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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Maerz 2002; 19:53
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Suedostasien:

> Hupen fuer die Goetter

Teil III des Osttimor-Tagebuchs

von Andreas JORDAN

*

Heute steht die erste Ausfahrt zwecks Waehlerinformation an - in
ein Dorf etliche Kilometer abseits der naechsten, eher symbolisch
asphaltierten Strasse. Nach etlichen Minuten Fahrt entlang der
eineinhalbspurigen, maessig befahrenen Kuestenstrasse ( - wo
mensch immer auf Tempo 20 heruntergeht, wenn ein Fahrzeug
entgegenkommt -) geht es auf einem gerade noch einspurigen Band
aus zersprungenem Asphalt in steilen, engen Serpentinen einen
Berghang hoch. Huetten aus Bambus, gedeckt mit Palmwedeln oder
Wellblech, stehen am Strassenrand, gelegentlich bietet ein
improvisierter Verkaufsstand schaeumenden, milchigtrueben
Palmwein (- schmeckt wie ein Mittelding zwischen Sturm und
verduenntem Kleister - ich hab ihn inzwischen ausprobiert -, hat
wenig Alkohol und soll gesund sein -) in wiederverwendeten
Plastikflaschen zum Verkauf an. Davor sitzen die
Verkaeuferinnen - an einem Stand sind sie gerade damit
beschaeftigt, sich mit einem Nissenkamm Laeuse aus dem Haar zu
kaemmen. Gackernde Huehner und kleine, schwarze Schweine, die wie
geschrumpfte Wildschweine aussehen, fluechten vor dem Auto ins
Unterholz.

Auf steilen, teilweise dramatisch erodierten Haengen (- kein
Wunder bei der Wucht der Regenguesse hier! -) stehen Kukuruz- und
Bananenstauden bunt gemischt mit Kokospalmen. Weiter oben, wo es
feuchter ist, wird auch Kaffee angepflanzt, und zwar (was das
ganze oekologisch bedeutend vertraeglicher macht) unter dem
Schutz maechtiger Laubbaeume im Halbschatten. Die Kaffeestauden
sind oberarmdick und fuenf, sechs, ja acht Meter hoch, nicht so
wie die "herkoemmlichen", in Reih und Glied gepflanzten
2-m-Straeucher, die ich kenne - offensichtlich sind diese
Pflanzungen Jahrzehnte alt und weder das Produkt eines rezenten
Booms noch auf Gewinnmaximierung um jeden Preis ausgerichtet. Ich
frage mich allerdings, wie sie die Kaffeebeeren hier ernten.

Im Gegensatz zur Landwirtschaft bei uns sind hier nicht die
Viecher eingesperrt und die Felder im Freien, sondern umgekehrt:
Die Pflanzungen sind von Bambus-Flechtzaeunen umgeben, und die
freischweifenden Schweine, um da nicht durchschluepfen und
Schaden anrichten zu koennen, tragen sperrige dreieckige
Halskrausen aus Holz oder Bambus.

Meine franzoesische Kollegin, klein, duenn, blond, 15 Jahre
juenger als ich und keineswegs auf den Mund gefallen, um es
einmal vorsichtig auszudruecken, faehrt nicht nur vor- und
umsichtig, sondern pflegt ausserdem einen Musikgeschmack, dessen
Bandbreite von Mano Negra ueber die Piaf bis zum Buonavista
Social Club reicht, und sie ist mit Kassetten reichlich versorgt,
was das Autofahren mit ihr zusaetzlich angenehm gestaltet. Ab der
Passhoehe, vielleicht 700 m hoch, ist der symbolische Asphalt zu
Ende, eine halb zugewachsene Piste beginnt, und sie kann ihre
Meisterschaft im Allradantriebfahren unter Beweis stellen.

Heute hat es noch keinen Tropfen geregnet - trotzdem, die Piste
ist so ausgespuelt, dass wir mehrmals haengenbleiben. Aussteigen,
Steine unter die Raeder legen, anschieben, Quergraeben in der
Piste bis auf transitable Ausmasse auffuellen - wenn
Gelaendewagen-ausgraben eine olympische Disziplin waere, waeren
wir nach diesen Wahlen sicher guttrainierte Medaillenanwaerter.
Und ich verstehe langsam, warum diverse Ortskundige gemeint
haben, es waere mittlerer Wahnsinn, Wahlen in Osttimor inmitten
der Regenzeit abhalten zu wollen.

