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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Mai 2002; 16:33
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"Gesundheit":

> Laufsportideologie

Oder: Gegen die "natuerliche" Betrachtungsweise des Sports

In Wien fand der alljaehrliche Marathonlauf statt. Die mediale
Laufbegeisterung erreichte damit ihren unvermeidlichen
Hoehepunkt. Einige Ueberlegungen dazu

*

Sportliche Betaetigung faellt nach kapitalistischer Logik
eindeutig in die Kategorie "Privatvergnuegen", also in die
Freizeit der Beschaeftigten. Jeder habe schliesslich selbst
dafuer zur sorgen, dass es ihm gut geht. Bei der Arbeit wird die
zu leistende Arbeit vorgeschrieben, die Leistungsfaehigkeit muss
vom Arbeiter selbst gesichert werden - er muss sich in seiner
Freizeit von und fuer seine Arbeit erholen. Die "freie" Zeit wird
so in den Dienst der Arbeitszeit gestellt. Dummerweise macht der
"Faktor Mensch" dieser Logik des Kapitalismus einen Strich durch
die Rechnung. Zumindest belegen Statistiken der
Rentenversicherer, dass nur ein Drittel aller Beschaeftigten
arbeitend das Rentenalter erreicht. Ausschlaggebend dafuer sind
neben diversen Erkrankungen des Bewegungsapparates und des
Nerven- und Kreislaufsystems zunehmend psychische Erkrankungen.

Belastungen durch Stress seien die "Epidemie des
20.Jahrhunderts", bestaetigte die Internationale
Arbeitsorganisation (ILO). Es seien heute weniger die "alten"
Gefaehrdungen wie schwere koerperliche Arbeit oder negative
Umgebungseinfluesse, welche die Gesundheit bedrohen. Vielmehr
seien es die "unspezifischen Belastungskonstellationen", die als
psychosozialer Stress ganz unterschiedliche Beschwerdebilder
hervorrufen, fuer die keine "naturwissenschaftlich bestimmten
Schaedigungsgrenzen' angegeben werden koennen. "Klassische
Belastungen" nehmen in Westeuropa und Nordamerika ab, dafuer
schlagen sich den Arbeitnehmern psychische Faktoren wie Stress
und Konkurrenzdruck - nicht zuletzt auf Grund der rasanten
Steigerung des Arbeitstempos - verstaerkt auf den Magen",
bescheinigt auch eine Studie der Europaeischen Stiftung fuer die
Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Abgesehen von der fruehzeitigen Berufs- und Erwerbsunfaehigkeit
schlaegt sich die Ausbreitung der sogenannten
Zivilisationskrankheiten auch auf die Produktivitaet der Arbeit
nieder. Das sogenannte "allgemeine Interesse" (verkoerpert von
Staat und Wirtschaft) ist alarmiert: es muss etwas getan werden,
um die Reproduktion der Arbeitskraefte auch weiterhin
gewaehrleisten zu koennen. Man besinnt sich auf die positiven
Auswirkungen sportlicher Aktivitaeten auf die Gesundheit und
Arbeitsfaehigkeit der Sporttreibenden. Der Sport soll zunutze
gemacht werden, um die Leistungsfaehigkeit der arbeitenden
Menschen - die waehrend der Arbeit verringert wird - wieder
herzustellen. Damit stellt der Sport einen wesentlichen Faktor
fuer die Erhaltung des "Humankapitals" dar.

Auch die Oesterreichische Bundesregierung, konkret das
Bundesministerium fuer soziale Sicherheit und Generationen wurde
sich des (systemerhaltenden) Potentials des Sports bewusst und
gab bei der Oesterreichischen Bundessportorganisation (BSO) eine
soziooekonomische Analyse der Auswirkungen des Sports auf die
Gesundheit in Auftrag (Sport und Gesundheit - eine
sozio-oekonomische Analyse, Hrsg: BM fuer soziale Sicherheit und
Generationen).

