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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Juni 2002; 17:44
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Wien kommunal/Verkehr(t):

> Radeln fuer die Kronen-Zeitung

Die Stadtradl-Konzepte der Gemeinde Wien waren verkehrstechnisch
nicht sinnvoll und werden es auch in Zukunft nicht sein

*

Welche Vorteile bietet Fahrradfahren in der Stadt? Es ist billig,
es haelt trotz Autoabgasen fit, es nimmt den Druck der
schauderbaren Autovermehrung, es ist effizient und es ist im
Gegensatz zu den Oeffis unabhaengig von der Uhrzeit verfuegbar.

Warum aber benutzt man ein Fahrrad? Sicher nicht wegen der
Verbesserung der Lebensqualitaet in der Stadt - Radfahren sollen
andere Leute, man selbst bleibt lieber im Auto. Auch das
Gesundheitsargument bringt passionierte Autofahrer eher dazu, ihr
Fahrrad auf den Stinker zu schnallen und sich so auf die
Donauinsel zu bewegen. Bleiben die Billigkeit, die Verfuegbarkeit
und das vielleicht wichtigste Argument: Die Effizienz.

Das gilt allerings nur fuer das private Fahrrad oder fuer ein
brauchbares Leihsystem - und nicht fuer die Rathausvorstellungen
von einem Leihsystem.

Denn wozu kann das aktuelle Leihsystem gut sein?

Als Einstiegsdroge fuer Menschen die Radfahren in der Stadt
ausprobieren wollen, sind die kleingebauten dreigaengigen Dinger
eher abschreckend, da sich damit kaum das Gefuehl der Effizienz
spueren laesst, das ein richtiges Radl gibt.

Fuer Menschen, die schnell kurze Wege absolvieren wollen? Die
waren ja immer als Zielgruppe angepeilt. Aber auch fuer die ist
es nicht interessant, wie der erste Versuch gezeigt hat: Denn die
Raeder wurden eben nicht gleich zurueckgegeben. Die
Betreiberfirma hat immer betont, dass es dabei kaum echte
Diebstaehle gegeben hat. Die Fahrraeder sind eben nicht
hauptsaechlich aus Bereicherungszwecken verschwunden - sondern
aus praktischen Gruenden: Man will doch mit dem Fahrrad von A
nach B fahren und nicht von Terminal zu Terminal. Einer der
Vorteile des Fahrrads ist es eben, dass man sich weder an
Tramwaystationen noch am Parkplatzangebot orientieren muss. So
aber wird das Gratis-Fahrrad in der Stadt zum Oeffi zum
Selbertreten degradiert. Nur dass man bei der Strassenbahn
einigermassen sicher sein kann, dass in einem bestimmten
Zeitrahmen eine solche verfuegbar sein wird. Man muss - ausser in
Stoerungsfaellen - nicht zu einer anderen Station gehen, um eine
Strassenbahn zu ergattern; was beim Radl-Terminal sehr wohl der
Fall war und wohl auch weiter sein wird. Und mit der
Anmeldepflicht via Handy kommt dann noch ein weiterer Zeitverlust
hinzu. Alles in allem reduziert sich die durchschnittlichen
Gesamtgeschwindigkeit das Stadtrads damit auf das Niveau von
Strassenbahnfahren mit dreimal Umsteigen. Innerhalb des kleinen
Raums der inneren Bezirke wird man damit in vielen Faellen
schneller zu Fuss unterwegs sein als mit diesen Raedern.

Ein weiteres Problem der Rueckgabe: Wenn man den Ort B wieder
verlaesst, will man sicher gehen, dass das Verkehrsmittel der
Wahl auch vorhanden ist - noch ein Grund, es nicht ans Terminal
stellen, sondern mit an seinen Zielort nehmen, um von dort auch
wieder beispielsweise nach Hause radeln zu koennen. Bei der
angepeilten Verleihzeit von 4 Stunden wird das in vielen Faellen
wohl uninteressant sein.

Und schliesslich werden sehr viele Wege nicht machbar sein, wenn
nur innerhalb des Guertels damit gefahren werden darf. Denn in
den Bezirken 1 und 3-9 wohnen gerade mal 20% der Wiener
Gesamtbevoelkerung.

Will man das Gratis-Fahrrad also tatsaechlich effektiv nutzbar
machen, muss man - abgesehen von einer Verbesserung der
Fahrradtypen - dafuer sorgen, dass das Projekt auf das gesamte
Ballungsgebiet, aber zumindest auf das Gebiet der Gemeinde Wien
ausgedehnt wird. Auf diesem Gesamtgebiet muesste eine zumindest
gleich hohe Dichte an Terminals vorhanden sein, als dies in den
inneren Bezirken bislang der Fall war, und die Ausleihdauer
muesste deutlich erhoeht werden und damit notwendigerweise auch
die Anzahl der ausleihbaren Fahrraeder.

Das aber macht das Ganze ziemlich teuer und ob das
Finanzierungsmodell via Werbung dann noch funktioniert ist sicher
fraglich - d.h. es beduerfte eines groesseren finanziellen
Engagements der Gemeinde Wien, die ja urspruenglich vorgehabt
hatte, dass das Projekt "den Buergern keinen Groschen" kosten
duerfe.

*

Dass dieses Projekt in der bisherigen wie in der vorgesehenen
Form Unfug ist haben aber weder die Auto-Partei-SPOe noch die
Schon-lange-nicht-mehr-Radfahrer-Partei der Gruenen begriffen.
Denn nachdem in Fragen alternativer Verkehrspolitik schon seit
laengerem eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gruenen und der
SPOe besteht - von der Elektroautofoerderung ueber den
autofreundlichen Radwege-Ausbau bis zum realitaetsfernen
Stadtrad-Projekt - sind beide Parteien fuer die gegenwaertige
Politik verantwortlich zu machen. Und es kann sich Herr Chorherr
noch hundert Mal auf dem Fahrrad ablichten lassen, dadurch steigt
sein Verstaendnis fuer die Effizienz des Fahrradverkehrs um kein
Jota!

Das stattgefunden habende sowie das geplante Projekt sind aber
nicht einmal im Ansatz gut. Denn so etwas kann man nicht "ein
bisserl" machen. Das ist sowie mit dem Kiffen bei Bill Clinton:
Nur ja nicht inhalieren! So aber koennte der Schuss nach hinten
losgehen: Denn wenn das kommende Projekt wieder eingeht - diesmal
nicht wegen Raederschwund, sondern wegen Desinteresse -, scheint
damit bewiesen zu sein, dass das Prinzip Gratisrad oder gar die
Idee des Umstiegs auf menschenfreundlichere Verkehrsmittel nicht
funktioniert. Und die Autolobby freut sich - der Nutzen der
Aktion besteht so lediglich darin, dass sich ein paar Menschen
freiwillig als radelnde Sandwichman fuer das Autofahrer-Blatt
Kronen-Zeitung und andere Firmen mit grossem Werbeetat zur
Verfuegung stellen.

Was das dann allerdings mit dem S in SPOe oder dem "alternativ"
in Gruene Alternative zu tun haben soll, bleibt nicht einmal mehr
fraglich. *Bernhard Redl*
 
 

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