Suedostasien:

> Auf den Hund gekommen

Die Wahlen in Osttimor sind vorbei. Und auch ANDREAS JORDAN packt
seine Koffer. Zuletzt schickte er uns noch den Teil V seines
Tagebuchs

*

Es ist der Abend vor den Wahlen. Der langbefuerchtete Hund steht
an, und es hat keine Moeglichkeit gegeben, ihn abzulehnen.

Ich habe eine ganze Woche Training mit meinen vier
Wahlkommissionen in diesem Bergdorf hinter mir, wobei die Haltung
meines Uebersetzers aus der Hauptstadt (er hat es an keinem der
Tage der Muehe wert gefunden, rechtzeitig zu kommen, und hat mich
und 22 andere Menschen jeweils mindestens eine Stunde warten
lassen, einmal ist er gleich ueberhaupt nicht erschienen) umso
beschaemender vom Eifer der Doerfler, die teilweise nicht einmal
ihren Namen richtig schreiben koennen, abgestochen ist.

Heute morgen bin ich mit der gesamten Ausruestung incl.
Stimmzettel und Wahlurnen, den Uebersetzer im Schlepptau (den ich
unter der Androhung sonstiger fristloser Kuendigung, wozu ich
allerdings gar nicht die Moeglichkeit haette, tatsaechlich zu
puenktlichem Kommen genoetigt habe), von einem Polizeiwagen
hierhergebracht worden, um tagsueber die vier Wahllokale
herzurichten, und vor allem Bambuszaeune fuer den fuer morgen
erwarteten Waehleransturm zu bauen. Dabei habe ich durch den
Umstand, mit einer Machete umgehen zu koennen und beim Zaunbau
mitzuarbeiten, wohl eine gewisse Art von "street credit" erworben
gegenueber dem Uebersetzer, der gelangweilt im Schatten sitzt und
dem Fortgang der Arbeit zuschaut. Und gestern hat eines der
Wahlkommissionsmitglieder, ein in der Naehe wohnender aelterer
Mann, sich erkundigt, ob ich schon einmal Hund gegessen haette. -
Ja, einmal, in Dili, ohne es zu wissen, habe ich geantwortet. -
Ist gut, wenn das so sei, werde er mir morgen abend auch Hund
bringen, hat er gemeint. (Meine Begeisterung hat sich in Grenzen
gehalten.) - Zum Glueck fuer mich werde ich zumindest sagen
koennen, ich habe ihn nicht persoehnlich gekannt (den Hund).

Einige Stunden spaeter: Dieser Hund ist nicht an mir
voruebergegangen. Er ist in einem Bohneneintopf zu uns ins
Wahllokal gekommen, in dem ich, gemeinsam mit einigen
ortsansaessigen Wahlkommissionsmitgliedern, die Nacht vor den
Wahlen verbringen werde, um fuer die Sicherheit der Stimmzettel
zu garantieren. Er ist  gekommen begleitet von einer Schuessel
dampfendem Reis,  und er wurde uns von dem Mann, der eine
Viertelstunde von hier wohnt, in altertuemlichen portugiesischen
Porzellan-Suppentellern, wohl Erbstuecken aus dem 19.Jahrhundert,
serviert. Bei so viel Gastfreundschaft kann man nicht nein sagen,
und ich stelle mir halt vor, es sei Ziegenfleisch (schmeckt
angeblich aehnlich), was da in Stuecken zwischen den Bohnen
schwimmt. Ausserdem geb ich Chili, den er auch mitgebracht hat,
drueber, sodass ich auch jetzt nicht viel darueber zu berichten
weiss, wie Hunde schmecken. Der Vergleich mit Ziege wird schon
hinkommen, oder mit Wild - aber im Unterschied dazu haben Hunde
helles Fleisch. Auf alle Faelle hab ich mit Sicherheit schon
grauslicheres Schweine- oder Rindfleisch gegessen, als diesen
Hund  - duerfte also zumindest das Fleisch eines gluecklichen
Hundes gewesen sein. (Massenhundehaltung duerfte hier eher
unueblich sein.)