*Sport und Gesundheit*

Ziel dieser umfangreichen und interdisziplinaer angelegten Studie
ist eine volkswirtschaftliche Kosten/Nutzen-Rechnung des Breiten-
und Freizeitsports in Oesterreich. Auf der Kostenseite werden die
Ausgaben fuer Sportverletzungen und Sportunfaelle statistisch
erfasst und berechnet; auf der Nutzenseite wird - in Kongruenz
zur Kostenseite - berechnet, wie einzelne Gruppen der
oesterreichischen Bevoelkerung je nach Intensitaet ihrer
Sportaktivitaeten zur Vermeidung von sozialen Kosten beitragen,
die innerhalb des soziooekonomischen Raumes (Gesundheitssystem,
Sozialversicherung usw.) anfallen.

Aus den Ergebnissen der Studie geht klar hervor, welchen
volkswirtschaftlichen Nutzen der Sport bringt. Die Kosten, die
durch Sportunfaelle anfallen, stehen in keiner Relation zum
Nutzen, den der Sport in Form von nicht verschwendeten
Ressourcen, besserer Arbeitsfaehigkeit, nicht gebrauchten
Krankenstaenden etc.) mit sich bringt. Ausserdem laesst sich
dieses Verhaeltnis noch weiter zu Gunsten der Nutzenseite
verschieben: durch die Verminderung der Unfallkosten. Bei der
Problematik der Sportunfaelle handle es sich der Studie nach um
ein "hochkomplexes multikausales Syndrom", das nur langfristig
erforscht werden koenne. Einige wesentliche Differenzierungen
koennen jedoch jetzt schon vorgenommen werden:

- Drei Sportarten - in der Reihenfolge Alpiner Schilauf, Fussball
und Radfahren - sind fuer ueber 60 Prozent der medizinischen
Behandlungskosten "verantwortlich". Zaehlt man "Radfahren im
Strassenverkehr" hinzu, so erhoeht sich der Anteil dieser drei
Sportarten auf zwei Drittel der Behandlungskosten.

- Zwei Sportarten - Schifahren und Radfahren - verursachen fast
50 Prozent der volkswirtschaftlichen Gesamtkosten. (Wobei hier
unbedingt angemerkt werden muss, dass Radfahren mit 49 Prozent
die absolute Nummer Eins in der Rangreihe der ausgeuebten
Sportarten darstellt).

- Die folgenschwersten und damit teuersten Unfaelle ereignen sich
beim Schwimmen (v.a. Springen und Tauchen) , beim Paragleiten und
aehnlichen Sportarten.

Der Schluss der Studienautoren: "Jedenfalls sollte sportlichen
Aktivitaeten mit geringem Verletzungsrisiko und hohem
gesundheitsfoerdernden Potential (Laufen, Gymnastik etc.)
besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden."

*Die oekonomische Nutzung des Sports im Wandel der Geschichte*

Es waere allerdings weit gefehlt anzunehmen, dass die wundersame
Wirkung des Sports auf die Reproduktion der Ware Arbeitskraft
erst heute entdeckt worden ist. Tatsaechlich laesst sich die
bewusste betriebswirtschaftliche Foerderung des Sports bis ins
19.Jahrhundert hinein zurueckverfolgen. So fasste Carl Diem, ein
Vertreter der deutschen buergerlichen Sportbewegung schon im Jahr
1923 die positiven Auswirkungen des Sports folgendermassen
zusammen: "Leibesuebungen bedeuten fuer die Wirtschaft:
Verringerung der Krankenkosten, Verringerung der Unfallkosten,
Hinausschieben der Invaliditaet, den Produktionsgewinn der
Gesundgebliebenen und Nichtverunglueckten, die geistigen
Abwehrkraefte gegen politische Verhetzung, die seelischen
Abwehrkraefte gegen das Entseelte des taylorisierten
Arbeitsvorgangs."

