**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: 19. Juni 2001 -16:16
**********************************************************
Schule I/Kommentar:
> Schlimm ist nur die Debatte
Zur
Diskussion um die "Verhaltensvereinbarungen"
Die Schueler
werden immer schlimmer und immer duemmer, ein Ende
der Talfahrt
ist nicht absehbar. Zumindest gegen "schlimmer" hat
Oesterreich
jetzt etwas gefunden und ich bin sicher gegen duemmer
wird sich
auch noch etwas machen lassen.
Gegen schlimmer helfen ab
sofort Verhaltensvereinbarungen des
Schulforums bzw. des
Schulgemeinschaftsausschusses. Je nachdem,
was Lehrer und Eltern
einer Schule schlimm finden, es wird
diagnostiziert und geahndet.
3x zu spaet kommen =1x nachsitzen.
Das wird unglaublich helfen,
hat schon zu meiner Zeit unglaublich
geholfen, naemlich gar
nicht. Uebrigens war natuerlich auch meine
Generation schlimm und
dumm zum aus der Haut fahren und die heute
"neuen"
Erziehungsmittel gab es damals schon oder besser: Es gab
sie
noch, obwohl fortschrittliche PaedagogInnen schon damals
der
Meinung waren, dass das nicht hilft. Jede Klasse war
ungemein
stolz darauf, die schlimmste Klasse der ganzen Schule zu
sein und
noch heute leben Maturatreffen von Gschichtln ueber die
besondere
Schlimmheit, an die man sich mit Freude erinnert, weil
es so
ziemlich das einzig Attraktive an der ganzen Schulzeit
war.
Vielleicht war ja im Eck stehen muessen einmal eine Schande,
aber
in meiner Schule war das in den 60er Jahren der Jux des
Tages,
eine Auszeichnung die Klassenclowns anstrebten und als
Imagegewinn
verbuchen konnten, hiesz doch schlimm sein, sich
etwas trauen, was
sich die anderen nicht trauen. Schlimm sein
hiesz, riskieren, dass
die Eltern (Vater!) vorgeladen werden,
schlimm sein, hiesz zum
Direktor muessen. Schlimm sein, war eine
Mutprobe. Schlimm sein,
war der erste Schritt zur Zivilcourage.
Nachdem blau-schwarz wohl
kaum eine Zivilcourage-Kampagne
einleiten wollen, steckt anderes
dahinter. Aber was?
Die
Schule muss wieder strenger werden, so lautet das Credo
von
rechts seit Jahren. Einige Schulen wittern seit langem
Aufwind und
sind laengst zur Tat geschritten. Eine Pflichtschule
in der
Steiermark sanktioniert Schwaetzen mit Zukleben des
Mundes. Die
Kosten fuer das Leukoplast uebernimmt der
Elternverein. An einem
Vorarlberger Gymnasium muss ein Schueler,
der einen Lehrer am Gang
nicht entsprechend grueszt, diesen eine
Woche lang vor jederStunde im Lehrerzimmer abholen und ihm die
Tasche
tragen, etliche
Schulen fangen Zu-spaet-Kommende beim
Schultor ab, sie duerfen
nicht in ihre Klasse, sondern werden in
einer eigenen Klasse
beaufsichtigt, geahndet werden Konflikte
zwischen SchuelerInnen,
Stoeraktionen, Unpuenktlichkeit,
Frechheit u.a. Wie man sieht,
sind Schulen schon bislang
keineswegs zimperlich in der Wahl der
Mittel gewesen. Es war also
kein neues Gesetz notwendig, um die
sogenannte Ordnung aufrecht
zu erhalten. Blau-schwarz geht es nur
um eines: Den Ausschluss
von SchuelerInnen aus der Schule.
Schueler, die in Hinkunft ihre
Pflichten in schwerwiegender Weise
verletzen und bei denen die
Masznahmen der autonomem Schulordnung
erfolglos bleiben, sind von
der Schule auszuschlieszen. Darum geht
es.
Uebrigens:
Nicht nur schlimmer werden die Schueler. Habt ihr
gewusst, dass
sie auch immer duemmer werden? Habt ihr gewusst,
dass das
"Schuelermaterial" immer schlechter wird, dass Schueler
immer
weniger leisten? Habt ihr gewusst, dass nicht nur
neue
Diszipliniermasznahmen geschaffen werden muessen, sondern
auch
neue Ausleseverfahren, damit das Niveau in den Klassen
nicht
sinkt. Aufnahmepruefungen, schaerfere Notengebung und
eine
Hoechstgrenze fuer die Zahl von SchuelerInnen mit
nichtdeutscher
Muttersprache wirken Wunder. Die SchuelerInnen
muessen wieder mehr
leisten! Der naechste Zug der blau-schwarzen
Regierung, die nichts
anderes will als die autoritaere Wende auch
in der Schule, ist
bereits bekannt. Nach den
Verhaltensvereinbarungen kommt die
Elitenfoerderung. Und
Oesterreich wird wieder applaudieren. Mehr
Strenge, mehr Druck,
mehr Auslese, das sind die alten und neuen
Rezepte fuer die
Schule, die so dringend eine Reform ganz anderer
Art
braeuchte.
Es waere schon so viel getan, wuerde Schule nicht
hauptsaechlich
langweilen und stressen (Ausnahmen
bestaetigen...). Waere es nicht
sinnvoll endlich umzusteigen vom
Auswendiglernen und Abpruefen von
Daten und Fakten, die wenige
Wochen spaeter ohnehin wieder weg
sind, auf ein System des
vernetzten Denkens und eigenstaendig
Arbeitens? Koennte nicht
endlich das nachweisbar untaugliche
Notensystem durch andere
Formen der Rueckmeldung und Ermutigung
ersetzt werden? Und
koennte Schule nicht auch Spasz machen und
tatsaechlich
leistungsfoerdernd sein? Und bitte, bitte koennte in
Oesterreich
einmal eine bildungspolitische Diskussion stattfinden,
vielleicht
auf dem Niveau von Harmut von Hentig*?
Susanne
Jerusalem
Fraktionschefin der Gruenen im Kollegium des
Wiener
Stadtschulrates
* dt. Paedagoge, Jg. 1923;
propagiert u.a. "die Belehrung und
authentische Erfahrungen
ermoeglichende Selbstfindung und -
bestimmung gegenueber dem
Systemcharakter der Gesellschaft" sowie
das Nahebringen von
Kritik und Selbstkritik, um "rationale
Prozesse von irrationalen
unterscheiden zu
koennen".
**********************************************************
'akin - aktuelle informationen'
wipplingerstrasze 23/20
a-1010 wien
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
fax: ++43 (0222) 535-38-56
e-mail:akin.büro@gmx.at
Domain:http://akin.mediaweb.at
Bank Austria, BLZ 12000,223-102-976/00, Zweck: akin