*

Am naechsten Tag zu Mittag ist alles vorbei: Zwischen 7 Uhr
(Morgendaemmerung, offizielle Wahllokal-Oeffnung) und 10 Uhr
haben wir 1500 Waehler abgefertigt, dann bis zu Mittag noch eine
Handvoll. Die restliche Zeit bis 4 Uhr nachmittags (Schliessung
der Wahllokale) kommt niemand mehr.

Ich habe am Vorabend, vor dem Hunde-Mahl, meine
Wahlkommissionsmitglieder mit dem strikten Auftrag nach Hause
geschickt, ja unbedingt um 5.30 Uhr hierzusein, und dann noch bis
fast 11 Uhr abends die Wahllokale hergerichtet. Die ersten drei
meiner MitarbeiterInnen (die einzigen drei Frauen, die sich
beworben haben, hab ich natuerlich sofort in die Kommissionen
rekrutiert) tauchen um 3 Uhr morgens auf - anfangs nicht ganz zu
meiner Begeisterung, ich haette gern noch zwei Stunden
geschlafen, aber andererseits bin ich geruehrt vom Eifer der
Menschen, von denen fast keiner eine Uhr hat und die lieber ein
paar Stunden zu frueh als eine halbe Stunde zu spaet kommen.

Es klappt alles wie am Schnuerchen am Wahltag, d. h. mein
Training waehrend der Woche kann so schlecht nicht gewesen sein.
Die ersten beiden Wahllokale schliesse ich mangels Andrang noch
vor Mittag, zahle die Leute aus und schicke sie heim. Niemand
geht, stattdessen helfen mir alle beim Aufraeumen.

Um viertel fuenf, als das letzte Wahllokal geschlossen ist,
kommen sie - ob ich ein Foto von ihnen allen machen koenne? 22
Menschen, alle in ihren tiefblauen XL-Wahlkommissions-Leiberln
und mit den gleichfarbigen Kappen auf, gruppieren sich stolz vor
dem Schulgebaeude - es sieht aus wie ein Gruppenbild nach einem
Schlumpf-Fussballturnier.

Wie ich ihnen die 22 Fotos in ihr Bergdorf zukommen lasse, weiss
ich noch nicht - vielleicht via UN-Polizei, die muesste
postalisch von Oesterreich aus erreichbar sein. Was ich aber
weiss, ist, dass das einer der bleibenden Eindruecke ist, den ich
von hier mitnehmen werde, die Begeisterung dieser einfachen
Menschen fuer "ihre" Wahlen, die so kontrastiert mit der
Scheissdraufmentalitaet einiger meiner Kollegen und Mitarbeiter
aus dem Buero.

*

Die Wahlen sind vorbei, und wir ruesten uns zur Abreise.
Vorgestern war die interne Evaluierung der Arbeit der
Internationalen, und meine Chefin hat sich einiges anzuhoeren
gehabt. Ich weiss inzwischen eh, wie leicht sie beleidigt ist,
und habe ihren autoritaeren Fuehrungsstil hoeflich "nicht
hinreichend gruppenzentriert" genannt, in der Hoffnung, dann
koenne sie die Kritik annehmen. Die anderen waren da teilweise
viel weniger diplomatisch - ich war erstaunt, wie stark die
Reaktionen waren. (Bisher hab ich angenommen, dass vor allem ich
ein Problem mit ihr haette) Und hinterher hat sie mich wissen
lassen, mit meiner Kritik habe sie kein Problem, weil das waere
nichts anderes gewesen, als was ich seit Wochen immer wieder
gesagt haette, ich haette mit offenem Visier gekaempft, aber die
anderen, die anderen.... Ich bin ja gespannt, wie unsere
Beurteilungen ausfallen.

Heute war der letzte offizielle Buerotag, die
Schlussevaluierung - also der Abtausch von Eindruecken zwischen
der internen Evaluierung der Hiesigen und der der
Internationalen. Nachdem meine Chefin am Abend zuvor bei der
Party ein bisschen zu tief ins Glas geguckt haben duerfte und
nicht auftaucht (auch nicht grad ein Vorzeigebeispiel an
Zuverlaessigkeit, die wir an den Hiesigen so vermissen ) schlage
ich vor, die wichtigsten Punkte, aus dem Stegreif zu
diskutieren - Gut, angenommen.

