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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 19. Maerz 2002; 20:07
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Arbeit/Gewerkschaft:

> Freie Dienstvertraege: Wie weiter?

Ein Diskussionsbeitrag

Laut einem Bericht des "WirtschaftsBlatt" vom 9. Maerz plant die
FPOeVP-Regierung die Beseitigung der Freien Dienstvertraege:
"Knalleffekt im Steuer- und Sozialversicherungsrecht: Kuenftig
soll es nur noch Selbstaendige oder Nichtselbstaendige geben.
Nachdem 1997 schon dienstnehmeraehnliche Werkvertraege begraben
wurden, soll jetzt auch der freie Dienstnehmer fallen. Grund: Die
Behoerden wollen sich nicht laenger mit der schwierigen Zuordnung
herumschlagen. Demgemaess laeuft das Aus fuer den Freien
Dienstnehmer unter dem Titel Verwaltungsvereinfachung.

Und so wird es auch verkauft. In einem inoffiziellen
Arbeitspapier an den Finanzminister heisst es: ,Eine Realisierung
bedeutet zweifelsohne eine Systembereinigung und bereits
kurzfristig eine Verwaltungsvereinfachung.' Die Arbeiterkammer
hat zwar Bedenken an der kuenftigen Zuordnung der 22.000 ,Freien'
entweder zu ASVG oder GSVG. Dennoch legt der leitende
Steuersektions-Beamte Heinrich Treer seinem Minister den Wegfall
der Freien Dienstnehmer ans Herz. Eine Stellungnahme lag bis
Redaktionsschluss nicht vor.

Mit der Einbeziehung der Werkvertraege in die Sozialversicherung
wurde per Gesetz ein jahrelang tolerierter Zustand beendet, der
weder fuer die Sozialversicherungen, die staatlichen
Institutionen (Finanzaemter) oder die Gewerkschaften
quantifizierbar war: Die Beschaeftigung von
Firmenmitarbeiter/innen, die keinerlei soziale Ansprueche hatten
und dementsprechend weder in der Lage noch Willens waren, Steuern
zu zahlen. Stattdessen wurden zwei neue Kategorien von
Lohnabhaengigen geschaffen: "Freie Dienstvertragnehmer (FD)" und
"Neue Selbstaendige". FD sind Personen, die "ohne wesentliche
eigene Betriebsmittel fuer einen Dienstgeber Dienstleistungen im
wesentlichen persoenlich erbringen und daraus ein Einkommen ueber
der Geringfuegigkeitsgrenze" beziehen und nach dem ASVG
versichert sind. "Neue Selbstaendige" sind nicht nur fuer einen
Dienstgeber taetig und werden nur dann von der Sozialversicherung
erfasst, wenn das Jahreseinkommen oeS 88.000,- (EUR 6395,-)
ueberschreitet. Hier erfolgt die Versicherung nach dem GSVG.

Laut Angaben des Hauptverbandes der Sozialversicherungsvertraeger
waren Ende 2000 oesterreichweit 23.900 Menschen FD. 13.400
Personen waren als "Neue Selbstaendige" registriert. Rund 20.000
alte Werkvertragsnehmer duerften sich im dritten und vierten
Quartal 1996 als "alte Selbstaendige" einen Gewerbeschein geloest
haben. Karl Woerister schaetzt in seiner Studie "Atypische
Beschaeftigung in Oesterreich" die Zahl der durch den Wegfall der
Werkvertraege sozialversicherungsmaessig erfassten Personen auf
insgesamt 60.000.

