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Aussendungszeitpunkt: 12. Juni 2001 - 14:55
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Glosse/Prinzipielles:
Was, waere, wenn...?
Ueberlegungen zur Unzeit
Man stelle
sich vor: In einem Land kommt nach dem Ende eines
als
Unrechtsregime erkannten Herrschaft eine politische Klasse an
die
Macht, die sich vor allem dadurch legitimiert, nichts mehr
mit den
alten Herren zu tun haben zu wollen. Daraufhin bleibt
diese neue
Regierungsklasse aus Politikern und hohen Beamten
jahrzehntelang
an der Macht. Es gibt zwar Umgruppierungen und
Fluegelkaempfe, die
manchmal die eine Fraktion, manchmal die
andere Fraktion
hochschwappt, aber grosso modo bleibt es immer in
der Familie.
Mit der Zeit wird fuer diese Fuehrungsschicht
das Regieren zur
Gewohnheit und zur Selbstverstaendlichkeit.
Solange die sozialen
Parameter einigermaszen stimmen, wird das
auch vom Volk
akzeptiert. Aber irgendwann stimmen sie nicht mehr
- sei es wegen
der Launen der Weltwirtschaft resp. des IWF, wegen
weltpolitischer
oder technologischer Umbrueche oder sei es, weil
die Obrigkeit
korrupt und ihren Untertanen entfremdet ist und
keine Ahnung mehr
davon hat, wie es ist in sozialer Unsicherheit
zu leben. Egal: Auf
alle Faelle steigt der Anteil der Armen und
vor allem die Angst
des Einzelnen, vielleicht bald selbst zu den
Marginalisierten zu
gehoeren.
Nun hat das Establishment --
nicht unwesentlich "sozialistisch"
gepraegt -- jahrzehntelang
fuer eine Entpolitisierung der
Bevoelkerung gesorgt -- nach dem
Motto: Die Politik ist unsere
Angelegenheit und wir machen das
schon. Damit wurde gluecklich
eine Organisation von unten oder
auch ein differenzierter
politischer Diskurs auf Massenbasis
verhindert.
Das macht sich eine kleine extremistische
politische Gruppierung
zunutze, um mit platten Parolen und dem
Rekurs auf
traditionalistische Herschaftsideologien frustrierte
Absteiger zu
koedern. Binnen weniger Jahre wird diese Gruppierung
zu einer
echten Gefahr fuer die regierende Clique. Diese geht
daraufhin auf
viele der politischen Forderungen der
Oppositionsgruppe ein, ohne
sie aber formal an der Macht zu
beteiligen und auch ohne die
sozialen Parameter zu verbessern.
Die Folge: Die Extremisten
gewinnen weiterhin Zulauf.
Bei
den folgenden Wahlen zur Bundesgesetzgebung zeichnet sich
eine
Mehrheit der Opposition ab. Das Establishment laeszt die
Wahlen
abbrechen und fuer ungueltig erklaeren.
Seit damals
sind viele jener an sich schon duerftig gewesenen
buergerlichen
Freiheiten suspendiert. Eine echte Opposition
existiert nicht
mehr im Land. Ein autoritaeres Regime wurde
installiert, um ein
anderes zu verhindern.
Nein, spaetestens beim vorletzten
Absatz merkt man es: Es geht
hier nicht um Oesterreich, auch wenn
manches bekannt klingt. Es
geht um Algerien. Ihr erinnert Euch:
In der letzten Ausgabe der
akin war eine vierseitige Schilderung
der algerischen Geschichte
des letzten Jahrzehnts verfaszt von
einer NGO. In Folge unserer
Rezeption des Textes hob in der
Redaktion eine Debatte an, wie man
denn als europaeischer Linker
zu solch einer Handlungsweise stehen
soll. Deswegen dieser
Artikel.
