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Aussendungszeitpunkt: 8.5.2001 - 17:32
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Kapitalismus:

"Geld macht gluecklich...

... wenn man rechtzeitig darauf schaut, das mans hat, wenn mans
braucht" -- Oesterreichs Pensionspolitik und die internationalen
Finanzmaerkte

Wochenendbeilagen von Tageszeitungen, die Werbung im Fernsehen,
die Plakatwaende - sie alle versprechen das grosse Glueck mit
wenig Aufwand. Man muesse nur "anlegen", "vorsorgen", "nichts dem
Zufall ueberlassen", manchmal auch "etwas riskieren", denn "In
jedem steckt ein Spieler". Wir alle kennen diese Phrasen und
Versprechungen: Je mehr die eine, die oeffentliche Sicherung in
Verruf gebracht, als unfinanzierbar dargestellt wird, desto
sicherer wird die andere, die private Sicherheit schoengefaerbt.

Die Realitaet allerdings schaut anders aus: Die Finanzmaerkte sind
ins Stottern geraten. Pensionisten in den USA bangen bereits um
ihr Erspartes. Sind das alles nur Dinge, die sich weit weg von uns
abspielen?

Zentrale These dieses Artikels ist es, dasz die Foerderung der
Finanzmaerkte ein Kernpunkt der Wirtschafts- und
Gesellschaftspolitik Oesterreichs, aber auch Groszbritanniens, der
BRD ... ist. Die parteipolitische Zusammensetzung der Regierungen
scheint in dieser Hinsicht kein entscheidendes Merkmal zu sein.
Wichtiges Element dieser Forcierung der Kapitalmaerkte ist dabei
das Pensionssystem. Dies ist auch zentrales Element der EU-
Politik: Die betriebliche und auch die individuelle, private
Altersversorgung, so wuenscht es die EU-Kommission, soll kuenftig
"eine wichtige Rolle bei den nationalen Systemen der sozialen
Sicherheit, bei der Finanzierung der EU-Wirtschaft und bei der
Integration der europaeischen Kapitalmaerkte" spielen.1)

Eine ganze Reihe von finanztechnischen Masznahmen soll zur
"Kapitalmarktreform" fuehren:

a. Die ArbeitnehmerInnen-Absetzbetraege werden bei einer nicht
erfolgenden Privatvorsorge halbiert.

b. Die bislang ausbezahlte Abfertigung wird ab 2003 umgewandelt in
eine Veranlagung als betriebliche Vorsorge.

c. Die Abschaffung der Boersenumsatzsteuer erspart den Aktionaeren
kuenftig 700 Millionen Schilling.

d. Die Spekulationssteuer (SPEST) sollte urspruenglich ausgeweitet
werden: Wie international ueblich sollten Kursgewinne dann
besteuert werden muessen, wenn die Aktien bereits innerhalb von
zwei Jahren den Besitzer wechseln. Nunmehr wurde dieser Plan zur
Verlaengerung der Spekulationsfrist wieder fallen gelassen.

e. Statt dieser Verlaengerung der Spekulatiosnfrist und statt der
Boersenumsatzsteuer kommt lediglich eine 5%ige Steuer auf
Substanzgewinne von Fonds.

f. Das Stock-option-Gesetz tritt per 1. Mai 2001 in Kraft:
SpitzenmanagerInnen mit Aktienpraemien ("stock options") werden
bis zu 500.000 Schilling Steuerfreibetraege eingeraeumt. Bislang
unterlag der Gesamtgewinn aus Optionen der vollen
Einkommenssteuer. Die geplante, international einzigartige
steuerliche Beguenstigung fuer Stock Options (bis zur Haelfte des
Gewinns kann kuenftig steuerfrei sein) bringt Vorteile
hauptsaechlich fuer Top-VerdienerInnen.

g. Erben von Aktien werden 100 Millionen Schilling
Erbschaftssteuer erspart (waehrend die Erbschaftssteuer auf
Eigenheime oder Eigentumswohnungen mindestens verdreifacht wird).

h. Die Stiftungsbesteuerung bleibt zahnlos.2)

Meist nicht bedacht werden in DIESEM Zusammenhang allerdings drei
Masznahmenbuendel, die aber fuer die Steigerung der Attraktivitaet
der Finanzmaerkte ebenfalls zentral sind:

a. Die Privatisierung von Teilen des oeffentlichen Eigentums

b. Die zoegerliche Ausstattung des oeffentlichen Sozialsystems mit
entsprechenden Mitteln bzw. die Diskussion ueber dessen angebliche
Unfinanzierbarkeit.

c. Die Deregulierung der Weltwirtschaft ueber die
Welthandelsorganisation WTO, den "gemeinsamen Markt" der EU ...
Die Frage stellt sich nach den Gruenden fuer diese Foerderung der
Kapitalmaerkte. WARUM ist es der EU und der oesterreichischen
Regierung so wichtig, dasz wir alle die richtige
"Kapitalmarktgesinnung" bekommen?