*Wie "atypisch" sind die "atypischen
Beschaeftigungsverhaeltnisse"?*

Seit Mitte der 80-er Jahre sind in Oesterreich markante
Veraenderungen am Arbeitsmarkt feststellbar, die synchron zu
Entwicklungen in anderen entwickelten kapitalistischen Laendern
verlaufen. Die traditionelle Aufteilung der Lohnabhaengigen in
Arbeiter/innen und Angestellte wird aufgeweicht, indem
Arbeitsplaetze geschaffen werden, die bei der Arbeitszeit, der
vertraglichen Regelung des Arbeitsverhaeltnisses und der sozialen
Absicherung der Beschaeftigten stark vom "traditionellen Modell"
abweichen. Am markantesten ist die Zunahme von
Teilzeitarbeitsmodellen, die zwar nach wie vor im Rahmen der
kollektivvertraglichen Regelungen liegen, aber de facto einer
eigene, parallele Schicht von Proletarier/innen geschaffen haben,
weil in bestimmten Branchen (Handel, persoenliche
Dienstleistungen) fast nur noch derartige Arbeitsplaetze
angeboten werden. Teilzeitarbeit ist ein weitgehend
geschlechtsspezifisches Problem: 1999 waren 87 % der
Teilzeitbeschaeftigten Frauen, bei den Vollzeitbeschaeftigten
betrug der Frauenanteil 34 %. 37 % der Arbeiterinnen sind
Teilzeitarbeitskraefte, bei den Angestelltenberufen liegt der
Anteil bei 30 %.

Diese Zahlen zeigen die Bruechigkeit der Bezeichnung "atypische
Beschaeftigung" - wenn schon mehr als ein Drittel der arbeitenden
Frauen nur Teilzeitjobs findet ist erkennbar, dass der Trend hier
eindeutig in Richtung einer "neuen Normalitaet" geht.

Dass Teilzeitarbeitskraefte "natuerlich" nur einen prozentuellen
Anteils am "Volllohn" bekommen, versteht sich von selbst. Viele
Teilzeitbeschaeftigte muessen daher noch durch Nebenjobs Geld
heranschaffen, was aber an der potentiellen Armutsgefaehrdung
wenig aendert. Fatal wird die Existenz dann, wenn auf Leistungen
aus der Sozialversicherung wie Kranken- oder Arbeitslosengeld
zurueckgegriffen werden muss, da diese Leistungen ja anteilig aus
den vorhergehenden Bezuegen berechnet werden. Ebenfalls in die
Kategorisierung "atypisch" fallen befristete Arbeitsverhaeltnisse
und Leiharbeiter. Im Schnitt der vergangenen Jahre pendelte sich
die Zahl der mit maximal einem Jahr befristeten
Arbeitsverhaeltnisse bei 130.000 ein. In der Regel werden
derartige Arbeitsvertraege jungen Arbeiter/innen und Angestellten
angeboten (oftmals beim Berufseinstieg). Am verbreitetsten ist
diese Beschaeftigungsform in den Dienstleistungsberufen.

Die Zahl der Leiharbeiter/innen stieg von 1993 bis 2000 von 8.000
auf 30.100. Auch hier ist eine geschlechtsspezifische
Besonderheit feststellbar: 75% der "ueberlassenen" Arbeitskraefte
sind maennlich, und zwar fast ausschliesslich Arbeiter. Die
Leiharbeit kann als symmetrisch zur zunehmenden Tendenz zur
"Arbeit auf Abruf" gesehen werden. Statistisch ist dieser Bereich
kaum erfassbar, laut Mikrozensus 1994 "Arbeitsbedingungen" gab es
1993 8.000 Beschaeftigte, die ausschliesslich auf Abruf
arbeiteten und 38.000, die "meistens" auf Abruf taetig waren.

Ebenfalls nur ansatzweise erfasst sind die Telearbeitsplaetze in
Oesterreich 1997 arbeiteten 11.000 Lohnabhaengige mindestens 8
Wochenstunden von zu Hause aus. Rund ein Viertel von ihnen musste
die Kosten (Telefon, Internetzugaenge) aus der eigenen Tasche
bezahlen.

