**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
 **********************************************************
Aussendungszeitpunkt:  Dienstag,   12.02.2002
**********************************************************
Recht:
>Gericht ohne Vordereingang
Ueber die Schwierigkeiten, im
            Rechtsstaat die
            Verfassung
durchzusetzen
Justizminister Boehmdorfer
            will also den Verfassungsgerichtshof
reformieren - angeblich
            "unabhaengig von der tagesaktuellen
Debatte" laut dem
            Pressedienst seiner Partei: "Es geht bei der
Reformdebatte nicht
            darum, eine Institution grundsaetzlich in
Frage zu stellen
            sondern darum, notwendige Verbesserungen
einzufuehren und wie in
            anderen Laendern auch rechtspolitischen
Entwicklungen Rechnung zu
            tragen."
Wenn er jedoch ehrlich ist, geht es ja doch
            um
Anlassgesetzgebung. Denn in Oesterreich wird selten ein
            Gesetz
nur deswegen geaendert, weil es irgendwelchen
            Prinzipien
widerspricht, sondern meistens dann, wenn es Wickel
            damit gibt
und es einer Regierungsmehrheit aktuell in den Kram
            passt.
Prinzipiell ist gegen Anlassgesetzgebung als solche gar
            nichts zu
sagen - wenn sie eben nicht gerade einem
            billigen
Publicity-Erfolg oder dem Machterhalt dient.
Denn
            tatsaechlich koennte man das jetzt Vorgefallene dazu
verwenden,
            die Verfassungsgerichtsbarkeit zu ueberdenken. Was
naemlich in
            der ganzen Debatte um den Ortstafelentscheid deutlich
sichtbar
            geworden ist, ist ein ganz anderes Problem.
Der VfGH kann
            nichts von sich aus entscheiden, wenn keine Klage
vorliegt. Denn
            es ist beim VfGH nicht anders als bei anderen
Gerichtshoefen - wo
            kein Klaeger, da kein Richter. Das ist auch
ganz vernuenftig so,
            da sich der VfGH sonst in jeder Frage
einfach von sich aus als
            Gesetzgeber betaetigen koennte, was
jenseits jeglichen
            Gewaltenteilungsprinzips liegt. Speziell aus
der Geschichte des
            VfGH ist das besonders gut verstaendlich,
diente er doch bis 1975
            lediglich dazu, bei Streitigkeiten
innerhalb staatlicher
            Insti-tutionen klaerend einzugreifen. Das
heisst, das Verhalten
            eines Amtstraegers oder auch ein Gesetz
wurden erst dann
            geprueft, wenn staatliche Autoritaeten
unterschiedlicher
            Rechtsauffassung waren, eben zum Besipiel bei
weisungswidrigen
            Verordnungen eines Landeshauptmannes im Dissens
mit der
            Bundesregierung oder bei Kompetenzkonflikten von
Behoerden oder
            Gerichten. Damit diente der VfGH nicht zur
Absicherung eines
            verfassungsgemaessen Rechtsbestandes, sondern
lediglich als
            Schiedsrichter, um den Rechtsfrieden aufrecht zu
erhalten. Mit
            der Aera Broda kam aber die Moeglichkeit
            der
Individualbeschwerde, d.h. wenn ein einzelner Buerger der
            Meinung
war, er wuerde durch einen Rechtsakt ungebuehrlich
            behandelt, da
dieser Rechtsakt nicht mit der Verfassung konform
            sei, konnte er
den VfGH anrufen. Jedoch die Zugehoerigkeit zu
            einer Minderheit
allein, wie im gegenstaendlichen Fall, ist nicht
            ausreichend,
Parteienstellung und damit eine Klagsmoeglichkeit
            fuer ein
Verfahren zu erhalten, um einen verfassungskonformen
            Zustand im
Minderheitenrecht herzustellen. Das fuehrte dazu, dass
            erst ein
Rechtsanwalt mit ueberhoehter Geschwindigkeit durch
            einen Ort
brettern musste, um das Verfahren in Gang zu bringen.
            Denn die
Tatsache, dass ein Ort beginnt - und damit
            die
Geschwindigkeitsbegrenzung fuer Ortsgebiet -, ist erst durch
            das
Aufstellen der Ortstafel rechtlich gesichert. Und erst
            damit
gelangte die Ortstafel und ihre Rechtsmaessigkeit in
            juristische
Griffweite. Die prinzipielle Verfassungswidrigkeit
            dieser Tafel
stand hingegen indirekt bereits seit dem Jahr 2000
            fest, als der
VfGH entschied, dass die 25%-Marke fuer die
            Gewaehrung von
Minderheitenrechten gewaehrleistet ist - nur da es
            in diesem
Urteil nur um die Gemeindebezeichnung in offiziellen
            Unterlagen
und nicht speziell um Ortstafeln ging, konnte jetzt
            erst der
Gerichtshof auch in dieser Angelegenheit in Berufung auf
            sein
damaliges Urteil entscheiden.
