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Aussendungszeitpunkt: 27. Februar 2001 - 16:49
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Kunst/Kultur/Sexismus/Debatte

> Kampf dem Sexismus im Alltag und im Staat

Zur Savas-Debatte (akin 4-6/2001)

Die "Antwort" von Bernhard in akin Nr. 5 vom 13.2.01 auf die
Auseinandersetzungen um die sexistischen, homophoben und
rassistischen Texte des Saengers Kool Savas, zeigt, wie wenig
Maenner in der linken/antikapitalistischen Bewegung sich mit
anderen gesellschaftlichen Macht- und Gewaltverhaeltnissen
auseinandersetzen. Und wie wenig sie sich selbst als Teil darin in
Frage stellen.

Phantasien, Bilder, Vorstellungen, Gedanken, Lieder, etc. sind
genauso radikal in Frage zu stellen, zu kritisieren und
anzugreifen wie konkrete direkte Gewalt und strukturelle
Machtverhaeltnisse.

Die "Antwort" von B. ist u.a. eine selbstgefaellige Antwort, dasz
(Zitat)... "wir alle Phantasien haben, fuer die wir uns genieren
und von denen wir kaum zugeben wollen, dasz wir sie haben (......)
..., dasz sich in unseren Hirnen halt Vorstellungen abspielen, die
wir zwar verachten, die uns aber nicht daran hindern eben ein
sozialvertraegliches Individuum zu sein."

Gewaltphantasien seh ich als Grundlage und Auswirkung einer
dominanten Gesellschaftsordnung. Vor Jahren hatte ich eine
Auseinandersetzung mit einem linken Kollegen. Er erzaehlte mir
"ehrlicherweise", dasz er gegenueber einer Vorgesetzten, die in
oefters nervte, manchmal die Vorstellung hatte, dasz "sie mal
durchgefickt gehoert". Ich griff ihn wegen dieser sexistischen
Gewalt"phantasie" an. Er sagte erstaunt: "wieso, das hat doch
nichts mit dir zu tun". Das hat sehr wohl mit mir zu tun, weil es
ein Ausdruck von Sexismus ist. Seine Selbstverstaendlichkeit und
seine Vorstellung von Frauen haben Auswirkungen - auch auf mich,
auf alle Frauen.

In der Auseinandersetzung und Konfrontation mit Sexismus sind wir
alltaeglich mit Phantasien, Bildern, Handlungen und Strukturen
konfrontiert, die Frauenverachtung produzieren - in den Koepfen
einzelner Maenner, in der Werbung, in Filmen, Buechern, in der
Musik u.a.m.

Maennlich-patriarchales Selbstverstaendnis stellt sich durch
Ueberlegenheitsanspruch gegenueber Frauen und durch Gewalt gegen
Frauen, Lesben und Maedchen her.

Maennlich-patriarchales Selbstverstaendnis geht davon aus, Frauen
oekonomisch, emotional und sexuell zu benuetzen und Lust durch
Dominanz und Unterwerfung herzustellen. D.h., die Gewalt- und
Herrschaftsverhaeltnisse sind tief eingebrannt, auch in uns
Frauen.

Der Unterschied ist, dasz Frauen und Lesben als Feministinnen
Sexismus den Kampf angesagt haben. Die meisten linken Maenner
wiegen sich in Selbstgefaelligkeit, machen Sexismus zum
"Nebenwiderspruch", erklaeren vielleicht noch "ich schlage meine
Frau nicht" (sehr freundlich?!) und schreiben in Flugblaettern
"ArbeiterInnen".

Sexismus ist immer noch, meist unhinterfragter Bestandteil der
Linken - in den Beziehungen, im Alltag, in Gruppen und Projekten,
in politischen Inhalten, bei Demos und Aktionen.

Wenn einer davon singt und traeumt, wie er (Zitat aus Liedtext von
K.S.) "Frauen zerfickt", d.h. vergewaltigt und toetet, werden wir
ihn angreifen, von der Buehne holen, seine Auftritte verhindern,
seine Traeume erschuettern.

