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Aussendungszeitpunkt: 24. Januar 2001 - 2:22
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OeVP/Kommentar:

> Carte du m'erite civique

Ein Bonus fuer die gefuegigen MigrantInnen -- dies ist die Idee
der OeVP bei ihrem Bundeskongress in Alpbach, wie jetzt in der
Presse durchgesickert ist. Die OeVP will damit die Eingliederung
der MigrantInnen in die Gesellschaft Oesterreichs vorantreiben.
Auf sie duerften harte Auseinandersetzungen warten, denn ob der
Koalitionspartner FPOe angesichts der anstehenden Wiener Wahlen
und der Wahlverluste in der Steiermark und im Burgenland dem
zustimmen wuerde, ist mehr als fraglich.

Ein erster Konflikt zeichnete sich bei der Aufenthaltsquote fuer
2001 ab. Hatte Innenminister Strasser mit der Forderung nach einer
hoeheren Einwanderungsquote die FPOe im Sommer und Herbst 2000
veraergert, so gab er diesen Plan im Winter wieder auf. Es bleibt
alles beim alten. Der speedkillige Erneuerungsbuldozzer der OeVP
hat beim ersten Schritt zum tuckern angefangen. Ein Aufschub soll
dem Koalitionspartner erlauben, sich auf ein neues
Migrationsregime (gefordert von der Wirtschaftskammer)
einzustellen.

Dass der, mit Rassismus liebaeugelnde Gewerkschaftsbund mit der
neuen Migration nicht einverstanden ist und weitere politische
Bremsmechanismen einschalten wird, ist abzusehen. Doch es besteht
keine Notwendigkeit, dem indirekten Zugestaendnis der OeVP, dass
Oesterreich ein Einwanderungsland ist, noch groeszere
Restriktionen fuer MigrantInnen entgegenzuhalten.

Soll die Harmonisierung des Aufenthalts- und
Beschaeftigungsrechtes durchgezogen werden, koennen nicht
gleichzeitig groszzuegig neue Restriktionen und buerokratische
Huerden eingefuehrt werden, wie das in Form des "Bonussystems"
verlangt wird. Ein solches System waere inkonsequent, den
MigrantInnen gegenueber ungerecht und auch nicht unter dem Titel
der Eingliederung in die Gesellschaft zu rechtfertigen. Denn will
die OeVP die seit Jahrzehnten hier lebenden Menschen eingliedern,
so muessen sie nicht nur all jenen unterstuetzend unter die Arme
greifen, die schon laenger ein Arbeitsverhaeltnis in Oesterreich
nachweisen koennen, sondern auch ihren Familienmitgliedern, die
bis heute nicht arbeiten duerfen und auch deren Kindern, die durch
das segregative Schulsystem darauf vorbereitet wurden, ein
aehnliches Schicksal zu erleiden.

Man sollte sich fragen, ob das von der OeVP favorisierte Modell
der Eingliederung ohne Wahlrecht auf Landes- und Bundesebene und
in die Interessensvertretungen wirklich das geeignetste ist. Da
das von der OeVP diskutierte "Bonussystem" nicht die bestehenden
Ungerechtigkeiten beseitigt, sondern nur zusaetzliche Belastungen
schafft, wird es sicherlich zu keiner Entspannung der Problematik
beitragen. Will man der Eingliederung von MigrantInnen kuenftig
besser Rechnung tragen, so muessen, abgesehen etwa vom neuen
Betreuungsmodel auch die bestehende restriktiven Gesetze, die den
Arbeits- und Wohnungsmarkt regeln, abgeschafft werden.

MigrantInnenpolitik erschoepft sich selbstverstaendlich nicht in
den Fragen des Gesetzes. Ein grundlegender Schritt um die
Situation der 10% der Bevoelkerung Oesterreichs zu verbessern,
waere es, das Vereinbaren der verschiedenen Wertesysteme zu
foerdern. Dazu muessen die MigrantInnen die Moeglichkeit haben,
auch ihre Vorstellungen und Wuensche in die Diskussion
gleichberechtigt einzubringen; inwieweit dafuer Steuergelder
einzusetzen sind, ist zu diskutieren. Diese Forderungen sind nicht
unbekannt. Da sie nun aber von breiteren Bevoelkerungsschichten
Oesterreichs getragen werden, darunter auch die neuformierte
Zivilgesellschaft, ist zu hoffen, dasz diese bei der OeVP, aber
auch in Folge bei der SPOe und anderen Parteien auf mehr Gehoer
stoszen werden.