Was sich indes sehr wohl dem Wandel der Zeit unterworfen hat,
sind die Formen, die Motive und die Akteure der Sportfoerderung.

Zumeist wird die gesundheitspraeventive Wirkung, die von
sportlicher Aktivitaet ausgeht, als Hauptmotiv der betrieblichen
Sportfoerderung dargestellt, tatsaechlich spielen neben diesem
humanistisch-fuersorglichen Aspekt noch ganz andere Beweggruende
eine Rolle. Im Deutschland der 20er Jahre sah sich der
Kapitalismus mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Durch
die Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft sahen sich die
Unternehmer zu umfassenden Rationalisierungsmassnahmen in der
Produktion und der Betriebsorganisation gezwungen. Diese
Bestrebungen liessen sich jedoch angesichts der sich zunehmend
radikalisierenden Arbeiterschaft nicht so ohne weiteres um- und
durchsetzen, ohne die wirtschaftliche Stabilitaet, den
Klassenfrieden und damit die Vorherrschaft der kapitalistischen
Produktionsweise zu gefaehrden. Zur Bewaeltigung dieser
Krisensituation setzte die Bourgeoisie neben Angriffen auf die
ArbeiterInnenklasse auf politischer und oekonomischer Ebene
schliesslich auf das altbewaehrtes Mittel der "Ideologiekeule",
deren Schlagkraft durch die Institutionalisierung des Sports auf
betrieblicher Ebene wesentlich verstaerkt werden sollte. Mit der
Propaganda der "Werksgemeinschaft" sollten die Klassen-und
Interessensunterschiede zwischen Proletariat und Bourgeoisie zu
Gunsten des "Wohls des Unternehmens" verdeckt werden. Die
Organisation des Betriebssports hatte dabei folgende Funktionen:

- Allgemeine Sozialdisziplinierung der Belegschaften durch den
streng reglementierten, mannschafts- und
gemeinschaftsorientierten Sport (von der Arbeitgeberseite auch
als Ausgleich fuer die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht
angesehen)

- Bindung der Arbeiter an die Unternehmen zur Bildung von
motivierten Stammbelegschaften

- Erhoehung der physischen Arbeitskraft und psychischen
Leistungsbereitschaft und Verminderung der Unfallhaeufigkeit am
Arbeitsplatz

- Fernhalten der Arbeiterschaft von der Politik, d.h. von KPD,
SPD, den Gewerkschaften und der expandierenden
Arbeitersportbewegung.

- Betriebssport - eine reaktionaere Angelegenheit

Die Arbeitersportbewegung, die gegenueber dem Betriebssport einen
viel groesseren Stellenwert hatte, stand den "gelben
Betriebssportvereinen" ausgesprochen feindlich gegenueber. Ein
Funktionaer brachte die Kritik der revolutionaer orientierten
Arbeitersportler auf den Punkt:

"Es duerfte wohl klar sein, warum wir Arbeiter den Firmensport
bekaempfen muessen. Nicht aus Konkurrenzneid, sondern aus
politischen und wirtschaftlichen, also aus Gruenden des
Klassenkampfes." Die rote Sportinternationale schlug folgerichtig
auch vor, "im Betrieb alle Kraefte der Arbeiter zu mobilisieren,
um mit ihrer Hilfe die Gruendung von Werksportvereinen unmoeglich
zu machen".

Auch die sozialdemokratischen Arbeitersportvereine konnten sich
mit dem Betriebssport, hinter dem die Ideologie der
Werksgemeinschaft stand, nicht anfreunden, da er darauf abziele,
"das Klassenwollen der Proletarier abzufangen, mattzusetzen". Der
Reichsverband der deutschen Firmensportvereine machte aus seinen
eigentlichen Motiven, die mittels des Betriebssports verwirklicht
werden sollten, auch gar keinen Hehl. Charakterbildung wurde
neben der Gesundheitsfoerderung zum obersten Ziel erklaert. Sport
sollte laut der Richtlinien des Reichsverbandes ein "Gegengewicht
gegen die entseelte Arbeitsmechanik" sein, die "entnervenden
Unterhaltungsstaetten" bekaempfen, "parteipolitische
Beeinflussung" verhindern und insgesamt "die deutsche Wirtschaft
durch Staerkung und Erhaltung ihres wertvollsten Gutes, der
deutschen Arbeitnehmerschaft" unterstuetzen.

