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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 14. Mai 2002; 14:42
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"Demokratie"/Glosse:

> Die ueblichen Verdaechtigen

Das Demonstrationsrecht ist nur eine Gnade

"Die Meinung ist frei - alles weitere bestimmt die Polizei". Seit
Tagen grueble ich ueber diesen Satz nach. Stammt er von Karl
Kraus? Egal, eingefallen ist er mir bei der
Vermummungsverbotsdebatte, bei der sich die Oppositionsparteien
nicht wirklich mit Ruhm bekleckert haben. Und natuerlich auch
wegen dieses vollkommen willkuerlichen Heldenplatzverbotes. Denn
abgesehen vom Vermummungsverbot: Wie sah bislang das
oesterreichische Versammlungsgesetz aus? Vorweg: Obiges Zitat
koennte auf alle Faelle als Praeambel in diesem Gesetz stehen,
denn es ist einfach sein Succus.

Man sieht diesem Gesetz an, in welcher Tradition es steht. Aus
Zeiten des Absolutismus herauf war es ueblich, dass politische
Aufmaersche als Gefahr fuer die Obrigkeit anzusehen sind - mit
Recht, denn sonst muesste man ja diese gar nicht stattfinden
lassen. Ergo waren sie per se verboten und folglich fielen sie in
den Aufgabenbereich der Polizei. Einige Revolutionen spaeter (in
Oesterreich waren das zwar meistens eher Zusammenbrueche der
alten Systeme, aber irgendwo doch zumindest auch Revolutioenchen)
hatte man festgestellt, dass "das Volk" regieren solle und diesem
daher auch zugestanden werden muesse, durch politische
Versammlungen seinem politischen Willen Ausdruck zu verleihen.
Doch auch sehr schnell bildete sich ein neues Establishment, das
eigentlich keine grosse Lust auf ausserparlamentarische Kritik
hatte und damit das Vereins- und Demonstrationsrecht in den
Haenden der Polizei beliess. Das war in der ersten Republik so
genauso wie in der zweiten und es ist bis heute so.

Nun steht zwar in der Europaeischen Menschenrechtskonvention wie
im Staatsgrundgesetz das Recht auf Versammlungsfreiheit
festgeschrieben - und zwar im Verfassungsrang. Fakt ist aber,
dass ueber die Gewaehrung dieses Rechts die Polizei alleine
entscheidet. Kein Richter hat sich da einzumischen. Das gilt
sogar fuer das Berufungsrecht. Klipp und klar heisst es naemlich
im Versammlungsgesetz 1953 idgF., §18: "Ueber Berufungen gegen
Verfuegungen der Bezirksverwaltungsbehoerden und
Bundespolizeidirektionen entscheidet die Sicherheitsdirektion in
letzter Instanz. Ueber Berufungen gegen Verfuegungen der
Sicherheitsdirektionen ... entscheidet der Bundesminister fuer
Inneres." Mit anderen Worten: Wenn es dem Innenminister, also
einem politischen, aber nichtgewaehlten Mandatar der Exekutive,
oder seine weisungsgebundenen Beamten nicht in den Kram passt,
ist eine Kundgebung fuer illegal zu erklaeren. Als Begruendung
reicht die Gefaehrdung des "oeffentlichen Wohls" (§6); ein
Gummiparagraph in den Haenden der Polizei, oft genug dazu
gebraucht, Demonstrationen wegen bspw. Verkehrsbehinderung zu
untersagen. Denn was das oeffentliche Wohl ist, wird von der
Polizei beurteilt.

Spaeter dann, nachtraeglich, kann man dann vielleicht noch zum
VfGH gehen. Aber wenn der einem dann Recht gibt, dass die
Kundgebung doch legal gewesen waere, haette sie stattgefunden,
kann man sich mit dem Urteil die Wand tapezieren, aber sonst ist
ausser Spesen nichts gewesen; die Polizei wird beim naechsten Mal
nicht viel anders handeln. Dazu kommt, dass selbst die
Hoechstgerichte in diesen Fragen hoechst widerspruechliche
Entscheide gefaellt haben. Man erinnere sich an die aeusserst
verwaschenen Erkenntnisse zum Thema Infotische, die der Polizei
selbst dann eine enorme Auslegungsfreiheit lassen, wenn sie sich
exakt an Gesetz und Judikatur haelt.