Und im uebrigen: "Die zivilisatorischen europaeischen Werte wurden
im Kongo (heute RDC) etwa mit folgenden Mitteln propagiert. 1948
fuehrte man im Kongo die 'carte du m'erite civique' ein. Sie
versprach den ''evolu'es' einige Vorteile, die in einem Katalog
aufgelistet waren. Zum Beispiel hatte man durch sie leichteren
Zugang zu Medikamenten oder die Erlaubnis, Verkehrsmittel, wie
Zuege oder Schiffe, die ausschlieszlich weiszen Europaeern
vorbehalten waren, zu benuetzen. Um diese Karte zu erhalten,
mussten Kongolesen wenigstens 21 Jahre alt sein, lesen, schreiben
und rechnen koennen ... Sie durften nicht polygam leben und
mussten vor allem versichern, ein gutes Benehmen zu haben und den
inneren tiefen Wunsch, einen hoeheren, entwickelteren Grad auf der
zivilisatorischen Werteskala erlangen zu wollen. Diese Karte wurde
von einer Kommission nach eingehender Pruefung bis 1958, also in
10 Jahren an 1566 Kongolesen vergeben. Der Rest blieb von
saemtlichen Menschenrechten ausgeschlossen." Aus: Braeckman,
Colette: Congo-Zaire. La colonisation-L'ind'ependance-Le r'egime
Mobutu et demain?, Bruessel 1990, S 37 (aus dem Franzoesischen von
Xiane Kangela).

Die Frage, die sich hier zwangslaeufig stellt ist jene, ob die
OeVP den wahren Ursprung ihrer Idee eines "Bonussystems" nicht zu
verschleiern versucht und statt von kolonialistischer
Zivilisierung wie im Kongo ueber einen Bonus fuer die Fleiszigen
spricht? Und noch eine weitere Frage draengt sich auf: Wie viele
MigrantInnen haben jetzt nach 40 Jahren Migration nach Oesterreich
die Zivilisationskarte verdient? *Ljubomir Bratic / gek.*

L.B. ist Bundessprecher des Austrian Network Agains Racism (ANAR).
Dieser Kommentar ist Teil der Wiener Wahl Partie-Kampagne & wurde
dem Widerst@ndsMUND vom 20.1.2000 entnommen.

***

Dazu passend folgender Originaltext

*

EVP: Einheitliches Konzept fuer Migration

Wien - "Die Zuwanderung in die Europaeische Union muss verkraftbar
sein." Diese Forderung erhob EVP-Sicherheitssprecher Hubert Pirker am
Freitag bei einer Pressekonferenz mit OeVP-Generalsekretaerin Maria
Rauch-Kallat. Ein solches Ziel erfordere ein einheitliches
Einwanderungskonzept sowie Solidaritaet und eine faire Lastenteilung
innerhalb der Union, sagte Pirker.

In allen EU-Staaten muessten die gleichen Bedingungen herrschen, unter
denen Buerger aus Drittstaaten in die Union kommen koennen, sagte der
EVP-Sprecher. "Diese Bedingungen muss die EU festlegen. Wer und
wieviele Menschen einwandern duerfen, wird aber auch in Zukunft
Aufgabe der Mitgliedsstaaten sein."

"Harem nicht nach Europa mitnehmen"

Kritik uebte Pirker an der gaengigen Praxis der
Familienzusammenfuehrung. Diese sei zwar ein aeuszerst wichtiger
Faktor, es duerfe dabei aber keinen Etikettenschwindel geben. Fuer die
europaeischen Christdemokraten gelte dieses Recht fuer die
"Kernfamilie", also im Grunde Ehe- oder Lebenspartner, Kinder und
Eltern. Er bezweifle aber, dass es im Interesse Europas sei, wenn auch
der "Harem nach Europa mitgenommen" werde, sagte Pirker.

*Kurier, 19.01.2001; gez. mit APA/bar (Quelle: MUND)*
 

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