Nach zwei Stunden kommen wir, voellig durchgeschwitzt und
lehmverschmiert, im Dorf an. Das letzte Stueck muessen wir zu
Fuss gehen - ein trockenes Bachbett hemmt unsere Fahrt. Am
Ortseingang wartet der Dorfverantwortliche, ein aelterer Mann,
und bringt uns zur Versammlungshuette, einem Kokosfaserdach auf
Pfosten, wo schon das halbe Dorf auf uns wartet. Die andere
Haelfte wird mittels eines Gongs, einer an einem Baum
aufgehaengten Eisenplatte, herbeigerufen.

Waehrend wir auf das Eintreffen der Menschen warten - trotz im
voraus vereinbartem Termin soll das fast eine Stunde dauern, Zeit
spielt hier offensichtlich nicht so eine Rolle -, schaue ich mir
das Dorf ein bisschen an. Die einfachen Huetten, meist aus
Bambus, manchmal mit einem Stein- oder Betonfundament, haben
Daecher aus Palmwedeln, manchmal auch aus Wellblech; einige
wenige Huetten sind noch in traditionell osttimoresischem Stil
errichtet, d. h. sie stehen auf vier Holzpfosten in etwa 2 - 3 m
Hoehe und sind ganz aus Holz, mit einem steilen, hohen
Palmwedel-Giebeldach, wobei eine Holztreppe zu der Huette
hochfuehrt, die im Gefahrenfall wohl leicht entfernt werden kann.
(War sicher praktisch zu Zeiten der staendigen Kriege zwischen
den rivalisierenden Kleinkoenigreichen.) Die Huetten der
Dorfhonoratioren tragen geschnitzte stilisierte Holzkanus ueber
dem Dachgiebel, geschmueckt entweder mit einem Kreuz oder mit
zwei Haehnen. (Hahnenkampf ist der beliebteste Sport hier und hat
meiner Meinung nach ungefaehr so viel mit Sport zu tun wie am
Sonntagnachmittag mit Chips auf der Couch liegen und Formel 1
schauen.) - Interessant, das Kanu-Motiv - es verweist auf die
Vergangenheit, als mit diesen Auslegerbooten die Menschen von
Suedostasien seinerzeit bis Madagaskar gesegelt sind und
Neuseeland, Polynesien und sogar Hawaii besiedelt haben -
unglaubliche Entfernungen, wenn man sich das auf der Landkarte
anschaut.

Inzwischen trifft unsere Klientel ein - mehr Maenner als Frauen,
und die aelteren Maenner gekleidet wie malaiische Piraten in
einem Salieri-Epos - Gummischlapfen, einen Sarong (ein knielanges
indonesisches Rockerl) mit einem Guertel geschuerzt, darueber
verwaschene Leiberln aus den Altkleidersammlungen der 1.Welt, und
auf dem Kopf oft nicht verschossene Huete, sondern um die Stirn
geschlungene Baender oder Tuecher, teilweise wunderschoen gewebt.
(Ueberhaupt ist mir bei den wenigen Anlaessen, wo ich
traditioneller Webarbeiten angesichtig geworden bin,
unerklaerlich gewesen, wie in einem materiell dermassen armen
Land, wo es buchstaeblich NICHTS gibt, so raffinierte,
hoechstentwickelte Textilien hergestellt werden koennen -
Tuecher, deren eines fuer seine Herstellung Monate der
Arbeitszeit einer Frau beanspruchen muss. Bei der hier
gebraeuchlichen Ikat-Webtechnik muss vor dem Weben jeder einzelne
Faden individuell eingefaerbt werden - anschliessend werden sie
so praezise miteinander verwebt, dass ein leicht verschwommenes
Muster entsteht - meiner Meinung nach eine der
hoechstentwickelten Textiltechniken ueberhaupt weltweit,
wahrscheinlich in seiner Elaboriertheit nur vergleichbar mit den
vorspanischen Paracas-Textilien von der peruanischen Kueste.

