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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. Oktober 2001 - 18:29
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Moderne Zeiten:
> Dem Staat misstrauen
Ueber die
Notwendigkeit, als Individuum eine faire Chance gegen die Macht zu
haben
Eine erschreckende politische Fremdwortschwaeche macht
sich breit. So wie George Bush
jr. nicht wusste, dass "Crusade"
ein Lehnwort aus dem Spanischen ist und "Kreuzzug"
bedeutet, so
haben wir hierzulande vergessen, wo das Wort "Terror"
herkommt.
"Terreur", das war die Schreckensherrschaft des
"Direktoriums" nach der
franzoesischen Revolution. Der
Herrschaftsdiskurs hat aber dafuer gesorgt, dass
"Terror" ein
Begriff ist, der, wenn schon nicht ausserhalb der staatlichen Ebene,
so
doch ausserhalb dessen anzusiedeln ist, was Hohe Herren gerne
"Zivilisation" nennen -
auch so ein Begriff, der schon mal
bessere Zeiten gesehen hat.
Der Staat, so das
Selbstverstaendnis der veroeffentlichten Meinung, ist eine
Krone
der Zivilisation. Er wird zwar immer wieder besudelt durch
Korruption, aber an sich
ist es die wichtigste Einrichtung in der
menschlichen Ordnung. Schoen, ich will
zugestehen, historisch
gesehen hat der Staat seine Meriten. Er ist sozusagen
eine
weniger ueble Einrichtung um das allgegenwaertige Faustrecht
in ertraegliche Bahnen
zu lenken. Aber so toll ist er auch wieder
nicht. Das Selbstverstaendnis, dass man
den Staat nur huebsch
einrichten und mit Kontrollmechanismen versehen muss -
"checks
and balances" nennt man das auf der Politikwissenschaft -
und dann waere alles
einigermassen leiwand, ist nunmal doch
wirklich zu hinterfragen.
Denn wie sonst kaemen solche Sager,
wie die eines Westentaschlers zustande, dass man
doch eigentlich
allen die Fingerabdruecke abnehmen sollte, zustande? Oder
eines
Justizministers, der - wie schon des oefteren - erklaert,
man muesse doch ueber alles
reden koennen. Oder eines
sozialdemokratischen deutschen Innenministers, der
dieselben
Ideen vertritt? Oder auch Meinungsbilder, wie jenes juengst von
der
Netzzeitschrift "Telepolis" praesentierten: "30 Jahre hat
Grossbritannien den Terror
der IRA ausgehalten, ohne eine
Ausweispflicht einzufuehren. Doch nun ist laut einer
Mori-Umfrage
fuer das Sensationsblatt News of the World gleich eine
ueberragende
Mehrheit von 85% fuer die Einfuehrung von
Personalausweisen. Fast noch erschreckender
sind die Details der
Umfrage. Dass Informationen zu Geburtsdatum, Augenfarbe und
ein
Foto auf dem Ausweis enthalten sein sollen, ist jeweils fuer
mehr als 95% eine
Selbstverstaendlichkeit. 85% wuerden aber auch
zustimmen, wenn ihr Fingerabdruck auf
der Karte enthalten sein
soll, 75% sprechen sich fuer die Einbeziehung
von
DNA-Informationen aus." Zu alldem kommt das Gejammer ueber
die Unkontrollierbarkeit
des Internets, die diversen Chip-Cards,
Lauschangriffe, Rasterfahndung, und, und,
und,...
Die Rolle
der grossen Medien ist dabei auch eine etwas eigenartige. Nach den
letzten
eher rueden Vorschlaegen kommen uns jetzt die eher
liberaleren mit Orwell-Zitaten
daher: "Big Brother" aller Orten.
