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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. April 2002; 15:49
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Kapitalismus/Prinzipielles:

> "ONE stoppt die Papierflut"

Ein Beispiel der Wandelbarkeit des Kapitalismus

Connect Austria, die Telekommunikations-GmbH, die "das Leben
eroeffnet" und hartnaeckig dabei das Datenschutzgesetz verletzt,
hat neue Allgemeine Geschaeftsbedingungen. Dazu gibt es eine
Aussendung von ONE, die ueber die uebliche, schon zur Gewohnheit
gewordene Verarschung von KonsumentInnen hinausgeht.

Die monatlichen Abrechnungen die sogenannten
Einzelgespraechlisten, die zur Kontrolle der erbrachten
Leistungen dienen, werden nur mehr kostenpflichtig beigelegt,
waehrend das Abfragen der Monatsuebersicht ueber die ONE-Homepage
weiterhin kostenlos erfolgen kann. Den Nachteilen der KundInnen -
der Zugang zum Internet ist im Gegensatz zum Oeffnen eines
Briefes mit Kosten verbunden und nimmt mehr Zeit in Anspruch -
stehen Vorteile fuer ONE gegenueber: unmittelbar profitiert ONE
durch die Umwandlung einer ehemals kostenlosen Serviceleistung in
eine zu bezahlenden Dienstleistung und durch die Senkung der
Administrations- und Materialkosten, mittelbar durch die zu
erwartenden ansteigenden Zugriffe auf ihre Homepage, womit ein
zentraler Werbekanal aufgewertet wird. Das Interessante an dieser
ganzen Angelegenheit ist jedoch nicht, dass hier eine Massnahme
gesetzt wurde, die betriebswirtschaftlich Sinn macht und zu
Lasten der KonsumentInnen geht, sondern die Art und Weise wie
diese Neuerung angekuendigt wurde.

Die ONE-NGO

ONE rubriziert die Aenderung ihrer AGB unter dem Slogan: "ONE
stoppt die Papierflut." Dementsprechend liest sich der
Mitteilungsbrief wie die Aussendung einer Umweltinitiative. So
appelliert der Geschaeftsfuehrer Christian Czech im Tonfall einer
NGO an alle ONE-KundInnen, gemeinsam mit ONE Taten fuer die
Umwelt zu setzen. ONE geht nach eigenen Aussagen mit gutem
Beispiel voran. Die KundInnen werden im Namen der Umwelt gebeten
hinterher zu watscheln. Und weil sich Umweltschutzbewusstsein
nicht verordnen laesst, macht der ONE-Oberfritze abschliessend
klar: "Jetzt entscheiden Sie!" Zum Vergleich: Ein Massenbrief
einer NGO, den ich am selben Tag erhielt, schloss mit dem
auffordernden Hinweis: "Its up to you!" Auf der Antwortkarte
steigert sich, meinem Empfinden nach, der parallele
Sprachgebrauch zu einer Noetigung, denn auf dieser darf man
ankreuzen: "Ja, ich moechte mit ONE einen Beitrag zum
Umweltschutz leisten und verzichte (...) auf meine
Einzelgespraechsliste in Papierform." Um also auf diese Liste
verzichten zu koennen, ohne ein eigenes Schreiben aufzusetzen,
muss man sich zur gemeinsamen Umweltschutzaktion mit ONE per
Unterschrift bekennen. Vielleicht wird man naechstens ankreuzen
koennen: Ja, ich moechte mit ONE alten rumaenischen Tanzbaeren
ein neues Zuhause schenken und bin bereit hoehere Tarife zu
bezahlen.

Die Umwelt braucht Taten, meine Aktivitaet ist gefragt, es liegt
an mir, ich entscheide, ob ich dem guten Beispiel folge oder
kalten Herzens die Umwelt weiter belaste. Diese Argumentsweise
soll von der wahren Intention ablenken. Die Verschlechterung des
Leistungsangebots soll durch den moralischen Appell kaschiert
werden. Das Ziel, den Profit zu erhoehen, tritt aus dem
Lichtkegel und im Rampenlicht verbeugt sich ein PR-Gag. Eine
solche selbstlose Aufopferung fuer den Umweltschutz ist
natuerlich ONEmalig und letztklassig zugleich.

Neoliberale "Progressivitaet"

Das Vorgehen von ONE kann also nur als eine besonders
aufdringliche Form der Augenauswischerei bewertet werden.
Umweltschutz wird ausschliesslich deshalb zu einem integralen
Bestandteil der Unternehmensphilosophie stilisiert, weil durch
die Reduktion des Papierverbrauchs kein oekonomischer Schaden
entsteht, sondern vielmehr Gewinn winkt. Die Forderung nach
sparsamen, nachhaltigen Umgang mit natuerlichen Ressourcen wird
aber durch diese perfide Aneignung nicht unrichtig. So hat Frigga
Haug in den letzten Jahren in mehreren Aufsaetzen auf eine
Bewegung aufmerksam gemacht, die sie als eine Art passive
Revolution von oben beschrieb. Damit meint sie die "Vereinnahmung
von urspruenglich linken Forderungen oder solchen der neuen
sozialen Bewegungen in neoliberale Strategien." Sie schreibt
weiter: "Ganz offensichtlich hat sich die Konstellation fuer die
ueber Jahre zentralen Forderungen auf eine Weise geaendert, dass
aus Befreiungsforderungen jetzt solche der Systemsicherung und
der Befoerderung und Reproduktion neoliberaler Politik wurden,
ohne dass darum die Forderungen selbst (...) falsch geworden
waeren." Jetzt ist die Forderung nach Papiervermeidung gewiss
keine Befreiungsforderung, keine Forderung die als Voraussetzung
fuer ihre Umsetzung die Ueberwindung des Systems hat - Frigga
Haug denkt bei ihren Ausfuehrungen etwa an die feministische
Ausweitung des Arbeitsbegriffs, die nun auch von VordenkerInnen
des Kapitals unter selbstredend anderen Vorzeichen in Angriff
genommen wird - aber eine Forderung, die von einer alternativen
Bewegung stammt, die auch immer mehr oder weniger akzentuiert
Kapitalismuskritik betrieb, ist sie allemal. Das Phaenomen, dass
durch dieses Uebernehmen von linken und alternativen Forderungen
entsteht, bezeichnet Frigga Haug als neoliberale
"Progressivitaet", die nur moeglich ist durch "Beschraenkung und
Zereissung zusammengehoerender Dimensionen." In anderen Worten:
So wie man eine rote Chillischote nicht in einem Stueck schlucken
kann ohne in Flammen aufzugehen, zu explodieren, sondern nur
mundgerecht zerkleinert, zerstueckelt, also entschaerft, so kann
der Kapitalismus Forderungen, die aus den von ihm produzierten
Widerspruechen erwachsen, nicht als Ganzes integrieren, sondern
nur entstellt und systemkonform portioniert. *Roman Gutsch*

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