Um 7 Ecken
Jetzt
            muss man aber schon sagen, dass
            eine
Geschwindigkeitsbeschraenkung und die Gewaehrung von
            Rechten
ethnischer Minderheiten Rechtsmaterien sind, die fuer
            einen
einigermassen logisch denkenden Menschen eigentlich nicht
            viel
miteinander zu tun haben. Diese Art eine Fahrkarte
            zum
Hoechstgericht zu loesen, ist schon eine sehr phantasievolle
            und
auch aeussert rabiate Art und Weise. Immerhin, es
            hat
funktioniert, was macht man aber in Rechtsfaellen, wo man
            keine
Moeglichkeit eines solchen juristischen Winkelzugs
            findet?
Aehnlich stellt sich jetzt die Frage, wie der LH von
            Kaernten
dazu zu zwingen ist, rechtskonforme Weisungen zu
            erteilen. Denn
eine solche Klage kann bekanntermassen (siehe akin
            3/2001) nur
von der Bundesregierung eingebracht werden. Wenn
            diese das nicht
tut, kann sie wiederum nur vom Nationalrat zur
            Verantwortung
gezogen werden. Das wird aufgrund der in der
            Verfassung so
festgelegten Verflochtenheit mit der
            Bundesregierung nicht
passieren und solange die Vizekanzlerin und
            der Kaerntner LH der
selben Partei angehoeren, wird diese
            Regierung nicht von sich aus
taetig werden. Das heisst: Es
            existiert hier eine eindeutige
Rechtslage, die von einem LH
            ignoriert wird - dennoch ist dieses
Recht nicht einklagbar, da
            kein Klaeger vorhanden ist.
Ebenso gilt, dass die
            Bundesregierung die vom VfGH aufgehobene
Bundesverordnung auch
            tatsaechlich aendern muss. Ob sie das aber
auch tatsaechlich tun
            wird, bleibt abzuwarten. Denn "muessen"
muss sie nur in dem
            Sinne, das sie gesetzlich dazu verpflichtet
ist. Ignoriert sie
            das aber, kann sie wieder nur der Nationalrat
zur Anklage
            bringen. Das heisst, die einzige rechtliche
Moeglichkeit, das
            Recht durchzusetzen, waere, dass der
Bundespraesident von seinen
            besonderen Rechten Gebrauch machen
wuerde - was einerseits eine
            eklatante Staatskrise hervorrufen
koennte und andererseits
            ueberhaupt nicht in den Usancen der
oesterreichischen
            Praesidentschaftspraktik liegt. Wenn der BP
aber nicht handelt,
            steht keine weitere
Rechtsdurchsetzungsmoeglichkeit mehr zur
            Verfuegung.
Ein Fall fuer den "Volks-Staatsanwalt"?
Im
            Strafrecht existiert der Begriff des Offizialdelikts, d.h.
eine
            Anklagebehoerde - der Staatsanwalt - kann und muss bei
bestimmten
            Vergehen von Amts wegen taetig werden. Dieser nimmt
eine Anzeige
            entgegen und prueft, ob die vorhandenen
Verdachtsmomente zu einer
            Klage ausreichen. Im Verfassungsrecht
existiert so etwas nicht,
            doch waere das wohl ueberdenkenswert.
Wenn man so etwas aber
            wollte, waere darauf zu achten, dass die
Schaffung eines solchen
            "Staatsanwalts" so aussehen muesste, dass
dabei eine
            Weisungsungebundenheit gewaehrleistet ist.
Aber egal wie,
            wenn hier tatsaechlich etwas nach Reform schreit,
dann muss vor
            allem der Zugang zu den Hoechstgerichten
erleichtert oder
            zumindest anders geregelt werden. Denn bei
            aller
Missbrauchsgefahr ist nicht einzusehen, warum einerseits
            ein
Minderheitsangehoeriger erst zu schnell durch eine
            Ortschaft
brausen muss, um verfassungswidrige Ortstafeln
            einklagen zu
koennen, und andererseits einem Landeshauptmann
            erlaubt wird,
rechtswidrige Verordnungen zu erlassen, nur weil
            die
Bundesregierung ihm gut gesonnen ist. Ob dieser Missstand
            durch
eine Schaffung einer eigenen weisungsungebundenen
            Klagebehoerde,
ein erweitertes Individualklagsrecht oder die
            Erweiterung der
Parteienstellung von Interessensvertretungen
            beseitigt wird,
waere dabei sekundaer. Primaer interessant ist,
            inwiefern der
buergerliche Rechtsstaat das Gesaeusel seiner
            Sonntagsredner
selbst ernst nimmt.
Dass die Regierung -
            und speziell diese - das nicht tut, ist
schon verstaendlich. Es
            ergibt sich daher ein weites Feld fuer
die inner- und
            ausserparlamentarische Opposition.
*Bernhard
            Redl*
**********************************************************
            'akin - aktuelle informationen'
wipplingerstrasze 23/20
a-1010 wien
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
fax: ++43 (0222) 535-38-56
e-mail:akin.büro@gmx.at
Domain:http://akin.mediaweb.at
Bank Austria, BLZ 12000,223-102-976/00, Zweck: akin