Aber sie vergessen, dass der Big Brother auch
umgekehrt
funktionierte: Die 2-Minuten-Hasssendung, wo der aktuelle
Staatsfeind
Nummer 1 praesentiert wurde und die regelmaessig
ueber die Televisoren flimmerte, wo
sich jeder schon verdaechtig
machte, wenn er nicht zusah und in Hassgebruell
ausbrach. Von der
Fiktion aus dem Jahre 1948 zu der akuten Realitaet ist da
nicht
weit: Diese "Saddam-bin-Hitler"-Sendungen haben wir uns
jetzt auch alle anschauen
duerfen und mussten schwer betroffen
sein, wenn wir die gemischen Short Cuts von
brennenden Twin
Towers, Osama bin Laden-Interviews und George Bush unter dem
wehenden
Sternenbanner gesehen haben. Dann darf man sich nicht
wundern, wenn auch George
Orwells Landsleute im "Mutterland der
Demokratie" heute solche Ansichten vertreten.
Und wenn man da
nicht mitmachen moechte, kommt - ausgesprochen oder auch
nur
angedeutet - immer die Meldung: "Wer nichts zu verbergen hat,
der braucht sich auch
nicht fuerchten!" Schliesslich ginge das
alles rechtsstaatlich zu und es gaebe ja
eine Kontrolle und wir
werden das sicher nicht missbrauchen, wir leben ja nicht in
einer
Diktatur, bla, bla, bla. Und was sagt man da drauf? Nichts! Denn
wenn man
meint, dass der Staat prinzipiell diese Macht
missbrauchen wird, egal, wer an den
Bildschirmen der Ueberwachung
sitzt, dann ist man selber gleich schwer verdaechtigt,
dann ist
man sehr schnell selber der Boese und gehoert auch sicher zu
den
Anarchokrypto-Hitlers dieser Welt. Und genauso funktioniert
halt ein Polizeistaat.
Und jeder Staat ist irgendwo ein
Polizeistaat.
"Nur gemeinsam kann Europa den Terrorismus
bekaempfen und sein Umfeld austrocknen.
Das heisst nicht
Polizeistaat, sondern Notwehr des Rechtsstaats" schreibt
Erwin
Zankel in der Kleinen Zeitung. Da sind sie wieder, diese
Stichwoerter! Wirklich, wenn
manche Leute vom Rechtsstaat reden,
krieg ich es mit der Angst zu tun. Wenn sie dann
aber noch von
Notwehr reden, wird es wirklich brutal. Notwehr ist, wenn ich
etwas,
was eigentlich verboten ist, jemanden antue, damit er mir
nicht dasselbe antun kann.
Das ist prinzipiell eine bedenkliche
Geschichte. Aber wenigstens hat ueblicherweise
ein irgendwie
vielleicht doch nicht so voellig voreingenommener Richter
zu
beurteilen, ob es Notwehr war - und nicht derjenige selbst,
der Notwehr leistet. Es
gibt keine vom Staat unabhaengigen
Richter. Denn wer soll denn richten ueber den
Apparat? Das
Kapital? Handelt nur nach eigenen Interessen. Die vierte Gewalt,
die
oeffentliche Meinung, soll heissen: Die Presse? Die ist zum
Teil dem Kapital hoerig,
zum Teil muss sie sich selbst vor dieser
Notwehr des Staates fuerchten. Das
Voelkerrecht, der
Menschenrechtsgerichtshof, der Internationale
Strafgerichtshof,
ueberstaatliche Institutionen? Es gibt keine
ueberstaatliche Institutionen, es gibt
nur zwischenstaatliche.
Die Richter werden von den Regierungen gestellt. Und wenn
die
Regierungen der USA, der EU und vielleicht auch noch
Russlands staatliche Massnahmen
sanktionieren, dann ruehrt da
kein angeblich "ueberstaatlicher" Richter dran.
Gerichte sind
nunmal staatliche Institutionen, da kann man von Unabhaengigkeit
reden
was man will. Man stelle sich vor: Ein Fussballspiel
zwischen Rapid und FC Kaernten
und der Schiedsrichter waere FC
Kaernten-Mitglied, aber der Praesident des FC
Kaernten wuerde
versichern, der Schiedrichter waere voellig unabhaengig, was
waere
dann? Die Rapidler wuerden gar nicht mal aufs Feld
laufen.
