wohnung zu verlassen oder sich ansehen zu lassen. Aber die brutale
Durchsetzung der Kleiderordnung kam erst mit den Taliban.

Ausserhalb von Kabul musste die Burka nicht durchgesetzt werden;
Verschleierung ist in der Oeffentlichkeit bis heute die Regel. Nach dem
Abzug der Taliban konnten westliche Medien nicht genug behaupten, die
Afghaninnen wuerden jetzt gleich ihre Vermummungen abwerfen. Tatsaechlich
tragen auch in Kabul fast alle jungen Frauen weiterhin die Burka. Ihre
Antwort auf die Frage, warum sie nicht unverhuellt auf die Strasse gehen:
«Wir haben Angst.» Kein Wunder, dass sie sich unsicher fuehlen. Das
weitgehend zerstoerte Kabul ist heute eine ueberfuellte Grossstadt, die
verarmte, entwurzelte und arbeitslose Rueckkehrer anzieht. Auch wenn es
angesichts der Stationierung internationaler Streitkraefte momentan relativ
ruhig ist, fuerchten sich viele Frauen vor neuer Gewalt. Vor einem Monat
wurden zwei Frauen, die nur Kopftuch trugen, mit Saeure uebergossen. Die
Anonymitaet der Burka bietet einen gewissen Schutz. «Natuerlich wuerden wir
die Dinger gern ausziehen, aber noch geht es einfach nicht», sagt die
Studentin Sohal.

Wollte man also den Erfolg der US-Militaeraktion in Afghanistan an der
Abschaffung der Burka messen, muesste Laura Bush ihrem Mann und seinen
kriegsluesternen Beratern eindeutig Versagen bescheinigen. Aber vielleicht
wurden ja andere Kriegsziele erreicht, etwa die Rueckkehr Afghanistans zu
Demokratie und Menschenrechten?

Im Juni fand in Kabul die Loya Jirga statt, die grosse Ratsversammlung, die
die politische Neuordnung Afghanistans einleiten sollte. Unter den 1500
Delegierten waren 200 Frauen. Doch die Loya Jirga zog sich hin, und die
kritischen Frauen wurden an den Rand gedraengt. Die Macht haben weiter die
Maenner, die ueber Waffen und Geld verfuegen, die ehemaligen so genannten
Freiheitskaempfer, die blutige Kaempfe gefuehrt und die Zivilbevoelkerung
terrorisiert haben. Eine ausgesprochen negative Bilanz der Loya Jirga aus
Frauensicht zieht Belkis Ahmadi, Delegierte und Mitglied der International
Human Rights Law Group. Wie die Versammlung einhellig als Erfolg gefeiert
werden koenne, sei ihr und allen denjenigen ein Raetsel, die bei
Frauenrechten Realitaet ueber Rhetorik stellten.

Den 200 weiblichen Delegierten drohen nicht nur die alltaegliche
Benachteiligung und Belaestigung, sie waren und sind ihres Lebens nicht
sicher. Die Bedrohung geht nicht laenger von internationalen Parias wie den
Taliban aus, sondern von Mitgliedern der hochgelobten neuen Regierung
Afghanistans. Drohungen gegen mehr oder weniger prominente Afghaninnen sind
ein Test fuer die internationale Solidaritaet: War ihr Eintreten fuer die Re
chte der afghanischen Frauen nur eine strategische Position oder die
ernsthafte Verpflichtung, so etwas wie die Misshandlungen durch die Taliban
nie wieder zu dulden? Anstatt blumiger Erklaerungen fordert die Juristin
Belkis Ahmadi Taten zum Schutz derjenigen, die an ein neues Afghanistan
glauben, auch fuer Frauen.

Derweil kaempfen die Frauen weiter. Nicht nur gegen maennliche
Unterdrueckung kaempfen sie, sondern ums Ueberleben. Gewiss, es ist viel
internationale Hilfe nach Afghanistan geflossen. Doch die etwa 800 Millionen
Dollar reichten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nicht, um die
unmittelbare Not von Millionen Menschen zu lindern. Afghanistan hat
wahrscheinlich weltweit die hoechste Muettersterblichkeit, die Haelfte der
Kinder sind unterernaehrt, die Lebenserwartung soll bei 46 Jahren liegen -
aber schon verschwindet Afghanistan von den Bildschirmen. Und die Spenden
gehen bereits wieder zurueck. (Ulrike Vestring, WOZ Nr.36/5.September 2002)

***

ai/USA:

> Irak: The same procedure...

amnesty international kritisiert, dass auch im Fall eines Krieges zwischen
den USA und dem Irak einmal mehr die Menschenrechtsbilanz eines Landes
selektiv dazu missbraucht wird, einen Krieg zu rechtfertigen. So zitierte
US-Praesident Bush in seiner Rede vor den Vereinten Nationen mehrmals aus
den Berichten von amnesty international. Einmal mehr wuerde die
Menschenrechtsbilanz eines Landes selektiv dazu missbraucht, einen Krieg zu
rechtfertigen" hiess es in einer Aussendung von ai. Weder die USA noch
andere westliche Regierungen haetten sich waehrend des Krieges zwischen dem
Irak und dem Iran fuer die Untersuchungen von amnesty international ueber
die Menschenrechtssituation im Irak interessiert, so Heinz Patzelt von
ai-Oesterreich: "Auch waehrend der Angriffe gegen Halabja im Jahr 1988 ist
die Kampagne von ai zu Gunsten der unbewaffneten kurdischen
Zivilbevoelkerung voellig ignoriert worden".

Die politische Diskussion ueber einen moeglichen Angriff gegen den Irak wird
immer konkreter. Und dies, obwohl feststeht, dass die Folgen einer
bewaffneten Intervention fuer die irakische Zivilbevoelkerung und deren
grundlegender Rechte drastisch und unverhaeltnismaessig sind. Die letzte
bewaffnete Intervention im Irak hat gezeigt, so ai, dass getoetete
Zivilisten nur allzu oft als "akzeptable Verluste" betrachtet wurden.

Gleichzeitig kritisiert ai die Versuche der USA den Internationalen
Strafgerichtshof zu torpedieren. Bislang haben die USA mit vier
IstGH-Vertragsstaaten, darunter Ost-Timor, Israel, Rumaenien und
Tadschikistan, Abkommen ueber die gegenseitige Nichtauslieferung von eigenen
Straatsbuergern an den Internationalen Strafgerichtshof geschlossen. In
vielen Faellen drohen die USA, jenen Laendern ihre militaerische
Unterstuetzung zu entziehen, die einem bilateralen Abkommen nicht zustimmen.
(ai/bearb.)

***

Anmerkung des Redakteurs: George Bush hat ihn Bezug auf den Irak gesagt, man
muesse handeln, bevor es zu spaet ist. Natuerlich hat er damit nicht die
midterm elections gemeint, die demnaechst stattfinden. Es ist ja fuer die
amerikanische Aussenpolitik voellig unerheblich, dass da das
Repraesentantenhaus und ein Drittel des Senats neu bestellt werden... -br-


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