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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. September 2001 17:04;
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Kosovo:
>Frische Forellen
Ein balkanisches Tagebuch, Teil
XV
Von Andreas Jordan
Am freien Sonntag kann man tolle
Dinge in Prizren unternehmen, viel tollere als
sonstwo im Kosovo:
Hier gibt's naemlich eine "Mountaineering Association"
(vermutlich
die einzige des Kosovo), eine kleine Gruppe
engagierter Leute, die jeden Sonntag eine
gefuehrte Bergwanderung
durch garantiert minenfreies Gebiet anbietet. Das
Ganze
unentgeltlich, rein aus Spass an der Freud'.
Letzten
Sonntag war die Bistra dran, der zweithoechste Berg des Kosovo,
dessen Gipfel
(2.650 m) gleichzeitig die Grenze zu Mazedonien
markiert. Da oben war ich mit den
Leuten vom "Sharri Club" (so
heisst der Wanderverein, nach der Sharri-Bergkette
zwischen
Prizren und Mazedonien) schon einmal, vorigen November, bei meinem
letzten
Kosovo-Einsatz. Diesmal ist die Gruppe ganz klein, einer
der "Sharri"-Leute, ein
hiesiger Arzt, eine hollaendische Aerztin
und ich.
Zuerst fahren wir zum Presovica-Pass hoch: Von
Prizren ostwaerts, zuerst 15 km
entlang eines Flusses durch eine
majestaetische Schlucht, dann durch das erste Dorf,
Recane, das
primaer von Kosovotuerken bewohnt sein duerfte (der albanische Adler
und
der tuerkische Halbmond flattern eintraechtig nebeneinander
vom Minarett). Die
naechsten beiden Doerfer, die folgen, sind
verlassen, viele Haeuser zerstoert:
Serbische Doerfer, deren
Bewohner heute als interne Vertriebene jenseits des Passes
in
Strpce wohnen (von wo wiederum die albanische Minderheit vertrieben
wurde); ganze
zwei Rauchsaeulen steigen aus den Kaminen des einen
Dorfes - ein paar alte Maenner
sind hiergeblieben, um sich um den
Ort zu kuemmern. (Mir faellt der alte Mann in San
Juan Atitlan,
Guatemala, ein, der einzige Guatemalteke, mit dem ich mich waehrend
der
Militaerdiktatur offen ueber Politik unterhalten konnte, der
gemeint hatte:"Ich bin
schon zu alt, als dass mich die
Todesschwadronen noch holen kommen wuerden." - Er ist
inzwischen
uebrigens tot, gestorben an einer Lungenentzuendung, weil das
naechste
Spital leider keine Antibiotika hatte. Auch eine Form
struktureller Gewalt.)
Vom Pass oben (1500m) zuerst ein
steiler Anstieg ueber Almen, die von Schafherden
beweidet werden;
in 2000m Hoehe dann ein kleiner aber kristallklarer,
tuerkisfarbener
Bergsee; und von dort hoch zum Gipfel. Mein
Gespraechspartner ist ueber weite
Strecken der Arzt aus Prizren,
ein Kosovotuerke, der einigermassen Englisch spricht.
Er
erzaehlt, dass er in der Nacht, als die NATO-Bomben ihren
groessten
"Kollateralschaden" anrichteten, naemlich, als ein
kosovoalbanischer
Fluechtlingstreck ausserhalb von Prizren
bombardiert wurde (knapp 90 Tote oder so),
er der diensthabende
Arzt im Krankenhaus gewesen und insofern als erster am
Schauplatz
gewesen sei. Er meint, das Bild, das sich ihm da geboten habe,
ueberall
herumliegende Gliedmassen und zerstueckelte Menschen,
werde er sein Leben lang nicht
vergessen, und er habe jetzt noch,
ueber zwei Jahre danach, immer wieder Alptraeume
davon. Auf
Nachfrage meint er, dass die serbischen Behoerden zumindest in
DIESEM Fall
voellig korrekt reagiert und Hilfe geleistet haetten,
so gut es ihnen moeglich
gewesen sei.
Von der Spitze der
Bistra liegt einem Tetovo, die zweitgroesste Stadt von
Mazedonien
und hauptsaechlich von Albanern bewohnt, quasi zu
Fuessen - ich schaetze, es werden
vielleicht 12 - 15 km Luftlinie
zum Stadtzentrum sein. Ein paar Kilometer jenseits
von Tetovo,
immer noch eindeutig im mehrheitlich albanisch bewohnten Gebiet,
brennt
ein Dorf - dicke Rauchsaeulen steigen zum Himmel. (Am
Abend werde ich im
Internet-"Standard" lesen, dass der Tag in
Mazedonien ruhig verlaufen ist und die
Friedensverhandlungen
erfolgreich waren.)
Ich denke an den letzten Herbst, als ich
nach einem Besuch in Skopje hier an dieser
Stelle geschrieben
habe: "Die Frage ist nicht, ob es in Mazedonien Krieg geben
WIRD.
Die Frage ist fuer mich, warum er noch nicht laengst
ausgebrochen ist." - oder so
aehnlich. Und ich denke an Marijana,
die kroatische WHO-Mitarbeiterin, die voriges
Jahr bei der
Wanderung dabei war, und mir erzaehlt hat, dass sie zwar im
Kosovo
arbeite, aufgrund ihrer Familiensituation (Ehemann in
Skopje angestellt, Kleinkind)
in Mazedonien wohne. Und ihre
slavomazedonischen Unterkunftgeber haetten ihr
eingeblaeut, ja
niemandem in Mazedonien zu sagen, dass sie im Kosovo arbeite,
"bei
diesen albanischen Banditen". Und die Kosovaren seien der
Unterstuetzung der
internationalen Gemeinschaft nicht wuerdig,
weil "das waren nicht die Serben, die
haben ihre Haeuser alle
SELBER angezuendet, um an die Hilfe der
internationalen
Organisationen heranzukommen." Wir waren uns
damals schon pessimistischerweise einig,
dass Mazedonien bald
explodieren wuerde - und heute, beim Betrachten des
brennenden
Dorfes, wo das, was sich Menschen ein Leben lang
muehsam geschaffen haben, sinnlos
vernichtet wird, denke ich mir,
wie gern ich letzten November unrecht gehabt haette.
