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 Aussendungszeitpunkt: 29.5.2001 -16:08
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Algerien/Kommentar:
>Blutiger Frieden
           
"Endlich scheint Europa Algerien (...)
            wieder zu entdecken!" Diese
Einschaetzung Werner Hoyers
            (deutscher Ex-Staatsminister und
Mitglied des Bundestags), die
            sicherlich einige Politiker teilen,
sollen eine Wende in Algerien
            heraufbeschwoeren, die die FAZ mit
weiteren Artikeln zu
            untermauern versucht: "In weniger als einem
Jahr hat es der neue
            Staatspraesident Bouteflika geschafft, mit
politischen Masznahmen
            dem Morden islamistischer Terrorbanden ein
Ende zu setzen".
            Dieses Fazit beruht auf der lapidaren
Feststellung, dasz Algerien
            das Jahrzehnt der "Barbarei"
ueberstanden habe und nun ein neues
            Zeitalter anbrechen wuerde.
Die Politiker und Geschaeftsleute auf
            beiden Seiten des
Mittelmeeres moechten glauben machen, dasz die
            Lage unter
Kontrolle sei, die Realitaet allerdings ist eine
            andere: Das
politische Leben ist vollstaendig lahmgelegt und
            gekennzeichnet
von fruchtlosen Debatten innerhalb und auszerhalb
            des Parlaments;
das Gesetz der "zivilen Eintracht", das die
            Gewalt eindaemmen
sollte, indem Mitgliedern bewaffneter Gruppen
            unter bestimmten
Umstaenden Straffreiheit gewaehrt werden sollte,
            hat nicht den
versprochenen Frieden herbeigefuehrt; das Abkommen
            mit der AIS
(bewaffneter Arm der FIS) ist nichts anderes als ein
            "Arrangement"
zwischen militaerischen Kraeften, dessen genauere
            Modalitaeten
unbekannt bleiben; Hunderttausende von Maennern
            (Milizionaere,
Kommunalgarden...) sind immer noch bewaffnet und
            mitverantwortlich
fuer die fortdauernde Gewalt; Dutzende von
            Menschen werden
weiterhin massakriert und erschossen (im
            Durchschnitt etwa 250
Tote im Monat) usw. Entgegen den
            Aeuszerungen des Journalisten der
FAZ sorgen bewaffnete Gruppen,
            deren Identitaet unbekannt und
zweifelhaft ist, weiterhin fuer
            Angst und Schrecken und die
wirtschaftliche Lage war selten so
            besorgniserregend. Der einzige
Rettungsring des Regimes sind die
            Erdoel- und Erdgaseinnahmen.
*Bouteflika: Ein neues Zeitalter
            bricht an*
Die Haltung der westlichen Regierungen gegenueber
            der algerischen
ist seit dem Putsch vom Januar 1992 dadurch
            gekennzeichnet, dasz
sie alle Brueche der Verfassung billigen.
            Der Kampf gegen eine
islamistische Opposition, die kurzerhand als
            demokratie- und
pluralismusfeindlich stigmatisiert wurde,
            legitimierte gegenueber
der Weltoeffentlichkeit einen Krieg, der
            sich aller erdenklichen
Mittel bedient. Zwar haben westliche
            Politiker und Medienvertreter
durch Lippenbekenntnisse die
            Wiederaufnahme des im Januar 1992
unterbrochenen
            Demokratisierungsprozesses gefordert, doch
gleichzeitig die
            Zerschlagung der islamistischen Opposition
grundsaetzlich
            akzeptiert, wenn nicht gutgeheiszen (unter dem
Motto: die
            "gruene" Gefahr lauert auch hier an allen Ecken). Die
algerischen
            Militaers, die sozusagen die direkte Macht uebernommen
haben,
            bemuehen sich zwar, den Schein einer zivilen Regierung zu
wahren,
            doch wissen sie, dasz ihre auslaendischen Partner die
Maskeraden
            (Scheinwahlen, Alibi-Opposition, falsche Amnestie,
"zivile
            Eintracht" usw.) mit "Nachsehen" unterstuetzen. Der
            damit
faktisch erteilte Freibrief fuer die algerischen Militaers
            fuehrt
dazu, dasz die noetigen materiellen Mittel zur Verfuegung
            gestellt
werden (IWF-Kredite, Umschuldungsprogramme,
            Waffenverkaeufe usw.),
um einen der brutalsten Kriege nach dem
            Ende des Kalten Krieges zu
finanzieren. So hat selbst waehrend
            des Hoehepunktes der Massaker
1997 die Lage in Algerien kaum eine
            oeffentliche Debatte auf
europaeischer oder internationaler Ebene
            ausgeloest.
