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Aussendungszeitpunkt: 13. Februar 2001 - 14:41
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Religion/Initiativen/Debatte:

> Defizite der Religionsfreiheit

Was den Stand der Grundrechtsgewaehrleistung in Oesterreich
betrifft, sind wir meist selbstzufrieden und selbstgerecht. Bei
Berichten ueber Grundrechtsverstoesze hiezulande lassen wir uns
nicht aus der Ruhe bringen. Denn wir glauben vorschnell, der
Vergleich mache uns sicher. Aber wodurch? Defizite gibt es sowohl
gemessen am moeglichen Ideal als auch verglichen mit dem realen
Menschenrechtsschutz, wie er anderswo geleistet wird. Diese
Defizite betreffen teils den klassischen menschenrechtlichen
Bestand, so etwa das Recht auf die Freiheit der
Religionsausuebung.

Die Religionsfreiheit wird in Oesterreich durch das
Staatsgrundgesetz von 1867 samt unzureichender* Ergaenzungen  und
durch die Europaeische Menschenrechtskonvention geschuetzt.
Letztere wurde freilich bis heute nicht ausreichend umgesetzt.
Denn essentieller Bestandteil der Religionsfreiheit ist der
Anspruch, religioese Gemeinschaften zu bilden. Wenn der Staat
religioese Freiheit zu gewaehrleisten bereit ist, dann muessen
religioesen Gemeinschaften Rechtsformen zur Verfuegung stehen, die
nicht nur Rechtspersoenlichkeit sondern auch entsprechenden Schutz
vor Diskriminierung gewaehren. Wenn aber ein Staat religioesen
Gemeinden Ueberlebensrechte religioeser und kultureller Natur
(Anerkennung, Gleichbehandlung, Gottesdienstausuebung,
Religionsunterricht, Identitaetsachtung, Diskriminierungsschutz...)
versagt, ist die Freiheit der Religionsausuebung eine leere Phrase.
Und in der "Demokratie" Oesterreich sind die Regelungen zur Erlangung
von nichtdiskriminierter Rechtspersoenlichkeit als gleichberechtigte
Religion fuer die meisten Religionsgemeinschaften gaenzlich
unbefriedigend.

Was gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft in
Oesterreich ist, regelt ein Gesetz aus dem Jahr 1874 mit
unzureichender Ergaenzung von 1998. Die Voraussetzungen nach
diesen Regelungen sind nicht nur diskriminierend insbesondere fuer
Angehoerige kleinerer Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern
weltanschaulich totalitaer:

Ein inklusiver Gottesbegriff**, wie er sich aus fernoestlicher
Religionsueberlieferung ableitet, verbietet sich aus den
totalitaer auseinanderdividierten 12 "gesetzlichen"
Religionskasten Oesterreichs:

Altkatholische Kirche
Armenisch-apostolische Kirche in Oesterreich
Evangelische Kirche (A. und H.B.)
Griechisch-orientalische Kirche
Islamische Glaubensgemeinschaft in Oesterreich
Israelitische Religionsgemeinschaft
Katholische Kirche
Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage
Methodistenkirche in Oesterreich
Neuapostolische Kirche in Oesterreich
Oesterreichische Buddhistische Religionsgesellschaft
Syrisch-orthodoxe Kirche in Oesterreich

Bist Du das eine nicht, musst Du das andere sein. Bist Du auch das
andere nicht, dann bist Du eben ein unanerkannter Sektierer oder
Atheist. Bist Du sowohl als auch, dann gibt es Dich gleich nimmer
als Identitaet.

Darueberhinaus hat das fuer Kultusangelegenheiten zustaendige
Unterrichtsministerium bis vor wenigen Jahren die Auffassung
vertreten, dasz selbst im Fall der Erfuellung der gesetzlichen
Voraussetzungen religioese Gemeinschaften keinen Anspruch auf
gesetzliche Anerkennung haetten. Im Gegensatz zur landlaeufigen
Meinung koennen sich nicht gesetzlich anerkannte Kirchen und
Religionsgesellschaften auch nicht als Verein konstituieren. Denn
explizit findet das Vereinsgesetz auf  "Religionsgesellschaften
ueberhaupt" keine Anwendung. Vielen Religionsgesellschaften bleibt
nur die Wahl, sich mittels bewuszt halbrichtiger Angaben als
religioeser Unterstuetzungsverein zu tarnen - mit dem Nachteil,
dasz Behoerden putzweg ueber Religionsausuebung drueberfahren
koennen (zB durch das Verbot eines oeffentlichen Gottesdienstes
fuer Sikhs in Stadlau).

Aktuell bedroht wird die Religionsfreiheit in Oesterreich durch
(nach EU-Gesetzgebung verbotenener) Datensammlung und
Berichtsunwesen ueber "Sekten", aber auch ueber "islamische
Gruppen" (STAPO: "auszereuropaeische Muslime") ohne jedwede
Legitimierung (weder muessen Straftaten  noch ein ernsthafter
Verdacht auf konkrete Vorbereitungen fuer solche bestehen) als
Verfassungsschutzangelegenheit. Damit werden Gruppen, die blosz
ihre Rechte auf religioese Betaetigung und Freiheit wahrnehmen, zu
potentiellen Verfassungsfeinden erklaert.

Ein liberaler Kompromisz?