Was ich
dabei am wenigsten verstehen kann (und schon vorigen Herbst nicht
verstehen
konnte): Diese Grenze zwischen Mazedonien und Kosovo
ist doch noch nicht einmal zehn
Jahre alt, das war vorher doch
drei Generationen lang EIN Land! Mazedonien und der
Kosovo waren
ungefaehr so lange Bestandteile EINES Landes wie z.B.
Niederoesterreich
und Burgenland - und trotzdem dieses
Misstrauen, diese Vorurteile, obwohl jeder
Slavomazedonier
albanische Nachbarn, Arbeitskollegen, Geschaeftspartner, etc.,
haben
muss - das Misstrauen kann also nicht aus Nichtkennen
erwachsen. Und ich habe damals
zwar nicht angefangen, zu
VERSTEHEN, aber zu VERGLEICHEN - mit dem Furor, in den
die
"gemuetlichen Oesterreicher" auf einmal gegen die Juden
verfallen sind, als es
opportun geworden ist, 1938. Und Marijana
hat mir ein weiteres Lehrbeispiel zum Thema
erzaehlt: Das
Vorgehen gegen die serbische Minderheit in Kroatien.
Sie war
damals Lehrerin in einem Gymnasium in Dubrovnik, als Tudjman an die
Macht
gekommen ist. Bis dahin keinerlei Probleme im Zusammenleben
der beiden Volksgruppen.
Kurz nach Tudjmans Machtuebernahme
fielen auf einmal immer wieder naechtliche
Schuesse in der Stadt
- angeblich aus serbisch bewohnten Haeusern. Das diente
als
Vorwand fuer jegliche Art von Razzien und Schikanen gegen die
serbischen Bewohner der
Stadt. - In der Schule gab es einige
serbische Lehrer. - Eines Tages lud der neue
Direktor saemtliches
Lehrpersonal, einen nach dem anderen, in die Direktion vor,
um
eine Petition zwecks Entlassung der serbischen Kollegen zu
unterschreiben, formuliert
"im Namen des Lehrkoerpers" - das
ganze unter Androhung der Entlassung derjenigen,
die nicht
unterschrieben. - Marijana meinte, sie schaeme sich heute noch und
werde
sich bis an ihr Lebensende schaemen dafuer, dass sie sich
dem Druck gebeugt habe -
genauso wie alle ihre Kollegen. (Die
Petition wurde dann in der Zeitung
veroeffentlicht.) - Naechster
Streich: Ein Kanonenboot der jugoslawischen Bundesarmee
beschoss
Dubrovnik. Grosse Zeitungsanzeigen erschienen, in denen die
Privatadressen
der kroatischen Ehefrauen von serbischen
Armeeoffizieren, "diesen Verraetern",
veroeffentlicht wurden. Der
Druck nahm zu - nach wenigen Wochen waren
alle
"gemischt-ethnischen" Ehen geschieden, oder aber die
kroatischen EhepartnerInnen
hatten Dubrovnik verlassen. - Die
Stadt war serbenfrei.
Am Abend bei der Rueckfahrt dann der
Fauxpas, der mir einmal mehr die Komplexitaet
des Kosovo vor
Augen fuehrt: Wir bleiben in Recane, dem Ort mit der albanischen
und
der tuerkischen Flagge am Minarett, stehen, um in einem
Restaurant direkt am Fluss
abendzuessen. Unser ortskundiger
Begleiter kommuniziert mit dem Kellner in einer
Sprache, die ich,
ohne genau hinzuhoeren, fuer Tuerkisch halte. (Albanisch
war's
jedenfalls nicht.) Ich probier's auf Albanisch - grosses
Unverstaendnis, betretene
Gesichter, peinlich. Auf Englisch
klappt die Kommunikation dann, und der Kellner lobt
die
Frischheit der Forellen, die aus dem Fluss, gleich unterhalb der
Terrasse,
kaemen. Recane ist von Bosniaken bewohnt, die haben
aber nichts mit Bosnien zu tun,
sondern sind die autochthone
slawisch-moslemische Bevoelkerung der Region. Bosniaken
sprechen,
wiewohl Moslems, lupenreines Serbisch.
Originell das
Abservieren der leeren Bierflaschen: Der Kellner wirft sie
einfach
ueber das Gelaender der Terrasse in den Fluss. Die
Deutschen haben unten in Prizren,
das dieser Fluss 15 km weiter
unten durchquert, an den Bruecken ein eigenes
Verkehrszeichen
aufgestellt: "Abfall in den Fluss werfen verboten" - eine runde
Tafel
mit einem durchgestrichenen Maennchen, das etwas in
stilisierte Wellen kippt. Als ich
vor dem Verzehr der bestellten
Forelle die Toilette aufsuche, kommt mir mein
Basiswissen in
Biologie insoweit zugute, als es mich vor einem Totalverlust
des
Appetits bewahrt: Die Toilette ist ein Loch, das direttissima
in den Fluss muendet,
aus dem die tollen, frischen Forellen
kommen. - Zum Glueck fressen Forellen keine
Scheisse - oder???
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