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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. September 2002; 14:11
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Neuquahlen:
> Unser Wahlziel: 30%
Mit grosser Befriedigung sehen wir das Ende der schwarz-blauen Regierung. Es
ist ein unerwarteter Beweis fuer das Fortleben des sozialen Konfliktes in
Oesterreich, so unterentwickelt dieser auch sein mag. Dem Neoliberalismus
ist der glatte und problemlose Triumph versagt geblieben. Wuerde die Linke
endlich ihren Kopf aus dem Arsch des Liberalismus herausbekommen, haette sie
nun wieder den Ansatz einer Moeglichkeit, sich als wirkliche Opposition ins
politische Spiel zu bringen. Leider stehen die Chancen dafuer nicht so gut.
Das Ende der schwarz-blauen Regierung ist nicht das "Ende der Wende". Die
Regierung Schuessel war nur die umgefaerbte Kontinuitaet des gleichen
neoliberalen Projektes, das auch unter Klima und Vranitzky verfolgt wurde.
Das Ende von Schwarz-blau war auch nicht der Sieg der links-liberalen
Zivilgesellschaft, denn die Regierung wurde letztendlich von der
Waehlerschaft der FPOe gestuerzt, oder besser durch deren Abwandern. Die in
Jahren des Populismus an die FPOe gebundenen Unterschichten konnten sich mit
dem "Neu Regieren" - das sich vom alten Regieren nur durch unflaetiges
Geschimpfe und antitschechische Phrasen abhob - nicht anfreunden, das
neu-alte Regieren war der Grund warum sie urspruenglich die SPOe verlassen
hatten.
Die FP-Fuehrung hatte im wesentlichen zwei Optionen: Sie haette dem Rezept
von Vranitzky und Klima folgen und auf die liberalen Mittelschichten setzen
koennen. An der Regierung verschleisst sich der Populismus eben zum Teil.
Und sie konnte versuchen, sich von ihrer eigenen Regierung abzusetzen. Die
erste Variante haette einer buergerlichen Normalitaet entsprochen, eine
Variante die langfristig zu einem wiederkehrenden Wechsel von
sozialdemokratischen und freiheitlichen Regierungsbeteiligungen gefuehrt
haette, ein Wechsel von Mitte-Links und Mitte-Rechts, wie in den USA. Aber
die FP-Fuehrung hat die zweite Variante gewaehlt. In Joerg Haider hatte sie
einen Mann gefunden, der sich zum reaktionaeren Interpreten des
antiliberalen Impulses in den Unterschichten aufgeschwungen hat und diese
Stellung behalten wollte, selbst um den Preis der Regierungsbeteiligung. (Ob
Haider tatsaechlich Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wollte, muss bezweifelt
werden, riskiert hat er sie in jedem Fall bewusst!
Die Zeit, den Schleudersitz auszuloesen, war gekommen, als das Duo
Riess-Grasser sich vollends der OeVP unterordnete und auch noch auf das
letzte populistische Versprechen, die Steuerreform fuer den "kleinen Mann",
verzichtete. Das Anwachsen von Grassers offen neoliberalen Einfluss haette
die Position der populistischen und rechtsnationalen Elemente in der FPOe
langfristig untergraben muessen.
Das liberale Establishment (darunter verstehen wir alle ausser der radikalen
Linken, und ausser der Stadler-Rechten) ist sich zu 100% einig, dass das
Projekt des globalisierten Wettbewerbstaates fortgesetzt werden muss,
unterschiedlich ist nur die angestrebte Geschwindigkeit. Es ist sich zu 95%
einig, welche Wirtschaftspolitik durchgefuehrt werden sollte, um dieses Ziel
zu erreichen - und die fuenf verbleibenden Prozent sind nicht eindeutig
ideologisch zuordenbar, die Forderung nach einer Steuerreform zur
Konjunkturbelebung (die in den USA am radikalsten von Ronald Reagan
durchgefuehrt wurde), wird heute von Gusenbauer, Haider und Stoiber
aufgestellt, dagegen sind Schuessel, Schroeder und Van der Bellen. Einigkeit
herrscht ueber den aussenpolitischen Kurs, zumindest in den wesentlichsten
Fragen (Mitgliedschaft in der EU, Teilnahme an deren Militarisierung - ob
mit oder ohne Kampfflugzeuge ist dabei sekundaer, Kriege in aller Welt), und
ueber die wesentlichen Fragen der Innenpolitik!
