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Aussendungszeitpunkt: 24. Januar 2001 - 2:14
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Sozial/Glosse:

> Von der DienstLEISTUNGS- zur DienstBOTENgesellschaft?

Wie in anderen europaeischen Laendern gilt der Dienstleistungssektor
als Zukunftsmarkt fuer zusaetzliche Erwerbsmoeglichkeiten. Auf der
Suche nach kuenftigen Arbeitsplaetzen meinen die Koalitionsparteien
den Koenigsweg gefunden zu haben, naemlich die arbeitsmarktpolitische
Nutzung der ohne Zweifel in groszen Mengen vorhandenen Arbeit in
Privathaushalten.

Unter den Begriffen "Dienstleistungsscheck" und "Home-Service-
Agenturen" wird die Aktivierung der Privathaushalte als Arbeitgeber in
verschiedenen Mitgliedsstaaten seit 1994 ausprobiert. Derartige
Musterprojekte werden in der EU als arbeitsmarktpolitische
Zukunftsmodelle bejubelt. Mit derselben Zielsetzung soll laut
Regierungsuebereinkommen vom Feber 2000 der Arbeitsplatz
HAUSHALT auch in Oesterreich attraktiv gemacht werden.
Das "Unternehmen Haushalt" soll demnach von
gemeinnuetzigen Dienstleistungszentren unterstuetzt
werden, die ihrerseits zuverlaessiges und qualifiziertes Personal fuer
Familienaufgaben zur Verfuegung stellen. Durch unbuerokratische
Anmeldung soll die Begruendung von Beschaeftigungsverhaeltnissen im
Haushalt erleichtert werden. Folgende Taetigkeitsbereiche sind
vorgesehen: Putzen, Abwaschen, Kinderbetreuung, Gartenarbeit und
Pflegeleistungen. Damit die Sache fuer die Dienstgeber (Haushalte)
attraktiv wird, sind steuerliche Abschreibungsanreize vorgesehen.
Detail am Rande: Diese Vorgaben des Regierungsuebereinkommens sind
unter Kapitel IV - Politik fuer die Frauen - zu finden.

Werfen wir zunaechst einen Blick auf die Situation der
oesterreichischen Haushalte. Personen mit hoeheren Einkommen, leben
meist in groeszeren und besser ausgestatteten Wohnungen oder
Eigenheimen. Ihre finanziellen Ressourcen reichen vermutlich aus, um
eine Haushaltshilfe zu beschaeftigen oder laengerfristige
Beschaeftigungsverhaeltnisse rund um den Haushalt zu begruenden.
Nach vorsichtigen Schaetzungen verfuegen lediglich 17% der Haushalte mit
Kindern ueber so hohe Haushaltseinkommen dasz ihnen die Anstellung von
HausgehilfInnen moeglicht ist Haushalte ohne Kinder, bzw. Single-
Haushalte waeren aufgrund der besseren Einkommenssituation eher in der
Lage haushaltsbezogene Dienstleistungen in Form von Erwerbstaetigkeit
zu bezahlen wobei die rund 250.000 maennlichen Single-Haushalte am
ehesten die finanziellen Mittel dafuer aufbringen koennten. Ueber 60%
der allein lebenden Maenner im erwerbsfaehigen Alter verfuegen ueber
ein Haushaltseinkommen das im obersten Pro-Kopf-Einkommensviertel
(mehr als oeS 18.900,--) liegt.

Wie stellt sich jedoch die Realitaet fuer die ueberwiegende Mehrheit
der oesterreichischen Haushalte dar? Personengruppen, deren
Haushaltseinkommen sich im erhoehten Ausmasz aus Transferleistungen
ableiten, verfuegen zu 58% ueber ein Einkommen von monatlich weniger
als oeS 10.800,--. Bei drei Viertel der oesterreichischen Haushalte
sind die Haushaltseinkommen so gering, dasz an eine zusaetzliche
Ausgabe fuer Hilfskraefte gar nicht zu denken waere.

