Suedostasien:
> Gefuehle von Normalitaet
Teil II des Osttimor-Tagebuchs von ANDREAS JORDAN
Vor dem ersten Wochenende in meinem Ort, laedt mich eine
japanische Kollegin zu einem Besuch bei einem Freund am anderen
Ende der Insel, 300 km oestlich von hier, ein. Die Fahrt geht
zuerst zurueck nach Dili, dann entlang von ausgebrannten
Schulruinen ostwaerts, durch das noch immer groesstenteils
niedergebrannte Manatutu, Herkunftsort von Xanana Gusmao, in
Richtung Baucau, der zweitgroessten Stadt des Landes. Stundenlang
fahren wir durch steile, jetzt in der Regenzeit gruene
Huegelketten, gelegentlich in den Niederungen ein paar
Reisterrassen, wo man auch immer wieder Wasserbueffel sieht. An
diesen erodierten Haengen kann man keine Landwirtschaft treiben,
abgesehen vom Halten von Ziegen, die zu hunderten durch die
Landschaft und immer wieder fast ins Auto huepfen - von was leben
die Menschen hier? Die paar Kokospalmen und die Ziegen koennen
ihre Subsistenz wohl nicht sichern.
Weiter im Osten wird es trockener, keine Reisterrassen mehr,
sondern verkarstete Ebenen, Kalkgeroell, zwischen dem alle halben
Meter einmal eine erdgefuellte Spalte ist, in der eine
Kukuruzstaude steht, dazu wieder Kokospalmen. Erstaunlich, wie
karg eine Landschaft so nahe am Aequator sein kann.
In allen Orten, durch die ich gekommen bin, ist mir die Anzahl an
jungen Maennern zwischen 20 und 35, die langes Haar tragen,
aufgefallen. Da sie oft auch mit abgetragenen Uniformresten
angetan sind, nehme ich an, dass es sich um die demobilisierten
FALINTIL-Kaempfer handelt, die ihre langen Haare als Signum
tragen, so wie die "barbudos" in der Sierra Maestra ihre Baerte,
seinerzeit in Kuba.
Was mir weiters aufgefallen ist, ist die Anzahl der Nonnen hier -
dem Klima angepasst in knielangen Roecken und Sandalen, alles
Einheimische, Durchschnittsalter 25, also eine extrem junge
Kirche.
*
Am Abend stellt sich heraus, dass der gesuchte Freund gerade in
der Hauptstadt, von wo wir herkommen, ist - so geht's in einem
Land ohne Telefonnetz. Weil wir schon da sind, beschliesst meine
Kollegin, zu einem Strand, der in der Naehe liegt und schoen sein
soll, zu fahren. Ein feiner weisser Sandstrand, eingefasst von
dunklen Felswaenden, beschattet von ein paar Palmen und
Mangrovenbaeumen, an dem im letzten Tageslicht die blaugruene,
lauwarme Timorsee leckt, und gegenueber, vielleicht einen
Kilometer entfernt, eine Insel - einer der schoensten Plaetze,
die ich in meinem Leben gesehen habe. Und mit Komfort versehen -
ein ortsansaessiger Fischer, der fuer uns ein Lagerfeuer
entfacht. Nur, den auf diesem zu bratenden Fisch gibt's leider
nicht - der Fischer erklaert, dass die See heute zu rauh war,
sogar fuer sein Ausleger-Kanu, das fuer einen Einbaum extrem
stabil ist -, und so beschraenkt sich unsere Verpflegung auf eine
Handvoll Erdnuesse, bevor wir unsere Moskitonetze unter den
Mangrovenbaeumen am Strand aufbauen. Todmuede verkrieche ich mich
in meines, fuehle mich aber noch sehr davon gestoert, dass
irgendein Idiot Plastikbecher in das Lagerfeuer geworfen haben
muss, wie man allzudeutlich riecht.
Am naechsten Morgen beim Strandspaziergang faellt mir wieder der
Gestank nach verbranntem Plastik auf, obwohl jetzt ueberhaupt
kein Feuer brennt; ueberrascht stelle ich fest, dass das strenge
Odeur den viertelmeterlangen Blueten der Mangrovenbaeume entstroe
mt - und es wirkt: Die kolbenfoermigen Blueten sind schwarz vor
Insekten!
Der Heimweg, acht Stunden, ist dann aber doch lang genug, um uns
am Ende ausgesprochen distanziert gegenueberzustehen: Irgendwie,
es werd' wohl ich gewesen sein, kommt die Rede auf die
zehntausenden Frauen, die die japanische Armee im 2.Weltkrieg aus
den von ihr besetzten Laendern zwangsweise in Armeebordelle
verschleppt hat, darunter viele Minderjaehrige, von 13, 14 Jahren
aufwaerts. Und meine Kollegin meint dazu, wieso, was ich
diesbezueglich wolle, die waeren ja eh gut bezahlt worden, die
haetten kein Recht, jetzt eine Wiedergutmachung zu fordern. Mir
faellt angesichts ihrer Reaktion die Lade runter, immerhin ist
sie eine dreissigjaehrige Frau, und nicht ein 85jaehriger
ehemaliger Frontkaempfer, und vor einer halben Stunde hat sie mir
noch erklaert, "gender studies" waeren ihr Studienschwerpunkt
gewesen! - Ja, "gender studies", also "Studien zum
Geschlechter-verhaeltnis", entgegnet sie mir, aber das hiesse
nicht, dass sie radikale Feministin sei, so wie ich! (???)