Die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen
            konnten von
staatlichen Stellen begangen werden und die gesamte
            Bevoelkerung
in Mitleidenschaft ziehen, die offizielle Version
            lautete stets,
es handele sich dabei um Gewalttaten der
            Terroristen (Massaker,
extralegale Toetungen und
            "Verschwindenlassen") oder um die
notwendigen Folgen der
            Terrorismusbekaempfung (z.B. Terroristen,
die auf der Flucht
            erschossen wurden). Die hiesigen Politiker
begnuegten sich meist
            mit der offiziellen Erklaerung, ohne sich
den
            Menschenrechtsorganisation anzuschlieszen, die seit
            Jahren
Untersuchungen fordern.
*Eine ernsthafte politische
            Loesung ist nie in Betracht gezogen
worden*
Die algerische
            Militaerfuehrung und die politische Klasse haben
alle
            erdenklichen Hebel in Bewegung gesetzt, um die
repraesentative
            Opposition, die Anfang 1995 (drei Jahre nach dem
Putsch) eine
            Plattform zur Loesung der algerischen Krise
erarbeitet hatte,
            mundtot zu machen. Diese Opposition bestand u.a.
aus den drei
            wichtigsten Parteien, die waehrend des ersten
Wahlgangs 1991 etwa
            80% der Stimmen erhalten hatten. Anstatt diese
Initiative
            tatkraeftig zu unterstuetzen, zumal die FIS (Front
Islamique du
            Salut) sich den in der Plattform festgelegten
Prinzipien des
            Gewaltverzichts, der Meinungsfreiheit und des
Machtwechsels
            verpflichtet hatte, haben die westlichen Regierungen
die diversen
            Machenschaften der algerischen Militaers, um diese
Opposition zu
            zerschlagen, kriminalisieren oder marginalisieren,
mit angesehen
            und geschwiegen. Auch die deutsche SPD, die ebenso
wie die FFS
            (Front des Forces Socialistes) in der
            Sozialistischen
Internationale vertreten ist, hat weder die
            sogenannte "Plattform
von Rom"unterstuetzt noch die FFS
            gestaerkt. Bis heute folgt die
deutsche Algerienpolitik den alten
            Beziehungen, die manche SPD-
Persoenlichkeiten bereits waehrend
            des Befreiungskrieges zu FLN-
Verantwortlichen pflegten,
            ungeachtet der Tatsache, dasz diese
"alten Freunde" am "totalen
            Krieg" beteiligt sind.
Die Strategie des algerischen Regimes
            bestand darin, die
repraesentativen Stroemungen der Opposition
            durch Parteien ihrer
Wahl zu ersetzen und damit das politische
            Leben zu kontrollieren.
Die Parteien, die der Oeffentlichkeit als
            geeignete Opposition
vorgefuehrt wurden (es sei nur die auch hier
            bekannte RCD
(Rassemblement pour la Culture et la D‚mocratie
            genannt, deren
Repraesentanten Said Sadi und vor allem Khalida
            Messaoudi den
Militaers immer gute Dienste geleistet haben) haben
            nunmehr ihren
eigentlichen Platz oeffentlich eingenommen: in das
            System, das sie
vorgeben zu bekaempfen.
*Eine diktierte
            Amnesie anstelle der Wahrheit*
Nun sind sich alle Beobachter
            darin einig, dasz seit der Wahl
Bouteflikas (auch ein
            Widerstandskaempfer, der zudem die
algerische Auszenpolitik
            waehrend der glanzvollen Siebziger Jahre
vertreten hat), ein
            neuer Wind weht und Algerien sich auf dem
besten Weg zum Frieden
            sei. Mit einer entwaffnenden Leichtigkeit
und Schlagkraft werden
            seine Worte mit seinen Taten verwechselt.