Daher: Doch Oesterreich! Sicher, bei uns ist das
alles nicht
passiert, richtig. Aber ich spinne mal ein bisserl
rum: Beinahe
haetten sich SPOe und OeVP Anfang des Jahres 2000 ja
wieder
gefunden. Gesetzt den Fall, wir haetten weitherhin
Rotschwarz
gehabt und Haider waere dann wohl weiter auch formal
FPOe-Chef
geblieben. Sagen wir, das ganze haette vielleicht noch
zwei
Legislaturperioden gehalten. Und dann setzen wir
den
zugegebenermaszen immer noch unwahrscheinlichen Fall, die
FPOe
waere an die Grenze der 92 Mandate vorgestoszen. Wir stellen
uns
weiter vor, die Koalition inclusive Bundespraesident
haette
daraufhin den Ausnehmezustand ausgerufen. Das alles
unter
verhaltenem Applaus der EU-Staaten, deren Regierungen bei
Algerien
genauso reagiert hatten und -- siehe EU-"Sanktionen" --
sich vor
aehnlichen Entwicklungen daheim
fuerchten.
Schoen, erscheint alles sehr unwahrscheinlich.
Oesterreich ist
nicht Algerien und wir haben jetzt ja schwarzblau
-- eine
Entwicklung, die auch nicht gerade lustig
ist.
Realpolitisch mag diese Diskussion daher momentan
vielleicht
mueszig erscheinen. Aber es stimmt mich einfach
bedenklich und
auch ein wenig ratlos, dasz die 1992 bei den
algerischen
Ereignissen sehr wohl darueber aufgeflackerte
Diskussion
verdaechtig schnell vorueber war -- der
antifaschistische Reflex
hatte dafuer gesorgt, dasz das
Niederbuegeln des Frustrationsstaus
des Volkes Algeriens wegen
einer korrupten und neoliberalen
Regierung mit
sozialdemokratische Geschichte als legitimer Akt der
Notwehr
akzeptiert wurde -- mit dem Effekt, dasz ernsthafte
Opposition --
egal aus welcher Richtung -- in diesem Land fast
ueberhaupt nicht
mehr im legalen Bereich existieren kann.
Vielleicht hatte man
damals gehofft, dasz der Ausnahmezustand nur
ein kurzes
Intermezzo sein wuerde und der Staat koennte mittels
sozialer und
dann auch demokratischer Reform zu einer stabilen
Realverfassung
und zu einem politischen Klima kommen, wo es keiner
Islamisten
mehr bedarf. Nur war dem eben nicht so und es war auch
nicht
wirklich zu erwarten -- denn eine Regierung mit
gutpraepariertem
Feindbild ist selten willens, sich der Vorteile
des absoluten
Regierens selbst zu entledigen.
Das ist aber eben ein
prinzipielles Problem -- deswegen meine
drastische
Gedankenspielerei mit der oesterreichischen
Innenpolitik: Um die
Nichtdebatte von solchen Zwickmuehlen
aufzuzeigen. Es geht hier
wie so oft um Problematiken, die man
eben nicht mittels einfacher
Parteiergreifungen loesen kann,
sondern sich fragen musz, welchen
Standpunkt man als Antifaschist
vertreten soll. Denn genau diese
Frage, wird sich in einer Zeit
der weltweiten Verschaerfung der
Verteilungskaempfe einerseits und
der Entpolitisierung der Massen
andererseits vielleicht bald
haeufiger stellen.
Der weise
Odysseus hatte ja auch dieses Problem: Er wuszte, sein
Schiff
musz durch eine Meerenge, wo auf beiden Seiten
Meeresungeheuer
lauerten. Er machte den Fehler, sich zu
entscheiden: Um seine
Leute nicht in voellige Konfusion zu
bringen, warnte er sie nur
vor der Charibdis und verschwieg sein
Wissen um die andere
Gefahr. Die Folge: Das Schiff machte einen
groszen Bogen um
Charibdis und Scylla frasz dafuer ein halbes
Dutzend seiner
Matrosen.
Wenn daher die Linke und die "Zivilgesellschaft"
nicht begreift,
dasz sowohl Scylla als auch Charibdis zu
bekaempfen sind, dann
duerfen wir uns nicht wundern, wenn wir
eines Tages das Opfer der
einen oder der anderen
werden.
*Bernhard
Redl*
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