Arbeit/Wirtschaft/und Soziales/Kommentar:
> Semperit vor dem Ende
Ein gewerkschaftliches Lehrstueck
Zwei zufaellige Ereignisse, die sich fast zeitgleich ereignen: Am
5. Dezember 2001 stirbt der Langzeitpraesident des OeGB, Anton
Benya, im 90. Lebensjahr. 24 Jahre [!], von 1963 bis 1987, stand
er an der Spitze der oesterreichischen Gewerkschaften. Am 6.
Dezember verkuendet Continental-Vorstandsmitglied Hans-Joachim
Nikolin bei einer ueberraschend einberufenen Pressekonferenz in
Wien das "Aus" fuer Semperit Traiskirchen.
Der Verkauf von Semperit durch die damals noch verstaatlichte CA
an den Conti-Konzern machte das einstige Paradeunternehmen der
oesterreichischen Industrie zur verlaengerten Werkbank des zur
Weltspitze zaehlenden Reifenproduzenten. Sechs Jahre zuvor hatten
die Reifenwickler in einem wilden Streik noch weitgehend die
Erhaltung ihres Lohnniveaus erzwingen koennen - dass der seitens
der Reifenwickler gefuehrte Streik nur mit einem Teilsieg endete
und sich abzeichnende "Rationalisierungsschritte" nicht
verhindern hatte koennen, lag teilweise in der unmittelbaren
Verantwortung von OeGB-Praesident Benya.
In einem emotionalen Gipfelgespraech im Parlament in Wien zwang
er den Semperit-Betriebsraeten, die sich auf einen fast
einstimmigen Streikbeschluss stuetzen konnten, eine
Kompromissloesung auf, die zwar den Lohnforderungen zu 90 %
nachkam, einen Neun-Punkte-Strukturplan der damaligen
Geschaeftsleitung jedoch aus den Verhandlungen herausnahm. Nur
ein Jahr nach Streikende (11. Mai 1978) akzeptierte
Betriebsratsobmann Obermeyer die beruechtigten "Freischichten"
und wirkte am Rationalisierungsprogramm der Geschaeftsfuehrung
mit.
Auch ein Verbleib Semperits in "oesterreichischen Haenden" haette
freilich wenig am ab 1990 beginnenden Personalabbau geaendert: Ob
oesterreichischer, deutscher, belgischer, britischer oder
US-amerikanischer Kapitalist - was zaehlt, sind die Profite, die
Dividenden...
Konzernweit kuendigte Conti zwischen 1990 und 1994 12.000
Arbeiter/inn/en. Die offiziellen Zahlen des Konzerns (Reduktion
der Mitarbeiter/innen von 51.000 auf 49.000) ist gefaelscht -
waehrend in Deutschland, Oesterreich und Belgien massive
Entlassungswellen die Fabrikshallen leerfegen, werden in
europaeischen Billiglohnlaendern wie Portugal und vor allem in
Osteuropa neue Werke aufgesperrt...
1984 zahlte Conti der CA gerade 400 Millionen Schilling fuer das
Semperit-Werk in Traiskirchen. In 17 Jahren flossen im Gegenzug 6
Milliarden Schilling in die Konzernzentrale nach Hannover.
Die 1992 begonnene Filetierung des Werks - 1992: Verlegung der
Fahrradreifenproduktion nach Thailand; 1994: Schliessung der
Entwicklungsabteilung; 1996: Kuendigung von 900 Mitarbeitern; ab
1999: Umschichtung der Produktion in die osteuropaeischen
Standorte - war nicht zu verhindern, weil der OeGB mit seinem
nationalistischen Konzept der Standortsicherung und seinem
Beharren auf "sozialpartnerschaftliche Loesungen" eine voellig
illusorische Politik verfolgte.
