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Aussendungszeitpunkt:  Dienstag,   12.02.2002
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Recht:

>Gericht ohne Vordereingang
Ueber die Schwierigkeiten, im Rechtsstaat die Verfassung
durchzusetzen


Justizminister Boehmdorfer will also den Verfassungsgerichtshof
reformieren - angeblich "unabhaengig von der tagesaktuellen
Debatte" laut dem Pressedienst seiner Partei: "Es geht bei der
Reformdebatte nicht darum, eine Institution grundsaetzlich in
Frage zu stellen sondern darum, notwendige Verbesserungen
einzufuehren und wie in anderen Laendern auch rechtspolitischen
Entwicklungen Rechnung zu tragen."

Wenn er jedoch ehrlich ist, geht es ja doch um
Anlassgesetzgebung. Denn in Oesterreich wird selten ein Gesetz
nur deswegen geaendert, weil es irgendwelchen Prinzipien
widerspricht, sondern meistens dann, wenn es Wickel damit gibt
und es einer Regierungsmehrheit aktuell in den Kram passt.
Prinzipiell ist gegen Anlassgesetzgebung als solche gar nichts zu
sagen - wenn sie eben nicht gerade einem billigen
Publicity-Erfolg oder dem Machterhalt dient.

Denn tatsaechlich koennte man das jetzt Vorgefallene dazu
verwenden, die Verfassungsgerichtsbarkeit zu ueberdenken. Was
naemlich in der ganzen Debatte um den Ortstafelentscheid deutlich
sichtbar geworden ist, ist ein ganz anderes Problem.

Der VfGH kann nichts von sich aus entscheiden, wenn keine Klage
vorliegt. Denn es ist beim VfGH nicht anders als bei anderen
Gerichtshoefen - wo kein Klaeger, da kein Richter. Das ist auch
ganz vernuenftig so, da sich der VfGH sonst in jeder Frage
einfach von sich aus als Gesetzgeber betaetigen koennte, was
jenseits jeglichen Gewaltenteilungsprinzips liegt. Speziell aus
der Geschichte des VfGH ist das besonders gut verstaendlich,
diente er doch bis 1975 lediglich dazu, bei Streitigkeiten
innerhalb staatlicher Insti-tutionen klaerend einzugreifen. Das
heisst, das Verhalten eines Amtstraegers oder auch ein Gesetz
wurden erst dann geprueft, wenn staatliche Autoritaeten
unterschiedlicher Rechtsauffassung waren, eben zum Besipiel bei
weisungswidrigen Verordnungen eines Landeshauptmannes im Dissens
mit der Bundesregierung oder bei Kompetenzkonflikten von
Behoerden oder Gerichten. Damit diente der VfGH nicht zur
Absicherung eines verfassungsgemaessen Rechtsbestandes, sondern
lediglich als Schiedsrichter, um den Rechtsfrieden aufrecht zu
erhalten. Mit der Aera Broda kam aber die Moeglichkeit der
Individualbeschwerde, d.h. wenn ein einzelner Buerger der Meinung
war, er wuerde durch einen Rechtsakt ungebuehrlich behandelt, da
dieser Rechtsakt nicht mit der Verfassung konform sei, konnte er
den VfGH anrufen. Jedoch die Zugehoerigkeit zu einer Minderheit
allein, wie im gegenstaendlichen Fall, ist nicht ausreichend,
Parteienstellung und damit eine Klagsmoeglichkeit fuer ein
Verfahren zu erhalten, um einen verfassungskonformen Zustand im
Minderheitenrecht herzustellen. Das fuehrte dazu, dass erst ein
Rechtsanwalt mit ueberhoehter Geschwindigkeit durch einen Ort
brettern musste, um das Verfahren in Gang zu bringen. Denn die
Tatsache, dass ein Ort beginnt - und damit die
Geschwindigkeitsbegrenzung fuer Ortsgebiet -, ist erst durch das
Aufstellen der Ortstafel rechtlich gesichert. Und erst damit
gelangte die Ortstafel und ihre Rechtsmaessigkeit in juristische
Griffweite. Die prinzipielle Verfassungswidrigkeit dieser Tafel
stand hingegen indirekt bereits seit dem Jahr 2000 fest, als der
VfGH entschied, dass die 25%-Marke fuer die Gewaehrung von
Minderheitenrechten gewaehrleistet ist - nur da es in diesem
Urteil nur um die Gemeindebezeichnung in offiziellen Unterlagen
und nicht speziell um Ortstafeln ging, konnte jetzt erst der
Gerichtshof auch in dieser Angelegenheit in Berufung auf sein
damaliges Urteil entscheiden.

