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Aussendungszeitpunkt: 20. 03. 2001 - 15:44
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Asyl/BRD:



> Stoere meinen Landkreis nicht!

Protestbrief von Fluechtlingen in Deutschland zur
"Residenzpflicht"

In einem demokratischen Land waere der einzige Grund fuer die
staatliche Kontrolle und Ueberwachung von Personen eine
gravierende Gefaehrdung der oeffentlichen Ordnung oder der Schutz
der BuergerInnen. Eine solche Kontrolle geschaehe auf der
Grundlage der Verfassung durch ein Organ des Staates. Dabei
duerfte nicht nach Herkunft, Religion, Hautfarbe oder Rasse der
kontrollierten Person unterschieden werden. Die Realitaet in
Deutschland ist jedoch eine andere: Fluechtlinge in Deutschland
sind das Opfer der Residenzpflichtgesetze, eines Systems von
Aufenthaltszuweisungen und -beschraenkungen, vergleichbar mit der
Aera der rassistischen Apartheid in Suedafrika. Auch Deutschland
hat seine "Passgesetze". Es ist Fluechtlingen verboten, sich in
Deutschland frei zu bewegen. Sie duerfen den ihnen als Wohnort
zugewiesenen Landkreis nicht verlassen und sind verpflichtet in
einer ihnen zugewiesenen Fluechtlingsunterkunft (oft abgelegen
oder mitten im Wald) zu wohnen. Die Realitaet dieser Gesetze ist
die Unterwerfung der MigrantInnen unter erniedrigende
Polizeikontrollen. Diese Kontrollen finden auf der Basis von
aeuszerlich sichtbaren Unterschieden zu den weiszen
Mehrheitsdeutschen statt. Bewegungsfreiheit ist nicht verhandelbar
und sollte in jeder demokratischen Gesellschaft geschuetzt werden,
denn sie ist die Grundlage, auf der sich die menschliche
Persoenlichkeit erst entwickeln kann.

Artikel 13 der auch von Deutschland unterzeichneten Allgemeinen
Erklaerung der Menschenrechte besagt: Jeder Mensch hat das Recht
auf Bewegungsfreiheit und auf freie Wahl des Wohnortes innerhalb
eines Staates. Wir protestieren deshalb entschieden gegen diese
Form der Polizeikontrollen, die uns diskriminieren und unsere
Bewegungsfreiheit unter voelliger Missachtung unserer
Menschenwuerde und unserer Menschenrechte einschraenken. Wie die
Passgesetze der Apartheidaera in Suedafrika ist auch die
Residenzpflicht Grundlage fuer rassistisch motivierte selektive
Polizeigewalt nach den Unterscheidungskriterien von "Rasse",
Hautfarbe, Religion und Nationalitaet. Dies ist nicht nur
grundgesetzwidrig, es ist vor allem unzivilisiert. Es gefaehrdet
die Fluechtlinge, die allgemeine Unsicherheit, in der Fluechtlinge
und MigrantInnen leben, wird so staatlich gefoerdert. Diese
Polizeikontrollen, die uns daran hindern, uns von einem Ort zum
anderen zu bewegen, - und zwar ohne dass wir straffaellig geworden
waeren - bedeuten bewusst zugefuegtes schweres physisches und
psychisches Leid, bewusst ausgeloest von staatlichen
Institutionen. Wir werden mit willentlicher Brutalitaet
unmenschlich und erniedrigend behandelt und in unserer
persoenlichen Entwicklung bedroht, nicht selten sogar zerstoert.
Geschuetzt von Staat und Gesetz zementieren deutsche Polizeibeamte
tagtaeglich den institutionellen Rassismus, verstoszen gegen den
Datenschutz, indem sie in unsere Privatsphaere eindringen und in
die Privatsphaere derjenigen Deutschen, die zu Fluechtlingen und
MigrantInnen in Verbindung stehen. Sie tun dies, um ein Gesetz
umzusetzen, das uns unser Recht auf Bewegungsfreiheit abspricht.