So wurden Streiks an anderen Conti-Standorten nicht unterstuetzt;
statt zu versuchen, eine Internationalisierung des Kampfes gegen
die Rationalisierungspolitik des Conti-Vorstandes zu erreichen
und sich vor allem auch fuer die Rechte und Lohnforderungen der
Kolleg/inn/en in Rumaenien und Tschechien, in der Tuerkei, in
Thailand und Mexiko einzusetzen, liessen sich OeGB und
Betriebsrat scheibchenweise immer ein paar hundert Arbeitsplaetze
wegverhandeln, um nur ja "den Standort" zu sichern.
Mit allen Mitteln hielt man die latente Empoerung in Traiskirchen
unter Kontrolle - nur ja nicht wieder streiken, nur ja keine
Konfrontation. Sehenden Auges gingen die "Arbeitervertreter" in
die Katastrophe, oder, besser gesagt: sie rutschten auf Knien in
sie hinein...
> Erfolgreicher Widerstand gegen Conti in den USA
Dass Arbeiter/innen gegen einen Multi wie Continental nicht
wehrlos sein muessen, haben 1998/99 die Arbeiter im Conti-Werk
von Charlotte, North Carolina, in einem hart gefuehrten
einjaehrigen Streik bewiesen.
Die Suedstaaten der USA, in denen die Gewerkschaften einer
besonders aggressiven Bourgeoisie gegenueberstehen, sind ein
traditionell harter Boden fuer den Kampf um die elementarsten
Forderungen der Arbeiter/innen/schaft. Die Arbeitsbedingungen und
die Bezahlung war seit 1989 ein Quell permanenter Konflikte
zwischen der Werksleitung und dem USWA (United Steelworkers of
America)-Local 850. Waehrend zehn Jahren schmetterte das
Management alle Forderungen der Arbeiter/innen konsequent ab.
Am 20. September 1998 legten die 1.450 Arbeiter/innen in
Charlotte dann die Arbeit nieder. Bereits auf der ersten
Versammlung kam die Wut der Arbeiter/innen klar heraus: "Wir
haben 1989, 1992 und 1995 keinen Cent herausholen koennen. Jetzt
reicht's, wenn wir alle zusammenhalten, werden wir es jetzt
endlich schaffen".
Schon in den ersten 60 Tagen rekrutierte die Geschaeftsfuehrung
700 Streikbrecher/innen, die den Betrieb in der Reifenfabrik
notduerftig aufrecht erhielten. Waehrend des ganzen einjaehrigen
Arbeitskampfes schlossen sich ihnen nur 14 der gewerkschaftlich
organisierten Continental-Tire Arbeiter/innen an...
Die USWA-Buerokratie verfolgte eine ausgesprochen zahme
Streikstrategie - so gab es trotz permanenter Streikposten vor
dem Werk und wachsender Unterstuetzung in der Bevoelkerung keine
Versuche, die Streikbrecher/innen am Betreten des Werksgelaendes
zu hindern. Sieben Tage in der Woche standen die Mitglieder von
Local 850 Streikposten - ihr Kampf wurde wegen der Dauer des
Ausstandes und der provokativen Erklaerungen der
Conti-Geschaeftsfuehrung (Continental-Vorstandsvorsitzender fuer
die USA, Frangenberg: "Es wird eine heftige Sache, aber die
dauerhafte Ersetzung der Streikenden durch die neuen Leute [ =
Streikbrecher] bleibt aufrecht") aber USA- und schliesslich
weltweit bekannt.
Aus anderen Continental-Werken - jenen in Mayfield, Kentucky, und
Bryan, Ohio, kamen Kolleg/inn/en zu den Veranstaltungen der
Streikenden. Mitglieder von Local 850 wiederum beteiligten sich
an Solidaritaetskundgebungen mit anderen kaempfenden
Arbeiter/inn/en in der US-Industrie.
