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Aussendungszeitpunkt:  Dienstag,  19.02.2002
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Oel,Sharon und die Achse des Boesen

>Das Grosse Spiel
Vor einigen Wochen geschah etwas Merkwuerdiges: Israel entdeckte,
dass Iran der Grosse Satan ist. Es geschah ganz ploetzlich. Es
gab keine frueheren sensationellen Nachrichten, keine neue
Entdeckung.

Wie auf das Kommando eines Ausbildungsoffiziers wechselte die
ganze israelische Phalanx die Richtung. Alle Politiker, alle
Generaele, die ganze Reihe der angeworbenen Medien, mit der
ueblichen Unterstuetzung durch eigens angeheuerte
Wissenschaftler, sie alle entdeckten ueber Nacht, dass der Iran
die aktuelle, reale und schreckliche Gefahr ist.

Durch einen wundersamen Zufall wurde in genau demselben Moment
ein Schiff aufgebracht, das, angeblich, iranische Waffen zu
Arafat transportieren sollte. Und in Washington sprach Shimon
Peres, ein Mann fuer alle Jahreszeiten und Diener aller Herrren,
jeden vorbeikommenden Diplomaten an, um ihm Geschichten zu
erzaehlen ueber die Tausende von iranischen Raketen, die der
Hisbollah zur Verfuegung gestellt worden seien. Ja, ja, die
Hisbollah (von Praesident Bush in die Liste der "terroristischen
Organisationen" aufgenommen) bekommt schreckliche Waffen von Iran
(von Praesident Bush in die "Achse des Boesen" eingereiht) um
Israel damit zu bedrohen, den Liebling des amerikanischen
Kongresses.

Klingt das verrueckt? Ueberhaupt nicht. In diesem Wahnsinn steckt
Methode.

An der Oberflaeche ist die Sache leicht zu erklaeren. Amerika ist
immer noch im Zustand von Aufregung und Zorn nach dem Verbrechen
an den Zwillingstuermen des World Trade Center. Es hat einen
aussergewoehnlichen Sieg in Afghanistan errungen, kaum ein
amerikanischer Soldat musste dafuer geopfert werden. Jetzt ist es
erregt und siegestrunken und weiss nicht, wen es als naechstes
angreifen soll. Irak? Nordkorea? Somalia? Sudan?

Praesident Bush kann nun nicht mit dem Krieg aufhoeren, denn
diese immense Konzentration von Macht kann nicht einfach zur
Seite gelegt werden. Umso weniger, als Osama Bin-Laden nicht
getoetet wurde. Dazu kommt, dass die oekonomische Situation sich
verschlechtert hat und ein gigantischer Skandal (Enron)
Washington erschuettert. Die amerikanische Oeffentlichkeit soll
keine Moeglichkeit bekommen, darueber nachzudenken.

Daher kommen die israelischen politischen Fuehrer und rufen es
von den Daechern: Iran ist der Feind, Iran muss angegriffen
werden.

Wer hat das entschieden? Wann, wie? Und am wichtigsten - wo?
Klarerweise nicht in Jerusalem, sondern in Washington DC. Ein
wichtiger Teil der US-Regierung hat Israel ein Zeichen gegeben:
Startet eine massive politische Kampagne, um Druck auf den
Kogress auszuueben, auf die Medien und auf die amerikanische
Oeffentlichkeit.

Wer sind diese Leute? Was wollen sie? Eine ausfuehrlichere
Erklaerung ist notwendig:

Die meistbegehrte Ressource der Welt ist das gigantische Oelfeld
im Bereich des Kaspischen Meeres, das im Ausmass wetteifert mit
den entsprechenden Besitztuemern in Saudi-Arabien. Im Jahr 2010
sollen erwartungsgemaess 3,2 Milliarden Faesser Rohoel pro Tag
gefoerdert werden, zusaetzlich zu 4850 Milliarden Kubikfuss
Erdgas pro Jahr.

