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Aussendungszeitpunkt: 8.5.2001 - 17:32
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Kopftuch-Debatte:
>Fuer einen freien Kopf
Ein launisches Plaedoyer fuer
unverhuellte Debatten
Das Kopfuch: "Es schuetzt uns vor dem
gierigen Blick der
vollautomatischen Erkennungssysteme, die an
die omnipraesenten
Ueberwachungskameras angeschlossen jeden
Schritt durch die Stadt
ueberwachen. Es verbirgt unsre Schoenheit
den vielen
gleichgueltigenBlicken einer groszstaedtischen
Oeffentlichkeit,
die ansonsten im Laufe der Jahre haeszliche
Spuren ihres
Desinteresses auf dem nicht gewuerdigten Antlitz
hinterlieszen. Es
bricht uns heraus aus der Warenlogik, die uns
zwang, unsre Koerper
- Waren unter Waren - nach maennlichen
Normvorgaben
zurechtzuformen und auf dem Markt der
Begehrlichkeiten auszustellen."
Mit dieser Begruendung
forderte Augustine Leisch im Widerst@ndsMUND
(29.3.01) dazu auf,
auf der Donnerstagsdemo als Kopftuchfraktion
aufzutreten
(nachzulesen in akin 10/01; akin-pd 3.4.01). Ich
finde diese
Haltung ein bisserl sehr bedenklich. Mich erinnert
die
Argumentation nicht nur an diejenige wenig liberaler
Muslime,
sondern auch an die mittlerweile gluecklicherweise
veralteten
autonomen Vermummungsgebote, die ich zugegebenermaszen
auch einmal
fuer richtig gehalten habe. Denn auch bei den
Autonomen erscheint
natuerlich der Schutz vor den Kameras nur
logisch. Doch die
Vermummung wirkt nicht nur defensiv als Schutz,
sondern auch
offensiv in der Kommunkation -- nur leider eben in
eine
vollkommen verkehrten Richtung: Die Vermummung der
Autonomen
machte naemlich Angst. Hinter der immer wieder
gehoerten
rationalen Behauptung: "Der hat was zu verbergen"
steckt in
Wirklichkeit die Urangst des bedemonstrierten Buergers:
"Der hat
kein Gesicht".
Beim Kopftuch bleibt das Gesicht
frei. Doch immerhin vermummt es
die Haartracht. Wie man sein Haar
aber traegt, ist immer schon ein
Signal gewesen -- es hiesz
Herrschaft oder Beherrschtheit;
Widerstand oder Unterwerfung;
Individualitaet oder Konformitaet
und damit natuerlich auch:
sexuelle Freiheit oder
Zwangsnormalitaet.
Daneben bleibt
natuerlich das Problem, dasz das simple Kopftuch
inkonsequent
ist: Allein der komplette Tschador, die
Vollvermummung kann der
oben angefuehrten Argumentation gerecht
werden; ist doch das
Gesicht nicht nur fundamentaler Traeger
erotischer Ausstrahlung,
sondern auch das beste Mittel, einen
Menschen zu
identifizieren.
Bei vielen Gefahren aendert der Schutz
(Motorradhelm, Regenschutz)
an der objektiven Gefahr selbst wenig
oder oft gar nichts. Dem
Regen ist es egal, ob man sich vor ihm
schuetzt oder nicht. Er
faellt gleichermaszen auf Kopftuecher,
Steirerhuete oder bare
Haeupter.
Im
politisch-gesellschaftlichen Bereich sieht das etwas anders
aus:
Wir -- Maenner wie Frauen - haben gerade im Klima unserer
Zeit,
Angst, unsere "Identitaet" preiszugeben und die hat nunmal
viel
mit dem Gesicht, aber auch ganz allgemein dem "freien Kopf"
zu
tun. Also wird dieser Bereich einem Schutz unterworfen.
Ein
optisch geschuetzter Kopf zeigt aber genau diese Angst und
dieses
Schutzbeduerfnis an. Das Signal der Angst ist ein Signal
der
Schwaeche und wirkt nach auszen wie nach innen. Es ist
einfach ein
Zeichen dafuer, keinen "freien Kopf" zu haben. Es
signalisiert
aber nicht nur Angst, es macht auch Angst -- denn
wenn jemand
demonstriert, ich will Dir meinen Kopf nicht zeigen,
stellt sich
auch die Frage warum -- bei der Vermummung mit
Motorradhaube ist
das Gefuehl sicher manifester, aber ich glaube,
auch das Kopftuch
ist oft Misztrauen erweckend. Wer Angst zeigt,
deutet seinem
Gegenueber auch eine gewisse Unberechenbarkeit an -
was die
moegliche Herstellung einer Vetrauensbasis
unterminiert.
Der auch bei uns traditionelle Schleier der
Trauernden versteckt
die Traenen - oder die Tatsache der
Nichttraenen. Jede Vermummung,
jedes Verstecken bedeutet, dasz
wir uns fuer uns selbst, fuer
unsere Emotionen vielleicht
genieren; mangelndes Selbstbewusztsein
aber erzeugt keine
Glaubwuerdigkeit.
Nun ist die Bedeutung der Barhaeuptigkeit
sicherlich auch
kulturabhaengig: Vom Schabbesdeckel bis zum "Nimm
den Hut runter"
reicht die Palette. Der Jude verhuellt sein Haupt
als Zeichen der
Demut, der Christ nimmt den Hut -- eventuell als
Entsprechung
der Krone -- vor seinem "Herrn" ab.
Auch die
Muetter der Plaza del Mayo trugen ihre Kopftuecher als
Zeichen --
nicht um sich zu verhuellen, sondern um sich
kenntlich zu machen.
