Palaestina:
> Offener Brief eines israelischen Aktivisten
Lieber Siedler!
Lasz uns keine Zeit verlieren mit unsinnigen Vokabeln wie "Dialog"
und "Versoehnung" und anderen Woertern, die von den Schwachen im
Geiste geschaetzt werden. Wir wollen der Tatsache ins Gesicht
sehen, dasz wir uns gegenseitig nicht akzeptieren. Du glaubst,
dasz ich und meine Freunde "Zerstoerer Israels" sind, die an einer
Verschwoerung beteiligt sind, um euch von eurem Heim zu vertreiben
und es den Arabern zu uebergeben. Ich glaube, dasz du und deine
Freunde Zerstoerer Israels sind, die sich verschwoeren, um ihren
Willen dem Staat aufzuzwingen und ihn in einen ewigen Krieg
zerren, der zu seiner Zerstoerung fuehren kann.
Lasz uns nun ueber praktische Dinge reden.
Bis jetzt ist eure Geschichte eine Erfolgsstory. Ihr wolltet
"Tatsachen auf dem Grund und Boden" schaffen, um so jede
Moeglichkeit der Rueckgabe der besetzten Gebiete an die
Palaestinenser zu verhindern. Ihr habt jede Regierung gezwungen,
von Eshkol bis Barak, euch eine dicke Scheibe der staatlichen
Ressourcen zu ueberlassen. Ihr habt die Armee in eure private
Miliz umgewandelt. Die israelischen Verteidigungskraefte sind
Siedlungsverteidigungskraefte geworden. Politiker aller
Schattierungen haben euch hofiert und tun das noch immer. Die
sozialistische Yig'al Allon hat die ersten Siedler in das Zentrum
von Hebron verpflanzt. Shimon Peres liesz die erste Siedlung in
Kedumim, im Zentrum der West Bank anlegen. Und Ehud Barak, der die
Wahlen mit dem Slogan "Geld fuer Bildung und nicht fuer
Siedlungen" gewonnen hatte, hat sich zum groeszten Schutzherrn der
Siedler entwickelt.
Ihr habt Erfolg gehabt. Die Minderheit hat der Mehrheit ihren
Willen aufgezwungen.
Ich weisz dasz die Siedlungen sehr unterschiedlicher Art sind,
ebenso wie die Siedler, aber sie haben eines gemeinsam: jede
Siedlung ist eine Landmine auf der Strasze zum Frieden.
Ihr sitzt auf den Landreserven der Palaestinenser, auf gestohlenem
Land, ihr benuetzt das Wasser, das andere Menschen fuers nackte
Ueberleben brauchen. Ihr beherrscht die Landschaft und seid
Symbole der Okkupation. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis
die Palaestinenser sich gegen euch erheben wuerden. Die
Palaestinenser sehen diesen Kampf als ihren Befreiungskrieg,
dessen Hauptziel es ist, euch loszuwerden. Taeuscht euch nicht,
ihr habt keine Chance, diesen Krieg zu gewinnen.
In den letzten hundert Jahren gab es Dutzende solcher Kriege, und
die unterdrueckten Voelker haben sie alle gewonnen. In jedem von
ihnen waren die Besatzungsarmeen staerker als die Rebellen, und
litten die unterdrueckten Menschen mehr als die Unterdruecker,
aber letztlich wurden die Besatzer immer frueher muede als die um
ihr Leben und ihre Freiheit kaempfende Bevoelkerung, weil die
Besatzer nur um ihren Luxus kaempften. Denn fuer die Israelis sind
die Siedlungen Luxus.
Vor einigen Monaten hat eine Meinungsumfrage ergeben, dasz ihr der
unpopulaerste Teil Israels seid, unpopulaerer als die Orthodoxen.
Heute habt ihr zwar an Popularitaet gewonnen, weil ihr angegriffen
werdet, aber das ist eine zeitlich beschraenkte Popularitaet. Wenn
der Oeffentlichkeit klar wird, was der oekonomische Preis des
Kampfes ist und wenn die Gefahr eines groszen Krieges in der
Region wieder am Horizont erscheint, wird diese Popularitaet
wieder verdunsten. Was ihr Siedler zusammen mit den Soldaten jetzt
tut, ist, dasz ihr soviel Wut und Hasz unter den Palaestinensern
erzeugt, dasz euer Verbleib in den besetzten Gebieten unmoeglich
geworden ist. Jedes tote Kind, jedes zerstoerte Haus, jede
"Blockade" und "Liquidation" bringt das Ende eurer Siedlungen
naeher. Ich bin sicher, dasz ihr und eure Freunde tief im Herzen
das wiszt. Ihr handelt aus Verzweiflung. Ich schlage vor, dasz ihr
die Verzweiflung eintauscht gegen Hoffnung auf eine Loesung.
Anstatt in leeren Schlagwoertern wie "Laszt die Armee gewinnen" zu
traeumen, solltet ihr nachdenken ueber eure Rueckkehr und
Wiedereingliederung.
Eure Feinde werden sagen: "Wir schulden euch nichts. Niemand hat
euch gezwungen, dort hinzugehen. Wir haben Milliarden und
Milliarden vergeudet fuer euch. Nun kuemmert euch um euch selbst."
Ich stimme dem nicht zu. Ich und viele andere in der
Friedensbewegung glauben, dasz der Staat eure Rueckkehr nach
Israel und eure Wiedereingliederung finanzieren sollte. So wie wir
leicht eine Million Emigranten aus der Sowjetunion eingliedern
konnten, werden wir 150.000 Siedler auch eingliedern koennen. Ein
Israel in Frieden mit einer bluehenden Oekonomie wird dieses
Problem leicht loesen. Ich bin davon ueberzeugt, dasz die grosze
Mehrheit der Siedler, mit Ausnahme der Fanatiker, diese Loesung
frueher oder spaeter akzeptieren wird. Frueher waere besser als
spaeter. Habt Mitleid mit euch selbst und mit den Soldaten. Wenn
ihr auch zu dieser Schluszfolgerung kommt, werdet ihr erkennen,
dasz wir eure Verbuendeten sind, glaubwuerdiger als alle die, die
euch heute schmeicheln und euch morgen im Stich lassen.
Uri Avneri, 25 November 2000 (aus dem Englischen uebers. und gek.)
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