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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Oktober 2001 23:58
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Recht:
>Verfassungswidrige Verfassung?
Gericht hebt erstmals
Verfassungsbestimmung auf
Zum ersten Mal in der Geschichte
der Verfassungsgerichtsbarkeit hat der
Verfassungsgerichtshof
(VfGH) eine Verfassungsbestimmung des Bundes
als
verfassungswidrig aufgehoben. Ende vergangenen Jahres hatte
das Parlament mit § 126a
eine Verfassungsbestimmung in das
Bundesvergabegesetz eingefuegt, derzufolge die
landesgesetzlichen
Vorschriften ueber die Organisation und Zustaendigkeit
der
Kontrolle der oeffentlichen Auftragsvergabe in den Laendern
als nicht
bundesverfassungswidrig zu gelten haben.
Nach
Ansicht des VfGH wird damit der Verfassung fuer einen Teilbereich
der
Rechtsordnung ihre normative Kraft genommen. Mit diesem
Verlust der Massstabsfunktion
der Verfassung werde das
rechtsstaatliche Prinzip verletzt; "denn es gehoert zu
dessen
Kerngehalt, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und
mittelbar letzten
Endes in der Verfassung begruendet sein
muessen". Es widerspricht - so der VfGH -
auch dem demokratischen
Prinzip, wenn der einfache Verfassungsgesetzgeber [sprich
eine
2/3-Mehrheit im Parlament ohne Plebiszit, Anm. akin] als legitimiert
angesehen
wird, die Verfassung in ihrer Wirkung fuer einen
Teilbereich der Rechtsordnung
schlechthin zu
suspendieren.
Ausdruecklich offen liess der VfGH dabei, ob
eine Verfassungssuspendierung als
Gesamtaenderung mit Hilfe einer
Volksabstimmung moeglich waere oder - wie dies in der
Literatur
zum Teil vertreten wird - ueberhaupt nicht zulaessig
ist.
(Aussendung des
VfGH/gek.)
*
Kommentar:
>
Verfassungsgefaehrdende Verfassungshueter
Der
Verfassungsgerichtshof hat in seinem Entscheid festgestellt, dass er
der Meinung
ist, dass das sogenannte Legalitaetsprinzip (also
eben die Begruendung aller
administrativer Akte in Gesetzen)
einen ueberparlamentarischen Grundsatz darstellt,
d.h. er stellt
diesen damit als durch den Nationalrat unantastbar dar.
Interessant
dabei ist aber, dass er diesen Grundsatz auf die
Verfassung ausdehnt. Es erscheint
fraglich, ob der
Verfassungsgerichtshof damit auch ausdruecken moechte, dass er
sich
eine widerspruchsfreie Verfassung wuenscht - was natuerlich
ein Ding legistischer
Unmoeglichkeit darstellt, da dies eine
Verfassung bedingen wuerde, die nur aus
Generalklauseln, also
ohne eine einzige Ausnahmeregelung, bestuende. Ein
derartiger
legistischer Wunsch des VfGH waere also kaum denkbar,
im angefuehrten Fall hat er
aber wohl genauso eine Spezialklausel
mit der Begruendung der Widerspruechlichkeit
aufgehoben. Was sich
die Richter wirklich gedacht haben, wird hoffentlich
nach
Veroeffentlichung des Volltextes des Erkenntnisses zu
erhellen sein.
Die prinzipielle Feststellung einer
verfassungswidrigen Verfassungspassage ist
hingegen zwar
unueblich, aber keineswegs erstaunlich. Grundlegende Bestimmungen
der
Verfassung unterliegen einem besonderen Schutz - ihre
Aenderungen beduerfen laut
Bundes-Verfassungsgesetz (Art.44/3
B-VG) neben einer 2/3-Mehrheit im Nationalrat
einer einfachen
Mehrheit in einer Volksabstimmung; was in der 2.Republik erst
einmal,
naemlich bei der EU-Volksabstimmung, praktische
Auswirkungen hatte.
Problematisch ist das Erkenntnis dennoch,
denn der VfGH erhebt sich mit der
Infragestellung einer
grundlegenden Verfassungsaenderung durch Volksabstimmung
ueber
den Souveraen. Von der Warte des VfGH in seiner Funktion
als Verfassungshueter ist
das verstaendlich, denn damit schuetzt
er seine Rechtsquellen genauso wie die der
beiden anderen
Gewalten. Allerdings zeigt er damit auch die Grenzen
des
buergerlich-demokratischen Rechtsstaats auf. Damit wird eine
Totalaenderung der
Verfassung auf den "Rechtsweg" einer
Revolution oder eines Staatsstreichs verwiesen.
Dabei ist
auch anzumerken, dass damit eine weitere Gefahr erkennbar wird. Denn
wenn
eine Totalaenderung prinzipiell untersagt wird, ist die
Frage zu stellen, wer denn zu
beurteilen hat, welche Bestimmungen
der Verfassung als derart grundlegend zu
definieren sind. Die
Antwort liegt auf der Hand - wiederum der VfGH,
dessen
Zusammensetzung noch viel weniger demokratisch legitimiert
ist als die auch nicht
unproblematischen Bestellungen von
Regierung und Nationalrat. Wobei die Problematik
vor allem auch
darin liegt, dass sich der VfGH nicht nur eine
Tribunenrolle
zuschreibt, in der er per Veto jedes Gesetz
verhindern kann, sondern sich damit
selbst gesetzgebende
Zustaendigkeit zuschreibt. Denn im Zusammenhang mit
der
Aufhebungskompetenz von Verfassungsgesetzen heisst das, dass
natuerlich auch andere,
vielleicht auch schon viel aeltere
Bestimmungen aufgehoben werden koennten, wenn es
dem
Verfassungsgesetzgeber gerade passt. Was umso eher vorstellbar ist,
da unsere
Verfassung eben kein von grund- legenden Ueberlegungen
geschaffener grosser Entwurf
ist - wie das ueber weite Strecken
etwa beim deutschen Grundgesetz der Fall ist -
sondern ein
Flickwerk, dessen Grundlagen tief im Habsburgerregime zu suchen
sind.
Die Frage, inwiefern eine derartige Selbstermaechtigung
noch mit dem Prinzip der
<192>check and balances" einer
buergerlichen Rechtsordnung vereinbar ist, muss daher
wohl als
legitim angesehen werden. *Bernhard Redl*
Literatur:
Erkenntnis G 12/00 ua. verkuendet am 11. Oktober 2001:
URL W³.vfgh.gv.at
Der
Volltext soll nach der Zustellung auf URL W³.vfgh.gv.a
abrufbar
sein.
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