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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. April 2002; 15:42
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Frankreich/Demokratie:

> Alles Recht

Wer Meinungsumfragen fuer ein Instrument wahrer Demokratie haelt,
hat Le Pen verdient

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Le Pen hat also Jospin bei den Praesidentenwahlen aus der
Stichwahl gekippt. Grosse Hysterie kommt auf. Aber ein bisserl
Abkuehlung taete wohl gut. 17% fuer den Rechtsaussen bei einer
Wahlbeteiligung von 72% sind kein Beinbruch.

Denn erstens: Haette die Haider-FPOe bei Wahlen nur 17% und
haetten wir in Oesterreich gleichzeitig eine Trotzkistin wie
Arlette Laguiller, die jetzt 6% der Stimmen auf sich vereinigen
konnte, haetten wir auch weniger Probleme.

Zweitens: Solange das Establishment sowohl in den EU- als auch in
den Beitritts-Staaten derart fanatisch am Weiterbau des
Kapitalisten-Molochs EU und des "Freihandels" festhalten und die
Linke nicht in der Lage ist, Kritik daran zu ueben - aus lauter
vertrottelter Panik, mit den Rechten in einen Topf geworfen zu
werden - solange werden die Rechten fast alle EU-kritischen
Stimmen einstreifen. Das heisst noch lange nicht, dass Europa
voller Nazis ist.

Und drittens gibt es da die Meinungsforschung, eine unsaeglich
schaedliche Einrichtung fuer alles was politischer Diskurs oder
Demokratie bedeuten koennte. Zuerst heisst es: Das Recht geht vom
Volke aus. Dann definiert man, dass das heisst, dass das Recht
von 51% des Volkes ausgeht. Es folgt, dass das Recht von 51% der
mit sehr eigenwilligen Bestellungsmodi gewaehlten Volksvertreter
ausgeht. Schlussendlich betreibt man Meinungsforschung, versucht
die Wahlen durch Umfragen zu ersetzen und richtet seine Meinung
nicht nach dem eigenen Gewissen oder seinem kognitiven
Erkenntnissen, sondern danach, was gerade opportun erscheint und
medioker ist - und schimpft Leute wie Haider und Le Pen oder auch
Gregor Gysi Populisten, weil man ihnen die Popularitaet neidet.

Dann veroeffentlicht man diese Meinungsumfragen und das p.t.
Publikum wundert sich schwer, wozu es eigentlich noch zur Wahl
gehen soll, wenn das Ergebnis schon feststeht. Man weiss, aus der
ersten Wahl werden Jospin und Chirac als Kandidaten fuer den
zweiten Wahlgang hervorgehen. Also wozu soll man noch zur Wahl
gehen? Allerhoechstens deswegen, um in einem ersten Wahlgang, wo
man ja dank der Meinungsumfrage weiss, das es ja eh um nichts
geht, seinen Protest zu deponieren. Was erstens eine
rekordgeringe Wahlbeteiligung und zweitens nur 36% der
abgegebenen Stimmen fuer Chirac und Jospin zusammengerechnet
ergab. Aber nein, niemand kommt auf die Idee, die
Meinungsumfragen haetten da einen Einfluss gehabt - schliesslich
lebt eine ganze Industrie davon und das gesamte politische und
journalistische Establishment schluerft diese Umfragen wie
reinstes Ambrosia. Man haelt sie fuer neutral und verhaelt sich
so wie die Feldforschung des 19.Jahrhunderts, die glaubte, ihre
Taetigkeit haette keinen Einfluss auf das zu beobachtende Objekt.
Nein, schuld, so hoert man von all den gut bezahlten
Kommentatoren, sei die Zersplitterung des Kandidatenfeldes.
Schoen: Aber dann muss man wohl die Kriterien so scharf anziehen,
dass schon beim ersten Wahlgang nur zwei Kandidaten - zwei
phantasielose Systemerhalter eben - ueberbleiben. Wenn nicht,
koennte es schon sehr bloed ausgehen. Denn die zersplitterten
Linken ohne Jospin hatten gemeinsam auch so ungefaehr 17%; bei
einem gemeinsamen Antreten irgendeiner charismatischen Figur
haetten es locker mehr werden koennen. Und so haette hat man
vielleicht beim naechsten Mal eine Stichwahl zwischen einem Nazi
und einer Trotzkistin und letztendlich vielleicht nur deswegen
einen Nazi zum Praesidenten gemacht, weil die Mehrheit
derjenigen, die noch zu dieser Wahl gegangen sind, keine Linke im
Elyssee wollte.

Und dann koennte uns das Establishment nur mehr zwei
Erklaerungsmoeglichkeiten anbieten: Entweder die Mehrheit der
Franzosen sind rechtsextrem oder es war doch nur ein Maerchen,
dass der franzoesische Staat ein demokratisches System sei. Und
leider wird ihnen da die erste Version lieber sein.

Jetzt gehts aber um das Match Le Pen versus Chirac. Und schon
sind die Umfrager wieder da und sagen Le Pen kriegt nur 20%. Wenn
er dann vielleicht 30 oder 35% hat, naja, dann sind wieder alle
geschockt... Und ein paar Wochen darauf geht man wieder zur
Tagesordnung ueber und so weiter ad infinitum. Nein, doch nicht
ad infinitum. Eines Tages gibts dann naemlich ein boeses Erwachen
und keiner weiss, wieso.

Angesichts dieser Betrachtungen koennte man sich auch so einiges
ueber oesterreichische Wahlergebnisse ueberlegen - vom
Praesidentschaftskandidaten Burger bis zum Erfolg der FPOe. Aber
das ist eine andere Geschichte... *Bernhard Redl*

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