Knapp hundert Menschen sind nun versammelt, Maenner und Frauen
kauen Betelnuss und spucken blutroten Saft von sich (wobei es
mich am Anfang ziemlich reisst - das schaeumende, blutfarbene
Zeug laesst mich an den Auswurf bei Lungen-TBC denken -), und
unsere timoresischen Kollegen beginnen mit der
Informationsveranstaltung, deren groessten Teil sie ohne uns
bestreiten werden - Zweck der Wahlen, wer kandidieren kann (- es
stehen ja noch keine KandidatInnen fest! -), wer waehlen darf,
etc. Wir haben das ganze anhand eines Rollenspiels vorbereitet,
Poster gestaltet, ein Frage-Antwort-Spiel erarbeitet, und es
funktioniert ueberraschend gut. Anschliessend Fragerunde aus dem
Publikum - die Leute sind bemerkenswert interessiert, und fast
eine Stunde lang kommen Fragen. Die einfacheren beantworten
unsere timoresischen Kollegen direkt, die schwierigeren werden
aus Tetun ins Englische uebersetzt und gehen an uns beide
Internationale. (Tetun ist in diesem Dorf zwar nicht der Leute
Muttersprache - sie sprechen Tokodede, eine der groesseren von
Osttimors "kleinen Sprachen", Muttersprache von insgesamt
vielleicht 20.000 Menschen oder so -, wird hier aber
offensichtlich allgemein verstanden.) - Ich bin froh, an den
vorigen Abenden bei Kerzenlicht (da Stromausfall) die gesamten
UN-Erlaesse zu diesen Wahlen bis zum letzten Eselsohr
durchgearbeitet zu haben - wir koennen auf alle Detailfragen eine
Antwort finden.

*

Nach zweieinhalb Stunden Aufbruch - dem Rat der Hiesigen folgend,
nehmen wir eine andere Piste zurueck, die angeblich in bedeutend
besserem Zustand sei. Zuerst muessen wir uns aber Werkzeug
ausborgen, um die Boeschung des Bachbetts, an dem der Wagen
steht, soweit abzugraben, dass wir mit der Karre durchkommen.

Wiewohl, bald weist sich, dass die Retourpiste keineswegs besser
ist - wir bleiben immer wieder stecken und muessen den
Gelaendewagen freigraben, diesmal nicht nur im Schweisse unseres
Angesichts und restlichen Koerpers, der bei knapp unter 40 Grad
reichlich fliesst, sondern ausserdem in lauwarmen Monsunschauern,
die immer wieder auf uns niederprasseln.

Nach einer Dreiviertelstunde das endgueltige Aus - die Karre
steckt unrettbar im Dreck fest. Nach mehreren Versuchen
kapitulieren wir - es sind eh nur mehr 6 km bis zum naechsten
Dorf an einer asphaltierten Strasse und mit einem
UN-Polizeiposten. Im prasselnden Regen Abmarsch dorthin (- mein
Regenponcho ist bald innen, vom Schweiss, genauso nass wie
aussen -) ueber die halb zugewachsene, glitschige Lehmpiste,
ueber die knoechelhoch das Wasser stroemt. Das naechste Mal ziehe
ich Sandalen statt der Bergschuhe an, beschliesse ich, da kann
das Wasser, das vorn hereinrinnt, wenigstens hinten wieder
hinausrinnen. Sichtweite im Nebel, der inzwischen aufgezogen ist,
10 Meter. Auch gut, sieht man nicht, wie weit die Steilhaenge
hinuntergehen, an denen wir entlangwandern.

Von den beiden Polizisten auf dem Posten ist der eine sofort
bereit, mit seinem Gelaendewagen und uns zum Auto
zurueckzufahren, um es freizuschleppen. Das stellt sich
allerdings als vergebliche Muehe heraus: Durch den Regen ist die
Piste so schluepfrig, dass wir nicht einmal zum Ort unserer Panne
kommen. Da wird wohl morgen das Kontingent portugiesischer
UN-Soldaten Hand anlegen muessen, die haben einen (angeblich fuer
diese Zwecke oft und gern benutzten) Bergepanzer. Und wir lassen
uns von der Polizei heimbringen.

*

Heute in der Frueh wird mir eine Ueberraschung zuteil, bevor wir
(diesmal in einem anderen Gelaendewagen) in unser heutiges Dorf
abfahren: Unser oberster Chef fuer diesen Wahlbezirk, ein
Osttimorese, erklaert mir, warum wir gestern steckengeblieben
sind: Wir haetten einen heiligen Platz uebersehen und ihm keine
Ehre erwiesen, das habe sich geraecht. Wir waeren nur heil
davongekommen, weil zwei unserer timoresischen Mitarbeiter
gestern "ihre Muenze geworfen" haetten, d. h. jeweils ein
Geldstueck geopfert. Und vor dem Ort, zu dem wir heute unterwegs
waeren, gebe es detto eine Staette, die von einem maechtigen
Geist bewohnt sei - wir moegen ihn mittels dreimaligen Hupens
ehren, sonst wuerden wir wieder ein Auto riskieren.

