**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: 29.5.2001 -16:08
**********************************************************
Festung Europa:
> Die neuen Kolonialbeamten
Von
Weiszrussland bis Sarajevo: Die Europaeische Union dehnt
ihr
Sicherheitsregime gegen Fluechtlinge nach Suedost- und
Osteuropa
aus.
Das Unglueck hat System: Wegen der
rigiden Grenzkontrollen endet
die illegale Einreise in die EU oft
toedlich, wie vergangenes Jahr
in Dover, als 58 Fluechtlinge in
einem Kuehllastwagen erstickten.
Jetzt will die EU weit jenseits
ihrer Grenzen fuer Sicherheit
sorgen. Beamte sollen bereits in
Suedosteuropa verhindern, dass
Migranten ihr zu nahe
kommen.
Am 4.Juli soll die 21koepfige Zuwanderungskommission,
die der
deutsche Innenminister Otto Schily vor einem Jahr
installiert hat,
ihre Empfehlung fuer eine neue Migrationspolitik
abgeben. Die
Grundlagentexte liegen bereits seit zwei Jahren vor,
und die
Schily-Kommission duerfte Folgendes verkuenden: Mithilfe
eines
Punkte-Systems sollen pro Jahr 600.000 MigrantInnen
ausgesiebt
werden, die einen legalen Aufenthaltsstaus erhalten.
400.000
MigrantInnen sollen mehr oder weniger freiwillig
abgeschoben
werden. Nicht eine Liberalisierung, sondern ein
Ausbau des
Kontrollsystems bis in die Herkunftslaender steht also
bevor.
Die Kriegspolitik und die Interventionen in
Suedosteuropa haben
aus dem Balkan ein gegliedertes
EU-Protektorat gemacht. Mit
anderen Worten: Westeuropa hat neue
abhaengige Gebiete, die es
durch ein mehrstufiges System von
Regierungsbeauftragten,
Beratern, Unternehmen, Think-Tanks
und
Nichtregierungsorganisationen zu verwalten sucht.
*Die
diskrete Gewalt*
Die Migrationspolitik wird die
parlamentarischen
Kontrollfunktionen und die
Legalitaetsverhaeltnisse von Politik in
einer Weise beruehren,
wie sie in den letzten Jahrzehnten in
Europa unbekannt war. Die
Vertreter des Westens exekutieren in den
abhaengigen Laendern
Normen und Vorgaben, die nicht aus den
lokalen
gesellschaftspolitischen Kontrollprozessen hergeleitet
werden.
Stattdessen wird fuer den Einsatz in den neuen
¯Schutzgebieten®
einerseits die Protektion der Menschenrechte
bemueht, und
andererseits wird ein Doppelrecht ausgebildet.
Waehrend in der EU
formale Rechtsverhaeltnisse herrschen, mit
Rechtsmittelgarantien
und Gewaltenteilung, walten die Entsandten
in der Peripherie nach
eigenem Ermessen.
Diese moderne diskrete Gewalt, die im
Auslaenderrecht und in der
Notstandsgesetzgebung kodifiziert
wurde, entstammte urspruenglich
dem Zeitalter des Kolonialismus.
Die Kolonialbeamten waren haeufig
lokal regierende Machthaber,
Polizisten und Richter in einer
Person. In den Jahren des
Kolonialismus unterlagen Millionen
Menschen nicht etwa dem
Strafgesetzbuch, das sich gleichzeitig
ausbildete, sondern dem
Verwaltungs- und Willkuerrecht der
Kolonialbeamten.
Mit
welchen Befugnissen, Legitimationen und
Handlungsspielraeumen
werden kuenftige EU-Grenzpolizisten nun bei
einem permanenten Out-
of-area-Einsatz in Bosnien-Herzegowina, im
Kosovo oder auch in
Ostpolen ausgestattet?
Wenn man auf
den Formationsprozess der EU im vergangenen
Jahrzehnt
zurueckschaut, so kann man zunaechst konstatieren, dass
die
Schengener Vertragsstaaten die Auszengrenzen abgeschottet
haben.
Gleichzeitig hat ein gigantischer Zusammenschluss
der
Polizeikraefte nach innen stattgefunden, ablesbar am
einheitlichen
Schengener Informationssystem
(SIS).