Wenn man die Reste der radikalen Linken und die Reste der Deutschnationalen
bei Seite laesst, dann ist die Frage "rechts oder links" zu einer
kulturellen Frage geworden. Ein Konflikt zwischen Lodenjanker und
Gesundheitssandalen, zwischen der Deutschlehrerin und dem Turnlehrer, die
dabei Beide dem gleichen Direktor verantwortlich sind, zwischen dem
konservativen Rassisten, der seine Erdbeerernte von Rumaenen einbringen
laesst, und dem Multikulti- Rassisten, der Auslaender mag, weil er gerne
indisch isst und eine billige Putzfrau braucht. Jenseits der Ironie:
Kulturelle Unterschiede sind nicht unwichtig, aber sie machen noch keine
unterschiedlichen gesellschaftlichen Projekte.
In diesem Panorama ist es dabei entscheidend, dass ein Teil der Bevoelkerung
(allerdings sicher nicht die Mehrheit) das liberale Gesellschaftsprojekt in
entscheidenden Fragen ablehnt. Viele stellen sich gegen den sozialen
Kahlschlag, viele gegen die Europaeische Union, sogar die Mehrheit der
Bevoelkerung moechte die Neutralitaet behalten und lehnt die Militarisierung
ab. Dies geschieht in unterschiedlichem Ausmass und ist allzu oft mit einem
sehr oesterreichischen Beduerfnis nach Stabilitaet und grosser Angst vor
allem Radikalen verbunden, haeufig vom allgegenwaertigen Rassismus
durchdrungen. Dennoch bleibt der Fakt: Diese Teile der Bevoelkerung
verfuegen de facto ueber keine politische Vertretung. Sie sind das
wesentliche Potential des Populismus, ob haiderscher oder haeupelscher
Praegung, sie sind ein wesentlicher Teil der Nichtwaehler. Gegen deren
neoliberalen Kurs haben sie die SPOe verlassen, ihre Abwanderung hat die
FPOe in die Krise geworfen und die Regierung gestuerzt. Sie sind der Beweis,
dass ein antiliberales Projekt auch in Oesterreich moeglich ist, es ist
nicht nur moeglich, sondern auch die einzige Chance auf eine echte
Opposition, eine Politik jenseits blosser kultureller Bekenntnisse, gegen
das gesamte Establishment und nicht nur dessen rechtere Haelfte.
Nachdem man ueber zwei Jahre gegen Schwarz/Blau demonstriert hat, und damit
implizit oder explizit fuer Rot/Gruen, wird man nun in Ewald Stadler und
Joerg Haider abermals die faschistische Gefahr sehen, sie zu Hauptfeind
machen und unter der Losung "Keine Stimme den Rechtsradikalen" implizit oder
explizit weiter fuer Rot/Gruen demonstrieren. Dabei ist die Gefahr eine
eingebildete: Ja, Ewald Stadler ist ein Rechtsradikaler, ja, der FPOe
Wahlkampf wird sich gewaschen haben, aber eines steht auch fest: Sollte die
FPOe je wieder in eine Regierung kommen, dann nur im Rahmen des herrschenden
liberalen Projekts. Der Hauptfeind steht nicht ganz rechts, sondern in der
liberalen Mitte. Von dort kommen die wesentlichsten Angriffe.
"Keine Stimme den FPOe". Das ist natuerlich richtig, aber nicht ausreichend.
Keine Stimme fuer das liberale Establishment - Fuer eine echte Opposition.
An dieser Stelle wollen auch wir ein Wahlziel verkuenden: 30%. Mindestens
30% Wahlenthaltung.
*Bewegung fuer Soziale Befreiung (gek.)*
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