*Wer sind die FD?*

FD und "Neue Selbstaendige" sind hauptsaechlich in folgenden
Bereichen zu finden: Telekommunikation, Medien, Verkehr,
Journalismus, Wissenschafter, Sozialberufe, EDV, Fortbildung.
Laut Einschaetzung des Hauptverbandes der
Sozialversicherungstraeger entsprechen 90 % der einschlaegigen
Taetigkeiten dem klassischen Angestelltenverhaeltnis.

Das Interesse der Kapitalisten an dieser Form der Beschaeftigung
ist evident: Ausserhalb kollektivvertraglicher Normen kann aus
einem breiten Potenzial hochqualifizierter Arbeitskraefte
geschoepft werden, die minimalen Sozialversicherungsabgaben
stellen die individuelle Antwort auf die "hohen Lohnnebenkosten"
in Oesterreich dar.

Da zu einem wesentlichen Teil Student/inn/en auf der Basis Freier
Dienstvertraege arbeiten (nicht zuletzt, um die Studiengebuehren
hereinzuspielen), koennen Firmen auf eine breite "Reservearmee"
zurueckgreifen und dementsprechend beschaemend niedrige Loehne
anbieten. Andererseits gibt es aber auch die Tendenz,
arbeitslosen aelteren Arbeiter/innen oder Angestellten Freie
Dienstvertraege anzubieten, was mitunter zu einem Lohnniveau
unter jenem des Arbeitslosengeldes fuehrt, aber die soziale
"Schmach" der Arbeitslosigkeit beseitigt.

Die oft mit den freien Dienstvertraegen verbundene relative
zeitliche Freizuegigkeit oder "unorthodoxe" Arbeitszeiten
verhindern haeufig die Entwicklung eines
Zusammengehoerigkeitsgefuehls oder gar der Solidaritaet zwischen
den FD eines Betriebes, geschweige denn ueber die Firmengrenzen
hinaus. Obwohl - wie oben erwaehnt - die FD von ihrer Klassenlage
her eindeutig dem Proletariat zuzuordnen sind, macht sie ihr
"Sonderstatus" anfaellig fuer alle moeglichen wirren
ideologischen Konstrukte ueber "neue Selbstaendigkeit", "autonome
Taetigkeit" oder "moderne, zeitgemaesse
Beschaeftigungsverhaeltnisse".

*FD und Gewerkschaften*

Seit vergangenem Jahr koennen sich FD im Rahmen der GPA
gewerkschaftlich organisieren und dort an einer entsprechenden
Interessensgemeinschaft (work@flex) mitarbeiten. Auch der OeGB
ist mit einer leichten Schrecksekunde auf diesen Zug
aufgesprungen und hat eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich
originellerweise "workflex" nennt.

Fuer diese Abkehr von der traditionellen Ausrichtung der
oesterreichischen Gewerkschaften, klar als solche definierbare
Arbeiter/innen und Angestellte zu organisieren, sind zwei
hauptsaechliche Gruende anzunehmen. Erstens hat die
Gewerkschaftsbuerokratie erkannt, dass durch die "neuen
Beschaeftigungsverhaeltnisse" potenziell der Gewerkschaftsarbeit
im Angestelltenbereich der Boden unter den Fuessen entzogen
werden kann/soll. Zweitens haben aus sehr subjektiven Gruenden
Kolleg/inn/en aus der GPA-Student/inn/engruppe in den internen
Strukturen Druck gemacht, sich endlich auch diesem Thema
zuzuwenden.

