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Aussendungszeitpunkt: 24.04.2001 - 14:55
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Der Staat und wir:

Unwuerdiges Spektakel Volkszaehlung
Mit Ende April beginnt die sogenannte heisze Phase der Volkszaehlung
2001. Zehntausende Zaehlorgane werden ausschwaermen und Millionen
Drucksorten verteilen. Diese sind mit Stichtag 15.5.2001 von den
Haushaltsvorstaenden, Wohnungs-, Haus- und Arbeitsstaettenbesitzern
auszufuellen und bis Ende Mai zu retournieren.

Wie die vergangenen Volkszaehlungen zeigten, stellt besonders die
Datenerhebung durch die Zaehlorgane einen massiven Eingriff in die
Privatsphaere dar. Bei der letzten Zaehlung kam es in ganz Oesterreich
laufend zu Aktivitaeten der Zaehlorgane, die an der Grenze der
Noetigung anzusiedeln sind. Die Highlights des Miszbrauchs der
Amtspositionen waren: - Unberechtigtes Verlangen des Zutritts zur
Wohnung - Uebergabe vorausgefuellter Frageboegen - Druck, die
Frageboegen im Beisein des Zaehlorgans auszufuellen - Ausbessern des
Fragebogens durch das Zaehlorgan - Durchfuehrung von Zusatzerhebungen
auf eigene Faust

Dr. Hans G. Zeger: "Offenbar haben sich viele Zaehlorgane geistig noch
immer nicht von den Blockwartmethoden der NS- Zeit verabschiedet.
Verschaerft wird die Situation durch die beinharte Kopfjagd der
Gemeinden. Diese instruieren die Zaehlorgane, besonders viele Personen
zu zaehlen, nicht gemeldete Personen aufzuspueren und vergeben
Vollstaendigkeitspraemien. Die ARGE DATEN befuerchtet eine
Wiederholung der Vorkommnisse der letzten Zaehlungen."

Niemand musz ein Zaehlorgan in seine Wohnung lassen. Selbst der
Leitfaden fuer die Zaehlorgane betont mehrmals: "Bitte beachten Sie,
dass Sie nicht das Recht haben, Einlass in eine Wohnung zu verlangen."
Wird einem Zaehlorgan misztraut, dann koennen die Formulare direkt bei
der Gemeinde abgegeben werden. Das Verteilen von vorausgefuellten
Formularen durch die Gemeinden ist ungesetzlich. Die Annahme von
derartigen Formularen kann verweigert werden. Ausdruecklich verboten
ist es den Zaehlorganen ,die Formulare in Eigenregie auszubessern. Das
Zaehlorgan ist nur berechtigt die Vollstaendigkeit der Formulare und
der beantworteten Fragen zu pruefen. Es muessen keinerlei Zusatzfragen
beantwortet werden. Es muessen auch keine Nachweise, etwa ueber die
Staatsbuergerschaft, die Ausbildung oder die Kinderzahl vorgelegt
werden. Glaubt eine Gemeinde, dasz irgendwelche Daten nicht korrekt
sind, dann kann die Gemeinde ein formelles Verwaltungspruefverfahren
initiieren.

Dr. Hans G. Zeger: "An die Gemeinden appelliert die ARGE DATEN ihre
Fuehrungskompetenz zu beweisen, und sicher zu stellen, dasz sich die
Zaehlorgane rechtskonform und buergerfreundlich verhalten. Wir
erwarten, dasz ueberforderte Zaehlorgane sofort von der
Zaehlungsaufgabe abgezogen werden."

Das Volkszaehlungsgesetz kennt nur die allgemeinen
Verwaltungsverfahrensstrafbestimmungen: mit einer Obergrenze von
30.000,- ATS bei der Geldstrafe oder einer Ersatz-Freiheitsstrafe bis
zu sechs Monaten. Untergrenzen oder Mindestrafen existieren nicht.

Diese Bestimmung wurde bei der letzten Volkszaehlung nicht angewandt,
obwohl viele hunderttausend Frageboegen unvollstaendig ausgefuellt
wurden. Allein die Auskunftung ueber das Religionsbekenntnis wurde
laut Statistik Austria 1991 270.965 Mal verweigert. Sanktionslos.

Die Strafdrohung richtet sich gegen alle Personen, die die Fragen
nicht, unvollstaendig oder fehlerhaft beantworten. Voraussetzung fuer
eine Strafwuerdigkeit ist jedoch, dasz vorsaetzlich gehandelt wird.
Dr. Hans G. Zeger: "Wir gehen davon aus, dasz die Buerger muendig
genug sind, zu entscheiden, wie und in welcher Form sie bestimmte
Fragen beantworten wollen."

