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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Maerz 2002; 19:45
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Sozial:

> Zehn Thesen

zur Oesterreichischen Gesundheitspolitik

Vom 3. bis zum 10.April laeuft die Eintragungswoche des
Sozialstaats-Volksbegehren. In diesem Zusammenhang machte sich
Werner VOGT Gedanken ueber die bisherigen Prinzipien der
oeffentlichen Gesundheitsversorgung und wieso eigentlich immer
behauptet wird, diese sei so kraenklich:

*

1) Das gute Oesterreichische Gesundheitssystem verdankt seinen
Rang und Ruf dem Umstand, dass es nicht dem freien Markt
ausgeliefert wurde. Neunundneunzig Prozent der Bevoelkerung
werden fuer nur 8,3% des Bruttoinlandproduktes versorgt. Dies ist
kostenguenstig. Die Vereinigten Staaten geben 13% aus und dennoch
bleibt die halbe Bevoelkerung unterversorgt. Die Absicherung und
der notwendige Ausbau des Gesundheitssystems muss in der
Verfassung festgelegt werden.

2) Das Prinzip der solidarischen Gesamtsicherung schliesst die
Selbstverantwortung des Einzelnen in keiner Weise aus. Aus
handfesten sozialmedizinischen Gruenden lehnen wir aber das
Prinzip der Schuldzuweisung an Patienten ab. Es muss allen in
vollem Umfang beigestanden und geholfen werden. Die Mittel fuer
den Sozialstaat und das Gesundheitssystem sollen durch Beitraege
von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, durch Vermoegens-und
Gewinnbesteuerung sowie durch eine Wertschoepfungsabgabe
aufgebracht werden.

3) Die von oesterreichischen Patienten geleisteten Selbstbehalte
sind unzumutbar hoch, betrugen 1999 bereits 9, 9 Milliarden
Schilling und sind weiter rasant gestiegen. Selbstbehalte
widersprechen dem solidarischen Prinzip, wonach aus den
Beitraegen und Steuern aller das finanziert wird, was der
Behandlungsbeduerftige benoetigt. Selbstbehalte unterlaufen aber
auch den Sozialpakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, der
in einer ausgewogenen Balance die Kosten des Gesundheitssystems
einigermassen gerecht verteilte. Selbstbehalte sind daher
abzulehnen. Die Ambulanzgebuehr etwa ist ungerecht,
gesundheitspolitisch und oekonomisch dumm und darueberhinaus eine
autoritaere Massnahme:der Staat greift in die Individualrechte
von Patienten ein.

4) Das Land und die Wirtschaft werden von Jahr zu Jahr reicher.
Davon muss auch das Gesundheitssystem profitieren. Praevention
und Rehabilitation gehoeren gefoerdert und ausgebaut. Dies wird
die Kosten im Gesundheitswesen senken. Den Beweis dafuer hat in
den letzen Jahrzehnten die
Allgemeine-Unfall-Versicherungs-Anstalt erbracht.

Sie hat durch gezielte Gesundheitssicherung am Arbeitsplatz
einerseits, durch Behandlung und garantierte sofortige
Nachbehandlung andererseits Anzahl und Hoehe der Berentungen
extrem gesenkt, Ueberschuesse in Milliardenhoehe erzielt.

5) Die Gesundheitsversorgung muss zentral geplant werden. Das
schliesst nicht aus, dass viele Institutionen und
Leistungserbringer daran beteiligt sind. Regionale Zusammenarbeit
von Allgemeinmedizinern, Fachaerzten und Spitaelern steigert die
Heilungschancen, verhindert teure Mehrfachuntersuchungen ebenso
wie die unkontrollierte Verschreibung von Medikamenten. Bessere
Vernetzung der Institutionen senkt also die Kosten, verringert
aber auch das Risiko medizinisch verursachter Komplikationen.

6) Es muss ein Oesterreichisches Institut fuer Epidemiologie
gegruendet werden. In ihm muessen alle Gesundheitsdaten gesammelt
und beurteilt werden. Wenn wir wissen, wie sich das
Erkrankungsrisiko regional in den verschiedenen Alters- und
Berufsgruppen verteilt, koennen wir sinnvoll das ambulante und
das stationaere System ausbauen. Wir werden uns aber dann auch
die Frage stellen muessen, warum die grossen regionalen
Unterschiede bestehen, warum das Krankheitsrisiko

auch in Arbeit und Beruf so unterschiedlich verteilt ist. Die
wesentlichen Verursachensfaktoren bei den lebensverkuerzenden
Killerkrankheiten (Herzinfarkt, Krebs, Erkrankungen der Oberen
Luftwege) sind nicht im individuellen Gesundheitsverhalten
(Ernaehrung, Bewegung, Alkohol- und Nikotinabusus) zu suchen,
sondern in den uebergeordneten Lebensprinzipien der Gesellschaft
(Arbeit, Wohnen, Verkehr, Umwelt).