Ganz offen spricht es Johannes Dietz, seinerzeit einer der
fuehrenden neoliberalen Oekonomen der OeVP aus: "Wir brauchen die
Peitsche der Kapitalmaerkte, um im Unternehmen jene Veraenderungen
zu erreichen, die fuer seinen Weiterbestand notwendig sind."4) Das
Beispiel des Boersegangs der Telekom zeigt von Anfang an klar,
worauf der Share-holder-Kapitalismus hinauslaeuft: "Der
wesentliche Punkt ist die Reduktion der Personalkosten. Man kann
sicher Mitarbeiter von Wien nach Vorarlberg versetzen oder aus der
Firma mobben. Die entscheidende Frage ist aber: Wie schaffe ich
es, dasz die richtigen Leute bleiben? 5.000 Menschen auf die
schnelle loszuwerden schafft sicher Probleme." Soweit Wolfgang
Matejka, als Allianz-Fondsmanager groeszter Investor an der Wiener
Boerse im Format im November 2000.5) Was auf die Telekom-
MitarbeiterInnen zukommen wuerde, war also von Anfang an klar!

Durch die Veranlagung auf Finanzmaerkten veraendern sich in den
einzelnen Unternehmen die Machtverhaeltnisse: Zusaetzlich zum
bisherigen Druck durch den Chef und plus dem Druck der Konkurrenz
kommt nun noch der Druck der Share-Holder auf die Belegschaften
neu hinzu.

Allerdings musz man sagen, dasz so eine Art von
Aktionaerskapitalismus auch fuer "DIE" Wirtschaft nicht gerade
lustig ist. Eine laengerfristige Planung und Entwicklung ist bei
share-holdern, die bei nicht entsprechend hohen Gewinnerwartungen
mit dem Kapitalabzug drohen, kaum moeglich: Ein Management, das
nicht sofort mit hohen Renditen aufwarten kann, dessen Unternehmen
droht in weiterer Folge der Absturz der Aktienkurse, was es dann
zum begehrlichen Objekt "feindlicher" Uebernahmen macht. Das Ende
einer solchen Entwicklung: Die lukrativsten Teile werden
herausfiletiert, der Rest des ehemals laestigen Konkurrenten aber
ausradiert.

Die Wirkung des share-holder-Modells geht aber ueber die
unmittelbar betroffenen Unternehmen hinaus. Es gibt mittelbar AUCH
fuer die gesamte Unternehmerschaft materiell etwas zu gewinnen.
Denn wenn sich schon in den grossen internationalen oder ehemals
verstaatlichten Paradefirmen das materiell sehr hohe Sozial- und
Lohnniveau nicht mehr halten laeszt, dann schlaegt sich das auf
die uebrige Wirtschaft nieder, auch auf die sich nicht an der
Boerse befindlichen Klein- und Mittelbetriebe. Fuer Deutschland
brachte es ein Papier der Unternehmensberatungsfirma McKinsey auf
den Punkt: "Statt Kraft auf frontale Attacken zur Deregulierung
der Arbeitsmaerkte oder auf fragwuerdige punktuelle Unterstuetzung
einzelner Wirtschaftszweige zu verschwenden, musz die
reformierende Wirkung des Kapitalmarkts entfesselt werden." Ueber
den Umweg der Privatisierung des Pensionssystems sollen
Widerstaende gegen die Forderungen des Kapitals ausgehebelt
werden. Die Durchsetzung einer shareholder value-Strategie ist
ueber ein Buendnis mit privatversicherten ArbeitnehmerInnen viel
leichter durchsetzbar.6)