Der Arbeitersportbewegung ist im wahrsten Sinne des Wortes die
Luft ausgegangen. Zwar existiert der ASKOe als sozialdemokratisch
organisierter Sportverein nach wie vor, seine Bedeutung als
(Klassen-)Bewusstsein stiftende Institution hat er zweifelsohne
verloren. In gleicher Weise hat die genuin buergerliche
Sportbewegung - in Oesterreich in Form der UNION - ihre Relevanz
eingebuesst. Diese scheinbare Entideologisierung des Sports ist
allerdings truegerisch, denn tatsaechlich haben sich nur die
Vermittlungsebenen verschoben.

Das Dilemma der Unternehmer liegt darin, dass sie durch den
tendenziellen Fall der Profitrate gezwungen sind, die dadurch
entstehenden Verluste durch die Erhoehung des relativen Mehrwerts
auszugleichen, respektive die Ware Arbeitskraft noch mehr
auszupressen, um ihre Profite abzusichern. Da Maschinen
bekanntlich keine "Werte" produzieren, sondern als fixes Kapital
eine notwendige Investition darstellen, um das
Produktivitaetsniveau halten zu koennen, obliegt es den
Arbeitskraeften, die fuer die Unternehmer notwendigen Mehrwerte
zu schaffen. Um das Ziel, die Arbeiter zu noch hoeherer
Produktivitaet anzutreiben, zu erreichen, bieten die Unternehmer
und Manager ungeahnte Kreativitaet auf. Selbstverantwortung und
Selbstmanagement lauten die Gebote der Stunde, die Arbeiter
sollen ein bisschen "unternehmerischer" denken, heisst es. Zu
diesem Zweck ist man auch auf den Gedanken gekommen, den
Arbeitern "Nachhilfe" in effektiver Freizeitgestaltung zu geben:
in der Form des Betriebssports. "Dabei wird nicht das Ziel
verfolgt, die Mitarbeiter auch waehrend der Freizeit im Griff' zu
haben, sondern hierbei handelt es sich um eine wichtige
gesellschaftspolitische Aufgabe", meint die
Sportwissenschaftlerin Michaela Friesacher. Im zweiten Punkt ist
Friesacher durchaus recht zu geben, tatsaechlich ist die
Sicherung der Reproduktionskraft der (Mit-)Arbeiter als eine
wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe im Rahmen des
Kapitalismus anzusehen. Im ersten Punkt outet sie sich jedoch als
Ideologin des Kapitalismus...

Vorreiter in der betriebswirtschaftlichen Nutzung von Sport ist
bezeichnenderweise die USA. In der USA wird Fitness als
ausserfachliches Qualifikationsmerkmal gesehen, so wird oft bei
Vorstellungsgespraechen die Einstellung zur Gesundheit und
Fitness festgehalten. Immer mehr amerikanische Unternehmen
honorieren das Gesundheitsbewusstsein ihrer Mitarbeiter durch
Praemien und Lohnzulagen oder kassieren von Uebergewichtigen und
Rauchern.

Ein Jahr nach der Einfuehrung eines Gesundheits- und
Fitnessprogramms in einem amerikanischen Unternehmen konnte eine
massive Gesundheitskostenreduzierung und eine deutliche Senkung
der Abwesenheitsrate festgestellt werden.