Sie zeigten sich und waeren nie auf die Idee
gekommen, ihre
Gesichter zu vermummen. Sie zeigten sich und
zeigten die Fotos
ihrer verschwundenen Kinder -- deswegen, weil
sie eben keine
Angst mehr hatten. Eine Frau mit einem weiszen
Kopftuch auf
diesem Platz zeigte der Junta unmiszverstaendlich:
Ich bin deine
Feindin! Bezeichnenderweise schreibt aber die
Autorin: "Wenn wir
als internationalistische
Kopftuchfrauenfraktion auf der
naechsten Donnerstagsdemo
erscheinen, wird am aeuszeren Anblick
nicht auszumachen sein,
welche der Verschleierten strengglaeubige
Muslimin, welche Madre
de la Plaza de Mayo und welche
zapatistische Subcomandantin von
Favoriten-Nord ist." Damit ist
das Kopftuch als Kampfsymbol
vollkommen entwertet, es bleibt nur
das Verstecken -- vor
Ueberwachungskameras oder maennlichen
Blicken.
Unabhaengig aber von bestimmten Dresscodes deutet
die Verhuellung
des Kopfes fast immer auch Fremdheit an. Nicht im
Sinne von: "Ich
gehoere einer anderen Kultur an" oder "Ich bin
hier fremd";
sondern: "Ich will Dir fremd sein, komm mir nicht zu
nahe". So
duerfte das Kopftuch funktionieren - nicht nur in
unueblicher
Umgebung (also z.B. in unserer gemischt
katholisch-agnostisch
gepraegten Gesellschaft), sondern auch
innerhalb der moslemischen
Glaubensgemeinschaft. Nun bin ich kein
Moslem, der das so ohne
weiters feststellen koennte, doch
immerhin ist das ja sehr wohl
die immer wieder bekundete
Grundhaltung: Die Frau wird "hoch
verehrt", was aber nicht
bedeutet, dasz ihr Rechte auszerhalb des
Hauses eingeraeumt
werden. Es geht hier nicht nur um sexuelle
Avancen, es geht bei
der Verhuellung ganz allgemein um eine
Unterbindung der
Kommunikation auszerhalb der der Frau
zugeschriebenen Sphaere --
eben des Inneren des Hauses.
Fremdheit bedeutet: Ich spreche
eine andere Sprache als Du. Selbst
wenn ich dasselbe sage wie Du,
wirst Du mich nicht verstehen.
Kommunikation aber bedeutet: Ich
sage etwas anderes als Du, aber
Du kannst mich verstehen, den wir
sprechen die selbe Sprache.
Reduziert man jetzt die
Kommunikationsebenen -- zum Beispiel
durch einen fuer
Auszenstehende unverstaendlichen Code oder eben
durch das
Verhuellen des Gesichts, so vermindert man nicht nur
die
Moeglichkeiten, verstanden zu werden, sondern man
signalisiert
gleichermaszen: "Eigentlich wollen wir gar nicht von
allen
verstanden werden" - eine fatale Entwicklung des
Politischen.
Gerade innerhalb der linken aber auch der
feministischen Bewegung
existiert schon seit laengerem ein
unangenehmer defensiver Zug.
Die Angst vor der Umgebung wird
kultiviert statt der klaren
Kampfansage: "Mit uns zieht die neue
Zeit". "Der Kapitalismus wird
immer schlimmer" und "Der
Faschismus kommt zurueck" wird immer
wieder zwischen den Zeilen
aber auch ganz explizit kommuniziert;
statt: "Wir werden siegen,
weil unsere Argumente vernuenftig und
jedermann verstaendlich
sind". Statt "Wir wollen bestimmte Dinge
und dafuer kaempfen wir"
kommt eher "Unterm Kreisky war es
besser". Einem Rueckzug in der
Forderung, ein Verzicht auf die
Offensive -- das ist die mentale
Entsprechung eines physischen
Praesenzverzichts.
Die
potentielle Macht des Volkes beruht auf der Kommunikation
von
Individuen und nicht auf der uniformen Unkenntlichkeit
von
stimmgewaltigen Sprachlosen. Und Sprache ist eben mehr als
das
Wort, es ist auch Mimik und es ist der stete Ausdruck der
Augen
eines Menschen und neben auch noch vielen anderen, ist es
auch die
die Art, wie er oder sie das Haar traegt.
Wer
sich vermummen will, soll es tun. Soll jeder und jede nach
seiner
oder ihrer Fa‡on gluecklich werden. Aber ein Beitrag
zur
Verbesserung der Kommunikation ist es nicht. Oder
glaubt
irgendwer, dasz diejenigen, die einer unvermummten Frau
nicht
zuhoeren wollten, dann zuhoeren, wenn ihr Gegenueber
verhuellt
ist?
Wenn jemand aber die Auseinandersetzung mit
der Gesellschaft
sucht, musz dieser Mensch auch etwas riskieren
-- naemlich sich
selbst. Und dabei musz es nicht einmal darum
gehen, ob man seine
buergerlichen Freiheiten aufs Spiel setzt,
sondern auch hie und da
liebgewordene Ansichten einer offenen
Diskussion stellt. Denn eine
offene Diskussion ist nunmal schwer
aus der vollen Deckung zu
fuehren.
Natuerlich, es wird
gefilmt und gerastert und gelauscht und
volksgezaehlt. Sich
schuetzen zu wollen, ist gut und vernuenftig
-- aber die Frage,
wieweit man der eigenen Sache vielleicht
auch schaden koennte,
musz dabei immer auch gestellt werden.
*Bernhard
Redl*
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