Zuerst einmal sage ich unseren timoresischen Kollegen, dass ich
das Gefuehl habe, dass wir mindestens halb gescheitert sind mit
unserer Mission. Wir haben ihnen einen Fisch dagelassen, aber wir
haben sie nicht gelehrt, selbst zu fischen. Wir haben technisches
Wissen transferiert, das war relativ einfach, und auch
erfolgreich, wie der Umstand beweist, dass die Wahlen in unserem
Distrikt ziemlich einwandfrei funktioniert haben, auch dort, wo
unsere timoresischen KollegInnen den Wahlcenters vorgestanden
sind. Aber wir haben ueberhaupt nichts transferieren koennen an
Arbeitshaltung - wie allein schon der Umstand beweist, dass es
bei dieser Schlussevaluierung nur drei unserer timoresischen
KollegInnen ueberhaupt der Muehe wert gefunden haben, zu
erscheinen. Es ist immerhin ein regulaerer Arbeitstag. Und einige
der KollegInnen sind nach diesen drei Monaten genauso
desinteressiert, unzuverlaessig und unpuenktlich wie am Beginn
der Zusammenarbeit mit uns, und ich finde es in hoechstem Masse
aergerlich, von der Zusammenarbeit mit jemand abhaengig zu sein,
von dem nicht einmal klar ist, ob er heute Lust hat, ins Buero zu
kommen, und wenn ja, wann. Aus diesem Grund erklaere ich den
Capacity-Building-Aspekt unserer Mission, eigentlich das
wichtigste daran, als gescheitert.

Mein Gegenueber, zufaellig der Kollege, mit dem ich die laengste
Zeit im Duo gearbeitet habe, hat offensichtlich eine Lobrede
vorbereitet, Friede, Freude, Eierkuchen, um sie anlaesslich
unseres letzten offiziellen Zusammenseins vom Blatt zu lesen.
Dazu kommt es nicht.

Ich habe nur diese paar Saetze gesagt, aber die waren nach
hiesigem Verstaendnis offensichtlich so ungeheuerlich, dass er
eine halbe Minute braucht, um seine Fassung wiederzufinden. Dann
meint er stockend, gut, das war also Andreas' Meinung, er bitte
jetzt um die Meinung der anderen. Zum zweitenmal faellt ihm die
Lade runter, als meine italienische Kollegin erlaeutert, nein,
das sei nicht meine Meinung gewesen, sondern die von uns allen
Internationalen.

Vielleicht habe ich ja wirklich ein bisschen hart formuliert,
aber mich aergert es, dass mehr als die Haelfte von ihnen es
nicht einmal der Muehe wert findet, zur Schlussevaluierung zu
kommen - und so fange ich nochmals von vorn an, erklaere, dass
wir sehr genossen haben, sie als Menschen kennenzulernen, mit
ihnen zusammenzusein, dass das aber nichts damit zu tun habe,
dass die Zusammenarbeit, die professionelle Ebene also, nur
begrenzt funktioniert habe, und dass es einigen unter ihnen halt
sehr an Engagement und vor allem Zuverlaessigkeit gemangelt habe.
Niemand koenne etwas dafuer, ob er viel Vorwissen einzubringen
habe oder nicht, und niemand koenne etwas dafuer, ob er mit
besonders viel Intelligenz ausgestattet sei oder nicht - aber
jeder koenne etwas dafuer, ob er um acht im Buero sei oder nicht.
 ("Vor der Uhr sind alle Menschen gleich." - Schauerlich, wie
funktionalistisch ich auf einmal argumentieren kann!) - Von
vice-versa-Kritik an uns als Feedback, um das ich flehentlich
bitte, natuerlich keine Rede - hab ich aber eh nicht erwartet.

Und zum Schluss wird's doch noch emotional, wechselseitige
Danksagungen, meine kolumbianische Kollegin beginnt vor Ruehrung
zu weinen, und wir werden gesegnet. - Schoen war's in Osttimor,
ich kaem gern wieder! ###
 
 

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