Die Vereinigten Staaten sind fest entschlossen a) diese
Reichtuemer in Besitz zu nehmen, b) alle potentiellen Mitbewerber
zu eliminieren, c) das ganze Gebiet politisch und militaerisch zu
bewachen und d) einen Transportweg von den Oelfeldern zum Meer zu
errichten.

Diese Kampagne wird angefuehrt von einer Gruppe von "Oil people",
zu der die Bush-Familie gehoert. Gemeinsam mit der
Militaerindustrie hat diese Gruppe die Wahl von George Bush
senior und seinem Sohn George W. Bush durchgesetzt. Der
Praesident ist ein einfacher Mann, seine geistige Welt ist eng
und seine Aeusserungen sind primitiv, bis zur Karikatur, wie in
einem zweitklassigen Western. Das ist fuer die Massen gedacht.
Aber seine Fuehrer sind sehr raffinierte Leute. Sie sind es, die
die Regierung in der Hand haben.

Der Anschlag auf die Zwillingstuerme erleichterte ihnen den Job.
Osama Bin Laden verstand nicht, dass seine Taten in Wahrheit den
amerikanischen Interessen dienten. Wenn ich an
Verschwoerungstheorien glaubte, wuerde ich annehmen, dass Bin
Laden ein amerikanischer Agent sei. Da ich keiner bin, kann ich
mich ueber diesen Zufall nur wundern.

Bushs Krieg gegen den Terrorismus ergibt einen perfekten Vorwand
fuer die Kampagne seiner Fuehrer. Unter dem Vorwand dieses
Krieges hat Amerika die totale Kontrolle ueber die drei kleinen
muslimischen Nationen erlangt, deren Gebiet nahe bei den
Oelreserven liegt: Turkmenistan, Usbekistan und Kirgisistan. Die
ganze Region steht nun voellig unter amerikanischer
politisch-militaerischer Herrschaft. Alle moeglichen Rivalen -
einschliesslich Russland und China - sind hinausgeworfen worden.

Schon seit langem haben die Amerikaner unter sich die besten
Routen fuer den Transport dieses Oels zum offenen Meer eroertert.
Wege, die unter russischem Einfluss gestanden haetten, wurden
eliminiert. Der toedliche Wettstreit des 19. Jahrhunderts
zwischen England und Russland, damals "Great Game" genannt, geht
weiter - zwischen Amerika und Russland.

Bis vor kurzem erschien die westliche Route ueber das Schwarze
Meer und die Tuerkei am besten durchfuehrbar, aber die Amerikaner
wollten sie nicht gern, gelinde gesagt: Russland ist viel zu nah.

Die beste Route fuehrt nach Sueden, zum Indischen Ozean. An Iran
war noch nicht einmal gedacht worden, da es von fanatischen
Islamisten regiert wird. Uebrig blieb die alternative Route: vom
Kaspischen Meer durch Afghanistan und den westlichen Teil von
Pakistan (Belutschistan) zum indischen Ozean.

Zu diesem Zweck fuehrten die Amerikaner, immer sehr im Stillen,
Verhandlungen mit dem Taliban-Regime. Das blieb fruchtlos. Dann
wurde der "Krieg gegen den Terrorismus" gestartet, die USA
eroberten ganz Afghanistan und installierten ihre Agenten als
neue Regierung. Auch der pakistanische Diktator wurde dem
amerikanischen Willen gefuegig gemacht.

Wenn man die Karte der grossen amerikanischen Militaerbasen
anschaut, die fuer den Krieg geschaffen wurden, wird einem
schockartig die Tatsache klar, dass sie voellig identisch sind
mit dieser Route der projektierten Oel-Pipeline zum Indischen
Ozean.

Das haette das Ende der Geschichte sein koennen, aber der Appetit
waechst mit dem Essen. Die Amerikaner haben zwei Lehren aus der
Afghanischen Erfahrung gezogen: a) dass jedes Land mittels
intelligenten Bomben unterworfen werden kann, ohne dass Soldaten
gefaehrdet werden, und b) dass Amerika durch militaerische
Staerke und Geld ueberall botmaessige Regierungen installieren
kann.