7) Die am Patienten erhobenen Gesundheitsdaten blieben diesem
selbst bisher weitgehend verborgen. Die Krankengeschichte ,
angefertigte Roentgenbilder, erhobene Laborbefunde verblieben im
Krankenhaus. Der Patient wurde als eigener Datentraeger
ausgeschaltet. Damit blieb auch der weiterbehandelnde Arzt
unterinformiert. Das muss umgehend geaendert werden: Patienten
haben einen Rechtsanspruch auf alle bei ihnen erhobenen Daten und
Befunde. Das verbessert nicht nur kostenlos die
Informationsweitergabe an Nach-und Weiterbehandler, das schuetzt
auch Patienten vor Fehlbehandlungen bis hin zu tragischen
Verwechslungen. Gut informierte Patienten sind auch gut
geschuetzte Patienten.

8) Jeder Erkankte oder Verletze ist nicht nur in seinem
Wohlbefinden und seiner Leistungsfaehigkeit beeintraechtigt, er
verliert auch sein gewohnte soziale Rolle. Er und seine
Angehoerigen sind existentiell bedroht, also hilfsbeduerftig. Die
Gesundheitsbuerokratie organisiert Diagnose, Heilung,
Nachbehandlung. Fuer notwendige oekonomische und soziale Hilfen
sind aber andere Aemter und Behoerden zustaendig. Es waere bei
der Inanspruchnahme von Anspruechen ueberaus hilfreich, wohl auch
kostensenkend, wenn eine Zusammenlegung von

Gesundheits- und Sozialbuerokratie erfolgt. Auch hier kann die
Allgmeine Unfall-Versicherungs-Anstalt als Vorbild dienen.
Allerdings nur fuer ihre Versicherten. Waeren alle Oesterreicher
bei der AUVA versichert, waere der Unfallsektor in jeder Hinsicht
vorbildlich geregelt. Durch eine einfache gesundheitspolitische
Massnahme waere das herstellbar: Wer gut versorgt werden will,
zahlt Beitraege. Der Sozialstaat stellt sich als Anbieter vor.

9) Die Qualitaet von Behandlung und Pflege haengt im ambulanten
wie im stationaeren Bereich vom Aus-Fort-und
Weiterbildungsstandard des fuer die beiden Bereiche zustaendigen
Personals ab. Es sollte fuer alle eine Fort- und
Weiterbildungspflicht im Ausmass von vier Wochen jaehrlich
bestehen. In guten Institutionen ist dies bereits realisiert. Die
Kosten fuer eine derartige Qualitaetssteigerung im
Gesundheitssystem sind weit geringer, als die Folgekosten aus
unzulaenglicher oder falscher Behandlung. Es gilt der Satz: hohe
Qualitaet senkt die Kosten.

10) Die Gesundheitsversorgung wird im wesentlichen durch die
Gebeitskrankenkassen, die Allgemeine Unfall-Versicherungs-Anstalt
und die Pensionsversicherungs-Anstalt organisiert und finanziert.
In all diesen Einrichtungen herrscht das Prinzip der
Selbstverwaltung.

Eigentuemer der Sozialversicherung ist nicht der Staat oder die
Regierung. Eigentuemer sind die Versicherten. Bis 1933 wurden die
Mitglieder der Selbstverwaltung in eigens dafuer organisierten
Wahlen bestimmt. Im Jahre 1947 wurde eine provisorische Regelung
eingefuehrt und die Wahlen gestrichen. Die Sozialpartner
entsandten Personen in die Selbstverwaltung. Die derzeit an der
Macht befindliche Regierung hat dieses Provisorium aus der
Nachkriegszeit, damit aber auch weitgehend die Selbstverwaltung
an sich, beseitigt. Dies ist als Verstaatlichung neuen Typs zu
sehen, ist eine unzulaessige Vereinnahmung der
Sozialversicherungseinrichtungen durch eine Regierung, eine kalte
Enteignung der Versicherten.

Das darf nicht hingenommen werden. Die Selbstverwaltung muss neu
aufgebaut werden. Es muss den Versicherten das Recht auf
demokratische Wahlen in die Selbstverwaltungskoerperschaften
wiedergegeben werden.

*Text von der Volksbegehrens-Homepage: http://www.sozialstaat.at*
 
 
 

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