Meine franzoesische Kollegin pflichtet ihm ueberraschenderweise
bei - ja, sie kenne die Staette, dort habe es ihr voriges Jahr
ploetzlich das Lenkrad aus den Haenden gerissen, und sie waere um
Haaresbreite im Abgrund gelandet (- von diesem Unfall werden mir
in der Folge noch mehrere Leute berichten, er scheint
tatsaechlich so stattgefunden zu haben -), und als die Leute aus
dem Dorf ihr geholfen haetten, das Fahrzeug auf die Piste
zurueckzuschieben, haetten alle gesagt, eh klar, sie habe den
Geist nicht geehrt. - Kurz, als wir in unser Dorf fahren, hupen
wir, unserer Instruktionen eingedenk, dreimal an der bewussten
Stelle, ausserdem werfe ich ein paar Centmuenzen aus dem Fenster,
und wir kommen, trotz erbaermlichen Pistenzustands, unversehrt in
unserem Dorf an.

Die Informationsveranstaltung verlaeuft zu unserer vollen
Zufriedenheit, 150 Anwesende, davon immerhin ein gutes Viertel
Frauen, viele Fragen, und am Ende werden wir in die Schule
nebenan gebeten, wo ein paar Baenke zusammengeschoben und mit
einem Mahl fuer uns gedeckt worden sind.

Auf einem grossen, gekloeppelten Tischtuch, das so blendendweiss,
gestaerkt und offensichtlich alt ist, dass ich sicher bin, sie
haben es aus der Kirche fuer uns geholt, steht ein Sammelsurium
von verschiedenen Tellerchen und Tassen, sicher von verschiedenen
Familien fuer uns zusammengeborgt, und uns wird Speis und Trank
serviert: Kaffee, stark und heiss, und sehr bio (- Osttimor ist
so arm, dass es Spritz- und Duengemittel nie bis hierher
geschafft haben, was fuer die Zukunft eine interessante
Nischenoption eroeffnet -), dazu allerlei Gekochtes (- Yucca,
schmeckt wie g'schmackige Erdaepfel, Mandioca, eine andere
Wurzelfrucht, schmeckt wie fade Erdaepfel, Kochbananen, schmecken
wie halbrohe Erdaepfel -) und Gebratenes (- gebratene
Kochbananen, schmecken wie Bratkartoffeln -). Ich bin ganz
geruehrt.

Spaeter bemerke ich, dass in der Versammlungshuette nebenan noch
alle TeilnehmerInnen unserer Veranstaltung stehen und gemeinsam
etwas sprechen, was einem Vaterunser auf Tetun verdaechtig
aehnlich klingt. - Auf Nachfrage bestaetigt unser Uebersetzer,
ja, sie wuerden gerade fuer den Erfolg unser
Waehlerinformationskampagne beten, aber hinter unserem Ruecken,
weil ihnen schon so oft gesagt worden sei, Religion und Politik
haetten nichts miteinander zu tun. Was fuer Menschen - der
Ortsvorsteher wird uns bei der Verabschiedung noch sehr ans Herz
legen, auf das dreimalige Hupen fuer den Geist beim Zurueckfahren
nicht zu vergessen, und gleichzeitig beten sie hinterruecks fuer
uns Vaterunser!

Bei der Nachbesprechung im Buero stellt sich dann definitiv
heraus, dass Tetun, das nach den Plaenen der provisorischen
Regierung Portugiesisch in etwa zehn Jahren als Amtssprache
ersetzen soll, keine wahnsinnig praezise Sprache ist (- seine
Eignung als zukuenftige Amtssprache zweifle ich schon deshalb an,
weil es mit einer runden halben Million Native Speakers alles
andere als eine Weltsprache ist und keinerlei Kommunikation nach
aussen ermoeglicht in einem Land, das in absehbarer Zeit alles
von aussen brauchen wird und ueber null industrielle Produktion
verfuegt -): Jedesmal, wenn ein Minimum an Abstraktion ins
Gespraech gebracht wird (- beginnend beim anscheinend
unuebersetzbaren Wort "Erwartung" -), kippt der Uebersetzer in
ein verhunztes Portugiesisch um, dessen Ausdruecke nach
Tetun-Grammatikregeln miteinander verknuepft werden.

