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Aussendungszeitpunkt: 29.5.2001 -16:08
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Algerien/Kommentar:
>Blutiger Frieden
"Endlich scheint Europa Algerien (...)
wieder zu entdecken!" Diese
Einschaetzung Werner Hoyers
(deutscher Ex-Staatsminister und
Mitglied des Bundestags), die
sicherlich einige Politiker teilen,
sollen eine Wende in Algerien
heraufbeschwoeren, die die FAZ mit
weiteren Artikeln zu
untermauern versucht: "In weniger als einem
Jahr hat es der neue
Staatspraesident Bouteflika geschafft, mit
politischen Masznahmen
dem Morden islamistischer Terrorbanden ein
Ende zu setzen".
Dieses Fazit beruht auf der lapidaren
Feststellung, dasz Algerien
das Jahrzehnt der "Barbarei"
ueberstanden habe und nun ein neues
Zeitalter anbrechen wuerde.
Die Politiker und Geschaeftsleute auf
beiden Seiten des
Mittelmeeres moechten glauben machen, dasz die
Lage unter
Kontrolle sei, die Realitaet allerdings ist eine
andere: Das
politische Leben ist vollstaendig lahmgelegt und
gekennzeichnet
von fruchtlosen Debatten innerhalb und auszerhalb
des Parlaments;
das Gesetz der "zivilen Eintracht", das die
Gewalt eindaemmen
sollte, indem Mitgliedern bewaffneter Gruppen
unter bestimmten
Umstaenden Straffreiheit gewaehrt werden sollte,
hat nicht den
versprochenen Frieden herbeigefuehrt; das Abkommen
mit der AIS
(bewaffneter Arm der FIS) ist nichts anderes als ein
"Arrangement"
zwischen militaerischen Kraeften, dessen genauere
Modalitaeten
unbekannt bleiben; Hunderttausende von Maennern
(Milizionaere,
Kommunalgarden...) sind immer noch bewaffnet und
mitverantwortlich
fuer die fortdauernde Gewalt; Dutzende von
Menschen werden
weiterhin massakriert und erschossen (im
Durchschnitt etwa 250
Tote im Monat) usw. Entgegen den
Aeuszerungen des Journalisten der
FAZ sorgen bewaffnete Gruppen,
deren Identitaet unbekannt und
zweifelhaft ist, weiterhin fuer
Angst und Schrecken und die
wirtschaftliche Lage war selten so
besorgniserregend. Der einzige
Rettungsring des Regimes sind die
Erdoel- und Erdgaseinnahmen.
*Bouteflika: Ein neues Zeitalter
bricht an*
Die Haltung der westlichen Regierungen gegenueber
der algerischen
ist seit dem Putsch vom Januar 1992 dadurch
gekennzeichnet, dasz
sie alle Brueche der Verfassung billigen.
Der Kampf gegen eine
islamistische Opposition, die kurzerhand als
demokratie- und
pluralismusfeindlich stigmatisiert wurde,
legitimierte gegenueber
der Weltoeffentlichkeit einen Krieg, der
sich aller erdenklichen
Mittel bedient. Zwar haben westliche
Politiker und Medienvertreter
durch Lippenbekenntnisse die
Wiederaufnahme des im Januar 1992
unterbrochenen
Demokratisierungsprozesses gefordert, doch
gleichzeitig die
Zerschlagung der islamistischen Opposition
grundsaetzlich
akzeptiert, wenn nicht gutgeheiszen (unter dem
Motto: die
"gruene" Gefahr lauert auch hier an allen Ecken). Die
algerischen
Militaers, die sozusagen die direkte Macht uebernommen
haben,
bemuehen sich zwar, den Schein einer zivilen Regierung zu
wahren,
doch wissen sie, dasz ihre auslaendischen Partner die
Maskeraden
(Scheinwahlen, Alibi-Opposition, falsche Amnestie,
"zivile
Eintracht" usw.) mit "Nachsehen" unterstuetzen. Der
damit
faktisch erteilte Freibrief fuer die algerischen Militaers
fuehrt
dazu, dasz die noetigen materiellen Mittel zur Verfuegung
gestellt
werden (IWF-Kredite, Umschuldungsprogramme,
Waffenverkaeufe usw.),
um einen der brutalsten Kriege nach dem
Ende des Kalten Krieges zu
finanzieren. So hat selbst waehrend
des Hoehepunktes der Massaker
1997 die Lage in Algerien kaum eine
oeffentliche Debatte auf
europaeischer oder internationaler Ebene
ausgeloest.