Die Einsicht, dass sich Gesundheits- und Sportfoerderung
betriebswirtschaftlich rentiert, ist mittlerweile bis nach
Oesterreich durchgedrungen. Und auch Franz Viehboeck hat es schon
immer gewusst: "Gott sei Dank gehoert die Einstellung, dass Sport
und Wirtschaft Gegensaetze sind, der Vergangenheit an", freut
sich der Ex-Astronaut. Denn: "Ein Manager ohne
Gesundheitsbewusstsein wird nicht die optimale Leistung zu
bringen imstande sein, ein Sportbetrieb ohne wirtschaftliche
Fuehrung wird scheitern."

*Warum der Laufboom nicht vom Himmel gefallen ist...*

Der Laufsport boomt. Zig-Tausende Menschen quaelen sich
freiwillig ueber 42 km lange Asphaltstrassen in stinkenden
Grossstaedten - und zahlen dafuer noch! In den fruehen Morgen -
und spaeten Abendstunden sind die Parks und Gruenflaechen
ueberfuellt mit Laeufern. Der grassierende Laufboom hat dazu
gefuehrt, dass 1,7 Mio. Oesterreicher zumindest alle paar Wochen
die Laufschuhe schnueren und 860000 Menschen (das sind 13 Prozent
der Bevoelkerung) sich zumindest ein Mal woechentlich laufend
betaetigen, also zur Kategorie der regelmaessigen Laeufer
zuzurechnen sind. Die Zunahme der regelmaessigen Laufsportler -
von 4% im Jahr 1993 auf die genannten 13% im Jahr 2000, erweist
sich vor dem Hintergrund eines generellen Rueckgangs der
sportlich aktiven Menschen als umso bemerkenswerter. Um die (mehr
oder weniger) ploetzliche Popularitaet des Laufens verstehen zu
koennen bedarf es mehr, als bloss auf die tollen
Vermarktungsstrategien der Laufgurus Strunz&Co. hinzuweisen, die
den Leuten versprechen, das Paradies auf Erden zu finden - wenn
sie sich nur die Laufschuhe binden. Laufen macht aus einer Ente
einen Jaguar, Laufen ist die einzige Diaet, die ewig haelt,
Laufen weckt Koerper-Intelligenz, ...kraeftigt Herz und Muskeln,
...entstresst, ...macht Lust, ...macht gluecklich, ...befluegelt
die Seele.

Hinter Strunz steckt mehr als seine Gesundheitspredigten und sein
Grinsen vermuten lassen. In Wirklichkeit verkoerpert er den
Inbegriff der buergerlichen individualistischen Ideologie. Er
profiliert sich als Handlanger der Bourgeoisie, indem er alle
Probleme, die durch die Widersprueche des Kapitalismus bedingt
sind, den Individuen in die (Lauf-)Schuhe schiebt. Ob Lohnsklave
oder Grossbourgeois, jeder hat fuer sein eigenes Glueck zu sorgen
und ist fuer sein Wohlergehen selbst verantwortlich.

Der Laufboom ist weder dadurch entstanden, dass irgend jemand
zufaellig auf die positiven Wirkungen des Laufsports gestossen
ist und daran die Idee geknuepft hat, damit alle Menschen zu
begluecken; noch hat sich das Laufen gleichsam von selbst und
automatisch durchgesetzt. Vielmehr waren es die
sozio-oekonomischen Bedingungen - Stichwort:
"Zivilisationskrankheiten" - welche das Bewusstsein geweckt
haben, dass etwas getan werden muss, damit der kapitalistischen
Produktionsweise nicht der Saft ausgeht. Denn: Irgendwann stossen
auch die besten Fuehrungskraefte mit ihren Kommunikations- und
Organisationsqualitaeten an die Grenzen des "Machbaren"; und
spaetestens dann macht sich die Einsicht breit, dass selbst
einfache Beschaeftigte ein Mindestmass an Lebensqualitaet
brauchen (und nicht nur fiktive Anerkennung), um den heiss
begehrten Mehrwert schaffen zu koennen.