Erneut wird darueber
            hinweggesehen, dasz das Militaer, obwohl
sechs andere Kandidaten
            zu den Praesidentschaftswahlen 1999
angetreten sind, Bouteflika
            ernannt hat (die Wahl selbst wurde
einstimmig als eine Farce
            bezeichnet, das geriet aber bald wieder
in Vergessenheit). Es
            wird wohlwollend akzeptiert, dasz Bouteflika
sich dem Diktat des
            Militaers beugt. Hat Bouteflika nicht selbst
deutlich gesagt, es
            gaebe eine "rote Linie", die er nicht
ueberschreiten wuerde? Und
            bis heute hat Bouteflika den Generaelen
sehr gute Dienste
            erwiesen: Algerien hat sich des Makels
international geaechteter
            Verbrechen vorerst entledigt und niemand
spricht mehr von einer
            unabhaengigen Untersuchungskommission, die
den Massakern oder
            anderen Verbrechen des Militaers (und der
bewaffneten Gruppen)
            nachgehen soll.
Diese Amnesie hat offensichtlich auch die
            islamistische Opposition
befallen. Der Inhalt des Abkommens
            zwischen der AIS und dem
algerischen Geheimdienst ist bis heute
            unbekannt, und es ist eine
Forderung der algerischen
            Oeffentlichkeit darueber informiert zu
werden. Im Oktober 1997
            haben die AIS und andere bewaffnete
Gruppen einen einseitigen
            Waffenstillstand angekuendigt, dem auf
Regierungsebene die
            Amnestierung der Mitglieder dieser Gruppen im
Zuge der "zivilen
            Eintracht" folgte. Darueber hinaus hat dieses
Gesetz den
            Mitgliedern anderer Gruppen die Moeglichkeit geboten,
sich
            individuell den Behoerden zu stellen und vor
            eine
Bewaehrungskommission zu treten, die unter der
            Voraussetzung, dasz
der "Reumuetige" keine groeszeren Verbrechen
            begangen hat, diesen
freispricht. Auch hier sind die genaueren
            Vorgaenge und die Zahl
der Betroffenen nicht bekannt. Besteht der
            Deal darin, um den Lohn
der Straffreiheit ueber die Verbrechen
            der Militaers zu schweigen?
Die politische Fuehrung der FIS
            (Instance Executive) hat
jedenfalls die "concorde civile"
            begrueszt und aeuszert sich
seitdem nicht mehr dazu. Allerdings
            scheint diese neue Entwicklung
nicht zu bedeuten, dasz die
            Sympathisanten und Aktivisten der FIS
keine Verfolgung zu
            befuerchten haben, wie wir weiter unten
erlaeutern werden. An
            dieser Stelle ist festzuhalten, dasz dieses
geheime Abkommen
            keine Aufklaerung der Verbrechen der letzten
Jahren vorsieht
            indem Untersuchungen angestrengt und die
Verantwortlichen zur
            Rechenschaft gezogen werden, sondern, dasz
von allen Seiten ein
            Schluszstrich gezogen werden soll.
Aber nicht nur Bouteflika
            und die Islamisten respektieren diese
"rote Linie", sondern die
            westlichen Politiker und die Medien, ob
in Algerien oder im
            Westen, ebenso. Es herrscht offenbar
allgemeiner Konsens
            darueber, dasz nicht ueber den Krieg
gesprochen werden darf.
            Bouteflika persoenlich hat zwar waehrend
seiner Reise nach
            Frankreich im Juni gegenueber franzoesischen
Journalisten die
            Zahl von 150 000 Toten angegeben, so wie er bei
Amtsantritt von
            10 000 "Verschwundenen" gesprochen hat, doch darf
nicht gefragt
            werden, wer fuer diese erschreckende Zahl von
            Opfern
verantwortlich ist. Ein neues Geschichtsverstaendnis
            wird
festgeschrieben: Die Epoche "Vor-Bouteflika", "das Jahrzehnt
            des
Terrorismus" gehoert der Vergangenheit an, ueber die
            nicht
gesprochen werden darf und das neue Zeitalter des Friedens,
            das
Bouteflika eingeleitet hat, ist nun angebrochen. Im Gegensatz
            zu
den Jahren davor wird also die Zahl der Opfer keineswegs
            geleugnet
(bis zum Amtsantritt von Bouteflika wurde offiziell von
            26 000
Toten und einigen Hunderten von Verschwundenen
            gesprochen), aber
durch die nachhaltigen Folgen der offiziellen
            Kriegspropaganda und
der allgemeinen Tabuisierung der staatlichen
            Repression werden
diese Opfer entweder als Opfer des
            "islamistischen Terrors"
dargestellt oder sind ganz einfach
            namenlos. Das furchtbare Symbol
der anonymen Toten ist auf
            Tausenden von Graebern zu sehen, auf
denen anstelle eines
            identifizierbaren Grabsteines ein Schild, mit
einem X versehen,
            aufgestellt wurde. Die Behoerden haben die
Identifikation der
            Leichen durch die Familien verhindert, um sie
im Ungewissen zu
            lassen und moegliche Proteste im Keim zu
ersticken.
