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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. Oktober 2001;18:51
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Kosovo:
>Die schweigende Minderheit
Ein balkanisches Tagebuch, Teil
XVII
Von Andreas Jordan
Dieses Wochenende hat meine
Stimmung nicht gerade gehoben: Zuerst, am Samstag, in
einer
Mussestunde waehrend der Arbeit, eine lange Diskussion mit meinem
Uebersetzer -
der einzige aus meinem Team, der aus einem nahen
Dorf und nicht aus dem polyglotten
Prizren stammt, in dem
Tuerkisch gesprochen wird, auch von den
alteingesessenen
albanischen Familien selbst, als distinktives
Zeichen der Abgrenzung von der (rein
albanischsprachigen) Plebs,
die erst in den letzten Jahren zugezogen ist (so, wie im
18.
Jahrhundert in "besseren Kreisen" bei Tisch auf Franzoesisch
parliert wurde, um
vom Dienstpersonal nicht verstanden zu werden)
Meine Dienstanweisung empfiehlt
dringend, politische und
historische Diskussionen mit Hiesigen unter allen Umstaenden
zu
vermeiden, aber ich hab's ja nicht lassen koennen, angesichts des
Umstandes, dass
mein Mitarbeiter kein dummer Mensch ist, Englisch
studiert hat und Ex-Vorsitzender
der Studentenvertretung an
seiner Fakultaet war. Das Ergebnis war frustrierend - fuer
ihn
sind DIE Serben schlecht; - "ALLE?" - "Na, FAST alle, aber der Rest
auch, weil
sie sich nie bei uns entschuldigt haben fuer ihr
Schweigen, als uns Unrecht angetan
wurde." - Ich kontere, dass
das wohl richtig sei, dass sich vermutlich aber auch
wenige
Albaner fuer die Greueltaten der (von den Nazis aus der
albanischen
Bevoelkerung rekrutierten) SS-Division "Skanderbeg"
an den Serben waehrend des
2.Weltkriegs entschuldigt haetten
(seine beiden Grossvaeter haetten in dieser
gekaempft, hat er mir
letzthin erzaehlt). Das stellt fuer ihn kein wirkliches
Problem
dar - die Albaner haetten halt den Fehler begangen, sich
den falschen Verbuendeten zu
suchen, meint er leichthin. Und in
Jasenovac, dem zweitmoerderischsten KZ des
2.Weltkriegs nach
Auschwitz, von den kroatischen Ustaschi vor allem
zwecks
Ausloeschung der Serben und Roma, auch der Juden,
betrieben, habe es sicher nicht
600.000 Tote (wie von mir
behauptet) gegeben (hauptsaechlich Serben), das seien
gewiss
Uebertreibungen der serbischen Propaganda. - Jedes Argument, das ich
bringe
und das nicht in seinen nationalistischen Diskurs passt,
beweist ihm nur aufs neue,
dass ich einseitig serbenfreundlich
bin.
Am Abend dann eine von langer Hand vorbereitete
Abschlussklausur in einem Hotel in
den Bergen, die inzwischen
ohnehin obsolet geworden ist, weil wir just einen Tag
zuvor
informiert worden sind, dass die Voter Services Centers, unsere
Dienststaetten,
noch zwei weitere Wochen geoeffnet bleiben
werden. - Na egal, wir fahren trotzdem,
das Hotel ist ja schon
reserviert.
Zuerst geht's durch das (vorwiegend bosniakische,
mit tuerkischen, albanischen und
serbischen Einsprengseln
durchmischte) Djupa-Tal nach Westen. In einem Dorf nach
dem
anderen glaenzen die nagelneuen, nassen Daecher der Moscheen
nach einem Regenguss.