work@flex hat zur Zeit etwas ueber 200 Mitglieder - was bei den
echten FD einem Organisationsgrad von weniger als einem Prozent
entspricht. Ursache dafuer sind sicherlich die oben kurz
skizzierten Auswirkungen dieser spezifischen Beschaeftigungsform
auf das Klassenbewusstsein. Dazu kommen weitere Faktoren: In
extremer Weise findet der Verkauf der Ware Arbeitskraft durch die
FD auf einer voellig individualisierten Ebene statt.
Mitbewerber/innen um einen Job werden primaer als
Konkurrent/inn/en empfunden. Das Bewusstsein ueber die prekaere
soziale Absicherung foerdert Opportunismus und Anpassung
gegenueber dem Kapitalisten. Bei der Organisation von FD werden
die Gewerkschaften de facto auf eine Ebene zurueckgeworfen, die
jener der Fruehzeit der Gewerkschaftsbewegung entspricht. Zwar
kann auf die bisherigen Leistungen der Gewerkschaften Bezug
genommen werden - eine unmittelbare Antwort auf die Probleme der
FD wird jedoch (ausser dem Rechtschutz und verschiedenen
Beratungsmoeglichkeiten) nicht angeboten, womit wiederum das
Organisieren erschwert wird.

*FD - Kompromiss oder Klassenkampf*

Die zentrale OeGB-Buerokratie duerfte den heimischen Kapitalisten
die Interessen der FD auf dem Altar der Sozialpartnerschaft neu
als Dankesopfer dargebracht haben. Konkret scheint es im Rahmen
der Kompromissverhandlungen zur "Abfertigung neu" Bestandteil des
Verzetnitsch-Leitl-Paktes gewesen zu sein, dass es zu keiner
Verbesserung der sozialen Absicherung der FD kommen darf.

Dementsprechend zahnlos sind die konkreten Angebote von
work@flex: In Zusammenarbeit mit der VJV/Wr. Staedtischen
Versicherung wird den Mitgliedern eine "guenstige" private
Verdienstentgangsversicherung angeboten. Eventuelle Risiken
werden also voll "privatisiert", das Kapital, das sich den
Mehrwert aneignet, wird von jeder Versicherungszahlung entbunden.
Wie koennten Eckpunkte einer betrieblichen und gewerkschaftlichen
Gegenstrategie von einem klassenkaempferischen Standpunkt aus
aussehen? Grundsaetzlich sind wir natuerlich fuer die Umwandlung
der FD in regulaere Arbeitsverhaeltnisse. Aktuell muessen die
Rechte von FD gegen weitere Verschlechterungen ihrer Situation
verteidigt werden. Das bedeutet fuer uns:

* Die GPA in ihrer Gesamtheit muss die Regierungsplaene
zurueckweisen, FD zur "neuen Selbstaendigkeit" zu zwingen; FD
sind versteckte Angestellte, sie muessen daher alle sozialen
Rechte der Angestellten bekommen; * FD muessen ueber
Kollektivvertraege die sozialen Mindeststandards garantiert
bekommen;

* FD muessen das aktive und passive Wahlrecht bei
Betriebsratswahlen haben;

* statt individueller Pflaesterchen wie einer freiwilligen
Versicherung muessen die FD vollstaendig und ohne Abstriche in
die staatliche Sozialversicherung einbezogen werden.

Gegenueber den in Formierung befindlichen Vertretungsstrukturen
der Gewerkschaft scheinen folgende Forderungen sinnvoll:

* die demokratische Vertretung der FD in der GPA muss gesichert
sein. Entscheidungen und Beschluesse duerfen daher nur von den
direkt gewaehlten Vertreter/inn/en der FD gefasst werden, nicht
von bezahlten Gewerkschaftsfunktionaer/inn/en;

* die Bundesausschussmitglieder muessen rechenschaftspflichtig
und abwaehlbar sein;

* den Bundesausschussmitgliedern muss entsprechender Platz in der
Gewerkschaftszeitung "Kompetenz" eingeraeumt werden, wo sie oder
von ihnen eingeladene FD regelmaessig unzensiert ueber die
Probleme der FD berichten koennen;

* work@flex soll versuchen, internationale Kontakte zu Gruppen
und Initiativen herzustellen, die in ihren Laendern auf diesem
Gebiet aktiv sind, um den Kampf gegen prekaere
Arbeitsverhaeltnisse zu internationalisieren.

    *Kurt Lhotzky, Arbeitsgruppe Marxismus (gek.)*
 

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