Die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen
konnten von
staatlichen Stellen begangen werden und die gesamte
Bevoelkerung
in Mitleidenschaft ziehen, die offizielle Version
lautete stets,
es handele sich dabei um Gewalttaten der
Terroristen (Massaker,
extralegale Toetungen und
"Verschwindenlassen") oder um die
notwendigen Folgen der
Terrorismusbekaempfung (z.B. Terroristen,
die auf der Flucht
erschossen wurden). Die hiesigen Politiker
begnuegten sich meist
mit der offiziellen Erklaerung, ohne sich
den
Menschenrechtsorganisation anzuschlieszen, die seit
Jahren
Untersuchungen fordern.
*Eine ernsthafte politische
Loesung ist nie in Betracht gezogen
worden*
Die algerische
Militaerfuehrung und die politische Klasse haben
alle
erdenklichen Hebel in Bewegung gesetzt, um die
repraesentative
Opposition, die Anfang 1995 (drei Jahre nach dem
Putsch) eine
Plattform zur Loesung der algerischen Krise
erarbeitet hatte,
mundtot zu machen. Diese Opposition bestand u.a.
aus den drei
wichtigsten Parteien, die waehrend des ersten
Wahlgangs 1991 etwa
80% der Stimmen erhalten hatten. Anstatt diese
Initiative
tatkraeftig zu unterstuetzen, zumal die FIS (Front
Islamique du
Salut) sich den in der Plattform festgelegten
Prinzipien des
Gewaltverzichts, der Meinungsfreiheit und des
Machtwechsels
verpflichtet hatte, haben die westlichen Regierungen
die diversen
Machenschaften der algerischen Militaers, um diese
Opposition zu
zerschlagen, kriminalisieren oder marginalisieren,
mit angesehen
und geschwiegen. Auch die deutsche SPD, die ebenso
wie die FFS
(Front des Forces Socialistes) in der
Sozialistischen
Internationale vertreten ist, hat weder die
sogenannte "Plattform
von Rom"unterstuetzt noch die FFS
gestaerkt. Bis heute folgt die
deutsche Algerienpolitik den alten
Beziehungen, die manche SPD-
Persoenlichkeiten bereits waehrend
des Befreiungskrieges zu FLN-
Verantwortlichen pflegten,
ungeachtet der Tatsache, dasz diese
"alten Freunde" am "totalen
Krieg" beteiligt sind.
Die Strategie des algerischen Regimes
bestand darin, die
repraesentativen Stroemungen der Opposition
durch Parteien ihrer
Wahl zu ersetzen und damit das politische
Leben zu kontrollieren.
Die Parteien, die der Oeffentlichkeit als
geeignete Opposition
vorgefuehrt wurden (es sei nur die auch hier
bekannte RCD
(Rassemblement pour la Culture et la D‚mocratie
genannt, deren
Repraesentanten Said Sadi und vor allem Khalida
Messaoudi den
Militaers immer gute Dienste geleistet haben) haben
nunmehr ihren
eigentlichen Platz oeffentlich eingenommen: in das
System, das sie
vorgeben zu bekaempfen.
*Eine diktierte
Amnesie anstelle der Wahrheit*
Nun sind sich alle Beobachter
darin einig, dasz seit der Wahl
Bouteflikas (auch ein
Widerstandskaempfer, der zudem die
algerische Auszenpolitik
waehrend der glanzvollen Siebziger Jahre
vertreten hat), ein
neuer Wind weht und Algerien sich auf dem
besten Weg zum Frieden
sei. Mit einer entwaffnenden Leichtigkeit
und Schlagkraft werden
seine Worte mit seinen Taten verwechselt.
Erneut wird darueber
hinweggesehen, dasz das Militaer, obwohl
sechs andere Kandidaten
zu den Praesidentschaftswahlen 1999
angetreten sind, Bouteflika
ernannt hat (die Wahl selbst wurde
einstimmig als eine Farce
bezeichnet, das geriet aber bald wieder
in Vergessenheit). Es
wird wohlwollend akzeptiert, dasz Bouteflika
sich dem Diktat des
Militaers beugt. Hat Bouteflika nicht selbst
deutlich gesagt, es
gaebe eine "rote Linie", die er nicht
ueberschreiten wuerde? Und
bis heute hat Bouteflika den Generaelen
sehr gute Dienste
erwiesen: Algerien hat sich des Makels
international geaechteter
Verbrechen vorerst entledigt und niemand
spricht mehr von einer
unabhaengigen Untersuchungskommission, die
den Massakern oder
anderen Verbrechen des Militaers (und der
bewaffneten Gruppen)
nachgehen soll.