Auf der Grundlage von Paragraph 36 des Auslaendergesetzes und
Paragraph 56 des Asylverfahrensgesetzes werden wir zu Kriminellen
gestempelt: Wir werden erkennungsdienstlich behandelt und unter
Zwang fotografiert, unsere Fingerabdruecke werden abgenommen und
eine Kriminalakte ueber uns angelegt. In den Polizeikontrollen,
die sich gegen unsere Bewegungsfreiheit richten, werden wir wie
Kriminelle behandelt. Wir werden das Opfer von staatlich gedeckter
Polizeibrutalitaet, werden geschlagen und muessen uns ausziehen,
bekommen den Finger in den Hals gesteckt und in den Anus, eine
Behandlung, die einige von uns schon das Leben gekostet hat. Wir
nennen dies Apartheid, weil die Residenzpflicht, diese deutschen
"Passgesetze", uns zu oeffentlich Verdaechtigen machen, ohne dass
wir Kriminelle sind; weil wir aus rassistischen Gruenden
eingesperrt werden, ohne ein Verbrechen begangen zu haben - und
dies alles "legal" auf der Grundlage von Paragraph 59 und
Paragraph 85 (2) Asylverfahrensgesetz. Fuer den wiederholten
Verstosz gegen die Residenzpflicht koennen wir mit bis zu einem
Jahr Gefaengnis bestraft werden, die Entscheidungsgewalt darueber
liegt bei den staatlichen Stellen. Oder wir koennen fuer den
Verstosz gegen die Residenzpflicht zu einer Geldstrafe von bis zu
5.000 DM verurteilt werden (nach AsylVfG Paragraph 86). Und wenn
wir die Strafe (bei einem Einkommen von nur 80 DM Bargeld
monatlich) nicht bezahlen koennen, muessen wir als zusaetzliche
Strafe wie Zwangsarbeiter oder Sklaven arbeiten. Dies ist uebelste
Ausbeutung, wie sie die Vereinten Nationen in Artikel 4, 5, 6, 9,
13 und 14 der Allgemeinen Erklaerung der Menschenrechte verboten
haben. Wir werden mit diesen Polizeikontrollen kriminalisiert, wie
Kriminelle oder Moerder behandelt. Aber es geht noch weiter: Ein
Fluechtling kann festgenommen und fuer bis zu 18 Monate bis zu
seiner Abschiebung inhaftiert werden, ohne dass er kriminell
geworden ist - all das auf legaler Grundlage (geregelt in
Paragraph 57 Auslaendergesetz und Artikel 59
Asylverfahrensgesetz). Sind wir Reisende gleichgestellt mit
Moerdern in Eurem Land? Wir protestieren gegen rassistische
Kontrollen, grundlose Festnahmen und Haft und den
institutionalisierten Rassismus!

Deutsche haben oft die Tatsache vergessen oder verdraengt, dass
sie mehr als andere Laender von dem internationalen Recht auf Asyl
profitiert haben, zuerst in der Zeit des Nationalsozialismus, als
unzaehlige Deutsche ueberall in der Welt um Asyl ansuchten, ein
zweites Mal nach dem Zweiten Weltkrieg, als sogar schuldige Nazis
im Ausland Zuflucht fanden, teilweise in den selben Laendern aus
denen heute Fluechtlinge und MigrantInnen nach Deutschland kommen
- Fluechtlinge die unter dem Schutz der Allgemeinen
Menschenrechtserklaerung der UNO stehen. Aber wie ist die Lage in
Deutschland heute? Die deutsche Realitaet ist bestimmt von der
politisch gewollten Zerschlagung des individuellen und
fundamentalen Rechts des Individuums auf Asyl. Wir wollen die
deutsche Gesellschaft in diesem Kontext an ihre historischen
Verpflichtungen erinnern.

*Karawane fuer die Rechte der Fluechtlinge und MigrantInnen in*
*Deutschland / via MUND / gek.*


Info: The VOICE Africa Forum, the_voice_jena@gmx.de;
www.humanrights.de www.umbruch-bildarchiv.de;
www.freespeech.org/inter/residenz
Berliner Vorbereitungsbuendnis c /o Antirassistische Initiative,
Yorckstr. 59, 10965 Berlin, Tel. 0 30-785 7281, Fax 030-786 9984,
E-mail ari@ipn.de


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