Asyl/Frankreich:
> Ohne Papiere keine Ruhe
In Frankreich mehren sich die Proteste der Sans Papiers-Bewegung
gegen die selektive Anerkennungspraxis der Regierung.
Im Mai 1997 hatte der damalige sozialistische Spitzenkandidat
Lionel Jospin waehrend des Wahlkampfes versprochen, den Sans
Papiers einen legalen Status zu verleihen, wenn seine Partei die
anstehenden Wahlen gewinnen sollte. Ferner stellte er in
Aussicht, die repressiven Auslaendergesetze abzuschaffen.
Das war eine Woche vor dem ersten Urnengang der Parlamentswahl,
die damals die Niederlage der buergerlichen Mehrheit Jacques
Chiracs besiegelte und ihn zur fuenfjaehrigen Koexistenz mit
einer sozialistisch-kommunistisch- gruenen Regierungskoalition
zwang.
Am 24. Juni 1997 verkuendete der linksnationalistische
Innenminister Jean-Pierre Chevènement seinen Plan fuer
die »Operation zur Legalisierung« der Sans Papiers, der ihnen
unter bestimmten Bedingungen einen Aufenthaltsstatus in
Frankreich verleihen sollte. Dabei handelte es sich um eine der
ersten konkreten Massnahmen der neuen Koalition.
Dass diesem Aktionsfeld der Regierung eine hohe symbolische
Bedeutung beigemessen wurde, lag vor allem daran, dass sich in
der vorangegangenen Legislaturperiode eine breite
Solidaritaetsbewegung fuer die Rechte der Sans Papiers formiert
hatte. Doch die neue Regierung von Lionel Jospin propagierte
rasch den »gesellschaftlichen Realismus« und verweigerte sich
deshalb einer allgemeinen Legalisierung aller Immigranten ohne
Aufenthaltsstatus, zumal mit dem neuen Innenminister Chevènement
ein Garant fuer restriktive Positionen im Amt sass. Mit seiner
ministeriellen Anweisung vom Juni 1997, der im Mai 1998 das
geaenderte Einwanderungsrecht folgte, schlug er daher einen
anderen Weg ein als die sozialistisch-kommunistische
Regierungskoalition in den Jahren 1981 und 1982. Sie hatte allen
illegalisierten Immigranten, die einen Antrag stellten -
insgesamt taten dies 132 000 Personen - ein Recht auf gueltige
Aufenthaltspapiere zugesprochen.
Die Legalisierungsoperation von Chevènement sah stattdessen vor,
die ersehnten Dokumente nur unter den Bedingungen einer
Einzelfallpruefung zu erteilen, fuer die bestimmte Kriterien
vorgesehen sind. Ein Problem dabei ist, dass die Praefekten der
einzelnen Départements den Immigranten oft Schwierigkeiten
bereiten, indem sie Beweise fuer die Anerkennung der
zehnjaehrigen Aufenthaltsdauer verlangen, die fuer Migranten, die
ueber Jahre illegalisiert gelebt, gewohnt und gearbeitet haben,
oft schwer zu erbringen sind. Eine weitere Huerde stellt das
Kriterium der »persoenlichen und familiaeren Bande« in Frankreich
dar, das vor allem fuer Ledige problematisch ist. Mit ihrer
selektiven Legalisierungspraxis ist es der Regierung jedoch mehr
oder weniger erfolgreich gelungen, die verschiedenen Spektren
ihrer Waehlerbasis zufrieden zu stellen. Der eher links
orientierte Teil der Gesellschaft ist zufrieden, weil seit dem
Juni 1997 80 000 Menschen legalisiert wurden. Und der autoritaer
eingestellte Teil der Waehlerschaft ist zufrieden, weil es auch
zahlreiche Ablehnungen gegeben hat, insgesamt 63 000 im gleichen
Zeitraum. Zwar hat die Regierung zugesagt, die mit einem Antrag
auf Legalisierung an die Behoerden gelieferten Personendaten
nicht zu benutzen, um nach Abschiebekandidaten zu fahnden. Doch
das kann in der jetzigen Situation, die nach dem 11. September
von einer deutlichen Ausweitung der Personenkontrollen gepraegt
ist, kaum beruhigen. So nahm die Belegung der
Abschiebegefaengnisse in den Wochen zwischen dem 11. September
und dem 1. Oktober um durchschnittlich 40 Prozent zu.
Zugleich hat die differenzierte Behandlung die Sans
Papiers-Bewegung spuerbar geschwaecht und teilweise zersplittert,
da die Anerkennungspolitik je nach Département oft erheblich
variiert. Seit etwa zwei Jahren werden die Kaempfe der Sans
Papiers daher meist auf regionaler Ebene gefuehrt. In den
vergangenen Monaten fanden beispielsweise harte
Auseinandersetzungen - mit Hungerstreiks, Besetzungen und nicht
selten auch heftigen Polizeieinsaetzen statt. Demonstrationen in
Paris, die Besetzung des Hôtel de Nice in Lyon,
Auseinandersetzungen und Hungerstreiks in Lille und Nantes
zeigen, dass die Bewegung der Sans Papiers nicht mundtot zu
machen ist. Und seit vorletzter Woche befinden sich auch im
nordfranzoesischen Roubaix ueber 40 Sans Papiers im Hungerstreik.
*bernhard schmid, Jungle World Nr. 49/2001 - 28.11.2001 (bearb.)*
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