Diese Amnesie hat offensichtlich auch die
islamistische Opposition
befallen. Der Inhalt des Abkommens
zwischen der AIS und dem
algerischen Geheimdienst ist bis heute
unbekannt, und es ist eine
Forderung der algerischen
Oeffentlichkeit darueber informiert zu
werden. Im Oktober 1997
haben die AIS und andere bewaffnete
Gruppen einen einseitigen
Waffenstillstand angekuendigt, dem auf
Regierungsebene die
Amnestierung der Mitglieder dieser Gruppen im
Zuge der "zivilen
Eintracht" folgte. Darueber hinaus hat dieses
Gesetz den
Mitgliedern anderer Gruppen die Moeglichkeit geboten,
sich
individuell den Behoerden zu stellen und vor
eine
Bewaehrungskommission zu treten, die unter der
Voraussetzung, dasz
der "Reumuetige" keine groeszeren Verbrechen
begangen hat, diesen
freispricht. Auch hier sind die genaueren
Vorgaenge und die Zahl
der Betroffenen nicht bekannt. Besteht der
Deal darin, um den Lohn
der Straffreiheit ueber die Verbrechen
der Militaers zu schweigen?
Die politische Fuehrung der FIS
(Instance Executive) hat
jedenfalls die "concorde civile"
begrueszt und aeuszert sich
seitdem nicht mehr dazu. Allerdings
scheint diese neue Entwicklung
nicht zu bedeuten, dasz die
Sympathisanten und Aktivisten der FIS
keine Verfolgung zu
befuerchten haben, wie wir weiter unten
erlaeutern werden. An
dieser Stelle ist festzuhalten, dasz dieses
geheime Abkommen
keine Aufklaerung der Verbrechen der letzten
Jahren vorsieht
indem Untersuchungen angestrengt und die
Verantwortlichen zur
Rechenschaft gezogen werden, sondern, dasz
von allen Seiten ein
Schluszstrich gezogen werden soll.
Aber nicht nur Bouteflika
und die Islamisten respektieren diese
"rote Linie", sondern die
westlichen Politiker und die Medien, ob
in Algerien oder im
Westen, ebenso. Es herrscht offenbar
allgemeiner Konsens
darueber, dasz nicht ueber den Krieg
gesprochen werden darf.
Bouteflika persoenlich hat zwar waehrend
seiner Reise nach
Frankreich im Juni gegenueber franzoesischen
Journalisten die
Zahl von 150 000 Toten angegeben, so wie er bei
Amtsantritt von
10 000 "Verschwundenen" gesprochen hat, doch darf
nicht gefragt
werden, wer fuer diese erschreckende Zahl von
Opfern
verantwortlich ist. Ein neues Geschichtsverstaendnis
wird
festgeschrieben: Die Epoche "Vor-Bouteflika", "das Jahrzehnt
des
Terrorismus" gehoert der Vergangenheit an, ueber die
nicht
gesprochen werden darf und das neue Zeitalter des Friedens,
das
Bouteflika eingeleitet hat, ist nun angebrochen. Im Gegensatz
zu
den Jahren davor wird also die Zahl der Opfer keineswegs
geleugnet
(bis zum Amtsantritt von Bouteflika wurde offiziell von
26 000
Toten und einigen Hunderten von Verschwundenen
gesprochen), aber
durch die nachhaltigen Folgen der offiziellen
Kriegspropaganda und
der allgemeinen Tabuisierung der staatlichen
Repression werden
diese Opfer entweder als Opfer des
"islamistischen Terrors"
dargestellt oder sind ganz einfach
namenlos. Das furchtbare Symbol
der anonymen Toten ist auf
Tausenden von Graebern zu sehen, auf
denen anstelle eines
identifizierbaren Grabsteines ein Schild, mit
einem X versehen,
aufgestellt wurde. Die Behoerden haben die
Identifikation der
Leichen durch die Familien verhindert, um sie
im Ungewissen zu
lassen und moegliche Proteste im Keim zu
ersticken.