Die Untertanen dieser Welt sind aber schon auf dem
Feld. Sie muessen spielen gegen
das Team der drei Gewalten: Die
gegnerischen Mannschaft, den Schiedsrichter und
die
Regelorganisation. Das ist meineserachtens ein bisserl
unfair. Das Individuum muss
daher, will es sich wenigstens einen
Zipfelchen Autonomie von der Obrigkeit aus Staat
und Kapital
bewahren, wenigstens die Chance haben, gegen den Staat zu
opponieren
respektive unabhaengig von ihm zu agieren und seine
Freiraeume zu sichern. Und dazu
gehoert es einfach auch, dass ihm
nicht staendig bei jeder Verrichtung ueber die
Schulter geguckt
wird. Wenn das Individuum dazu keine Chance mehr hat, dann kann
der
Staat mit ihm machen, was er will - und der Staat ist nunmal
keine weise Instanz,
sondern er besteht aus einem Kollektiv von
Menschen, die mit mehr Macht ausgestattet
sind als normale
Menschen. Den weisen, guetigen Herrscher, der, der seine Macht
nie
missbraucht - quasi eine Kobination der hagiographischen
Vorstellungen von Joseph II
und Harun al Raschid - den gibts halt
nicht und kann es aus systemischen Gruenden
schon gar nicht
geben. Egal, wer an der Macht ist: Sollte ein Machthaber in
seinem
Vorleben jemals sowas wie einen guten Charakter besessen
haben, so musste er ihn bei
der spaetestens an der Pforte zur
Macht abgeben.
Der Staat sind nicht wir alle, auch wenn uns
die Obrigkeit das immer einreden
moechte. Der Staat ist eine
Gruppe von Menschen, ausgestattet mit Machtmitteln und
selbst in
einer mehr oder weniger klaren Hierarchie organisiert. Und dieser
Staat
herrscht. Unter anderem auch damit, in dem er durch
Beobachtung Angst verbreitet. In
unserer Zeit, die sich vieler
emanzipatorischer Grundhaltungen entledigt hat,
versucht der
Apparat die Verwendung dieses Herrschaftsmittel immer mehr zum
Einsatz
zu bringen: Es ist ihm wichtig zu beobachten - und selbst
dabei zum Teil beobachtet,
zum Teil nicht beobachtet zu werden.
Der Buerger soll nicht merken, wei ihn wann wo
beobachtet. Aber
er soll staendig das Gefuehl haben, beobachtet zu werden -
genauso
wie Orwells Televisoren funktionierten. Ja, leider, es
ist paradox: Sogar die
kritische Berichterstattung ueber seine
Ueberwachungsmassnahme kann der Staat
teilweise nutzen - denn sie
transportiert in gewissem Sinne auch das Gefuehl der
Beobachtung.
Man fuehlt sich in heutiger Zeit an so manche Gefaengniskonzepte des
19.
und des fruehen 20.Jahrhunderts erinnert: Durchsichtige
Zellenwaende, so konstruiert,
dass der Waerter jederzeit den
Gefangenen beobachten kann, der Beobachtete aber nicht
den
Waerter sehen kann. Da braucht es dann keine Schlaege mehr und
keine
Zellendurchsuchungen - der Terror, der Schrecken, die
weisse Folter der staendigen
Ausgesetztheit reicht fast voellig
zur Disziplinierung.
Zu einer Gesellschaft, die diesen
Vorstellungen entspricht, zu einer Gesellschaft des
unsichtbaren
Hefns fuer alle wollen die Westenthalers und Schilys unsere
so
hochgejubelten "Zivilisationen" vollenden, zu einer Herrschaft
der Televisoren. Es
gilt Opposition zu entwickeln. Und zwar
ernsthafte. Das heisst eine Opposition, die
sich nicht auf
weichgespuelte Parlamentsfraktionen verlaesst, sondern von
unten
kommt. Eine Opposition, wie sie jetzt noch moeglich
ist.
*Bernhard
Redl*
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