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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. April 2002; 16:26
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Verfassungsrecht/Sozialstaat-Volksbegehren:

> Wozu ist der Staat gut?

Das Sozialstaatsvolksbegehren bricht mit der Tradition des
k.u.k.-Staatsverstaendnises - und ist damit weitaus subversiver
als man glauben koennte

*

Die UnterzeichnerInnen begehren folgende Ergaenzung der
oesterreichischen Bundesverfassung:
Dem Art. 1 ("Oesterreich ist eine demokratische Republik. Ihr
Recht geht vom Volk aus.") wird ein Absatz 2 angefuegt. Dieser
lautet:
"Oesterreich ist ein Sozialstaat. Gesetzgebung und Vollziehung
beruecksichtigen die soziale Sicherheit und Chancengleichheit der
in Oesterreich lebenden Menschen als eigenstaendige Ziele.
Vor Beschluss eines Gesetzes wird geprueft, wie sich dieses auf
die soziale Lage der Betroffenen, die Gleichstellung von Frauen
und Maennern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt
(Sozialvertraeglichkeitspruefung). Die Absicherung im Fall von
Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut
erfolgt solidarisch durch oeffentlich-rechtliche soziale
Sicherungssysteme. Die Finanzierung der Staatsausgaben orientiert
sich am Grundsatz, dass die in Oesterreich lebenden Menschen
einen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen
Beitrag leisten."
(Text des Sozialstaat-Volksbegehren)

Der Arbeits- und Sozialrechtler Theodor Tomandl meinte kuerzlich
zum Thema Sozialstaat-Volksbegehren: "Soziale Grundrechte haben
in einer Verfassung, die sich als juristische Verfassung
versteht, nichts verloren". Dieses eigenartige Statement wurde in
den Medien unverhaeltnismaessig breitgetreten. Ganz unrecht hat
der regierungsnahe Arbeitsrechtler ja nicht, wenn er sagt, man
muesse "nicht alles Schoene und Gute in die Verfassung
schreiben", aber die recht grundsaetzliche Frage wird hier doch
aufgeworfen: Was soll man eigentlich in eine Verfassung
schreiben? Was ist der common sense, wozu denn eine Verfassung
gut sei? Um das festzustellen, ist es angebracht, ein ganz
normales Konversationslexikon zur Hand zu nehmen. Der "Meyer"
schreibt unter dem Stichwort "Verfassung": "i. e.S. die
Gesamtheit der Regeln ueber die Staatsform, die Leitung des
Staates, ueber die Bildung und den Aufgabenkreis der obersten
Staatsorgane, ueber Verfahren zur Bewaeltigung von Konflikten und
die Beschreibung der Grundrechte." Nun, genau darum geht es: um
eine Festschreibung der Grundrechte. Und genau deswegen stehen
bei uns ja auch die buergerlichen Menschenrechte im
Verfassungsrang - um vor dem VfGH einklagbar zu sein. Sollen die
etwa auch raus aus der Verfassung? Oder meint Herr Tomandl, dass
ueberhaupt keine Prinzipien in der Verfassung zu stehen haben,
sondern dort lediglich die formalstaatlichen Dinge wie die
Stellung des Bundespraesidenten oder die Zustaendigkeit der
Gerichte festzulegen waeren? Dann koennten wir uns aber auch
gleich fragen, wozu eigentlich etwa der Gleichheitsgrundsatz oder
das Legalitaetsprinzip gut seien. Tomandls Aeusserung zu Ende
gedacht, braechte uns damit in eine Art konstitutionellen
Absolutismus, wo die Handlungen einer unter Mitwirkung des Volkes
bestellten Regierung unhinterfragbar wuerden - boese formuliert:
zurueck in den Staendestaat!

Aber vielleicht hat Tomandl es ja ganz anders gemeint. Vielleicht
tut ihm was ganz was anderes weh und er fuerchtet sich nur,
allzulaut "Au" zu schreien. Denn das Volksbegehren legt seinen
Finger in eine klaffende Wunde der oesterreichischen Verfassung:
Der Frage nach dem Staatsziel! Bei Recherchen zu dieser Frage
wird es naemlich wirklich duester - in unserer k.u.k-verseuchten
Verfassung scheint es tatsaechlich unueblich zu sein, die Frage
beantworten zu wollen, wozu denn der Staat gut sein soll. Anders
beispielsweise als in der US-Verfassung, die aus einem
Unabhaengigkeitskampf resultierte - dort steht der Verfassung von
1787 eine Praeambel vor, in der erklaert wird, wozu eigentlich
der Staat USA gegruendet wurde: "Wir, das Volk der Vereinigten
Staaten von Amerika, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu
vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im
Innern zu sichern, fuer die Landesverteidigung zu sorgen, das
allgemeine Wohl zu foerdern und das Glueck der Freiheit uns
selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begruenden
diese Verfassung fuer die Vereinigten Staaten von Amerika." Jetzt
kann man zu diesen Zielen stehen wie man will und durchaus auch
die sehr durchschnittlichen Deutungen, die sie in den letzten
zwei Jahrhunderten erfahren haben, kritisieren. Aber eines ist
klar: Die Verfassungsvaeter der USA sahen sich veranlasst, zu
formulieren, wozu ihr Staat und ihre Verfassung eigentlich gut
sein sollen. Aehnlich auch eine andere Verfassungspraeambel: "Von
dem Willen erfuellt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu
verbuergen, das Gemeinschafts- und Wirtschaftsleben in sozialer
Gerechtigkeit zu gestalten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu
dienen, die Freundschaft mit allen Voelkern zu foerdern und den
Frieden zu sichern, hat sich das deutsche Volk diese Verfassung
gegeben." Wie oft auch diese Prinzipien mit Fuessen getreten
worden sind, es ist an diesen Worten, wie sie in der Verfassung
der DDR von 1949 geschrieben standen, eigentlich nichts
auszusetzen.