Tatsaechlich ist den Gemeinden die Beantwortung weiter Teile der
Frageboegen auf gut Wienerisch "wurscht". Das eigentliche Interesse
der Gemeinden konzentriert sich auf die blosze Erhebung der
Personenzahl. Diese Personenzahl ist fuer die Zahlungen aus dem
sogenannten Finanzausgleich des Bundes von Bedeutung. Mit der Abgabe
eines Personenblattes je Familienmitglied und der Beantwortung der
Fragen 1 und 2 (Geburtsjahr und Geschlecht) sind die Anforderungen der
Gemeinden erfuellt.

Tatsaechlich wissen die Gemeinden tagesaktuell ueber ihre Buerger
(Zahl und Altersstruktur) bescheid. Die Gemeinden benutzen die
Volkszaehlung nur zur Bestaetigung ihrer eigenen Daten.

Zwischen den Gemeinden ist eine regelrechte Jagd um diese
Personenblaetter entbrannt. Bei der letzten Volkszaehlung wurden weit
ueber hunderttausend Reklamationsverfahren ueber die Feststellung der
Zuordnung des Personenblattes zu einer Gemeinde gefuehrt. Fest steht,
dasz eine mehrfache Abgabe einesPersonenblattes bei verschiedenen
Gemeinden nicht ueberprueft werden kann und auch zu keinerlei
Reklamations- oder Verwaltungsverfahren fuehren kann.

Konsequenterweise wird dann eine Person bei jeder dieser Gemeinden,
bei der sie den Wohnsitz, den Arbeitsplatz oder die Ausbildungsstaette
hat, gezaehlt.

Dr. Hans G. Zeger: "Wuerde die Bundesregierung nicht den Gemeinden
misztrauen, koennte man sich das Volkszaehlungsritual ersparen. Es
waere ausreichend, wenn die Gemeinden in Jahresabstaenden die
Buergerzahl und die Verteilungen nach Geschlecht und Alter an die
Statistik Austria uebermittelten. Die Finanzausgleichsverteilung
koennte in wesentlich kuerzeren Abstaenden aktualisiert werden. Die
Unterstellung, die Gemeinden wuerden ihre Buergerzahlen manipulieren
bzw. nicht korrekt verwalten, beschert uns den volkswirtschaftlichen
Schaden von 6 Mrd. ATS."

Viele Fragen werden als aufdringlich angesehen und sind auch in
Hinblick auf die EU-Richtlinie datenschutzrechtlich bedenklich. Neben
der Erhebung des "Religionsbekenntisses" und des "Geburtslandes",
beides sind Daten, die laut EU-Richtlinie in die Kategorie sensibler
Daten fallen und die nur unter ganz eingeschraenkten Bedingungen
ueberhaupt erhoben werden duerfen, finden sich noch eine Reihe
weiterer skuriler bzw. problematischer Fragen:"Stellung im Haushalt"
mit der Vorgabe "Haushaltsvorstand", noch immer gilt bei der Statitik
Austria das altvaeterliche Bild des "Familienoberhaupts". "Genaue
Berufsbezeichnung": In einer Zeit rasch wechselnder und immer
individuellerer Berufsbilder sind die vorgeschlagenen Beispiele
"VIDEOGERAeTEMONTIERERIN" oder "STRASSENWAeRTER" nicht
gerade hilfreich.

Dieses Feld wird keine auswertbaren Daten liefern. Die
"Umgangssprache" ist ebenfalls als problematisch einzustufen, da
Sprachminderheiten wieder einmal einem Bekenntnisdruck gegenueber der
Gemeinde ausgesetzt werden.

Als generell problematisch wurden bei der letzten Volkszaehlung alle
Fragen zur Wohnung eingestuft. Gerade die Wohnung wird von allen
Menschen als letztes privates Rueckzugsgebiet angesehen. Fragen zu
diesem wesentlichen Teil der Privatsphaere werden als besonders
zudringlich angesehen. Bei der letzten Volkszaehlung reagierten die
Menschen mit besonders lueckenhaften und falschen Angaben.

O-Ton aus der Statistik Austria nach der letzten Volkszaehlung:
"Wuerden wir die Wohnflaechen der verschiedenen Stockwerke der
erhobenen Haeuser vergleichen, wuerden wir Gebaeude bekommen, die es
nicht geben kann." Wohnhaeuser mit 500 m2 im ersten Stock, 1500 m2 im
zweiten Stock und 900 m2 im dritten Stock sind dann der Regelfall. In
Wien brachte die letzte Zaehlung 714 neu erbaute Substandard-
Gemeindewohnungen, deren Errichtung nach der Bauordnung verboten ist
und die durch die Gemeinde Wien auch sicher nicht errichtet wurden

Dr. Hans G. Zeger: "Es ist uns aus rechtlichen Gruenden nicht
moeglich, bestimmte Empfehlungen zum Ausfuellen einzelner Fragen zu
geben, doch gehen wir davon aus, dass die Buerger bei jenen Fragen,
die ihre Privat- und Intimsphaere betreffen, eine selbstaendige
Entscheidung treffen werden."