Am Anfang (des Laufbooms) standen infolgedessen weder die
Wuensche der Sportartikelhersteller, noch die Ideen der
Laufgurus: Die Popularisierung des Laufsports darf nicht als
linearer Prozess angesehen werden, bei dem ein konkreter
Ausgangspunkt festgemacht werden kann. Eine zuendende Idee ist
immer schon mit den materiellen Gegebenheiten vermittelt, indem
sie sich als eine Antwort auf die oekonomischen Notwendigkeiten
und gesellschaftlichen Beduerfnisse erweist. Bei dieser Idee
handelt es sich wohlgemerkt nicht um ein blosses Abbild der
materiellen Gegebenheiten - in diesem Falle gaebe es nur eine
einzige Antwort. Die Idee muss weiters natuerlich im Zusammenhang
mit ihrem Produzenten, der bestimmte Interessen verfolgt,
betrachtet werden, wobei der Ursprung dieser Interessen wiederum
nicht im Subjekt allein verortet werden kann.

*Laufen im Kontext des Betriebssports*

Welche Rolle spielt das Laufen bei den Versuchen der Unternehmer,
ihre Mitarbeiter zu Hoechstleistungen anzutreiben? Und warum
eignet sich gerade der Laufsport so hervorragend dazu, das
"selbstbestimmte Leistungsbewusstsein" anzukurbeln?

In aktuellen Studien wird bestaetigt, dass Laeufer bei der Arbeit
"signifikant zufriedener" sind und "ueber eine groessere
betriebliche Arbeitszufriedenheit" verfuegen. Mitarbeiter in
Unternehmen, die in ihrer Freizeit Ausdauersport
(Langstreckenlauf) durchfuehren, halten sich fuer belastbarer und
konzentrationsfaehiger als Nichtsportler. Laeufer sehen ihre
berufliche Leistungsfaehigkeit durch den Ausdauersport deutlich
gestaerkt. Sie zeigen zudem eine verbesserte
Kooperationsfaehigkeit und Kollegialitaet.

Die "Vorzuege" des Laufens:

- Der Laeufer kann seine Laufumgebung frei waehlen und seine
Laufstrecke individuell gestalten. Die raeumliche Unabhaengigkeit
macht von Veranstaltern - ob kommerziell oder gemeinnuetzig - und
deren Vorgaben unabhaengig: Spontane Entschluesse sind jederzeit
moeglich. Was dabei suggeriert wird: Man braucht keine
freiheitsbeschraenkenden Institutionen.

- Die zeitliche Unabhaengigkeit fuer Beginn und Ende des
Sporttreibens ist eine ungeheure Motivation "dran" zu bleiben.
Die Zeitsouveraenitaet wird zum Hauptfaktor fuer die
Entscheidung. * Die Ruecksichtnahme auf andere ist kaum
notwendig. "Ich" laufe gegen meinen inneren Schweinehund an.
Laufpartner stoeren nicht, sie sind aber nicht Voraussetzung fuer
meine Selbstbestaetigung. D.h. trotz der dominanten individuellen
Komponente, die dem Laufsport unanzweifelbar anhaengt, wird unter
den Laeufern kein uebertriebener Konkurrenzkampf angestachelt -
die "Teamfaehigkeit" ist somit nicht bedroht!

- Laufen kann im Prinzip jeder. Unter den Laeufern existieren
keine sozialen Staffelungen oder Hierarchien. Dadurch wird das
Gefuehl der (Chancen-)Gleichheit erzeugt. Die
"One-family-Philosophie", die gegenueber der
autoritaer-hierarchischen Unternehmensfuehrung auf Teamarbeit
setzt, faehrt auf derselben Schiene: sie taeuscht den Arbeitern
und insbesondere Angestellte gleiche Rechte vor, um ihnen
zusaetzliche Pflichten auferlegen zu koennen.

