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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. Juni 2002; 05:32
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Schwarzblau/Asyl:

> Privatisierung des Mangels

Oesterreich tut sich schwer, die als Abschreckungs- massnahme
eingesetzte Nicht-Versorgung von Asyl- werberInnen aufzugeben.
Nun macht die EU Druck. Reformen werden unumgaenglich.

*

Seit Jahren steht die sogenannte Bundesbetreuung im Zentrum der
Kritik der NGOs. Seit Jahren hat sich nichts an der skandaloesen
Praxis, AsylwerberInnen nicht in die staatliche Betreuung
aufzunehmen, geaendert. Fuer die Betroffenen bedeutet das
Obdachlosigkeit und keinerlei medizinische Versorgung.

Karitative Organisationen wie die Caritas oder der Evangelische
Fluechtlingsdienst bemuehen sich nach Kraeften, diese Luecke mit
ihren Notquartieren zu schliessen. Trotz aller Bemuehungen
bleiben immer mehr AsylwerberInnen auf der Strasse und ziehen
frueher oder spaeter die Konsequenz, verlassen Oesterreich und
suchen ihr Heil in anderen EU-Staaten. Aber auch jene
AsylwerberInnen, die das Glueck haben, in Bundesbetreuung
aufgenommen zu werden, erfahren keine Betreuung, die diesen Namen
verdient. Die Zeit waehrend der oft jahrelang dauernden Verfahren
fristen sie, zum Nichtstun verurteilt, entweder in trostlosen
Lagern oder in abgewohnten Pensionen - oft in entlegenen
Landgemeinden. Erst im vergangenen Jahr wurde die Situation durch
eine Senkung des Tagsatzes fuer die Bundesbetreuung von ATS 235,-
auf ATS 190,- zusaetzlich verschaerft. In den Pensionen und
Lagern wurden die Kuerzungen an die Fluechtlinge weitergegeben,
Rationen wurden gekuerzt oder ueberhaupt eine Mahlzeit
eingespart. Ueber die skandaloesen Bedingungen, unter denen
AsylwerberInnen leben muessen und den Mangel an speziellen
Betreuungsangeboten fuer Kinder, Jugendliche oder traumatisierte
Fluechtlinge ganz zu schweigen.

EU-Regelungen erzwingen Reform

Jetzt ist in das System der Bundesbetreuung Bewegung gekommen. Ob
zum Besseren wird sich noch herausstellen. Unter Druck gekommen
sind die oesterreichischen Behoerden vor allem durch die
Verhandlungen zu einer EU-weiten Harmonisierung der
Aufnahmebedingungen fuer AsylwerberInnen.

Die Standards sind in fast allen EU-Laendern deutlich hoeher als
hierzulande. Die oesterreichische Praxis, willkuerlich bestimmte
Gruppen von Fluechtlingen von der staatlichen Betreuung
auszuschliessen, verursacht bei KollegInnen aus anderen
EU-Staaten meist unglaeubiges Kopfschuetteln. Freilich gibt es
auch in anderen Staaten unnoetige Schikanen (wie die sog.
Residenzpflicht in der BRD, die AsylwerberInnen verbietet, den
Landkreis, in dem sie untergebracht sind, ohne behoerdliche
Erlaubnis zu verlassen), aber den systematischen Ausschluss
bestimmter Gruppen aus der staatlichen Betreuung gibt es nur in
Oesterreich.

Das Innenministerium nutzt die bevorstehenden Anpassungen an den
EU-Standard, um die Grundversorgung von Fluechtlingen
umzuorganisieren. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen.

Am laengsten dauern nun schon die Verhandlungen zwischen Bund und
Laendern, um die Finanzierung der Grundversorgung fuer
Fluechtlinge auf eine neue Basis zu stellen. Vorbild ist dabei
das Modell der Kostenteilung, wie es bei der Bund/Laender-Aktion
anlaesslich der Bosnien-Krise praktiziert wurde.

Bund-Laender Modell

Die Gespraeche wurden bereits im Jahr 2000 begonnen, gestalteten
sich allerdings aeusserst zaeh. Statt der bisher nebeneinander
bestehenden Systeme der Bundesbetreuung fuer AsylwerberInnen und
der (eingeschraenkten) Sozialhilfe fuer "nicht-abschiebbare
Fremde" der Laender, soll eine einheitliche Regelung zur
Grundversorgung beider Gruppen von "hilfs- und schutzbeduerftigen
Fremden" entwickelt werden. Zielgruppe sind nun auch
AsylwerberInnen waehrend eines Verfahrens bei den
Hoechstgerichten, abgelehnte AsylwerberInnen bis ihre Ausreise
(wie auch immer) stattfindet, Fremde mit Abschiebungsaufschub,
voruebergehend aufgenommene (Kriegs-) Fluechtlinge und solche,
die durch die Europaeische Menschenrechtskonvention vor
Abschiebung geschuetzt sind.

Bund und Laender sollen sich die Unterbringung und die dafuer
anfallenden Kosten teilen. Nach welchem Schluessel, darum wird
noch erbittert gefeilscht.

Sollte dieses Modell in die Praxis umgesetzt werden, sollte es
nicht mehr moeglich sein, Menschen, die sich in Oesterreich
aufhalten muessen, unversorgt auf die Strasse zu stellen.

Die fuer die Grundversorgung angedachten Standards koennten auf
manchen Gebieten eine deutliche Verbesserung mit sich bringen. So
soll es Massnahmen fuer Personen mit besonderen
Pflegebeduerfnissen geben.

Dass auch unbegleitete minderjaehrige Fremde unter diese Regelung
fallen sollen, stoesst bei den ExpertInnen auf vehemente Kritik.
Mit den vorgesehenen Mitteln wird keine altersgerechte Betreuung
moeglich sein.

