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 Aussendungszeitpunkt: 29.5.2001 -16:08
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Festung Europa: 
> Die neuen Kolonialbeamten
          Von
            Weiszrussland bis Sarajevo: Die Europaeische Union dehnt
            ihr
Sicherheitsregime gegen Fluechtlinge nach Suedost- und
            Osteuropa
aus.
Das Unglueck hat System: Wegen der
            rigiden Grenzkontrollen endet
die illegale Einreise in die EU oft
            toedlich, wie vergangenes Jahr
in Dover, als 58 Fluechtlinge in
            einem Kuehllastwagen erstickten.
Jetzt will die EU weit jenseits
            ihrer Grenzen fuer Sicherheit
sorgen. Beamte sollen bereits in
            Suedosteuropa verhindern, dass
Migranten ihr zu nahe
            kommen.
Am 4.Juli soll die 21koepfige Zuwanderungskommission,
            die der
deutsche Innenminister Otto Schily vor einem Jahr
            installiert hat,
ihre Empfehlung fuer eine neue Migrationspolitik
            abgeben. Die
Grundlagentexte liegen bereits seit zwei Jahren vor,
            und die
Schily-Kommission duerfte Folgendes verkuenden: Mithilfe
            eines
Punkte-Systems sollen pro Jahr 600.000 MigrantInnen
            ausgesiebt
werden, die einen legalen Aufenthaltsstaus erhalten.
            400.000
MigrantInnen sollen mehr oder weniger freiwillig
            abgeschoben
werden. Nicht eine Liberalisierung, sondern ein
            Ausbau des
Kontrollsystems bis in die Herkunftslaender steht also
            bevor.
Die Kriegspolitik und die Interventionen in
            Suedosteuropa haben
aus dem Balkan ein gegliedertes
            EU-Protektorat gemacht. Mit
anderen Worten: Westeuropa hat neue
            abhaengige Gebiete, die es
durch ein mehrstufiges System von
            Regierungsbeauftragten,
Beratern, Unternehmen, Think-Tanks
            und
Nichtregierungsorganisationen zu verwalten sucht.
*Die
            diskrete Gewalt*
Die Migrationspolitik wird die
            parlamentarischen
Kontrollfunktionen und die
            Legalitaetsverhaeltnisse von Politik in
einer Weise beruehren,
            wie sie in den letzten Jahrzehnten in
Europa unbekannt war. Die
            Vertreter des Westens exekutieren in den
abhaengigen Laendern
            Normen und Vorgaben, die nicht aus den
lokalen
            gesellschaftspolitischen Kontrollprozessen hergeleitet
werden.
            Stattdessen wird fuer den Einsatz in den neuen
¯Schutzgebieten®
            einerseits die Protektion der Menschenrechte
bemueht, und
            andererseits wird ein Doppelrecht ausgebildet.
Waehrend in der EU
            formale Rechtsverhaeltnisse herrschen, mit
Rechtsmittelgarantien
            und Gewaltenteilung, walten die Entsandten
in der Peripherie nach
            eigenem Ermessen.
Diese moderne diskrete Gewalt, die im
            Auslaenderrecht und in der
Notstandsgesetzgebung kodifiziert
            wurde, entstammte urspruenglich
dem Zeitalter des Kolonialismus.
            Die Kolonialbeamten waren haeufig
lokal regierende Machthaber,
            Polizisten und Richter in einer
Person. In den Jahren des
            Kolonialismus unterlagen Millionen
Menschen nicht etwa dem
            Strafgesetzbuch, das sich gleichzeitig
ausbildete, sondern dem
            Verwaltungs- und Willkuerrecht der
Kolonialbeamten.
Mit
            welchen Befugnissen, Legitimationen und
            Handlungsspielraeumen
werden kuenftige EU-Grenzpolizisten nun bei
            einem permanenten Out-
of-area-Einsatz in Bosnien-Herzegowina, im
            Kosovo oder auch in
Ostpolen ausgestattet?
Wenn man auf
            den Formationsprozess der EU im vergangenen
            Jahrzehnt
zurueckschaut, so kann man zunaechst konstatieren, dass
            die
Schengener Vertragsstaaten die Auszengrenzen abgeschottet
            haben.
Gleichzeitig hat ein gigantischer Zusammenschluss
            der
Polizeikraefte nach innen stattgefunden, ablesbar am
            einheitlichen
Schengener Informationssystem
            (SIS).