In den 330.000 Haushalten von AlleinerzieherInnen mit einem oder
mehreren Kindern bzw. den rund 830.000 Familien mit drei oder mehreren
Kindern ist die Finanzsituation besonders prekaer. Die finanziellen
Moeglichkeiten fuer soziale Kontakte wie auch das tatsaechliche
Ausmasz an sozialen Kontakten ist fuer fast die Haelfte spuerbar
reduziert. Nach IFS Haushaltspanel 1996 kann jeder Zweite mit einem
Einkommen unter oeS 10.800,-- kein Geld fuer kuenftige Investitionen
zur Seite legen, waehrend nahezu neun von zehn Personen im obersten
Einkommensviertel angeben, zu sparen. 44% des unteren
Einkommensviertels koennen sich nicht leisten zumindest eine Woche im
Jahr auf Urlaub zu fahren.

Elementare Einschraenkungen, wie keine Vielfalt an Speisen oder
Probleme, die Wohnung warm zu halten, kommen insgesamt zwar selten,
aber im unteren Einkommensviertel jedoch zu 11% bzw. 3% der Faelle
vor. Diese Indikatoren zur Lebensqualitaet in oesterreichischen
Haushalten sprechen fuer sich.

Ueberspitzt gefragt: Sind die neuen Haushaltshilfen der maennlichen
Single-Haushalte die unteren EinkommensbezieherInnen, die aufgrund
ihrer prekaeren Situation und mangels geeigneter
Beschaeftigungsmoeglichkeiten widerwillig diese Taetigkeiten annehmen
muessen? Ist das wirklich die politische Zielsetzung der
Bundesregierung, die sie durch steuerlichen Anreize zusaetzlich
foerdern will?

Gaebe es nicht andere Handlungserfordernisse um jene Realitaeten
abzustellen, die sich beispielsweise derzeit am Arbeitsmarkt
darstellen? "...bei meinem geringen Einkommen bin ich gezwungen, eine
Nebenbeschaeftigung auszuueben,...", bedauert eine alleinstehende
Mutter ihre Situation, die neben ihrem Job abends telefonische
Kundennachbetreuung auf Werksvertragsbasis betreibt. Bei privaten
Verkaufspartys fuer Geschirr, Schmuck und Unterwaesche laeszt sich auf
Provisionsvertragsbasis "... auch etwas dazuverdienen und ich
ueberlege mir den Weg in die Selbststaendigkeit..." freut sich eine
Geschaeftstuechtige ueber ihre Verkaufserfolge. Waehrend stundenweise
Hundebetreuung eher von StudentInnen besorgt wird, ueberlegt eine
Arbeitsloseninitiative die professionelle Abwicklung derartiger
Dienste um sich einen Dauerarbeitsplatz zu schaffen. Die triste
Arbeitsmarktsituation wird (teilweise) schamlos ausgenuetzt. Unter dem
Motto: "Wer aufbegehrt steht auf der Strasze" werden ArbeitnehmerInnen
erpreszbarer und steigen auf teilweise sittenwidrige Arbeitsvertraege
ein. "Bevor Verkaeuferinnen in ein Vollzeitdienstverhaeltnis
uebernommen werden, muessen sie vorerst einem befristeten Vertrag fuer
ein Jahr zustimmen. Meist werden sie die ersten drei Monate befristet
angestellt und die Mehrarbeit schwarz ausgezahlt,..." schildert ein
Personalchef die gaengige Einstellungspraxis in einem Handelsbetrieb.

Beispiel Kaernten

Seit 1994 kann in Kaernten eine staendige Steigerung der geringfuegig
beschaeftigten ArbeitnehmerInnen beobachten werden. Urspruenglich
ohne, jetzt mit eingeschraenkter sozialversicherungsrechtlicher
Absicherung kann bis zu oeS 4.076,-- pro Monat dazuverdient werden.
Wo? - hauptsaechlich bei sozialen Diensten, im Handel und in privaten
Haushalten.