Es war wichtig, dasz Gruppen und Einzelpersonen (auch aus der
gemischten Linken) sich engagiert haben, den Auftritt zu
verhindern - und dasz es uns gelungen ist! Es reicht aber nicht
aus, "das Boese" bei den anderen zu suchen. Es ist auch notwendig,
die eigenen Strukturen und sich selbst darin in Frage zu stellen.
Wenn Bernhard schreibt, dasz er annimmt, "dasz diese Leser und
Leserinnen (von akin und MUND) in ihren sittlichen (???... die
Schreiberin) und politischen Haltungen soweit gefestigt sind, dasz
sie (...) weder in einem faschistischen, noch in einem frauen-,
schwulen- oder auslaenderfeindlichen Sinne beeinfluszt werden
koennen", sagt er, dasz Sexismus, Rassismus, Homophobie und das
faschistische "Erbe" in sozialen Bewegungen und
Befreiungsbewegungen nicht (mehr?) existent sind. Das ist eine
enorme Arroganz und Selbstherrlichkeit, die sich vor allem jene
leisten, die sich nicht mit unterschiedlichen Macht- und
Gewaltverhaeltnissen auseinandersetzen wollen und sie damit
aufrecht erhalten. Diejenigen, die unmittelbar betroffen sind,
Auseinandersetzungen einfordern und um Veraenderung kaempfen,
wissen, dasz es anders ist.

Ich erwarte mir keine seitenlange Erklaerung. Sexismus ist keine
Meinung und keine freie oder unfreie Phantasie oder Kunst, sondern
ein gesellschaftliches Herrschaftsverhaeltnis, dasz sich auch in
der Phantasie und in der Kunst ausdrueckt.

Ich erwarte mir ein Nachdenken und ein Handeln gegen Sexismus!

Mit feministischen Grueszen und Zorn *Zora Roth*

***
 

Reaktionen auf den vorigen Text:

> Sexuelle Phantasien?

Kann man nicht nicht haben!

Phantasien, Bilder, Vorstellungen und Gedanken sind laut deinem
Brief genauso radikal in Frage zu stellen, zu kritisieren und
anzugreifen wie konkrete Gewalt und strukturelle
Gewaltverhaeltnisse. Wird wohl so sein, liebe unbekannte "Zora
Roth", ueberdies kann gemeinsames Nachdenken ueber Sexismus und
dergleichen sicher nie schaden. Wenn ich den  Begriff "Sexismus"
richtig verstanden habe, bedeutet er auf der persoenlichen Ebene
ein Sammelsurium von garstigen Umgangsformen, die sich meist sehr
koerperbezogen auf die Geschlechtsmerkmale der damit
Konfrontierten beziehen. Also ueble Anmache mit dementsprechenden
Aeuszerungen bis Handlungen.

Auf der auch von Frauen mitgestalteten Herrschaftsebene findet der
Alltagssexismus seinen entsprechenden Rahmen und die passende
Ergaenzung im institutionalisierten Sexismus. Also, dasz Frauen
alleine aufgrund des Frau-seins oekonomisch und gesellschaftlich
wesentlich schlechter dastehen als Maenner. Wobei den Frauen
darueber hinaus meist der weitaus hoehere Anteil der
Reproduktionslasten aufgebuerdet wird. Ohne Frage sind dies ueble
und bekaempfenswerte Zustaende. Durchaus verstaendlich, dasz diese
kontinuierlichen Miszstaende dann auch zu einigermaszen
zugespitzten Analysen samt nicht sehr lichtvollen Erklaerungen
fuehren, dasz alle Maenner so sind.

Vielleicht aus diesem Kontext auch noch irgendwie erklaerbar, aber
noch um Spuren befremdlicher scheint mir die Forderung, dasz
sexuelle Phantasien, Bilder und Vorstellungen bekaempft werden
sollten. Der Sexualtrieb hat bekanntermaszen keinen Ein- und
Ausschalter, spaetestens seit Freud hat ihn das Unbewuszte auch
nicht mehr. Sexuelle Phantasien unterliegen im Bewusztseinsstadium
zuallermeist einer sozialen Kontrolle, die seit der Postmoderne
speziell durch die Politisierung des Geschlechts in den von Euch
angesprochenen linken und alternativen Kreisen zu fast schon
puritanischen Kommunikationsformen fuehrten. Ueberall wird
Sexismus geortet, das Patriarchat ist auch ueberall und dominant -
und "Macker verpiszt euch" und so weitere Sinnsprueche halt.

Soweit ich sie kenne, find` ich die Texte von Kool Savas auch
nicht gerade umwerfend aesthetisch, musz auch nicht unbedingt
seine Konzerte besuchen. Aber natuerlich soll er auftreten
duerfen. Erstens entdeckt der Musikmarkt schlicht und einfach
Marktnischen, die als Provokation zur kulturell etwas prueden und
braven Postmoderne dienen. Parallelen zur tabuloser werdenden TV-
Branche sind durchaus gegeben. Zweitens stellt sich schon die
Frage, ob man anlaeszlich des Zensurgeschreis in einem Aufwaschen
nicht auch gleich die Buecher z.B. von Bukovsky oder De Sade
verbieten sollte. Und drittens soll nichts schlimmeres passieren,
als dasz irgendwelche Typen auf irgendwelchen Buehnen stehen und
vom "Herumficken" schwadronieren. *Fritz Pletzl*

***

> Wie ist das mit dem Sexismus und der Gewalt?