Dieses
            neue Geschichtsverstaendnis macht es sogar moeglich, dasz
eine
            staatliche Verantwortung fuer Menschenrechtsverletzungen
nicht
            gaenzlich geleugnet wird. Uebergriffe und "technische
Fehler" der
            Sicherheitsdienste werden in geringem Umfang
zugestanden, doch
            die systematische Anwendung der Folter, das
Ausmasz des
            "Verschwindenlassens" oder die Teilnahme der Militaers
an
            Massakern werden vollstaendig abgestritten und als
            Propaganda
abgetan, bzw. tabuisiert. Diese Amnesie, gekoppelt mit
            dem Diktat
des befriedeten Landes, hat gewaltige Folgen, da die
            Opfer der
Verfolgung orientierungslos sind und kaum Anlaufstellen
            finden.
Die einzigen, die sich das auferlegte Schweigen
            verbieten, sind
die Angehoerigen der "Verschwundenen". Trotz
            Einschuechterungen
durch staatliche Organe und Empfehlungen von
            islamistischer Seite,
diese Frage vorerst zurueckzustellen,
            fuehren sie ihren Kampf fuer
die Wahrheit weiter.
* Die
            "zivile Eintracht" ersetzt keine Versoehnung*
Waehrend die
            politische Klasse sich mit dem Antritt Bouteflikas
entsprechend
            den veraenderten Machtkonstellationen neu
zusammensetzen musz
            (jeder Praesident versucht, die Machtposition,
die er erhaelt,
            auszubauen, indem er, soweit es die Konkurrenten
zulassen, sein
            Klientel auf Entscheidungsposten in Verwaltung,
Medien und
            staatlichen Sektoren setzt), werden die wesentlichen
Probleme in
            den Hintergrund gedraengt: die vollstaendige
Destrukturierung -
            unter dem Diktat des IWF - der
Staatswirtschaft, die
            Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit
zwingt und verheerende
            soziale Konsequenzen mit sich bringt.
Millionen Menschen werden
            in die Armut gedraengt, waehrend eine
kleine Kaste von Militaers
            und ihr Klientel davon profitiert.
Obwohl es Bouteflika gelungen
            ist, ein positives Bild Algeriens in
die Welt zu tragen, bleibt
            dieses System weiterhin sehr labil:
Auch wenn die Opposition
            zerschlagen und die Bevoelkerung
eingeschuechtert, terrorisiert
            ist und verzweifelt um ihr
Ueberleben ringt, manifestieren sich
            soziale und politische
Konflikte zusehends auf allen Ebenen.
            Streiks und Demonstrationen
sind an der Tagesordnung.
Aber
            auch an der Spitze des Staates ist die Krise
            unuebersehbar:
Bouteflika hat acht Monate gebraucht, um eine neue
            Regierung
zusammenzusetzen, die nach kaum weiteren acht Monaten
            wieder
grundlegend veraendert werden muszte. In diesen 16 Monaten
            ist auf
Regierungsebene schlicht nichts geschehen: weder im
            sozialen
Bereich sind die katastrophalen Folgen der
            Arbeitslosigkeit und
Verarmung angegangen, noch im oekonomischen
            Bereich, Masznahmen
ergriffen worden, die die erwartete
            Investitionsfreudigkeit
auslaendischer Firmen entscheidend
            erhoehen wuerden. Als eine
Folge des Strukturanpassungsprogramms
            entledigen sich die
staatlichen Institutionen ihrer elementaren
            Verpflichtungen in der
Krankenfuersorge, sozialem Wohnungsbau,
            Schulpflicht, Sozialhilfe,
usw. und die Armut nimmt immer
            erschreckendere Ausmasze an, in
einem Land, das zu den reichsten
            der Region zaehlte: die Gehaelter
haben sich in 10 Jahren
            halbiert, etwa 23% der Bevoelkerung lebt
unter dem
            Existenzminimum, 40% der aktiven Bevoelkerung ist
arbeitslos, die
            Analphabetenquote nimmt rasant zu, usw.