- Den Laeufern werden keine (Spiel-)Regeln oder Vorgaben gemacht,
an die sie sich zu halten haben - eine gute Voruebung fuer die
Arbeit. Denn auch im Betrieb soll sich das Leistungsbewusstsein
nicht darin erschoepfen, bloss zuverlaessig Anweisungen
auszufuehren. Eigener Antrieb und persoenlicher Elan ist gefragt

- Der "Massensport" Laufen traegt einen ganz ambivalenten
Charakter: Trotz seiner breitensportlichen Wirkung hat er sich
seinen individuellen "besonderen" Charakter des "Managersports"
bewahrt. Von Bill Clinton ueber Grosskapitalist Martin
Bartenstein bis hin zur Sekretaerin von nebenan: alle laufen. Die
Studie des Bundesministeriums fuer Soziale Sicherheit und
Generationen liefert zu diesem Thema ein paar interessante
Details: "Je groesser die Bedeutung der individuellen Leistung im
Sport ist, umso hoeher ist der soziale Status der Ausuebenden;
Mannschaftssportarten werden haeufiger von unteren
Sozialschichten ausgeuebt .... Waehrend Mitglieder oberer
Sozialschichten eher Sportarten betreiben, die einen geringen
oder gar keinen Koerperkontakt erforderlich machen, ist die
Schichtzugehoerigkeit der Sporttreibenden umso niedriger, je
staerker ein Sport Koerperkontakt erfordert." Diesen beiden
Aspekten zur Folge ist der Laufsport tendenziell den oberen
Sozialschichten zuzuordnen.

Die Vorzuege des Laufens sind einigen oesterreichischen
Unternehmen nicht entgangen. "Laufen ist in. Erkannt hat das eine
Truppe ambitionierter Freizeitsportler, und den 1. Firmenlauf
Oesterreichs veranstaltet. Der Firmenlauf am 30.August koennte
sich nach dem Marathon zum zweitgroessten Laufevent pushen.
Bereits jetzt sind rund 400 Teams angemeldet - also 1200 Leute,
da drei Leute eine Mannschaft bilden." (Wirtschaftsblatt
17.5.2001) Ingesamt werden etwa 8000 laufbegeisterte Manager und
ihre Mitarbeiter erwartet. Das gemeinsame Laufen soll die
Motivation der Mitarbeiter heben, das Betriebsklima verbessern
und das Zugehoerigkeitsgefuehl zur Firma staerken. (Wenn das
nicht die Ideologie der Werksgemeinschaft in Reinkultur ist!)

* Zu guter Letzt die eigentliche Fragestellung...

Ideologie hin oder her, koennte man sagen - Sport, konkret das
Laufen, hat nachweisbar positive Auswirkungen auf das
koerperliche und geistige Wohlbefinden der Menschen. Den Leuten
geht es schlecht, sie laufen, und es geht ihnen besser. Eine
einfache kausale Wirkung, gegen die doch wohl sachlich betrachtet
niemand sein kann, so scheint es zumindest. Koennte man daraus
nun nicht schlussfolgern, dass im Falle des Laufens exzessives
Marketing der Menschheit ausnahmsweise gute Dienste leistet. Im
Gegensatz zur Bewerbung des sogenannten "functional food", wo den
Leuten Versprechungen aufgetischt werden - etwa dass der
lactobazillus casei im Joghurt fuer gutes Aussehen, fuer
Ausgeglichenheit, fuer die Staerkung der Abwehrkraefte und noch
vieles mehr sorgt, foerdert Laufen ja tatsaechlich das
Wohlbefinden.

Klarerweise wuerden wir uns eine von der Kommerzialisierung der
kapitalistischen Freizeitindustrie unabhaengige Massenkultur
wuenschen - vorzugsweise in Verbindung mit einer revolutionaeren
Arbeiterbewegung. Angesichts der aktuellen Schwaeche einer
solchen Bewegung ist heute eine partielle Beteiligung an
verschiedenen Formen der kapitalistischen Massenkultur
tendenziell notwendig, um sich in dieser Gesellschaft nicht
sozial zu isolieren und psychisch zugrunde zu gehen.

