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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Dezember 2001; 16:17
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Palaestina/Israel/Oesterreich:

> Offener Brief
> an die Redaktion des Organs der
> Israelitischen Kultusgemeinde "Die Gemeinde"

Wien, den 5. Dezember 2001

Sehr geehrte Damen und Herren,
im Zuge der Lektuere der dem Organ der Israelitischen
Kultusgemeinde beigelegten Newsletter des Forums gegen
Antisemitismus (Oktoberausgabe) mussten wir leider feststellen,
dass in der Aufzaehlung antisemitischer Akte Kurzberichte ueber
unser Engagement fuer die Beendigung der militaerischen Besatzung
der palaestinensischen Gebiete sowie von uns verwendete Symbole
kommentarlos und in einem Zuge mit groesstenteils
rechtsextremistischen Gewaltakten gegen juedische Menschen und
Einrichtungen genannt werden. Daraus ist zu schliessen, und das
soll offenbar auch der Leserin/dem Leser suggeriert werden, dass
besagtes Engagement von Ihrem Organ als antisemitisch betrachtet
wird.

Wir nehmen diese Beurteilung Ihrerseits mit dem groessten
Bedauern und mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis.
Tatsaechlich sprechen wir uns mit Entschiedenheit gegen jedwede
Diskriminierung von Menschen juedischer Herkunft und/oder
Religionszugehoerigkeit - gemeinhin als Antisemitismus
bezeichnet - aus und befuerworten das gleichberechtigte
Zusammenleben aller Menschen unabhaengig von ihrer Religion oder
Kultur. Das um so mehr, als sich auch Menschen juedischer
Herkunft an unseren Aktivitaeten beteiligen.

Mit Bedauern mussten wir in diesem Zusammenhang ebenfalls zur
Kenntnis nehmen, dass sich ihre Publikation einer Vorgangsweise
bedient, die uns schlichtweg unverantwortlich erscheint. Durch
die unrichtige Gleichsetzung des Judentums als Religions- und
Kulturgemeinschaft mit dem Staat Israel soll jedwede Kritik an
der Politik dieses Staates von vornherein als antisemitisch
gebrandmarkt und so verhindert werden. Diese Vorgangsweise ist
zumindest befremdlich, wuerde doch die Bezeichnung von kritischen
Aeusserungen an der Politik eines mehrheitlich von beispielweise
Christen bewohnten Staates als antichristliche oder das
Christentum als solches diskriminierende Aussagen durchaus mit
Verwunderung aufgenommen werden.

Es ist zu befuerchten, dass die Vorgangsweise Ihrer Publikation,
anstatt Antisemitismus zu verhindern, im Gegenteil dazu
beitraegt, die Herausbildung eines unbefangenen und
vorurteilslosen Umgangs der oesterreichischen Bevoelkerung mit
dem Judentum und den juedischen Mitbuergerinnen und Mitbuergern
zu erschweren, und zwar sowohl was das erstrebte
gleichberechtigte und friedvolle Zusammenleben in der Gegenwart
als auch was die Aufarbeitung der so schrecklichen Vergangenheit
betrifft. Erst wenn es moeglich sein wird, Juedinnen und Juden
unvoreingenommen als gleichwertige und gleichberechtigte - und
das bedeutet durchaus nicht ueber jede Kritik erhabene -
Mitmenschen zu begreifen, erst wenn Juedinnen und Juden selbst
die Differenzierung zwischen dem Judentum als Religions- und
Kulturgemeinschaft einerseits und dem mehrheitlich von Menschen
juedischen Glaubens bewohnten Staat Israel andererseits
einfordern (und damit auch in Rechnung stellen, dass seine
Politik einer kritischen Betrachtung unterzogen werden kann),
wird es moeglich sein, ihrer Diskriminierung, dem Antisemitismus,
den Boden zu entziehen. Das bedeutet letztlich, dass die
uneingeschraenkte Identifikation der Kultusgemeinde mit den
Interessen des Staates Israel den Interessen der Menschen
juedischer Herkunft in Oesterreich schadet, anstatt ihnen zu
nuetzen.

Wir bitten Sie daher eindringlich, zur Schaffung eines
vorurteilsfreien Zusammenlebens Ihren Beitrag zu leisten und sich
in diesem Sinne der ehrlichen und unvoreingenommenen Diskussion
rund um die politische Verantwortung des Staates Israel fuer das
Leid von Millionen von Palaestinenserinnen und Palaestinensern
nicht mit dem Hinweis auf Antisemitismus zu entziehen. Gestatten
Sie es uns als um Gerechtigkeit und Frieden bemuehten Menschen
oeffentlich dafuer einzutreten, ohne uns den unrichtigen und
rufschaedigenden Vorwurf des Antisemitismus zu machen, dass ein
friedliches Zusammenleben aller Menschen im Nahen Osten nur durch
Anerkennung und Umsetzung der Rechte des palaestinensischen
Volkes moeglich sein wird. In gleicher Weise wird die Bekaempfung
des Antisemitismus in uns immer unermuedliche und aufrichtige
Mitstreiter haben.

Mit freundlichen Gruessen,

*Margarethe Gal*
Opfer des Faschismus und Mitglied des KZ-Verbandes.
Fuer die Plattform "Freiheit fuer Palaestina" (Organisatorin der
Demonstration in Wien am 28. September anlaesslich des ersten
Jahrestages der Intifada)<P9>

Unterstuetzt von: Antiimperialistische Koordination (AIK),
Arabischer Palaestinaklub, Bewegung fuer soziale Befreiung (BsB),
Generalunion palaestinensischer Studenten (GUPS), Internationales
Palaestinakomitee, Internationales Solidaritaetsforum (ISF),
Linkswende, Palaestinensische Gemeinde in Oesterreich, Susi
Jerusalem, Universalismusgruppe, Wiener Friedensbewegung

Kontakt: Palaestina-Plattform, Gusshausstr. 14/3, A-1040 Wien,
Tel/Fax 92 02 083, palaestina@gmx.at
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> Anmerkung der Redaktion

Vorstehender Text war fuer uns im Abdruck nicht ganz
unproblematisch. Zwar wird darin eine Position vertreten, die wir
durchaus fuer verbreitenswert halten, doch koennte man natuerlich
daraus auch lesen, dass "die Juden" selbst am Antisemitismus
schuld waeren. Wir glauben nicht, dass das in der Intention der
Verfasserin lag, wissen aber sehr wohl, dass dieser Text so
interpretierbar ist. Es scheint aber wohl eher gemeint gewesen zu
sein, dass nicht "die Juden" es der oeffentlichen Meinung schwer
machen, vom Antisemitismus loszukommen, sondern, dass lediglich
jener nationalistische Teil der Juden mit dafuer verantwortlich
zu machen ist, der Religion, "Ethnie" und Staat Israel als
Einheit sehen moechte und damit jede Kritik an der Regierung
dieses Staates folgerichtig als antisemitischen Akt begreifen
muss. Als Linke koennen wir aber nicht akzeptieren, dass eine
Regierung oder eine Religionsfuehrung ihre wie auch immer
definierten Untergebenen als Gesamtheit vereinnahmt. Und genau in
dieser Kritik verstehen wir auch den Text der
Palaestina-Plattform.***


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