Interessanterweise hat zwar der Gesetzgeber Ende der 80er-Jahre
fuer das System des Verwaltungsstrafrechts klar erkannt, dass die
Polizei keine Urteile sprechen kann und deswegen die
Unabhaengigen Verwaltungssenate eingefuehrt, in denen ein
weisungsungebundenes Gericht in letzter ordentlicher Instanz
entscheidet. Fuer den Bereich des Demonstrationsrechts hat das
aber nur insofern Bedeutung, falls beispielsweise ein
Kundgebungsanzeiger zu einer Strafe verdonnert wird. Aber ein
unmittelbares Klagsrecht zur Durchsetzung einer Demonstration
existiert nicht - es sei denn man hat eine rechtliche
Moeglichkeit, zu einem Hoechstgericht zu pilgern und zeigt die
Demo drei Jahre im voraus an, um einigermassen eine Chance zu
besitzen, dass das Gericht noch vor Abhaltung der Kundgebung
entscheidet.

Wie sehr Demonstrationen vom politischen Establishment als
illegitim angesehen werden, kann man auch daran ablesen, dass
"Brauchtum" vom Demonstrationsrecht ausgenommen ist. Wenn also
etwas der Befestigung des Althergebrachten dient, dann wird es
weniger kontrolliert (siehe diverse Wehrmachts-Totengedenken,
nicht erst dieses heuer am Heldentor), als wenn eine Versammlung
zur Veraenderung der politischen Situation veranstaltet wird.

Natuerlich duerfen auch "Auslaender ... weder als Veranstalter
noch als Ordner oder Leiter einer Versammlung ... auftreten"
(§8). Eine Bestimmung, deren Gehalt zwar mit dem StGG, aber kaum
mit der Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen ist, wo
dieses Recht "allen Menschen" eingeraeumt wird.

Und besonders nach Metternich klingt der § 12: "Der Behoerde
steht es frei, zu jeder Versammlung ... einen, nach Umstaenden
auch mehrere Vertreter zu entsenden, denen ein angemessener Platz
in der Versammlung nach ihrer Wahl eingeraeumt und auf Verlangen
Auskunft ueber die Person der Antragsteller und Redner gegeben
werden muss." Das heisst, wer das Wort erhebt, ist so
verdaechtig, dass er bereits seinen Namen angeben muss - ohne
dass gegen ihn auch nur sonst irgendein begruendeter Verdacht
erhoben werden koennte.

Die Abgeordnete der Legislative haben logischerweise kaum
Interesse, das Demonstrationsrecht aus der Sphaere des
Anruechigen und Polizeirelevanten wegzuholen - schliesslich sind
Demonstrationen Ausdruck einer ausserparlamentarischen Kultur und
daher den Volksvertretern prinzipiell suspekt. Dazu kommt, dass
auch die Oppositionsparteien immer darauf hoffen, einmal den
Innenminister stellen und damit das gesamte Demonstrationsrecht
absolutistisch bestimmen zu koennen.

Das ist auch daran abzulesen, dass in den Debatten der letzten
Jahre nie die ernsthafte Einbindung des Demonstrationsrechts in
das Prinzip einer zwischen Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung
unterscheidenen Gewaltenteilung gefordert wurde - auch in der
ganzen unseligen Vermummungsverbotsdebatte war nichts davon zu
hoeren.

Nein, von unseren Demokraten ist da nichts zu erwarten. Das
Demonstrationsrecht ist ein zutiefst republikanisches Recht; denn
Politik muss eine "res publica" sein, eine "oeffentliche
Angelegenheit" und nicht eine, die im stillen Kaemmerlein von ein
paar Volksvertretern aus einem politischen Spektrum von
metternichschem bis josephinischen Gedankengut verhandelt wird.
Wir haben immer noch eine Demonstrationsgnade, kein
Demonstrationsrecht. Das Recht muss naemlich erst erkaempft
werden! Insofern sind wir mit den Donnerstagsdemonstrationen auf
dem rechten Weg: Denn die Polizei hat uns nicht vorzuschreiben,
wohin wir gehen duerfen und wohin nicht. *Bernhard Redl*

PS: Wenn irgendjemand weiss, woher dieses verdammte Zitat stammt:
Ich bitte um ein kurzes Mail an tscheh@gmx.at.
 
 

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