So entstand eine neue Idee in Washington: Warum soll man eine
lange Pipeline rund um Iran legen wenn man eine viel kuerzere
durch Iran selbst legen koennte? Man muesste nur das
Ajatollah-Regime stuerzen und eine neue proamerikanische
Regierung installieren. In der Vergangenheit erschien dies
unmoeglich. Nun, nach der Erfahrung mit Afghanistan, erscheint es
sehr praktikabel. Es ist nur noch die oeffentliche Meinung in
Amerika vorzubereiten und die Unterstuetzung des Kongresses fuer
einen Angriff auf Iran zu gewinnen.

Dafuer werden Israels gute Dienste benoetigt. Es hat einen
enormen Einfluss auf den Kongress und die Medien. Es funktioniert
so: Israelische Generaele erklaeren jeden Tag, dass Iran
Massenvernichtungsmittel produziert und den juedischen Staat mit
einem zweiten Holocaust bedroht.

Sharon erklaert, dass die Kaperung des iranischen Waffenschiffes
beweist, dass Arafat Teil der iranischen Verschwoerung ist. Peres
erzaehlt jedem, dass iranische Raketen die ganze Welt bedrohen.
Jeden Tag berichtet eine Zeitung ihren Lesern, dass Bin Laden
sich in Iran oder bei der Hisbollah in Libanon aufhaelt.

Praesident Bush weiss denjenigen Dank, die ihn gut bedienen.
Sharon bekam freie Hand, die Palaestinenser zu unterdruecken,
Arafat einzusperren, palaestinensische Kaempfer zu ermorden und
die Siedlungen auszuweiten. Es ist ein einfacher Deal: Du
beschaffst die Unterstuetzung des Kongresses und der Medien, ich
serviere die Palaestinenser auf einer Platte.

Das koennte nicht geschehen, wenn die Amerikaner auf Alliierte in
Europa und in der Arabischen Welt angewiesen waeren. Aber in
Afghanistan haben die Amerikaner gelernt, dass sie ueberhaupt
niemanden sonst brauchen. Sie koennen den armen arabischen
Regierungen, die immer um Geld bitten, ins Gesicht spucken und
die europaeischen Staaten alle miteinander missachten. Wer
braucht die vernachlaessigenswerten Armeen von England oder
Deutschland, wenn Amerika allein maechtiger ist als alle Armeen
der Welt zusammengenommen?

Die Idee der amerikanisch-israelischen Kooperation gegen den Iran
ist nicht neu fuer Sharon. Im Gegenteil, 1981, als er gerade zum
Verteidigungsminister ernannt worden war, bot er dem Pentagon
einen gewagten Plan an: fuer den Fall von Khomeinis Tod wuerde
die israelische Armee sofort Iran besetzen, um der Sowjetunion
zuvorzukommen. Die IDF (d.i. die Armee) wuerde das Land den
langsamer naeherrueckenden Amerikanern uebergeben, wenn sie es
erreicht haetten. Zu diesem Zweck sollte das Pentagon die
entwickeltsten Waffen in Israel horten, unter amerikanischer
Kontrolle, bis sie in dieser Operation verwendet werden koennten.

Das Pentagon hat diese Idee damals nicht angenommen. Nun ist vor
einem anderen Hintergrund diese Kooperation zustandegekommen.

Welche Schlussfolgerungen sollen wir daraus ziehen?

Erstes, dass wir (Israelis) an der Front dieses kuenftigen
Krieges stehen werden. Eine iranische Antwort auf einen
amerikanischen Angriff koennte uns schwer treffen. Es gibt
Raketen in Iran, es gibt chemische und biologische Waffen.

Zweitens, dass diejenigen von uns, die einen
Israelisch-palaestinensischen Frieden wuenschen, nicht auf
Amerika bauen koennen. Jetzt haengt alles nur von uns allein ab,
den Israelis und den Palaestinensern. Unser Blut ist kostbarer
als das Oel des Kaspischen Meeres. Fuer uns jedenfalls.

*Uri Avnery / Uebers.: akin*

Originaltext: URL  W³.counterpunch.com
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