Beim rigorosen Sparkurs, der zur Zeit sowohl bei Bund als auch in
den Laendern vorherrscht, stellt sich die Frage, woher die Mittel
fuer dieses Konzept kommen sollen. Der Streit ums Budget brachte
Anfang Juni die Verhandlungen wieder einmal an den Rand des
Abbruchs.

Mehr Privat

Eine andere Idee, die schon laenger in den Koepfen der
Verantwortlichen herumgeistert, steht vor der Umsetzung: Die
Privatisierung der Bundesbetreuung. Ganz nach dem neoliberalen
Leitspruch "weniger Staat, mehr privat" sollen die bislang
staatlichen Aufgaben der Fluechtlingsbetreuung an Private
ausgelagert werden.

Im Innenministerium denkt man daran, zwei zentrale
Erstaufnahmezentren einzurichten, die alle AsylwerberInnen
obligatorisch durchlaufen muessen. Dort sollen die Daten der
Fluechtlinge erfasst werden, medizinische Untersuchungen und eine
Vorselektion stattfinden. Asylverfahren, zu deren Erledigung
(negativ oder positiv) keine besonderen Ermittlungen erforderlich
sind, sollen dort bereits innerhalb weniger Tage abgeschlossen
werden. Spaetestens nach sieben Tagen sollen dann alle uebrigen
AsylwerberInnen in andere Unterbringungseinrichtungen verteilt
werden.

Alle bisher vom Bund gefuehrten Einrichtungen, wie die Lager in
Traiskirchen oder Thalham, sollen privaten Betreibern uebergeben
werden.

Noch immer herrscht Unklarheit ueber Voraussetzungen und
Standards, die Anbieter in diesem Bereich erfuellen muessen. Eine
Ausschreibung war bereits fuer Jaenner 2001 angekuendigt,
verzoegerte sich aber immer mehr. Jahrelang durften Caritas,
Volkshilfe und Diakonie sich die Fluechtlingsbetreuung,
einschliesslich der Notquartiere fuer AsylwerberInnen, denen die
Bundesbetreuung verwehrt wurde, teilen. Jetzt koennten neue
Anbieter auf den "Markt" draengen. Gilt fuer die traditionell in
der Fuechtlingsunterbringung engagierten NGOs der (von
Diakonie-Chef Michael Chalupka formulierte) Grundsatz: "Helfen
unter Protest", koennten neue Mitbieter Politik und Behoerden
weniger Probleme bereiten. Unternehmen, die Erfahrungen im
Sicherheitswesen oder in der Katastrophenhilfe haben, sind
deswegen noch lange nicht fuer die Betreuung von Fluechtlingen
qualifiziert. Abschreckende Beispiele wie die (inzwischen wieder
eingestellte) Fuehrung von Fluechtlingslagern durch den
Sicherheitsmulti group 4 in Grossbritannien oder das Rote Kreuz
in der BRD mahnen zu Vorsicht.

Wer auch immer die bisher staatlichen Einrichtungen uebernimmt,
zentral muss die Einhaltung von Betreuungsstandards sein. Zu
befuerchten ist, dass seitens des Ministeriums die Kostenfrage
entscheidend sein wird und sich die zukuenftigen Betreiber nach
unten lizitieren lassen. Davor sind auch die NGOs mit ihrer
jahrelangen Erfahrung beim Betreiben von Notunterkuenften nicht
gefeit.

Dass die zustaendige Sektion im Innenministerium zerschlagen und
die Abteilung Bundesbetreuung ueberhaupt aufgeloest wird, scheint
fuer den Umstrukturierungs- und Reformprozess wenig foerderlich.

Tausende auf der Strasse

Jenen AsylwerberInnen, die sich jetzt gaenzlich ohne Versorgung
durchschlagen muessen, helfen die Reformvorhaben allerdings
nichts. So sieht sich die Beratungsstelle des Evangelischen
Fluechtlingsdienstes an jedem Beratungstag mit Dutzenden
obdachlosen Fluechtlingen konfrontiert. Auch wenn fuer manche
eine Schlafstelle gefunden werden kann, muessen viele letztlich
sich selbst ueberlassen werden.

Der von asylkoordination, SOS-Mitmensch und Integrationshaus
getragene Appell "Existenzsicherung jetzt!" fordert fuer diese
Opfer staatlicher Untaetigkeit eine sofortige Loesung. Waehrend
sich immer mehr Menschen diesen Forderungen anschliessen,
reagiert das Innenministerium mit gewohnter Vertroestungstaktik
und Propaganda. Besonders unverschaemt erscheint die
Vereinnahmung der Hilfe der NGOs fuer die vom BMI auf die Strasse
gesetzten Fluechtlinge, wenn es in einem Antwortbrief des BMI
heisst: "Aufgrund der Kooperation mit den Laendern, Gemeinden und
nicht-Regierungsorganisationen ist es durchwegs gelungen, den
Hilfsbeduerftigen zumindest eine Notversorgung zu schaffen." Eine
glatte Luege ist auch die Behauptung, dass nach dem
Bundsbetreuungsgesetz oder irgendeiner anderen Verordnung die
Erfolgsaussichten eines Asylantrags ein Kriterium fuer die
Aufnahme in Bundesbetreuung darstellen.

Eine wesentliche Erleichterung fuer die Noete der Asylwerber und
der Finanzverantwortlichen koennte eine Abschaffung des
faktischen Arbeitsverbotes fuer AsylwerberInnen bringen.
Stattdessen holt die Bundesregierung aber lieber Saisoniers ins
Land.

*Anny Knapp und Herbert Langthaler, asylkoordination (bearb.)*

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