Die Diskussion ueber die "Freiheit der Kunst", Zensur, Sexismus
und Rassismus, die derzeit am Beispiel der sexistischen und
rassistischen Texte von Kool Savas in der AKIN durchgefuehrt wird,
wiederholt sich alle paar Jahre. Vor einiger Zeit war es der
"Babyficker"-Text beim Bachmann-Preislesen, der die Gemueter
erhitzte, allerdings nicht in der AKIN, sondern in den
"groeszeren" Medien, aber die Tendenz war aehnlich: Wie weit ist
ein literarisches oder sonstwie kuenstlerisches Produkt mit der
Realitaet seiner UrheberInnen oder InterpretInnen gleichzusetzen?
Wenn die Phantasien und/oder kuenstlerischen Hervorbringungen
sexistisch und/oder rassistisch eingestellter Menschen prinzipiell
abzulehnen und ihre Veroeffentlichungen daher unmoeglich zu machen
sind, wie konsequent gehen wir dann vor? Sperren wir das
kunsthistorische Museum gleich ganz zu oder beschraenken wir uns
auf Unverbindliches wie Blumen-Stilleben? Wird de Sade verboten
oder gleich verbrannt?

Wenn Bernhard Redl zugibt, Phantasien zu haben, fuer die er sich
geniert, so ist das ehrlich und keine "selbstgefaellige Antwort".
Selbstgefaellig waere es zu sagen, dasz er sowas
selbstverstaendlich nicht hat und auch gar nicht kennt, damit er
sich dieser Diskussion gar nicht erst aussetzen musz. Wer keine
Phantasien hat, die ueber das hinausgehen, was in der Realitaet
gelebt wird, hat gar keine Phantasien. Es ist das Wesen einer
Phantasie, ueber die Realitaet hinauszugehen. Auch meine
Phantasien sind nicht immer so, dasz ich sie erzaehlen kann, ohne
mich zu genieren. Man kann drueber diskutieren, woher sowas kommt,
ob aus dem "maennlich-patriarchalen Selbstverstaendnis" oder aus
anderen Quellen. Aber woher kommen dann eigentlich weibliche
sexistische Vorstellungen - und sage niemand, dasz es sowas nicht
gibt. Sexismus ist. Sexismus und Herrschaftsverhaeltnisse bedingen
einander. Zu streiten waere noch ueber die Frage, wer zuerst da
war, die Henne oder das Ei, die hierarchische
Gesellschaftsstruktur oder der Sexismus. Sexismus ist keine
Meinung, aber die Grundlage von Meinungen und drueckt sich in
Phantasien oder Kunst aus. Stimmt. Aber trotzdem musz ueber diese
Meinungen, Phantasien oder Kunstwerke geredet werden.

Wenn Rassisten zwar Rassisten sind und auch danach handeln, aber
nicht darueber reden, so wie es in den letzten Jahrzehnten in
Oesterreich ueblich war, dann entsteht ein Bild, das uns
vorgaukelt, es wuerde keinen Rassismus geben. Wenn Sexisten (und
auch Sexistinnen) zwar solche sind und danach handeln, aber nicht
darueber reden, weil sie genau wissen, dasz man das "nicht tut",
dann aendert sich zwar nichts, aber es gibt offiziell keinen
Sexismus. So kann die Regierung behaupten, dasz es in Oesterreich
keinen Antisemitismus, keinen Rassismus und keinen Sexismus gibt.
Sagt ja niemand was Boeses in der Oeffentlichkeit - oder? Solang
die Witze nur hinter vorgehaltener Hand, im kleinen Kreis und
nicht oeffentlich erzaehlt werden, solang die Phantasien
bestenfalls im Suff preisgegeben werden - solang existieren sie
nicht? Phantasien sind in Frage zu stellen - stimmt. Trotzdem ist
mir lieber, dasz ich weisz, was in manchen Hirnen vorgeht, dann
kann ich mir wenigstens die Konsequenzen erklaeren. Wenn nicht
darueber gesprochen werden darf, dann .....

Freud war Wiener. Das ist kein Zufall. *Ilse Grusch*
 

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