Und in der Folge regt sie sich noch drueber auf, dass diese
Koreaner (Suedkorea! Von Nordkorea ist da keine Rede) alle Jahre
wieder damit ankaemen, dass endlich die Anzahl der koreanischen
Opfer als Folge der japanischen Besetzung in die jetzigen
japanischen Schulbuecher Eingang finden sollte, und dass dort
auch grausige Menschenversuche der Besatzer (a la Mengele), bei
denen tausende KoreanerInnen zu Tode gequaelt worden waren,
erwaehnt werden sollten, und wie unpassend diese koreanische
Forderung sei. - Kurz, wir kommen in relativ unentspannter
Atmosphaere an unseren Dienstort zurueck, und was uns verbindet,
duerfte der Mangel an Wunsch sein, in Zukunft sehr viel mehr als
Dienstgespraeche miteinander zu fuehren.
*
Inzwischen habe ich eine Bleibe gefunden - ein kleines Haus zehn
Minuten ausserhalb der Ortschaft, das aeusserste einer Gruppe von
zehn Haeusern fuer indonesische Bonzen, die frueher aus Dili
hierherkamen, um ihre Wochenenden zu verbringen. (Ein Exemplar
der 15% Haeuser in Osttimor, die die Indonesier bei ihrem Abzug
nicht niedergebrannt haben.)
Das Haeuschen ist voellig leer, sogar die eingeschlagenen Naegel
sind aus den Waenden gestohlen worden, die Tueren sind
aufgebrochen, einige der Fensterschloesser ebenfalls. Aber es hat
ein Dach, das gottlob nur an zwei Stellen leckt, ein gefliestes
Plumpsklo in einer Nische und daneben ein gemauertes Becken, in
das alle zwei bis drei Tage aus einer Leitung Wasser fliesst, und
aus dem ich mit einer abgeschnittenen Plastikflasche Wasser
schoepfen kann, um es mir ueber den Koerper zu giessen.
Zuallererst wird ein Tischler beauftragt, die gebrochenen
Schloesser auszuwechseln und die voellig verzogene und klemmende
Eingangstuer abzuhobeln. Dieser erscheint mit seinem Werkzeug:
einem Hammer ohne Stiel, einem abgenudelten Schraubenzieher und
einem wurmstichigen Hobel, der aussieht wie aus der Vitrine eines
Heimatmuseums ueber Handwerk im 19.Jahrhundert, und schafft es
nach diversen Visiten und mehreren Stunden nicht unbedingt
fachgerechter Taetigkeit - Schrauben mit dem Hammer einschlagen,
zum Beispiel - die Bude zumindest verschliessbar zu machen. Ich
kann einziehen.
Da es sich fuer die paar Wochen, noch dazu fuer mich allein, ohne
jemanden, der das Haus mit mir teilt, in keiner Weise lohnt,
Mobiliar zu erwerben, manifestiert sich gepflegte Haeuslichkeit
bei mir in Form eines Bambus-Lehnsessels und einer geflochtenen
Palmmatte - sonst gibt's noch mein Moskitonetz und einen quer
durchs Haus gespannten Strick, an dem ich meine Waesche
aufhaenge, um sie nicht immer voller Ameisen zu haben.
Am Abend setze ich mich im Bambussessel auf die Terrasse und sehe
mir die Gecko-Festspiele an, die allnaechtlich rund um die
Gluehlampe an der Decke stattfinden: Ein Dutzend der halb
durchsichtigen Eidechsen saust kopfunter ueber die Decke und
stellt den vom Licht angezogenen Insekten nach. Etwas groesser,
naemlich knapp mehr als spannenlang, sind meine drei
Haus-Gottesanbeterinnen, die ebenfalls allabendlich den
reichgedeckten Insektentisch auf der Terrasse frequentieren und
sich, genauso wie die Geckos, innerhalb kuerzester Zeit der Farbe
ihres Untergrundes anpassen koennen. Einmal war fuenf Tage
hintereinander Stromausfall, danach haben die Geckos merklich
abgeschlankt gewirkt. Den Gottesanbeterinnen hat man die
Fastenzeit nicht angemerkt.
Ansonsten wird hier am Abend nicht sehr viel geboten - ausser
einem: Die Faehigen moegen sich Nachrichten aus dem Internet
suchen - ich bin unfaehig und hoere Radio Oesterreich
International auf Kurzwelle, fuenf Minuten Nachrichten und eine
Viertelstunde Beitragsteil jeden Abend um zehn, und meist sogar
verstaendlich. Die vertraute Stimme des Nachrichtensprechers,
noch dazu immer zur selben Stunde, laesst Gefuehle von
Alltagsroutine und Normalitaet aufkeimen. Der Mensch ist halt
doch ein Gewohnheitsviech. ###
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