*Ungleiche Partner*
Durch die Zusammenarbeit
der oestlichen deutschen Bundeslaender
mit Polen und der
Tschechischen Republik wurde erstmals die
Deregulierung der
internationalen Migrationspolizei versucht. Sie
erfolgte ohne
anweisende Vorschriften, ohne ausreichende
Sprachenkunde und ohne
gesamtpolitische Annaeherungen. Zu den
wichtigen Voraussetzungen
dieser Konstellation gehoert, dass es
sich um die Grenze mit dem
hoechsten Einkommensgefaelle auf der
Welt. Die Praktiken, die der
BGS in den Grenzgebieten entwickelte,
zielten von Anbeginn auf
moeglichst viele Zurueckweisungen und
Rueckschiebungen.
Unerwuenschte Fluechtlinge und MigrantInnen
ueberstellt der
Bundesgrenzschutz (BGS) seitdem zu Zehntausenden
jaehrlich an die
beiden oestlichen Nachbarlaender. Wie ist es
moeglich, dass ein
solches System der maximal denkbaren Asymmetrie
funktionieren
kann? Und dass ausgerechnet hier eine EU-
Grenzpolizei auszerhalb
der EU entstehen konnte?
Moeglich, dass die
Kompensationszahlungen eine wesentliche Rolle
spielten, die die
Bundesregierung und spaeter die EU an die beiden
Nachbarstaaten
fuer die Neuorganisation der dortigen
Polizeiapparate
ueberwiesen. Eine weitere Antwort ist darin zu
suchen, dass den
polnischen und tschechischen Grenzschuetzern mit
den ¯Illegalen®,
¯Schleppern® und ¯Schleusern® nicht nur ein neues
gemeinsames
Feindbild vermittelt, sondern auch eine neue
polizeiliche Praxis
angeboten wurde: die Rueckschiebung. Dieses
Instrument wendet die
Grenzpolizei gegenueber denjenigen an, denen
jegliches
Statusrecht, auch das auf Asyl, verweigert wird.
Innerhalb von 48
Stunden werden sie nach ihrer Festnahme ueber die
Grenze
zurueckgeschoben. Sie haben keine Chance, Verwandte und
Bekannte
zu benachrichtigen, einen Anwalt einzuschalten. Sie sind
der
alleinigen Exekutionsmacht des BGS unterworfen. Nirgendwo
im
Landesinneren gibt es diese absolute Verfuegungsmacht,
diese
Verwaltungsermaechtigung.
Dieser Machtzuwachs ist
offensichtlich der Faktor, der die
ungleichen Partner vor,
waehrend und nach der Menschenjagd
zusammenhaelt. Eine gemeinsame
Kultur entsteht bei den
Grenzpolizisten diesseits und jenseits
der Schengener
Auszengrenze, naemlich die, zur europaeischen
Zivilisation zu
gehoeren und grenzueberschreitend zu ihrer
Sicherung beizutragen.
*Gefaehrliche Klassen*
Weitere
Protagonisten des EU-Grenzschutzes sind die
Verbindungsbeamten
auf dem Balkan. BGS-Polizisten befinden sich
seit dem
Zusammenbruch des Staates in Albanien, seit dem Abkommen
von
Dayton in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien und
schlieszlich
seit dem Ende des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien im
Kosovo. Sie
widmen sich dort der versteckten Fluechtlingsfahndung
indem sie
Fluchtwege vom und durch den Balkan zu zerschlagen
versuchen. Der
Krieg ums Kosovo ermoeglichte eine zeitweilige
Realisierung dieses
Plans, die Fluechtlinge wurden in nahe
gelegenen, von den Nato-
Staaten eingerichteten Lagern
untergebracht und aufgehalten.
Vor diesem Krieg beschworen
die verschiedenen Polizeiorgane und
Medien eine Bedrohung, die
vom Balkan ausgehe. Als Ursache der
Unruhe galt nicht etwa die
rassistische Diskriminierung oder die
Politik der Ethnisierung,
sondern die Emigration von Kriminellen.
Waren es in der
Bundesrepublik die Kosovo-Albaner, die pauschal
des Drogenhandels
verdaechtigt wurden, so galten in Italien alle
Albaner als
hassenswerte Menschenhaendler und Zuhaelter.
Damit soll nicht
in Abrede gestellt werden, dass es tatsaechlich
Drogenhandel und
Prostituiertenausbeutung gibt. Hier interessiert
aber die
ethnisierte Stigmatisierung der gesamten Flucht und
Migration aus
denselben Gebieten, die zum Objekt polizeilicher
und
militaerischer Gewalt von auszen wurden. Es koexistieren
die
Bilder einer Bevoelkerung, die generell gefaehrlich wird,
wenn sie
nach Westeuropa vordringt, und derselben Bevoelkerung,
die
gaenzlich zum Opfer wird, wenn sie auf dem Balkan bleibt.