*Eine
            besorgniserregende Sicherheitslage*
Waehrenddessen hat auch
            der versprochene Friede nicht Einzug
gehalten. Die Zahl der Opfer
            ist erschreckend. Seitdem die Frist
fuer "Reumuetige" offiziell
            abgelaufen ist, dem 13. Januar 2000,
werden durchschnittlich 200
            bis 250 Menschen monatlich ermordet
oder sind Opfer von
            Anschlaegen. In den hiesigen Medien wird kaum
darueber berichtet
            und es bleibt weiterhin unklar, wer mordet und
wer ermordet
            wird.
Diese Frage, die immer im Keim erstickt worden ist,
            wird heute
noch seltener gestellt als in den Jahren zuvor, obwohl
            sie genau
so dringend ist.
Seit 1992 und dem Beginn des
            Krieges herrscht Konsens darueber,
dasz die Islamisten fuer die
            in Algerien herrschende Gewalt
verantwortlich sind. Die
            zahlreichen staatlichen
Menschenrechtsverletzungen wurden
            folglich ueberwiegend
minimisiert oder gerechtfertigt. Massaker
            wurden stets als von
Islamisten veruebte Verbrechen dargestellt
            und die Frage "wer
toetet?" kurzerhand als "unanstaendig"
            abgetan. Erst mit den
spektakulaeren Massakern des Sommers 1997
            wurde dieses Raetsel
etwas mehr in der Oeffentlichkeit
            diskutiert, um jedoch bald
wieder verdraengt zu werden. Zu diesem
            Zeitpunkt war die
Entruestung am groeszten und selbst die
            deutschen
Laenderinnenministerien haben einen Abschiebestopp nach
            Algerien
diskutiert. Seit die Zahl der Opfer stark zurueckging
            und das
Niveau der Gewalt wieder das der vorherigen Jahre
            erreichte, ist
Algerien kein Thema mehr. Die groszen Massaker
            dieser Periode sind
seitdem zum Maszstab geworden und jede Zahl
            von Toten, die
darunter liegt, scheint vertretbar. Konsens
            besteht zudem
darueber, dasz die Lage sich gebessert hat, und
            westliche
Regierungen und die westliche Oeffentlichkeit (von den
            groszen
Menschenrechtsorganisationen mal abgesehen) unterstuetzen
            bis
heute nicht die Forderung nach Untersuchungen der Massaker
            und
anderer Menschenrechtsverletzungen. Bis heute ist keiner der
            Morde
an Intellektuellen, Journalisten und Politikern aufgeklaert
            worden
(der letzte spektakulaere politische Mord an Abdelkader
            Hachanifand 
im November 1999 statt), bis heute sind die
            Verantwortlichen
der Massaker nicht festgenommen und vor Gericht
            gestellt worden.
Seit der "Ernennungswahl" von Bouteflika
            wird der Kurs des
Praesidenten allerorts gelobt. Er wird zum
            Baumeister des Friedens
hochstilisiert, habe er doch die
            einstigen Feinde amnestiert und
in die Gesellschaft integriert.
            Wie sieht jedoch die Realitaet
aus?
Wie schon erwaehnt,
            sind die Modalitaeten der Einigung zwischen
dem algerischen
            Militaer und der AIS, bzw. der Gruppen, die sich
bereits im
            Oktober 1997 dem Waffenstillstand angeschlossen haben,
nicht
            bekannt. Sie haben sich den Behoerden gestellt, die zuvor
Listen
            angefertigt hatten und sollten in Freiheit leben.
Allerdings wird
            berichtet, dasz unter den Amnestierten manche in
Haft sind. Was
            dennoch beunruhigend ist, sind die immer
haeufigeren Meldungen
            ueber die Liquidierung von ex-AIS-
Mitgliedern. In den Zeitungen
            wird meist berichtet, dasz sie Opfer
von Racheakten waren, aber
            es gibt auch Hinweise auf die
Beteiligung von Milizionaeren (die
            unter der staatlichen
Autoritaet stehen) an diesen Ermordungen.
            Inwieweit auch
staatliche Stellen dafuer verantwortlich sind, ist
            nicht bekannt.
Die "Reumuetigen", die dem Angebot der
            Regierung nachgegangen sind
und sich ihr gestellt haben, befinden
            sich in einer aehnlichen
Lage. Es ist verwunderlich, wie schnell
            diese Mitglieder
bewaffneter Gruppen, ohne dasz Untersuchungen
            angestrengt wurden,
von den Bewaehrungskommissionen
            freigesprochen wurden. Gilt hier
das Gesetz des Schweigens auf
            beiden Seiten? Dennoch werden auch
hier Informationen bekannt,
            dasz freigesprochene "Reumuetige"
spaeter wieder festgenommen und
            zu langen Haftstrafen verurteilt
wurden.