*Ungleiche Partner*
Durch die Zusammenarbeit
            der oestlichen deutschen Bundeslaender
mit Polen und der
            Tschechischen Republik wurde erstmals die
Deregulierung der
            internationalen Migrationspolizei versucht. Sie
erfolgte ohne
            anweisende Vorschriften, ohne ausreichende
Sprachenkunde und ohne
            gesamtpolitische Annaeherungen. Zu den
wichtigen Voraussetzungen
            dieser Konstellation gehoert, dass es
sich um die Grenze mit dem
            hoechsten Einkommensgefaelle auf der
Welt. Die Praktiken, die der
            BGS in den Grenzgebieten entwickelte,
zielten von Anbeginn auf
            moeglichst viele Zurueckweisungen und
Rueckschiebungen.
            Unerwuenschte Fluechtlinge und MigrantInnen
ueberstellt der
            Bundesgrenzschutz (BGS) seitdem zu Zehntausenden
jaehrlich an die
            beiden oestlichen Nachbarlaender. Wie ist es
moeglich, dass ein
            solches System der maximal denkbaren Asymmetrie
funktionieren
            kann? Und dass ausgerechnet hier eine EU-
Grenzpolizei auszerhalb
            der EU entstehen konnte?
Moeglich, dass die
            Kompensationszahlungen eine wesentliche Rolle
spielten, die die
            Bundesregierung und spaeter die EU an die beiden
Nachbarstaaten
            fuer die Neuorganisation der dortigen
Polizeiapparate
            ueberwiesen. Eine weitere Antwort ist darin zu
suchen, dass den
            polnischen und tschechischen Grenzschuetzern mit
den ¯Illegalen®,
            ¯Schleppern® und ¯Schleusern® nicht nur ein neues
gemeinsames
            Feindbild vermittelt, sondern auch eine neue
polizeiliche Praxis
            angeboten wurde: die Rueckschiebung. Dieses
Instrument wendet die
            Grenzpolizei gegenueber denjenigen an, denen
jegliches
            Statusrecht, auch das auf Asyl, verweigert wird.
Innerhalb von 48
            Stunden werden sie nach ihrer Festnahme ueber die
Grenze
            zurueckgeschoben. Sie haben keine Chance, Verwandte und
Bekannte
            zu benachrichtigen, einen Anwalt einzuschalten. Sie sind
der
            alleinigen Exekutionsmacht des BGS unterworfen. Nirgendwo
            im
Landesinneren gibt es diese absolute Verfuegungsmacht,
            diese
Verwaltungsermaechtigung.
Dieser Machtzuwachs ist
            offensichtlich der Faktor, der die
ungleichen Partner vor,
            waehrend und nach der Menschenjagd
zusammenhaelt. Eine gemeinsame
            Kultur entsteht bei den
Grenzpolizisten diesseits und jenseits
            der Schengener
Auszengrenze, naemlich die, zur europaeischen
            Zivilisation zu
gehoeren und grenzueberschreitend zu ihrer
            Sicherung beizutragen.
*Gefaehrliche Klassen*
Weitere
            Protagonisten des EU-Grenzschutzes sind die
Verbindungsbeamten
            auf dem Balkan. BGS-Polizisten befinden sich
seit dem
            Zusammenbruch des Staates in Albanien, seit dem Abkommen
von
            Dayton in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien und
            schlieszlich
seit dem Ende des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien im
            Kosovo. Sie
widmen sich dort der versteckten Fluechtlingsfahndung
            indem sie
Fluchtwege vom und durch den Balkan zu zerschlagen
            versuchen. Der
Krieg ums Kosovo ermoeglichte eine zeitweilige
            Realisierung dieses
Plans, die Fluechtlinge wurden in nahe
            gelegenen, von den Nato-
Staaten eingerichteten Lagern
            untergebracht und aufgehalten.
Vor diesem Krieg beschworen
            die verschiedenen Polizeiorgane und
Medien eine Bedrohung, die
            vom Balkan ausgehe. Als Ursache der
Unruhe galt nicht etwa die
            rassistische Diskriminierung oder die
Politik der Ethnisierung,
            sondern die Emigration von Kriminellen.
Waren es in der
            Bundesrepublik die Kosovo-Albaner, die pauschal
des Drogenhandels
            verdaechtigt wurden, so galten in Italien alle
Albaner als
            hassenswerte Menschenhaendler und Zuhaelter.