Offene Gespraeche auf gleicher Ebene mit konstruktiver Kritik zu
fuehren, so wie ich mir das am Anfang vorgestellt habe, ist auch
ohne die Sprachbarriere kaum moeglich: Unsere timoresischen
KollegInnen kritisieren uns bei Besprechungen nie, auch wenn wir
flehentlich darum ersuchen, nehmen aber ihrerseits (hoffentlich
konstruktive) Kritik von uns, ja, jede Art von Feedback, die
nicht uneingeschraenkt lobend ist, offensichtlich als Beleidigung
oder grobe Unhoeflichkeit, genauer als Gesichtsverlust, wahr. Der
indonesische Unterrichtsstil, in dieser Hinsicht wahrscheinlich
nicht sehr verschieden vom portugiesischen Kolonialunterricht,
aus kritiklosem Nachbeten des Vorgetragenen bestehend, spielt da
sicher mit eine Rolle: Jedesmal, wenn mensch sie um ihre Meinung
fragt, wiederholen sie, was man vorher gesagt hat, egal, ob das
als Antwort passt oder nicht. Wenn man vorher nichts gesagt hat,
haben sie keine Meinung zum Thema.

Im Verlauf der naechsten Wochen wird sich als das groesste
Hemmnis fuer unsere gemeinsame Arbeit (- abgesehen von unseren
Zwitterrollen als Kollege und Supervisor gleichzeitig, zwischen
denen es uns zerspragelt -) herauskristallisieren, dass unsere
hiesigen acht KollegInnen (ja, eine Frau ist auch darunter)
absolut unfaehig sind zum Abstrahieren, Zusammenfassen,
Analysieren und Hinterfragen - und das sind fuer mich (und wohl
nicht nur fuer mich) die Schluesselfaehigkeiten fuer einen
erfolgreichen Lernprozess. Wenn man sie bittet, ueber einen
Arbeitstag oder einen Gespraechsbeitrag zu berichten, z. B. im
Plenum, kommt eine 1:1-Nacherzaehlung ("und X hat gesagt, bla
bla, ..."), nicht einmal gerafft, von Zusammenfassung oder gar
Metaebene ganz zu schweigen.

Aber nicht nur das - zu meinem Entsetzen ist SOGAR AUS UNSEREM
TEAM niemand in der Lage, einfache Rechenaufgaben zu loesen,
Additionen und Subtraktionen, die in Oesterreich ein Schueler
einer dritten Volksschulklasse problemlos bewaeltigen wuerde. Und
unsere Leute sind die Bluete der timoresischen Jugend sozusagen,
die handverlesene Zukunft des Landes - unter ihnen mehrere
Hochschueler und sogar zwei rare Exemplare der Spezies "fertiger
Akademiker". Vielleicht steht dem Land doch nur eine Zukunft als
"eine Bananenrepublik mehr" bevor, wie boese Zungen unken....

Wenn mich derlei Ueberlegungen beschleichen, muss ich mir immer
wieder ins Gedaechtnis rufen, was diese Leute hier mitgemacht
haben in den letzten 30 Jahren (- und wohl auch davor, immerhin
war Portugal zu Zeiten der Kolonialherrschaft eine faschistische
Diktatur! -), wie viele Familienmitglieder jeder einzelne von
ihnen wohl verloren haben muss, wie traumatisiert die Menschen
sein muessen, um weniger ungeduldig zu werden mit ihren Defiziten
und dem, was ich allzuoft als "Scheissdrauf-Haltung" wahrnehme.
Aber dieses "jaja"-Sagen und dann ganz anders handeln scheint die
dominierendste (und funktionierendste!) Widerstandsstrategie
gewesen zu sein gegen die Portugiesen und Indonesier (- sonst
haetten sie auch die 25 Jahre gegen die ueberwaeltigende
indonesische Uebermacht kaum ueberlebt, obwohl, mehr als genug
HABEN sie ja nicht ueberlebt! -), und so kriegen halt nun auch
wir, die wir ebenfalls von aussen kommen und irgendwie nach
"Obrigkeit" riechen, unser Teil davon ab (wenn das auch in
Arbeitssituationen nur ein geringer Trost ist.) ###
 

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