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Aussendungszeitpunkt: 6. Dezember 2000 - 3:11
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Geschichte/Gegenwart:

> Details schlampig, Grundaussage richtig

Die vom Hamburger Institut fuer Sozialforschung initiierte Ausstellung
ueber die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg weist einzelne
Maengel auf, ist aber von der Grundaussage her korrekt. Zu diesem
Ergebnis kommt eine Studie, die am 15.November praesentiert wurde.

Von Anbeginn der Ausstellung an hatten nicht nur die ueblichen
Veteranenverbaende und Rechtsausleger, sondern auch ein paar wirkliche
Historiker erklaert, dasz einige der gezeigten Fotos Verbrechen von
sowjetischen Soldaten zeigten und Bildunterschriften nicht stimmten.
Es waeren falsche Opfer und Taeter gezeigt worden. Im Zuge dieser
Debatte hagelte es nur allzu verstaendlich Meldungen derjenigen, die
es ja schon immer gewuszt hatten: Von "geistiger Umweltverschmutzung"
(Otto Keimel, Praesident des Kameradschaftsbundes)  ging das bis zu
"erdrueckenden Beweisen" fuer die Verbreitung "sowjetischer
Propagandaluegen" (Kronen Zeitung).

Leider stellte es sich tatsaechlich heraus, dasz einige Fehler gemacht
worden waren. Daraufhin hatte Instituts-Chef Jan Philipp Reemtsma im
November 1999 die Schau gestoppt, den Leiter Hannes Heer gekuendigt
und ein Expertengremium zur Ueberpruefung eingesetzt.

Das Gremium setzte sich zusammen aus Omer Bartov (New
Brunswick/Providence, USA), Cornelia Brink (Freiburg i.Br.), Gerhard
Hirschfeld (Stuttgart), Friedrich P. Kahlenberg (Boppard), Manfred
Messerschmidt (Freiburg i.Br.), Reinhard Ruerup (Berlin), Christian
Streit (Heidelberg) und Hans-Ulrich Thamer (Muenster). Diese Gruppe
sprach unter anderem mit zwei der schaerfsten Kritiker der Ausstellung
(Bogdan Musial und Kristi n Ungv ry), holte Stellungnahmen bei den
Organisatoren ein und recherchierte Bildmaterial auf seine Herkunft
nach. Die Kommission hielt sich zwar mit harter Kritik gegen die
Ausstellungsmacher nicht zurueck, verteidigt den Wert der Schau aber
klar. Die Ergebnisse auszugsweise im Wortlaut:

*

<< ... 2. Die Ueberpruefung der Ausstellung hat zu der Erkenntnis
gefuehrt, dass die oeffentlich geaeuszerte Kritik zumindest in Teilen
berechtigt ist. Die Ausstellung enthaelt 1. sachliche Fehler, 2.
Ungenauigkeiten und Fluechtigkeiten bei der Verwendung des Materials
und 3. vor allem durch die Art der Praesentation allzu pauschale und
suggestive Aussagen.

3. Die Ausstellung enthaelt jedoch keine Faelschungen im Sinne der
leitenden Fragestellungen und Thesen. Die Ueberpruefung der
verwendeten Bild- und Textdokumente in den benutzten Archiven hat zwar
manche Ungenauigkeiten und in einigen Faellen auch falsche
Zuschreibungen zu Tage gefoerdert, insgesamt aber die Intensitaet und
Seriositaet der von den Ausstellungsautoren geleisteten Quellenarbeit
bestaetigt. [...]

5. Dessen ungeachtet bleiben die Grundaussagen der Ausstellung ueber
die Wehrmacht und den im Osten gefuehrten Vernichtungskrieg der Sache
nach richtig. Es ist unbestreitbar, dass sich die Wehrmacht in der
Sowjetunion in den an den Juden veruebten Voelkermord, in die
Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und in den Kampf gegen
die Zivilbevoelkerung nicht nur verstrickte, sondern dass sie an
diesen Verbrechen teils fuehrend, teils unterstuetzend beteiligt war.
Dabei handelte es sich nicht um vereinzelte Uebergriffe oder Exzesse,
sondern um Handlungen, die auf Entscheidungen der obersten
militaerischen Fuehrung und der Truppenfuehrer an der Front und hinter
der Front beruhten.

6. Das Glaubwuerdigkeitsproblem der Ausstellung resultiert weniger aus
einzelnen nachweisbaren Fehlern und Fluechtigkeiten als vielmehr aus
dem ueberheblichen und unprofessionellen Umgang der Ausstellungsmacher
mit der an der Ausstellung geuebten Kritik. Dabei ist einzuraeumen,
dass zwischen bloszer Polemik und serioeser Fachkritik nicht immer
leicht zu unterscheiden war. Doch ist nicht zu erkennen, dasz man sich
um diese Unterscheidung rechtzeitig und ernsthaft genug bemueht
haette. [...]

7. Aus den hier genannten Gruenden empfiehlt die Kommission, die
Ausstellung in einer gruendlich ueberarbeiteten, ggf. auch neu zu
gestaltenden, Form weiter zu praesentieren. Dabei muessen die
Hauptaussagen ueber die Wehrmacht und den Vernichtungskrieg im Osten
nicht veraendert, wohl aber gegen Miszverstaendnisse geschuetzt
werden. [...] Auch sollte die Argumentation der Ausstellung weniger
durch den Gestus der Staatsanwaltschaft als durch die Theorie und
Methodologie der Geschichtswissenschaft gepraegt sein. Die Ausstellung
sollte ihr Material praesentieren, aber die Schluszfolgerungen so weit
wie moeglich den Besuchern ueberlassen.

8. Wuenschenswert ist, dass bei einer Neufassung der Ausstellung die
vorherrschende Taeterperspektive zumindest beispielhaft durch die
Perspektive der Opfer ergaenzt wird, so dass die Verbrechen auch aus
der Sicht und Erfahrungswelt derjenigen, gegen die sie veruebt wurden,
sichtbar werden.

9. Die Ausstellung war, wie die oeffentlichen Auseinandersetzungen
gezeigt haben, sinnvoll und noetig. Sie kann auch in den kommenden
Jahren -- in einer Fassung, die der Kritik, neueren
Forschungsergebnissen und den die Ausstellung begleitenden
Diskussionen Rechnung traegt -- einen wesentlichen Beitrag zur
Entwicklung der historisch-politischen Kultur der Bundesrepublik
Deutschland leisten. >>

*

Reemtsma kuendigte daraufhin an, dass die Ausstellung ab demnaechts
in einer Neufassung wieder gezeigt werden soll. (akin)

(Quellen: Der Standard, Hamburger Institut fuer Sozialforschung)

Weiter Informationen: Hamburger Institut fuer Sozialforschung,
Mittelweg 36, 20148 Hamburg; Tel: +49 - 40 - 414097 - 0;
Fax: +49 - 40 - 414097 - 11; http://www.his-online.de/

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