Hier wurde (mangels hinreichend albanischer
Bewohner) zwar nicht gekaempft,
genausowenig wie in Dragash, aber
die Saudis und die Vereinigten Arabischen Emirate,
die
Hauptfinanciers des Moscheenbaus hierzulande, haben es sich nicht
nehmen lassen,
auch in Gegenden, in denen gar nichts zerstoert
wurde, in Moscheenrenovierung zu
investieren. Im Rest des Landes
hingegen, wo Moscheen bevorzugte serbische
Zerstoerungsziele
waren (so wie anschliessend serbisch-orthodoxe Kirchen fuer
die
Albaner), sind die Moscheen der Oelstaaten wie Schwammerln
aus dem Boden gewachsen,
alle einander gleich, voellig identisch.
Ich habe mir schon vorgestellt, dass es
irgendwo eine
Fertigmoscheen-Fabrik geben muss, irgendwo zwischen Arabien und
hier,
vielleicht auf halbem Weg in der Tuerkei, von dort kommt
ohnehin ein Grossteil der
kommerziell erhaeltlichen Produkte im
Kosovo. Dabei waere das, was der Kosovo
tatsaechlich bitter
noetig brauchen wuerde, Investitionen in die Infrastruktur,
in
Verkehrswege, Produktionsanlagen, Schulen,
Gesundheitseinrichtungen. Aber nein. - Vor
kurzem habe ich
gelesen, dass das Bruttonationalprodukt des Kosovo 1987 gleich
dem
von Honduras und der Elfenbeinkueste war - und das war
immerhin vier Jahre VOR
Aufhebung der Autonomie, und lange vor
dem Krieg. Ich kann mich an Honduras in dieser
Zeit erinnern: Das
aermste Land, das ich bis dahin gesehen hatte, alles
desolat,
ueberall Elend - ausser den neuen Waffen und Uniformen
der Armee, von den USA als
Rueckendeckung fuer die Contras gegen
das sandinistische Nicaragua hochgeruestet.<%2>
Ankunft
am Ort unserer Klausur: Eine serbische Enklave in den Bergen. Ein
voellig
ueberdimensioniertes, von der Architektur her titoeskes
(wenn der Ausdruck erlaubt
ist) Hotel mit etlichen hundert
Zimmern in einem relativ kleinen Ort, der aber in
einer
wunderschoenen Gebirgslandschaft gelegen ist, wohl eine
DER
Urlaubsdestinationen des suedlichen Jugoslawien seinerzeit,
mit einem Service, wie
man es seit 1990 in manchen Laendern
vermisst (oder aber gerade nicht vermisst),
oder, wie ich es
einmal formuliert hoerte, charakterisiert von der
sprichwoertlichen
Arbeitswut des Homo balcanicus, gepaart mit
suedlaendischem Laissez-faire. (Es lebe
das gepflegte
Vorurteil...) - Kurz, als wir endlich bedient werden, ist das
Essen
noch beinahe lauwarm. Aber immerhin Schwein. (Gibt's sonst
im Kosovo ja nicht, nur in
serbischen Gebieten.) - Der Wein, der
serviert wird, ein Roter mit cyrillischer
Aufschrift, schmeckt
wie ein Gemisch aus Essig und Himbeersaft - die Flasche
geht
zurueck. Die zweite ist in Ordnung, die dritte ( das geht
schnell, bei 15 Essenden)
gleicht der ersten und wird ebenfalls
zurueckgeschickt. Die vierte, die der Kellner
schon offen bringt,
ist aller Wahrscheinlichkeit und dem Geschmack nach entweder
die
erste oder die dritte - zurueck. Danach hat er keinen Rotwein
mehr - angeblich. Auch
gut. (Es ist, wie gesagt, ein Riesenhotel
mit hunderten Zimmern; die Flaschen werden
wir dann uebrigens
alle auf der Rechnung wiederfinden - das ist halt so.) -
Wir
wandern in die Bar weiter - aber nicht lange: Das Licht geht
aus, kein Strom. Na gut,
dann geh ich halt frueher schlafen. -
Auch daran ist nicht zu denken: In der
Hotellobby, die als Atrium
quer durch alle Stockwerke hoch reicht, steht ein Rudel
junger
Maenner im Finsteren und groelt mit beeindruckender Stimmgewalt
Sprechchoere
zum Thema "Kosovo den Serben, Albaner raus". - Und
ich denke mir beim Schlafengehen:
Was, zum Teufel, mache ich hier
eigentlich ueberhaupt, wenn ohnehin ein Gutteil der
Bevoelkerung
mit ihren unerschuetterlichen
Ueberlegenheits-und
Herrenmenschengefuehlen nur darauf wartet,
einander bei der naechsten sich bietender
Gelegenheit den
Schaedel einzuschlagen? - Und es dauert, bis ich auf eine
moegliche
Antwort komme: Ich bin fuer DIE ANDEREN da - die
schweigende Mehr-(oder,
wahrscheinlicher:
Minder-)heit.