Dieses
neue Geschichtsverstaendnis macht es sogar moeglich, dasz
eine
staatliche Verantwortung fuer Menschenrechtsverletzungen
nicht
gaenzlich geleugnet wird. Uebergriffe und "technische
Fehler" der
Sicherheitsdienste werden in geringem Umfang
zugestanden, doch
die systematische Anwendung der Folter, das
Ausmasz des
"Verschwindenlassens" oder die Teilnahme der Militaers
an
Massakern werden vollstaendig abgestritten und als
Propaganda
abgetan, bzw. tabuisiert. Diese Amnesie, gekoppelt mit
dem Diktat
des befriedeten Landes, hat gewaltige Folgen, da die
Opfer der
Verfolgung orientierungslos sind und kaum Anlaufstellen
finden.
Die einzigen, die sich das auferlegte Schweigen
verbieten, sind
die Angehoerigen der "Verschwundenen". Trotz
Einschuechterungen
durch staatliche Organe und Empfehlungen von
islamistischer Seite,
diese Frage vorerst zurueckzustellen,
fuehren sie ihren Kampf fuer
die Wahrheit weiter.
* Die
"zivile Eintracht" ersetzt keine Versoehnung*
Waehrend die
politische Klasse sich mit dem Antritt Bouteflikas
entsprechend
den veraenderten Machtkonstellationen neu
zusammensetzen musz
(jeder Praesident versucht, die Machtposition,
die er erhaelt,
auszubauen, indem er, soweit es die Konkurrenten
zulassen, sein
Klientel auf Entscheidungsposten in Verwaltung,
Medien und
staatlichen Sektoren setzt), werden die wesentlichen
Probleme in
den Hintergrund gedraengt: die vollstaendige
Destrukturierung -
unter dem Diktat des IWF - der
Staatswirtschaft, die
Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit
zwingt und verheerende
soziale Konsequenzen mit sich bringt.
Millionen Menschen werden
in die Armut gedraengt, waehrend eine
kleine Kaste von Militaers
und ihr Klientel davon profitiert.
Obwohl es Bouteflika gelungen
ist, ein positives Bild Algeriens in
die Welt zu tragen, bleibt
dieses System weiterhin sehr labil:
Auch wenn die Opposition
zerschlagen und die Bevoelkerung
eingeschuechtert, terrorisiert
ist und verzweifelt um ihr
Ueberleben ringt, manifestieren sich
soziale und politische
Konflikte zusehends auf allen Ebenen.
Streiks und Demonstrationen
sind an der Tagesordnung.
Aber
auch an der Spitze des Staates ist die Krise
unuebersehbar:
Bouteflika hat acht Monate gebraucht, um eine neue
Regierung
zusammenzusetzen, die nach kaum weiteren acht Monaten
wieder
grundlegend veraendert werden muszte. In diesen 16 Monaten
ist auf
Regierungsebene schlicht nichts geschehen: weder im
sozialen
Bereich sind die katastrophalen Folgen der
Arbeitslosigkeit und
Verarmung angegangen, noch im oekonomischen
Bereich, Masznahmen
ergriffen worden, die die erwartete
Investitionsfreudigkeit
auslaendischer Firmen entscheidend
erhoehen wuerden. Als eine
Folge des Strukturanpassungsprogramms
entledigen sich die
staatlichen Institutionen ihrer elementaren
Verpflichtungen in der
Krankenfuersorge, sozialem Wohnungsbau,
Schulpflicht, Sozialhilfe,
usw. und die Armut nimmt immer
erschreckendere Ausmasze an, in
einem Land, das zu den reichsten
der Region zaehlte: die Gehaelter
haben sich in 10 Jahren
halbiert, etwa 23% der Bevoelkerung lebt
unter dem
Existenzminimum, 40% der aktiven Bevoelkerung ist
arbeitslos, die
Analphabetenquote nimmt rasant zu, usw.
*Eine
besorgniserregende Sicherheitslage*
Waehrenddessen hat auch
der versprochene Friede nicht Einzug
gehalten. Die Zahl der Opfer
ist erschreckend. Seitdem die Frist
fuer "Reumuetige" offiziell
abgelaufen ist, dem 13. Januar 2000,
werden durchschnittlich 200
bis 250 Menschen monatlich ermordet
oder sind Opfer von
Anschlaegen. In den hiesigen Medien wird kaum
darueber berichtet
und es bleibt weiterhin unklar, wer mordet und
wer ermordet
wird.