Da bis heute
            keine ausreichenden Informationen ueber die
juristische
            Handhabung des erlassenen Gesetzes der "zivilen
Eintracht"
            vorliegen, kann den einst von Kritikern
            geaeuszerten
Ueberlegungen, es diene vorrangig der
            Rehabilitierung
eingeschleuster Geheimdienstler, nicht
            widersprochen werden.
Darueber hinaus scheint diese Regelung
            nicht immer fuer gewaltlose
politische Oppositionelle zu gelten.
            Ein konkretes Beispiel
hierfuer liefert der Fall von Samir Hamdi
            Pacha: Geboren am 23.
April 1966, verheiratet und Vater von zwei
            Kindern, im Bereich
Informatik taetig, floh 1993 in die USA, weil
            er aufgrund seiner
FIS-Zugehoerigkeit verfolgt war. In den USA
            war er exilpolitisch
taetig. Im Rahmen der sogenannten Amnestie
            (Gesetz zur "zivilen
Eintracht", gueltig zwischen dem 13. Juli
            1999 und dem 13. Januar
2000) fuer "Reumuetige" fuhr er nach
            Algerien zurueck und stellte
sich den algerischen Behoerden.
            Gleich am Flughafen wurde er am 2.
November 1999 festgenommen und
            einer Bewaehrungskommission
vorgefuehrt, die am 3. November 1999
            eine Bescheinigung
ausstellte, die ihn von jeglicher
            Strafverfolgung befreite. Er
wurde daraufhin freigelassen. Am 22.
            Dezember 1999 erschienen zwei
Maenner in zivil bei ihm zu Hause
            und stellten sich als
Sicherheitskraefte vor, die ihn nur mal
            kurz zur Vernehmung
mitnehmen wollten. Seitdem war er
            "verschwunden". Eine Woche
spaeter kamen diese beiden Maenner ein
            zweites Mal und verlangten
den Pasz. Herr Hamdi Pacha tauchte
            erst Anfang Mai 2000 nach
viermonatigem "Verschwinden" im
            Militaergefaengnis von Blida
wieder auf. Er hatte sehr stark
            abgenommen, ob er gefoltert wurde,
ist uns nicht bekannt. Er
            wartet auf eine Gerichtsverhandlung,
obwohl er von dieser
            Bewaehrungskommission von jeglicher
Verfolgung befreit worden
            war.
Folter, Verschwindenlassen und willkuerliche Festnahmen
            haben in
der Tat sehr stark abgenommen auch wenn sie nicht
            vollstaendig
verschwunden sind. Allerdings werden sie auch selten
            bekannt.
Dennoch ist die Lage beunruhigend, da die Morde und
            Massaker
fortgesetzt werden und oft unklar ist, wer sie veruebt
            und warum
wer ermordet wird. Die Meldungen in den algerischen
            Zeitungen
ueber agierende bewaffnete Gruppen sagen nicht viel aus
            ueber ihre
Identitaet und Motive. Handelt es sich um politische
            Morde von
Islamisten, gehoeren sie zum Register des Banditismus
            oder agieren
immer noch "falsche" islamistische GIA? Sind die
            Todesschwadronen
aufgeloest worden? Warum werden die etwa 300 000
            Milizionaere
nicht entwaffnet?
Da keine ernsthafte
            Initiative ergriffen wurde, eine politische
Loesung der Krise zu
            finden, ist die Situation sehr prekaer und
explosiv. Das aktuelle
            Regime basiert weiterhin auf der Macht des
Militaers, das zwar
            seinen Sieg ueber eine bewaffnete Opposition
durch eine
            taeuschende Amnestierung vorlaeufig besiegelt hat, aber
keine
            Demokratisierung zulaeszt. Der Frieden, den die
            Generaele
durchzusetzen versuchen, ist ein Friedhofsfrieden. Die
            Methoden
der Repression haben sich geaendert. Sie sind subtiler
            geworden
und die Angst, die kurzzeitig in den Hintergrund
            gedraengt worden
war, hat wieder Einzug gehalten. Aber die
            Menschen in Algerien
haben nicht aufgegeben, gegen dieses Regime
            zu kaempfen und das
Militaer hat den Krieg gegen sie nicht
            beendet. Die Proteste der
Familien der "Verschwundenen" zeugen
            davon, ebenso wie der
regelmaeszige Versuch, sie zum Schweigen zu
            zwingen. *algeria-
watch*
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