Datenschutzrechtlich bedenkliche "Parallelaktion" des
Innenministeriums

Neben der eigentlichen Volkszaehlung findet zusaetzlich eine
Verwaltungserhebung des Innenministeriums statt. Die Zaehlorgane
agieren gleichzeitig als Organe des Innenministeriums und machen
personenbezogene Erhebungen zum Meldegesetz. Ziel ist es, ein
zentrales Melderegister zu schaffen, in dem jeder Buerger mit einem
eindeutigen Personenkennzeichen registriert ist.

Dr. Hans G. Zeger: "Diese Parallelaktion kann als eigentlicher
Suendenfall der Volkszaehlung angesehen werden. Seit der NS-Erhebung
1933 ("Generalinventur Deutschlands") kam es im deutschsprachigen Raum
zu keiner Verknuepfung statistischer und personenbezogener
Erhebungen."

Mit dem zentralen Melderegister sollen die Behoerden verpflichtet
werden, bei jeder Eingabe eines Buergers, bei jedem Antrag oder bei
jedem sonstigen Verfahren, die Meldedaten zentral im Innenministerium
zu ueberpruefen. Das Innenministerium ist verpflichtet derartige
Anfragen zu protokollieren und zumindest drei Jahre aufzuheben.
Dr. Hans G. Zeger: "Die Kombination zentrales Melderegister,
eindeutiges Personenkennzeichen, Abfragepflicht durch die Behoerden
und Protokollierungspflicht durch das Innenministerium, produziert
einen aeuszerst brisanten und datenschutzrechtlich bedenklichen
Informationsbestand. Erstmals ist das Innenministerium in der Lage
laufend aktualisiert einen vollstaendigen Ueberblick ueber die
Behoerdenkontakte eines Buergers zu erhalten. In der Regel genuegt es
zu wissen, welche Behoerde kontaktiert wurde, ob Gewerbeamt,
Sozialamt, Schulbehoerde oder Verkehrsamt, um erkennen zu koennen, aus
welchen Gruenden jemand diese Behoerden in Anspruch nimmt. Auf Grund
der Amtshilfe besteht das Recht durch das Innenministerium gezielt die
kompletten Behoerdenakten anzufordern. Mit diesem System wird,
verspaetet, der Traum der Ueberwachungsbehoerden des ehemaligen
Ostblocks realisiert." Zurecht erhielt diese Parallelaktion schon 1999
den BigBrotherAward.

Resuemee

Die Volkszaehlung produziert mit Milliardenaufwand die Illusion einer
exakten Datenerhebung. Das Ergebnis ist jedoch, bedingt durch
methodische Erhebnungsmaengel und verspaetete Auswertung, ein
unnutzbarer Datenfriedhof.

Dr. Hans G. Zeger: "Das Ritual Volkszaehlung hat laengst eine
Eigendynamik entwickelt, die sich mit rationalen Verwaltungsargumenten
nicht rechtfertigen laeszt. Statt effektiver Einsparungen der
Verwaltung wird ein volkswirtschaftliches Vermoegen von 6 Mrd. ATS
vernichtet. Die Volkszaehlung entpuppt sich als nicht mehr
zeitgemaeszes Machtritual eines Staates mit authoritaeren Tendenzen.
Nebenbei wird auch die Faehigkeit des Staates geprobt, bei Bedarf
flaechendeckend den Zugriff zur Privatsphaere der Buerger zu
organisieren."

Die grundsaetzlichen Informationen und Bedenken zur letzten
Volkszaehlung (1991) bleiben auch fuer die aktuelle Volkszaehlung
gueltig und finden sich im Informationssystem der ARGE DATEN
(w³.argedaten.at, Suche im ARCHIV, Stichwort "Volkszaehlung");
info@argedaten.at 

(Herbert Gnauer, Arge Daten / via Quintessenz / gek.)

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Ausfuellfest!

die linke liste alsergrund (LILA) veranstaltet am 20. mai im cafe
dogma eine "fillout-party". begleitet von ausfuellender musik erhaelt
jedEr, die/der einen volxzaehlungsbogen mithat und ihn
gemeinschaftlich ausfuellt, ein gratisgetraenk: 16 bis 2 uhr.
lichtentalergasse 20

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wipplingerstrasze 23/20
a-1010 wien
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