Gesellschaftspolitik und Ideologie

Das Materielle ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Aspekt.
Die Staerkung der Finanzmaerkte bewirkt auch eine Beschleunigung
einer gesellschaftspolitisch-ideologischen Machtverschiebung, die
zugleich die Etablierung einer anderen Kultur ist: Als homo
oeconomicus investiere ich in meine eigene private Lebensplanung.
Ueberlegungen, wie viel vom Produktivitaetszuwachs etwa ueber
steigende Sozialabgaben, ueber eine Wertschoepfungsabgabe, ueber
eine produktivitaetsorientierte Lohnpolitik (und damit automatisch
aliquot mit steigende "Lohnnebenkosten") ... in den Sozialbereich
umgelenkt werden sollten, stellen sich somit gar nicht erst.
Entsprechend verschieben sich Begrifflichkeiten: Aus Verantwortung
(die ja immer die Eigenverantwortung einschloss, aber eben nicht
nur) wird EIGEN-Verantwortung, aus Vorsorge wird EIGEN-Vorsorge.
Die Banken betrachten die von ihnen neu angebotenen
Pensionsinvestment-fonds als "Erziehungsmittel, um den Leuten den
Zusammenhang zwischen Kapitalanlage und Pension klarzumachen."
(Die Presse 23/2/1998). "Wir moechten Kunden, die noch keine
Wertpapiere haben, zu dieser Veranlagungsform hinfuehren und dazu
animieren, mehr Initiative im Bereich der Eigenvorsorge zu
zeigen." (Die Presse 28/5/1998).

Natuerlich schlaegt sich dies volkswirtschaftlich gesehen auch
wieder materiell nieder: Die Gesellschaft und die Verteilung des
wirtschaftlichen Gesamtkuchens steht nicht mehr zur Disposition.
So kann man den UnternehmerInnen die Lohnnebenkosten senken
(= den Lohnabhaengigen als Gesamtheit den Soziallohn teilweise
streichen). Als scheinbar allen einsichtige bequeme Begruendung
dient die Sicherung des eigenen Standortes in einem - selbst
mitforcierten - globalen Wettkampf.

Die Boersenoffensive hat schon in den 80er Jahren begonnen, und
hat mittlerweile auch nach Abflauen der ersten
Hoehenflugerlebnisse ihren Platz im oeffentlichen Raum behaupten
koennen (Boersenberichterstattung, Aktientips und Stimmungsmache
in den Medien). Mit der Privatpensionskampagne wird noch ein
Schaeuflein zugelegt.7)

Dieser gesellschaftspolitische Paradigmenwechsel beschraenkt sich
nicht nur auf Oekonomie und Verteilungsfragen, sondern spielt
letztendlich auch in ganz andere Bereiche wie etwa die Oekologie
hinein: Wenn eine Vielzahl von Leuten von raschest boomenden
Branchen abhaengig sind, dann sinkt entsprechend die Motivation
der Regierung und auch der "Zivilgesellschaft", hier regulierend
einzugreifen. Sieht man sich die Liste der Bereiche an, von denen
das grosse Geschaeft erwartet wird, dann versteht man, was gemeint
ist. Die Beilage der Kaerntner Woche verspricht: "Fette Gewinne an
der Boerse. Das Spiel an den Boersen kann weitergehen, das
Sommerloch schlieszt sich. Mit Gesundheit, Biotechnologie oder
Wasser ist das Geld zu machen."8) - schlieszlich ist davon ja
womoeglich die eigene Pension abhaengig.   *Walther Schuetz (gek.)*

1) Joachim Fritz-Vannahme, Europas neue Liebe. Bruessel entdeckt
den Charme der betrieblichen Altersvorsorge. In: die Zeit,
8.3.2001, S.26. Thema beim EU-Gipfel Ende Maerz 2001. Vorher
bereits "vorgedacht" vom European Round Table of Industrialists
vom Februar 2000.
2) Presseaussendungen der AK-Wien 26.9., 17.11.2000, Kleine
Zeitung 26.9.2000
4) "Wir brauchen die Peitsche". Interview von Othmar Wagner mit
Johannes Ditz. In: Kleine Zeitung 22.11.2000, S.35
5) Telekom-Aktien: Top oder Flop? In: Format 45a/00, S.10
(Werbebeilage Kleine Zeitung)
6) BEIGEWUM (ed), Vom Pensionaer zum Aktionaer. In: Kurswechsel
3/1998:
7) BEIGEWUM (ed), ebd.
8) Christina N. Kogler, Fette Gewinne an der Boerse. Aus:
Wirtschafts@Woche (Beilage der Kaerntner Woche) Seite X, August

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