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Aussendungszeitpunkt: 30. Januar 2001 - 13:47
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Debatte/Prinzipielles:

> Was soll Kunst?

Zum Eben-nicht-Auftritt des Rappers Kool Savas

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Wieder einmal Aufregung in den Netzen. Angefuehrt von Oekoli und
Rosa Antifa jagten da in den letzten Tagen massenhaft Mails durch
die Gegend mit Betreffs wie: "Verhindert den Auftritt von Kool
Savas!", "Kool Savas verhindern! (die naechste)", "Kool Savas
Auftrittsort!!!". Worum dreht sich die Aufregung? Wer oder was
bitte ist Kool Savas? Nun Herr Kool Savas ist deutscher Hiphopper
der Verfasser solch lyrischer Zeilen wie "Ficksau, ich bums' dich
in die Klinik! Bitch: Fresse! Bevor ich dir den Sack in den Mund
presse, sieh, ich scheisze auf dein Brot und Du denkst es waere
Aufstrich, doch dann riechst du, dass es Kacke is' und ich
scheisze auf dich, also red' nich!" oder "ich zerficke Muschis im
Akkord, kein Ding, Nigger, mein Schwanz befoerdert Nutten ins
Exil" oder "Kuenftig hol ich mir frische Nutten aus dem Thai-
Konsulat, lukrativ sind sie unter 16". Wenn seine Kritiker daher
sagen, seine Texte seien "extrem sexistisch und homophob", ist das
eine sanfte Untertreibung, denn seine Erguesse sind schlicht
ekelhaft.

Dasz so etwas fortschrittlich gesinnten Menschen aufstoeszt,
verstehe ich. Derlei gehoert auch nicht unbedingt zu meiner
Lektuere und ebensowenig findet es sich in meinem Plattenschrank.
Aber was sagt der Rapper, wenn man ihn fragt, ob er das wirklich
so meint? Die Antwort gegenueber einem Interviewer der taz
erscheint zuerst einmal wie eine Ausrede: "Meine Musik ist wie ein
Splattermovie, voellig geschmacklos, aber lustig. Viele
Uebertreibungen sind einfach so maszlos, das es klar sein muss,
dass ich nicht der Typ bin der sich in den Texten wortwoertlich
gibt." (taz Berlin, 9.12.2000) Versucht da einer, sich gegenueber
einem linksliberalen Organ zu rechtfertigen?

Nein, ich glaubs nicht, die Aussage hat etwas bestechend
Logisches. Die Texte sind so krasz daneben, dasz man sie wirklich
nicht fuer bare Muenze nehmen kann. Derart offen vertrottelt,
rassistisch und genitalfixiert kann auch der aergste Nazi nicht
ernsthaft sein. So ist es in diesem Fall wohl sehr viel eher
gerechtfertigt, von Kunst zu reden, als wenn jemand sich auf eine
Buehne stellt und Liedlein traellert, gegen deren Inhalt
eigentlich so gar niemand etwas haben kann. Denn Kunst hat nicht
immer gefaellig zu sein, musz nicht immer das Gute, Wahre und
Schoene darstellen, sondern musz vielleicht auch einmal das
Garstige, Verderbliche und Erschreckende sich und uns zu Gemuete
fuehren. Und das musz auch gar nicht abschreckend sein, sondern
gerade wenn sie affirmativ dem Schrecklichen nahetritt und uns
damit so konfrontiert, ist sie vielleicht viel eher im Stand recht
wilde Fantasien aus unserem Unbewuszten zu holen. Und vielleicht
bringt der Rapper Savas auf diese Art gerade so manchem Mann seine
verkorksten Assoziationen zu Bewusztsein -- und dann waere die
Sache umgekehrt sogar im Sinne der Frauenbewegung.

Das waere eine Moeglichkeit der Interpretation und vielleicht gibt
es noch andere Sichtweisen als nur diese einerseits und die
Verdammnis andrerseits. Aber egal, wie man Savas' "Lyrics"
auffaszt, mir geht es um etwas anderes: Oekoli und Rosa Antifa
strebten nicht die Auseinandersetzung mit diesem Rapper und seinen
Texten an, sondern lieszen einfach nur die Aufforderung verlauten,
doch moeglichst bei den Veranstaltern zu intervenieren, dasz Savas
nicht auftreten darf. Prompt sagten einige Veranstalter ab - so
z.B. die Szene Wien - und entschuldigten sich brav selbstkritisch
fuer ihr Fehlverhalten. Hier geht es nicht mehr um Protest gegen
die Inhalte einer kuenstlerischen Aktivitaet. Hier geht es darum,
zu verhindern, dasz Menschen, die sich das geben wollen, das auch
wirklich koennen.

Ich frage mich: Wer sind wir, dasz wir anderen vorschreiben, was
sie als Kunst verstehen duerfen? Brauchen wir eine
antifaschistische Kunstpolizei, die anderen vorschreibt, was sie
sich anhoeren duerfen? Darf es nichts anderes geben als politisch
korrekten Realismus? Muessen wir das Klima eines sich
verschaerfenden Kulturkampfes noch schlimmer machen, in dem wir
a la Moelzer von der anderen, der linken Seite versuchen,
kuenstlerische Aeuszerungen auf ihre Ideologietreue zu pruefen,
bevor wir sie unangefochten auf unsere so arme, unschuldige,
leicht verfuehrbare Jugend loslassen? Eben dieser Moelzer spricht
so gerne von "Tugendterror" -- er braucht wirklich nicht grosz
reden, er ist um nichts besser. Aber reicht das? Was ist das fuer
eine Linke, von der man nur mehr sagen kann, dasz ihre
zensorischen Bestrebungen auch nicht schlimmer sind als die der
Rechten?

Eine Linke, die nicht und nicht aufhoert, das so vielzitierte Volk
fuer so unmuendig und bloed zu halten, dasz man alle schaedlichen
Einfluesze von ihm fernhalten musz, steht schon auf verlorenem
Posten. Und wenn hysterischer Paternalismus links ist, dann bin
ich eben nur ein "Scheiszliberaler". Das ueberlebe ich auch noch.
*Bernhard Redl*

Internetquellen:
http://www.kingkoolsavas.de/
http://home.germany.net/100-287169/song/lms.htm
http://www.taz.de/tpl/2000/12/09.nf/text.Tname,a0262.list,TAZB_ku.idx,6
 

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