Aber der Glaube und die Ueberzeugungen ueber die letzten Dinge
koennen ausschlaggebend fuer die Lebensplanung des Einzelnen zum
Zweck seiner eigenen und kollektiven Vervollkommnung sein.
Versucht der Staat einzugreifen, so wirken diese Eingriffe
potenziell erschuetternd und zutiefst kraenkend. Verletzungen der
Religionsausuebung koennen Individuen und Gemeinschaften moralisch
toeten, unabhaengig davon, ob es sich um eine der bekannteren oder
um eine uns minder vertraute Religion handelt.

Der Liberalismus, vor allem der amerikanischer Praegung, hat einen
bemerkenswerten Kompromisz im Umgang des Staates mit Religionen
gefunden. Eine andere Loesung als die mancher franzoesischer
Aufklaerer und Jakobiner, die traditionelle religioese
Ueberzeugungen als Humbug abschaffen wollten.

Der amerikanische Neopragmatist Richard Rorty hat in einem
bemerkenswerten Aufsatz die Strategie der grundrechtlichen
Gewaehrleistung der Religionsfreiheit bei Thomas Jeffersons als
Privatisierung der Religion beschrieben.

Der Liberalismus hat - so Rorty - Religionen zwar einerseits als
irrelevant fuer die Gesellschaftsordnung angesehen, andererseits
aber ihre ausschlaggebende Bedeutung fuer die Vervollkommnung des
Individuums in der Gruppe anerkannt. Die Buerger einer Demokratie
nach dem Muster von Jefferson duerfen so religioes oder
irreligioes sein, wie es ihnen beliebt, denn: "Wenn mein Nachbar
meint, es gebe zwanzig Goetter oder es gebe keinen Gott, tut er
mir nicht weh". Aber die demokratischen Buerger muessen ihre
Meinungen ueber die letztlich wichtigen Dinge, die ihrem Leben
bisher womoeglich Sinn und Zweck verliehen haben, aendern, wenn
diese Meinungen oeffentliche Handlungen nach sich ziehen, die vor
den meisten ihrer Mitbuerger nicht zu rechtfertigen sind. Die Betonung
liegt darauf, dasz der Einzelne sein Gewissen am Altar des
oeffentlichen Nutzens nur opfern musz, wenn Handlungen - nicht nur
Meinungen oder Ueberzeugungen -, die oeffentlich - also nicht
privat - sind, vor den meisten (!) Mitbuergern nicht
rechtfertigbar sind. Also kann auch ein bloszer Widerspruch zu den
Emotionen, Gefuehlstendenzen oder vorgefaszten Meinungen nahezu
aller Menschen Eingriffe in die Religionsausuebung nicht
legitimieren.

Diffizile Kultuspolitik

Kultuspolitik ist schwierig, erfordert Verstaendnis fuer "Fremdes"
und "Fremdartiges" und sensibilisierte Abwaegungen. Vom Standpunkt
vernuenftiger Ueberlegung aus koennte auch das Christentum teils
als autoritaer und teils als bloszer Hokuspokus erscheinen, waere
der Mainstream nicht mit dessen Glaubensinhalten bereits vertraut.

So hat der fruehere Richter am Verwaltungsgerichtshof, Walter
Pichler, auf die teilweise bedenkliche Definition von Sekten in
der Broschuere "Sekten - Wissen schuetzt" hingewiesen: Dasz "eine
Hierarchie ... Lehre und Praxis autoritaer bestimmt", duerfte auch
Merkmal einiger gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften
sein. Dabei wird dieser Begriff weniger religionswissenschaftlich
oder konfessionskundlich angewandt, sondern traegt eher polemisch-
tendenzioese Schattierungen der Abwertung und somit einer
Diskriminierung. Zu einem groszen Teil geht dieses Bild auch auf
die Darstellung in den Massenmedien zurueck, die sich fuer viele
Menschenrechte vorbildlich einsetzen, im Fall Religionsfreiheit
aber noch nicht den noetigen Wandel konsequent nachvollzogen
haben. Somit bleibt letztlich in Europa in ihrer Verteidigung jede
religioese Minderheit sich selbst ueberlassen. Den Zeugen Jehovas
- in einem Bescheid des Unterrichtsministeriums - staatsfeindliche
Absichten zuzuschreiben, erfolgte wohl zu Unrecht. Eingriffe in
die Rechte von Religionsgemeinschaften und in die
Religionsausuebung verlangen groeszte Vorsicht. Hier gilt in
besonderem Masz: in dubio pro libertate.

Dieser Zweifel am menschenrechtlichen Masz der Religions-,
Gedanken-, und Gewissensfreiheit in Oesterreich wird im Rahmen der
Konferenz im KKH im interrelioesen Dialog dargestellt.

Daher die Einladung: Treffen Religionsfreiheit am 26.2.01 im KKH,
Lainzer Str. 138, 1130 Wien,  17Uhr

Singh Ji
ANAR, Oesterr. Netzwerk gg. Rassismus,
Gruppe Religionsfreiheit
 

* Univ. Prof. Heinz Mayer (Institut fuer Staats- und
Verwaltungsrecht, Universitaet Wien) haelt das Religionsgesetz,
das am 1997 im Nationalrat beschlossen wurde, fuer
verfassungswidrig. Er konstatiert einen Verstosz gegen Art 15 StGG
1867 (Religionsfreiheit). Insbesondere die vorgesehene
"Darstellung der Religionslehre" sowie der "Rechte und Pflichten
der Angehoergen" und die Zehnjahresfrist bis zur Anerkennung einer
Religionsgemeinschaft werden kritisiert

**   inklusiver Gottesbegriff: Anerkennung der Gnade Gottes
auszerhalb kollektiver religioeser Identitaet
 

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