Ihr
Opferstatus ist konstitutiv fuer die ¯humanitaere
Intervention®
und eben auch fuer die Stationierung von
Verbindungsbeamten des
Grenzschutzes und anderer
Polizeieinheiten, die verhindern sollen,
dass Migration entsteht
und dass Migranten sich bei ihrer Ankunft
in Westeuropa in
gefaehrliche Klassen verwandeln. Das ist der
Kontext einer neuen
westeuropaeischen Menschenrechtspolitik, der
die Menschenrechte
als Begleitwerk eines Schutzanspruches in
abhaengigen Gebieten
gelten.
*Die Sarajevo-Route*
Der Staatsaufbau in den
suedosteuropaeischen Laendern begann mit
der Trennung der
Nachbarn, die sich seit der grenzpolizeilichen
Ueberwachung
nunmehr verfestigt. Heute ist in Bosnien-Herzegowina
der neue
Grenzschutz die einzige bedeutende Behoerde des
Gesamtstaats. Sie
zaehlt gegenwaertig 2 600 Polizisten, geplant
ist eine
Aufstockung auf 3 500 Grenzwaechter. Diese Behoerde
untersteht
wiederum der UN-Polizei-Taskforce,in der der
westeuropaeische
Einfluss entscheidend ist.
Zudem haben Verbindungsbeamte ihre
Stellungen als so genannte
Dokumentenberater und Koordinatoren
auf Flughaefen und in
Botschaften bezogen. Sie arbeiten auf der
Grundlage weniger
halbverbindlicher Texte, in denen keinerlei
rechtliche Befugnisse
festgelegt sind. Eine kohaerente Strategie
zum Aufbau einer EU-
Grenztruppe in Ost- und Suedosteuropa hat
bereits eine
Reflexionsgruppe erarbeitet. Im Februar 2001
veroeffentlichten
Amato und Tony Blair einen Aufruf zur
EU-Integration der diversen
westeuropaeischen Grenzpolizisten.
Diese sind bereits auf den
Flughaefen Sarajevo und Mostar sowie
an der bosnisch-
herzegowinischen Grenze zu Kroatien stationiert,
um die dort legal
reisenden Fluechtlinge und MigrantInnen aus dem
Nahen Osten und
Asien aufzuhalten.
Eine Sarajevo-Route
wollen Amato und Blair ausgemacht haben, die
durch hohe Strafen
fuer heimlichen Grenzuebertritt und eine
entsprechende Fahndung
zerschlagen werden soll. So seien 50 000
Personen in den ersten
zehn Monaten des Jahres 2000 illegal ueber
Bosnien in
europaeische Laender eingereist, schreiben sie unter
Berufung auf
die UN-Polizei in Sarajevo, die sich aus dem BGS und
anderen
europaeischen Polizeiorganen zusammensetzt. Seltsam, dass
sich
die Illegalen so einfach zaehlen lassen.
Ob die geografische
Ausdehnung des Grenzregimes der EU, begleitet
von einer
kontrollierten Zuwanderungspolitik, die Fluechtlinge
und
MigrantInnen abhalten wird, darf bezweifelt werden.
Alle
bisherigen Versuche schlugen fehl. Den Zugang zu
Existenzmitteln
und zu Wohlstand kann man nicht verbieten, die
Kaempfe und
Auseinandersetzungen um die soziale Frage in einem
vergroeszerten
Europa werden nicht auf sich warten
lassen.
*Helmut Dietrich, Forschungsgesellschaft Flucht und
Migration
Frankfurt/M; URL W³ffm-berlin.de (Text
gekuerzt)*
*geklaut
aus: Jungle World, Bergmannstr. 68, 10961 Berlin,
Tel.
++49-30-61 28 27 31 Fax ++ 49-30-61 8 20 55
M@Il jungle-world
**********************************************************
'akin - aktuelle informationen'
wipplingerstrasze 23/20
a-1010 wien
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
fax: ++43 (0222) 535-38-56
e-mail:akin.büro@gmx.at
Domain:http://akin.mediaweb.at
Bank Austria, BLZ 12000,223-102-976/00, Zweck: akin