Seit heute arbeiten wir in einem neuen Dorf
- diesmal nicht in der Schule (- ab
3.September hat das neue
Schuljahr begonnen), sondern im Gesundheitszentrum des
Ortes,
einer sich ueber diverse Huegel erstreckenden
Streusiedlung.
Der erste Eindruck beim Durchqueren des Ortes
in der Frueh: Eine lange Schlange
Maenner, etliche dutzend,
vielleicht sogar hundert, die vor einem Hoftor angestellt
sind.
Jemand in diesem Haus ist gestorben, und alle Familienoberhaeupter
kommen zum
Kondolieren (und werden traditionellerweise mit Kaffee
bewirtet).
Die Frauen und Maedchen hingegen sieht man unten
am Fluss - sie schoepfen Kanister
mit Wasser voll und binden
diese auf Esel oder tragen sie selbst die Huegel hoch zu
ihren
Haeusern.
Es regnet - ein Rudel tropfnasser Esel stapft
vor uns durch den Schlamm, waehrend
sich die Raeder unseres
Gelaendewagens an einer besonders unwirtlichen Passage der
Piste
immer tiefer wuehlen - zum Glueck nur wenige Meter vor unserem
Ziel.
Das Gesundheitszentrum ist, nachdem ich den Zustand
mancher Schulen gesehen habe,
keine wirkliche Ueberraschung: Die
Einrichtung besteht aus einem wackeligen Tisch,
einer Liege (fuer
die Untersuchungen) und drei Schulbaenken (auf denen wir
arbeiten).
Durch die eingeschlagenen Scheiben pfeift der Wind -
draussen hat es vielleicht
sieben Grad, und der Nebel wabert
knapp ueber den Daechern des Dorfes. Jetzt ist es
Anfang
September - das wird hier ja lustig werden am Wahltag
(17.November)...
Kurz vor dem Abend hat es zu regnen
aufgehoert - ich nutze die Gelegenheit, um mit
meinem Fahrer eine
(vorsichtige) Erkundung des Dorfes vorzunehmen und
Info-Blaetter
zu verteilen, die dazu einladen, unsere Dienste in
Anspruch zu nehmen.
Viele neuerbaute Haeuser - es ist hier,
so nahe an der Grenze zu Albanien und damit
zum Waffennachschub,
erbittert gekaempft worden -, aber trotz eines
mit
internationaler Hilfe erfolgreich durchgezogenen
Aufbauprogramms stehen noch einzelne
zerstoerte, verbrannte
Haeuser herum - scheinbar die, wo ALLE
Familienmitglieder
getoetet wurden und deshalb niemand mehr das
Haus wiederaufbauen konnte.
2.200 Menschen zaehlt der Ort,
rein albanische Bevoelkerung seit alters her, und auf
dem
neuangelegten Friedhof fuer die Opfer der Kaempfe zaehle ich 80
Graeber. Dass es
GAR SO WENIGE Tote gegeben haben soll bei den
Kaempfen im Kosovo, wie ich manchmal
hoere, deckt sich nicht mit
meinem Augenschein - oder komme ich zufaellig immer genau
an die
Orte der (wirklich so wenigen?) Massaker?
*
A.J. war
bis vor kurzem als Wahlbeobachter auf dem Balkan
taetig.
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