In der plattesten Form verdeutlichen sich die Interessen der
Sportartikelindustrie an der "Freude am Laufen": "Der wirkliche
Laufboom spielt sich im Sportartikelhandel ab", weiss Johannes
Langer, Rennleiter beim Vienna City Marathon und freut sich, dass
der Sportartikelhandel in den letzten zwei Jahren ein dickes
Umsatzplus verbuchte.

Auch wenn m.E. im Falle des aktuellen Laufbooms der
Sportartikelindustrie die Rolle des treibenden Motors zukommt,
darf sie nicht als der eigentliche Drahtzieher angesehen werden -
die Gruende fuer dessen Entstehen sind viel komplexer. Wie zuvor
angesprochen hat man mit dem Sport einst klare politische
Intentionen verfolgt. Heute koennen diese Intentionen nicht mehr
so einfach nachvollzogen werden, was viele zu der Behauptung
veranlasst hat, das Politische sei am Ende und endgueltig von der
Dominanz der Oekonomie abgeloest worden. Damit sei auch das
Private, das einst politisch werden sollte, nun oekonomisch
geworden. Diese Theorie ist mit Vorsicht zu betrachten. Denn was
wird mit der Reduktion auf das Oekonomische suggeriert? Das
Private, respektive die sportliche Freizeitbetaetigung richtet
sich demzufolge nach genuin oekonomischen "Sachzwaengen" aus, die
eben "sachlich" und nicht ideologisch sind. Ideologie waere damit
mehr oder weniger obsolet geworden, da der Markt ohnehin alles
regelt.

Diese Sichtweise geht von einer grundfalschen Praemisse aus: von
der Praemisse, die Geschichte habe in der jetzigen Stufe des
Kapitalismus ihr Ende erreicht. D.h. die kapitalistische
Produktionsweise bildet ein Axiom, das nicht zu uebersteigen ist.
Wenn man diese Annahme voraussetzt erscheint der Grossteil der
Menschen als Lohnarbeiter auf der einen und als Konsumenten von -
in kapitalistischer Produktionsweise erzeugter - Waren auf der
anderen Seite. Jeder und jede ist gleichermassen Objekt und
Subjekt der kapitalistischen Oekonomie, und kann sich folglich
nicht heraus bewegen. Folgt man dieser Logik, dient Ideologie
dann nur noch zur Verbesserung der Kommunikation und Interaktion
zwischen den Menschen, da ja ohnehin keine Ausbeutung im
traditionellen Sinn mehr besteht, die verschleiert werden muss,
da sich jeder irgendwie selbst ausbeutet.

Die taetig-aktive widerstaendige Seite des Menschen, die im
Kapitalismus der "ideologischen Befriedung" bedarf, wird in
dieser Theorie vollkommen eliminiert. Wenn es diese Seite nicht
gebe, haette der Kapitalismus tatsaechlich kein Problem. Der
Haken an der Sache: Wenn es diese Seite nicht gebe, gebe es auch
den Kapitalismus nicht. Denn: Wie haette er den Feudalismus
abloesen koennen? Die kapitalistische Oekonomie koennte ohne
massive ideologische Propaganda nicht ueberleben. Nur haben die
verschiedenen ideologischen Botschaften mittlerweile derartig
subtile Formen angenommen, dass sie auf den ersten Blick nicht
eindeutig erkennbar sind. Der Laufboom kann deshalb mit
oekonomischen Argumenten nicht hinreichend erklaert werden.

*Maria Pachinger*
(selbst mehrmalige Teilnehmerin am Vienna City Marathon und
Mitglied der Arbeitsgruppe Marxismus) (gekuerzt)

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