Die Arbeitsvereinigung der Ktn. Sozialhilfeverbaende beschaeftigte
etwa im Bereich der Essenszustelldienste mehr als 90 % der
ArbeitnehmerInnen als "Geringfuegige" und ein Drittel der
Arbeitnehmerinnen im Bereich der mobilen Altenpflege fallen in diese
Beschaeftigtenkategorie. Erst ab Jaenner 1997 gilt fuer die
Angestellten in sozialen Diensten ein Mindestlohntarif (einheitlich
fuer ganz Oesterreich). Ein Kollektivvertrag wird seit Inkrafttreten
des Lohntarifes zwar verhandelt, ist aber bis dato nicht
unterschrieben. "Es sind zwar erstmals fuer diese Berufsgruppe
Mindestgehaltsgrenzen geschaffen worden die nicht unterschritten
werden duerfen; wir hoffen, dasz damit die teilweise vorherrschenden
Ausbeutermethoden in vielen kleinen Sozialvereinen eingeschraenkt
werden..." berichtet Betriebsrat Franz Bergmann von den Kaerntner
AltenfachbetreuerInnen diesen gewerkschaftlichen Fortschritt.

Bei den Beschaeftigten in privaten Haushalten zeigt die offizielle
Statistik zwar eine leicht ruecklaeufige Tendenz, die tatsaechlichen
Dienstleistungsangebote sind aber stark im Steigen begriffen. Fuer
Hausgehilfinnen kommt neben dem Gesetz ein Mindestlohntarif zur
Anwendung, dessen Einhaltung zusaetzlich ueber die Gebietskrankenkasse
geprueft wird. "Wir stellen eine Flucht aus den arbeitsrechtlichen
Schutzbestimmungen fest: Hausgehilfinnen werden ueberhaupt nicht mehr
angemeldet! Schwarzarbeit blueht und mit diffusesten
Vertragskonstruktionen werden Scheindienstverhaeltnisse geschaffen -
beschreibt Gewerkschaftslandessekretaer Rudolf Biesenberger die
Situation: "... nicht selten erkennen ArbeitnehmerInnen erst beim
Arztbesuch, dasz ihr Arbeitgeber noch nie eine Krankenversicherung
einbezahlt hat".

Sollte also die sich entwickelnde Dienstleistungsgesellschaft  durch
Niedrigentlohnung, Flucht aus dem Arbeits- und Sozialrecht und
billiger werdende Frauenerwerbsarbeit gekennzeichnet sein, stellt sich
die Frage, wie sich das neue "Dienstleistungsproletariat" in Zukunft
artikulieren wird und wer die Buendnispartner sind?

Waehrend sich die Oesterreichischen Politiker fuer die neuen
Haushaltshilfen undifferenziert ins Zeug werfen und betonen, dasz die
Dienstmaedchen ein Segen fuer die streszgeplagten Familien sind,
stellt sich die grundlegende Frage, ob es im beginnenden
21.Jahrhundert moralisch vertretbar ist, wieder in die
Dienstbotengesellschaft zurueckzutreten?

Oder ist nicht die soziale Absicherung aller Arbeitsverhaeltnisse,
gekoppelt mit einer deutlichen Erhoehung der Mindesteinkommensgrenzen
in ueberbetrieblichen Kollektivvertraegen der Weg, der uns vor einer
"Just-in-time-worker-Gesellschaft" bewahrt. *Heinz PICHLER*

(via Aussendung im Zuge des Projektes "Gesellschaftlichen Reichtum
nutzbar machen" des Kaerntner Netzwerks gegen Armut und soziale
Ausgrenzung; armutsnetzwerk.ktn@utanet.at)
 

Literaturhinweise:

Bericht ueber die soziale Lage in Oesterreich, Bundesministerium fuer
Arbeit, Gesundheit und Soziales in Oesterreich 1998, Druckerei Berger,
Horn, Wien 2000

Arbeiterkammer Wien, Wirtschafts- und sozialstatistisches Taschenbuch
2000, Print Media Austria AG, Wien 2000

Hauptverband der Oesterreichischen Sozialversicherungstraeger,
Statistikdatenbank, Berichtsjahre 1995 bis 1999

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