Um 7 Ecken

Jetzt muss man aber schon sagen, dass eine
Geschwindigkeitsbeschraenkung und die Gewaehrung von Rechten
ethnischer Minderheiten Rechtsmaterien sind, die fuer einen
einigermassen logisch denkenden Menschen eigentlich nicht viel
miteinander zu tun haben. Diese Art eine Fahrkarte zum
Hoechstgericht zu loesen, ist schon eine sehr phantasievolle und
auch aeussert rabiate Art und Weise. Immerhin, es hat
funktioniert, was macht man aber in Rechtsfaellen, wo man keine
Moeglichkeit eines solchen juristischen Winkelzugs findet?

Aehnlich stellt sich jetzt die Frage, wie der LH von Kaernten
dazu zu zwingen ist, rechtskonforme Weisungen zu erteilen. Denn
eine solche Klage kann bekanntermassen (siehe akin 3/2001) nur
von der Bundesregierung eingebracht werden. Wenn diese das nicht
tut, kann sie wiederum nur vom Nationalrat zur Verantwortung
gezogen werden. Das wird aufgrund der in der Verfassung so
festgelegten Verflochtenheit mit der Bundesregierung nicht
passieren und solange die Vizekanzlerin und der Kaerntner LH der
selben Partei angehoeren, wird diese Regierung nicht von sich aus
taetig werden. Das heisst: Es existiert hier eine eindeutige
Rechtslage, die von einem LH ignoriert wird - dennoch ist dieses
Recht nicht einklagbar, da kein Klaeger vorhanden ist.

Ebenso gilt, dass die Bundesregierung die vom VfGH aufgehobene
Bundesverordnung auch tatsaechlich aendern muss. Ob sie das aber
auch tatsaechlich tun wird, bleibt abzuwarten. Denn "muessen"
muss sie nur in dem Sinne, das sie gesetzlich dazu verpflichtet
ist. Ignoriert sie das aber, kann sie wieder nur der Nationalrat
zur Anklage bringen. Das heisst, die einzige rechtliche
Moeglichkeit, das Recht durchzusetzen, waere, dass der
Bundespraesident von seinen besonderen Rechten Gebrauch machen
wuerde - was einerseits eine eklatante Staatskrise hervorrufen
koennte und andererseits ueberhaupt nicht in den Usancen der
oesterreichischen Praesidentschaftspraktik liegt. Wenn der BP
aber nicht handelt, steht keine weitere
Rechtsdurchsetzungsmoeglichkeit mehr zur Verfuegung.

Ein Fall fuer den "Volks-Staatsanwalt"?

Im Strafrecht existiert der Begriff des Offizialdelikts, d.h.
eine Anklagebehoerde - der Staatsanwalt - kann und muss bei
bestimmten Vergehen von Amts wegen taetig werden. Dieser nimmt
eine Anzeige entgegen und prueft, ob die vorhandenen
Verdachtsmomente zu einer Klage ausreichen. Im Verfassungsrecht
existiert so etwas nicht, doch waere das wohl ueberdenkenswert.
Wenn man so etwas aber wollte, waere darauf zu achten, dass die
Schaffung eines solchen "Staatsanwalts" so aussehen muesste, dass
dabei eine Weisungsungebundenheit gewaehrleistet ist.

Aber egal wie, wenn hier tatsaechlich etwas nach Reform schreit,
dann muss vor allem der Zugang zu den Hoechstgerichten
erleichtert oder zumindest anders geregelt werden. Denn bei aller
Missbrauchsgefahr ist nicht einzusehen, warum einerseits ein
Minderheitsangehoeriger erst zu schnell durch eine Ortschaft
brausen muss, um verfassungswidrige Ortstafeln einklagen zu
koennen, und andererseits einem Landeshauptmann erlaubt wird,
rechtswidrige Verordnungen zu erlassen, nur weil die
Bundesregierung ihm gut gesonnen ist. Ob dieser Missstand durch
eine Schaffung einer eigenen weisungsungebundenen Klagebehoerde,
ein erweitertes Individualklagsrecht oder die Erweiterung der
Parteienstellung von Interessensvertretungen beseitigt wird,
waere dabei sekundaer. Primaer interessant ist, inwiefern der
buergerliche Rechtsstaat das Gesaeusel seiner Sonntagsredner
selbst ernst nimmt.

Dass die Regierung - und speziell diese - das nicht tut, ist
schon verstaendlich. Es ergibt sich daher ein weites Feld fuer
die inner- und ausserparlamentarische Opposition.

*Bernhard Redl*

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