Damit soll nicht
            in Abrede gestellt werden, dass es tatsaechlich
Drogenhandel und
            Prostituiertenausbeutung gibt. Hier interessiert
aber die
            ethnisierte Stigmatisierung der gesamten Flucht und
Migration aus
            denselben Gebieten, die zum Objekt polizeilicher
            und
militaerischer Gewalt von auszen wurden. Es koexistieren
            die
Bilder einer Bevoelkerung, die generell gefaehrlich wird,
            wenn sie
nach Westeuropa vordringt, und derselben Bevoelkerung,
            die
gaenzlich zum Opfer wird, wenn sie auf dem Balkan bleibt.
            Ihr
Opferstatus ist konstitutiv fuer die ¯humanitaere
            Intervention®
und eben auch fuer die Stationierung von
            Verbindungsbeamten des
Grenzschutzes und anderer
            Polizeieinheiten, die verhindern sollen,
dass Migration entsteht
            und dass Migranten sich bei ihrer Ankunft
in Westeuropa in
            gefaehrliche Klassen verwandeln. Das ist der
Kontext einer neuen
            westeuropaeischen Menschenrechtspolitik, der
die Menschenrechte
            als Begleitwerk eines Schutzanspruches in
abhaengigen Gebieten
            gelten.
*Die Sarajevo-Route*
Der Staatsaufbau in den
            suedosteuropaeischen Laendern begann mit
der Trennung der
            Nachbarn, die sich seit der grenzpolizeilichen
Ueberwachung
            nunmehr verfestigt. Heute ist in Bosnien-Herzegowina
der neue
            Grenzschutz die einzige bedeutende Behoerde des
Gesamtstaats. Sie
            zaehlt gegenwaertig 2 600 Polizisten, geplant
ist eine
            Aufstockung auf 3 500 Grenzwaechter. Diese Behoerde
untersteht
            wiederum der UN-Polizei-Taskforce,in der der
westeuropaeische
            Einfluss entscheidend ist.
Zudem haben Verbindungsbeamte ihre
            Stellungen als so genannte
Dokumentenberater und Koordinatoren
            auf Flughaefen und in
Botschaften bezogen. Sie arbeiten auf der
            Grundlage weniger
halbverbindlicher Texte, in denen keinerlei
            rechtliche Befugnisse
festgelegt sind. Eine kohaerente Strategie
            zum Aufbau einer EU-
Grenztruppe in Ost- und Suedosteuropa hat
            bereits eine
Reflexionsgruppe erarbeitet. Im Februar 2001
            veroeffentlichten
Amato und Tony Blair einen Aufruf zur
            EU-Integration der diversen
westeuropaeischen Grenzpolizisten.
            Diese sind bereits auf den
Flughaefen Sarajevo und Mostar sowie
            an der bosnisch-
herzegowinischen Grenze zu Kroatien stationiert,
            um die dort legal
reisenden Fluechtlinge und MigrantInnen aus dem
            Nahen Osten und
Asien aufzuhalten.
Eine Sarajevo-Route
            wollen Amato und Blair ausgemacht haben, die
durch hohe Strafen
            fuer heimlichen Grenzuebertritt und eine
entsprechende Fahndung
            zerschlagen werden soll. So seien 50 000
Personen in den ersten
            zehn Monaten des Jahres 2000 illegal ueber
Bosnien in
            europaeische Laender eingereist, schreiben sie unter
Berufung auf
            die UN-Polizei in Sarajevo, die sich aus dem BGS und
anderen
            europaeischen Polizeiorganen zusammensetzt. Seltsam, dass
sich
            die Illegalen so einfach zaehlen lassen.
Ob die geografische
            Ausdehnung des Grenzregimes der EU, begleitet
von einer
            kontrollierten Zuwanderungspolitik, die Fluechtlinge
            und
MigrantInnen abhalten wird, darf bezweifelt werden.
            Alle
bisherigen Versuche schlugen fehl. Den Zugang zu
            Existenzmitteln
und zu Wohlstand kann man nicht verbieten, die
            Kaempfe und
Auseinandersetzungen um die soziale Frage in einem
            vergroeszerten
Europa werden nicht auf sich warten
            lassen.
*Helmut Dietrich, Forschungsgesellschaft Flucht und
            Migration
Frankfurt/M; URL W³ffm-berlin.de (Text
gekuerzt)*
*geklaut
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