Diese Frage, die immer im Keim erstickt worden ist,
wird heute
noch seltener gestellt als in den Jahren zuvor, obwohl
sie genau
so dringend ist.
Seit 1992 und dem Beginn des
Krieges herrscht Konsens darueber,
dasz die Islamisten fuer die
in Algerien herrschende Gewalt
verantwortlich sind. Die
zahlreichen staatlichen
Menschenrechtsverletzungen wurden
folglich ueberwiegend
minimisiert oder gerechtfertigt. Massaker
wurden stets als von
Islamisten veruebte Verbrechen dargestellt
und die Frage "wer
toetet?" kurzerhand als "unanstaendig"
abgetan. Erst mit den
spektakulaeren Massakern des Sommers 1997
wurde dieses Raetsel
etwas mehr in der Oeffentlichkeit
diskutiert, um jedoch bald
wieder verdraengt zu werden. Zu diesem
Zeitpunkt war die
Entruestung am groeszten und selbst die
deutschen
Laenderinnenministerien haben einen Abschiebestopp nach
Algerien
diskutiert. Seit die Zahl der Opfer stark zurueckging
und das
Niveau der Gewalt wieder das der vorherigen Jahre
erreichte, ist
Algerien kein Thema mehr. Die groszen Massaker
dieser Periode sind
seitdem zum Maszstab geworden und jede Zahl
von Toten, die
darunter liegt, scheint vertretbar. Konsens
besteht zudem
darueber, dasz die Lage sich gebessert hat, und
westliche
Regierungen und die westliche Oeffentlichkeit (von den
groszen
Menschenrechtsorganisationen mal abgesehen) unterstuetzen
bis
heute nicht die Forderung nach Untersuchungen der Massaker
und
anderer Menschenrechtsverletzungen. Bis heute ist keiner der
Morde
an Intellektuellen, Journalisten und Politikern aufgeklaert
worden
(der letzte spektakulaere politische Mord an Abdelkader
Hachanifand
im November 1999 statt), bis heute sind die
Verantwortlichen
der Massaker nicht festgenommen und vor Gericht
gestellt worden.
Seit der "Ernennungswahl" von Bouteflika
wird der Kurs des
Praesidenten allerorts gelobt. Er wird zum
Baumeister des Friedens
hochstilisiert, habe er doch die
einstigen Feinde amnestiert und
in die Gesellschaft integriert.
Wie sieht jedoch die Realitaet
aus?
Wie schon erwaehnt,
sind die Modalitaeten der Einigung zwischen
dem algerischen
Militaer und der AIS, bzw. der Gruppen, die sich
bereits im
Oktober 1997 dem Waffenstillstand angeschlossen haben,
nicht
bekannt. Sie haben sich den Behoerden gestellt, die zuvor
Listen
angefertigt hatten und sollten in Freiheit leben.
Allerdings wird
berichtet, dasz unter den Amnestierten manche in
Haft sind. Was
dennoch beunruhigend ist, sind die immer
haeufigeren Meldungen
ueber die Liquidierung von ex-AIS-
Mitgliedern. In den Zeitungen
wird meist berichtet, dasz sie Opfer
von Racheakten waren, aber
es gibt auch Hinweise auf die
Beteiligung von Milizionaeren (die
unter der staatlichen
Autoritaet stehen) an diesen Ermordungen.
Inwieweit auch
staatliche Stellen dafuer verantwortlich sind, ist
nicht bekannt.
Die "Reumuetigen", die dem Angebot der
Regierung nachgegangen sind
und sich ihr gestellt haben, befinden
sich in einer aehnlichen
Lage. Es ist verwunderlich, wie schnell
diese Mitglieder
bewaffneter Gruppen, ohne dasz Untersuchungen
angestrengt wurden,
von den Bewaehrungskommissionen
freigesprochen wurden. Gilt hier
das Gesetz des Schweigens auf
beiden Seiten? Dennoch werden auch
hier Informationen bekannt,
dasz freigesprochene "Reumuetige"
spaeter wieder festgenommen und
zu langen Haftstrafen verurteilt
wurden.
