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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Mai 2002; 16:48
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Chile:

> Praesident verspricht Sozialprogramme inmitten von Protesten

In seiner nationalen Ansprache vor dem Kongress verkuendete
Chiles Praesident Ricardo Lagos Escobar [Partido Socialista,
SozialdemokratInnen; Anm.d.Ue.] am 21.5. in der Kuestenstadt
Valparaíso ein ambitioniertes Gesundheitsprogramm und versprach,
waehrend seiner Amtszeit die extreme Armut zu beenden. Die
Strassen von Valparaíso waren gleichzeitig mit protestierenden
Menschen gefuellt.

Lagos, dessen Amtszeit am 11.Maerz 2000 begann und am gleichen
Tag 2006 zu Ende sein wird, verteidigte waehrend seiner dritten
Ansprache an die Nation - der Bericht des Praesidenten, der
traditionellerweise die Eroeffnung der ordentlichen Sitzung des
Zweikammern-Parlaments markiert - die Leistungen seiner Regierung
vehement.

Lagos und seine Regierung waren die Ziele der Proteste, die von
StudentInnen, Indigena-Organisationen und den Gewerkschaften der
LehrerInnen, ProfessorInnen und HafenarbeiterInnen organisiert
wurden.

Mehr als 100 Menschen wurden verhaftet und zumindest zwei
Menschen wurden schwer verletzt, als etwa 3.000 DemonstrantInnen
mit den Anti-Riot-Einheiten der Carabineros, der Militaerpolizei,
in Valaparaíso zusammenstiessen. Unter den Verhafteten war auch
Rodrigo Bustos, Vorsitzender der Studierenden-Foederation der
Universitaet Chile (FECH). Die Universitaet von Chile, die
groesste oeffentliche Institution des hoeheren Bildungswesens im
Land, wurde im Verlauf der letzten beiden Wochen durch Streiks
der Studierenden beinahe lahmgelegt. Die StudentInnen haben
ausserdem noch einige der Gebaeude auf dem Campus besetzt.

FECH und andere Studierenden-Vereinigungen mobilisierten
StudentInnen aus dem ganzen Land, von Arica (2.050 km noerdlich
von Santiago) bis Valdivia (835 km suedlich der Hauptstadt), um
sich am Tag der Praesidenten-Ansprache in Valparaíso zu
versammeln.

Die StudentInnen fordern, dass die Regierung das
Unterrichtssystem im hoeheren Bildungswesen reformiert. Ausserdem
fordern sie die Streichung oder Umfinanzierung der Schulden, zu
denen sich tausende von HochschulabsolventInnen vertraglich
verpflichtet haben, um ihr Studium zu bezahlen. Und sie fordern
vom Staat, das Budgetdefizit der Universitaet von Chile und
anderer oeffentlicher Bildungseinrichtungen zu decken.

Waehrend seiner Ansprache improvisierte Lagos und sagte, dass er
mit den Forderungen der StudentInnen sympathisiere und dass ihr
Recht zu protestieren durch die Demokratie des Landes "geheiligt"
sei, allerdings forderte er, dass sie "ohne Vermummung im
Gesicht" protestieren sollten. Der Praesident bezog sich auf die
vermummten AktivistInnen, die mit Molotov-Cocktails und
Steinschleudern bei den gewaltsamen Zusammenstoessen gegen die
Polizei vorgegangen sind.

Doch die DemonstrantInnen widersprachen Lagos und beschuldigten
die Regierung, die Unruhen provoziert zu haben, indem sie den
Protestmarsch zu untersagen versucht hatte, um zu verhindern,
dass dieser in die Naehe des Kongress-Gebaeudes gelangte.

Kurz vor seiner Verhaftung sagte der FECH-Vorsitzende Bustos:
"Wir haben friedlich demonstriert und dann sind die Carabineros
gekommen und brutal auf uns losgegangen." "Das ist das repressive
Gesicht Chiles, wo Menschenrechte nicht respektiert werden und es
BuergerInnen nicht erlaubt wird, auf den Strassen zu
demonstrieren" sagte die Fuehrerin der KP, Marín.

Waehrenddessen verkuendete Lagos in seiner Rede neue Hilfsgelder
und Garantien zur Bekaempfung der extremen Armut und
Mittellosigkeit, von der etwa 200.000 der 16 Mio. EinwohnerInnen
Chiles betroffen sind.

Mit Hinweis auf die sozio-oekonomische Situation Chiles
bestaetigte Lagos, dass es das Ziel seiner Regierung sei, in
diesem Jahr 150.000 Jobs zu schaffen, in einem Versuch, die
Arbeitslosigkeit zu mildern, die im Moment um die 9% betraegt.

Als weitere Ziele erwaehnte er die Erhoehung der
Bildungsausgaben, um eine "wirkliche Gleichheit der
Moeglichkeiten herzustellen", und die Erweiterung des
Internet-Zugangs fuer die Bevoelkerung, besonders in den
isolierten Gegenden Chiles.

Der Praesident rief den Kongress dazu auf, in der Sitzungsperiode
dieses Jahres eine Ehescheidungsgesetzgebung zu beschliessen.
Chile ist das einzige Land Lateinamerikas, in dem Scheidungen
illegal sind.

Lagos forderte die Gesetzgeber auch dazu auf, den
Verfassungsreformen zuzustimmen, die er vorgeschlagen hatte. Die
gerade geltende Landesurkunde wurde waehrend der Diktatur von
Gen. Augusto Pinochet (1973-90) erlassen.

Zu den vom Praesidenten beabsichtigten Reformen gehoeren die
konstitutionelle Anerkennung der indigenen Gemeinschaften in
Chile und die Abschaffung des Amtes des Senators auf Lebenszeit.

Jedoch erwaehnte Lagos nicht die moegliche Wiederherstellung der
Autoritaet des Praesidenten, um die fuehrenden Befehlshaber der
Streitkraefte von ihren Posten abzusetzen. (Gustavo González,
22.5.02, Inter Press Service / gek.)
 
 

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