Der internationale Metallgewerkschaftsbund ICEM rief zur
Solidaritaet mit den Kolleg/inn/en in Charlotte auf. Daraufhin
kam es im suedafrikanischen Werk von Conti zu einem
zweistuendigen Solidaritaetsstreik; in Belgien demonstrierten die
Gewerkschaften vor der dortigen Conti-Zentrale; auch in
Frankreich kam es in mehreren Staedten zu Demonstrationen, in
Europa und Australien fanden Protestkundgebungen vor deutschen
Konsulaten und Conti-Niederlassungen statt. Erstmals wurde von
ICEM eine elektronische Protestseite im Internet eingerichtet -
daraufhin trudelten beim Conti-Vorstand in Hannover tausende
Protest-Mails ein.
Im Juli 1999 verteilten Mitglieder von Local 850, unterstuetzt
von Gewerkschaftskolleg/inn/en aus aller Welt, beim
Formel-I-Grand-Prix am Nuerburgring, der von Continental
gesponsert wird, Flugblaetter, in denen sie auf die unhaltbaren
Arbeitsbedingungen hinwiesen und zur Solidaritaet aufriefen. Ein
besonderer Knalleffekt war das Auftauchen eines Flugzeuges mit
einem Werbebanner, das zur Unterstuetzung der Streikenden in
Charlotte aufforderte. Parallel zur Conti-Generalversammlung in
Hannover Mitte 1999 hielten Vertreter von Local 850 eine
Pressekonferenz ab.
Unter dem immer staerker werdenden Druck an anderen Standorten
gab Conti schliesslich im September 1999 nach. Sie einigte sich
mit der USWA-Fuehrung auf einen Kompromiss, der weitgehend den
Forderungen der Streikenden entsprach, allerdings auch einige
wesentliche Grundpositionen des Managements beruecksichtigte.
Die betroffenen Arbeitnehmer erhielten nach Angaben des
stellvertretenden Vorsitzenden der USWA, John Sellers, ihre erste
Grundlohnerhoehung seit 1989 und volle
Inflationsausgleichszahlungen. Weiters sicherte ihnen der
Tarifvertrag verbesserte Rentenansprueche, die hundertprozentige
Uebernahme der Kosten fuer die Familienkrankenversicherung und
die volle Bezahlung von Urlaubs- und Feiertagen zu. Allein die
Lohnerhoehung belief sich auf rund drei Dollar pro Stunde.
Der Streik von 1.450 Arbeiterinnen eroberte sogar die Titelseiten
der nationalen buergerlichen Presse. Am 16. September 1999 machte
das "Wall Street Journal", das Zentralorgan des amerikanischen
Grosskapitals, mit der Schlagzeile "Gewerkschaften schaffen
Durchbruch in den Suedstaaten" auf. Die Kolleg/inn/en in
Charlotte hatten einerseits die seit Jahrzehnten bedeutendste
Lohnerhoehung in der Geschichte der amerikanischen
Reifenindustrie durchgesetzt. Ausserdem erhielten alle
Streikenden, die dies wuenschen, ihren Arbeitsplatz zurueck - ein
klarer moralischer Sieg ueber die Streikbrecher. Andererseits
konnte Continetal durchsetzen, dass die Streikbrecher sechs
weitere Monate im Werk beschaeftigt blieben; weiters wurden
12-Stunden-Schichten genehmigt (die Arbeiter/innen hatten
waehrend des Streiks auf den 8-Stunden-Tag gepocht).
Innerhalb der Arbeiter/innenschaft von Continental Tires
Charlotte gingen die Diskussionen aber weiter. 876 Kolleg/inn/en
hatten fuer den Kompromiss gestimmt, der den Streik beendete, 289
dagegen. Die Arbeiter/innen bei Continental Tires Charlotte eine
wichtige Lektion gelernt: Wie wichtig die Solidaritaet des
Proletariats ist - ueber alle Laendergrenzen hinweg.
*Kurt Lhotzky, Arbeitsgruppe Marxismus (gek.)*
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