Da bis heute
keine ausreichenden Informationen ueber die
juristische
Handhabung des erlassenen Gesetzes der "zivilen
Eintracht"
vorliegen, kann den einst von Kritikern
geaeuszerten
Ueberlegungen, es diene vorrangig der
Rehabilitierung
eingeschleuster Geheimdienstler, nicht
widersprochen werden.
Darueber hinaus scheint diese Regelung
nicht immer fuer gewaltlose
politische Oppositionelle zu gelten.
Ein konkretes Beispiel
hierfuer liefert der Fall von Samir Hamdi
Pacha: Geboren am 23.
April 1966, verheiratet und Vater von zwei
Kindern, im Bereich
Informatik taetig, floh 1993 in die USA, weil
er aufgrund seiner
FIS-Zugehoerigkeit verfolgt war. In den USA
war er exilpolitisch
taetig. Im Rahmen der sogenannten Amnestie
(Gesetz zur "zivilen
Eintracht", gueltig zwischen dem 13. Juli
1999 und dem 13. Januar
2000) fuer "Reumuetige" fuhr er nach
Algerien zurueck und stellte
sich den algerischen Behoerden.
Gleich am Flughafen wurde er am 2.
November 1999 festgenommen und
einer Bewaehrungskommission
vorgefuehrt, die am 3. November 1999
eine Bescheinigung
ausstellte, die ihn von jeglicher
Strafverfolgung befreite. Er
wurde daraufhin freigelassen. Am 22.
Dezember 1999 erschienen zwei
Maenner in zivil bei ihm zu Hause
und stellten sich als
Sicherheitskraefte vor, die ihn nur mal
kurz zur Vernehmung
mitnehmen wollten. Seitdem war er
"verschwunden". Eine Woche
spaeter kamen diese beiden Maenner ein
zweites Mal und verlangten
den Pasz. Herr Hamdi Pacha tauchte
erst Anfang Mai 2000 nach
viermonatigem "Verschwinden" im
Militaergefaengnis von Blida
wieder auf. Er hatte sehr stark
abgenommen, ob er gefoltert wurde,
ist uns nicht bekannt. Er
wartet auf eine Gerichtsverhandlung,
obwohl er von dieser
Bewaehrungskommission von jeglicher
Verfolgung befreit worden
war.
Folter, Verschwindenlassen und willkuerliche Festnahmen
haben in
der Tat sehr stark abgenommen auch wenn sie nicht
vollstaendig
verschwunden sind. Allerdings werden sie auch selten
bekannt.
Dennoch ist die Lage beunruhigend, da die Morde und
Massaker
fortgesetzt werden und oft unklar ist, wer sie veruebt
und warum
wer ermordet wird. Die Meldungen in den algerischen
Zeitungen
ueber agierende bewaffnete Gruppen sagen nicht viel aus
ueber ihre
Identitaet und Motive. Handelt es sich um politische
Morde von
Islamisten, gehoeren sie zum Register des Banditismus
oder agieren
immer noch "falsche" islamistische GIA? Sind die
Todesschwadronen
aufgeloest worden? Warum werden die etwa 300 000
Milizionaere
nicht entwaffnet?
Da keine ernsthafte
Initiative ergriffen wurde, eine politische
Loesung der Krise zu
finden, ist die Situation sehr prekaer und
explosiv. Das aktuelle
Regime basiert weiterhin auf der Macht des
Militaers, das zwar
seinen Sieg ueber eine bewaffnete Opposition
durch eine
taeuschende Amnestierung vorlaeufig besiegelt hat, aber
keine
Demokratisierung zulaeszt. Der Frieden, den die
Generaele
durchzusetzen versuchen, ist ein Friedhofsfrieden. Die
Methoden
der Repression haben sich geaendert. Sie sind subtiler
geworden
und die Angst, die kurzzeitig in den Hintergrund
gedraengt worden
war, hat wieder Einzug gehalten. Aber die
Menschen in Algerien
haben nicht aufgegeben, gegen dieses Regime
zu kaempfen und das
Militaer hat den Krieg gegen sie nicht
beendet. Die Proteste der
Familien der "Verschwundenen" zeugen
davon, ebenso wie der
regelmaeszige Versuch, sie zum Schweigen zu
zwingen. *algeria-
watch*
Kontakt: M@IL algeria-watch
URL W³algeria-watch.org
Postfach
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Fon: 00 49 30 627 098 87
Fax: 00 49 30
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53
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