In Oesterreich tut man sich mit Staatszielen schwer. Schon in den
80er-Jahren kritisierten die Verfassungsrechtler Klecatsky und
Morscher in einem Kommentar zum Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG),
das Fehlen einer ernsthaften Staatszielbestimmung und treffen
damit genau die Anliegen des vorliegenden Volksbegehrens: "Anders
als in einzelnen Landesverfassungen (...) ist das
Sozialstaatsprinzip in Oesterreich genau so wenig ausdruecklich
bundesverfassungsgesetzlich verankert wie eine
Kulturstaatsklausel." Nachtraeglich wurden zwar die
Landesverteidigung, der Umweltschutz, die Parteienvielfalt und
einige wenige andere Dinge zum Staatsziel erklaert, diese
Bestimmungen haben aber nicht die Prominenz einer Praeambel wie
in den obzitierten Verfassungstexten. Genau aber hier hakt das
Volksbegehren ein, in dem es eben nicht irgendwo die Sicherung
der sozialen Sicherheit verankert haben moechte, sondern in einem
zweiten Absatz zum Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes - dem
zentralen Grundlagendokument des oesterreichischen Rechts. Erst
die Prominenz der vorgesehenen Stelle dieses Text suggeriert,
dass hier der Staat ploetzlich nicht nur eine Aufgabe, sondern
auch einen Zweck bekommt.

Nun mag es sophistisch erscheinen, zu unterscheiden, ob ein Staat
die Einhaltung bestimmter Prinzipien garantiert oder explizit
definiert, dass der Staat dazu da ist, diese zu garantieren. Die
Bestimmung von Staatszielen definiert aber - im Gegensatz zu
Rechtsgarantien - eine Begruendung des Staates; d.h. die
Definition von Staatszielen bringt eine Rechtfertigung des
Staates mit sich. Damit wird jedoch die oesterreichische
Grundhaltung, dass man vom Staat zwar etwas verlangen kann, aber
dieser eigentlich Selbstzweck ist, nachhaltig unterminiert.

So erscheinen die Aeusserung Tomandls und auch die Sager von
Maria Rauch-Kallat, dass es doch gar nicht notwendig sei, den
Text des Volksbegehrens zum Verfassungsgesetz werden zu lassen,
in einem ganz anderen Licht. Denn beispielsweise die
Menschenrechte sind bei uns zwar im Verfassungsrang, aber sie
sind lediglich im Staatsgrundgesetz und in der Europaeischen
Menschenrechtskonvention codifiziert - das scheint zwar formal
keine Bedeutung zu haben, denn jedes Verfassungsgesetz ist doch
wohl gleich viel wert, die Suggestivkraft des Artikel 1 des B-VG
(in dem heute einfach nur steht: "Oesterreich ist eine
demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.") geht den
Menschenrechtsdefinitionen aber ab. Wenn man bedenkt, dass der
VfGH erst kuerzlich erstmals ein Verfassungsgesetz wegen
Verfassungswidrigkeit aufgehoben hat, dann wird klar, dass die
Juristen sehr wohl eine Hierarchie in den Verfassungsbestimmungen
annehmen - es waere ja auch schlimm, wenn sie beispielsweise dem
Gleichheitsgrundsatz und der beruechtigten Verfassungsbestimmung
ueber Taxikonzessionen tatsaechlich den gleichen Wert zumessen
wuerden.

Mit einem zweiten Absatz zum Art. 1 B-VG waere daher tatsaechlich
ein zentrales Staatsziel definiert und damit wuerde festgestellt,
dass der Staat fuer die Menschen da sein soll und nicht etwa
umgekehrt.

Tomandl und Rauch-Kallat duerften somit fast schneller begriffen
haben, welche subversive Qualitaet in der Idee steckt, diese
Formulierungen in die Verfassung aufzunehmen, als so manche der
Proponenten des Volksbegehrens selbst. *Bernhard Redl*

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