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Aussendungszeitpunkt: 6. Dezember 2000 - 3:10
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Medien/Kommentar:

Ein Taxi und die Folgen

Vor Jahren hatte ein "Produzent" die Idee: Warum nicht einen
Verschnitt aus Spielfilm und Dokumentation ueber die verkehrsreichste,
abenteuerlichste und vielleicht gefaehrlichste Strasze Oesterreichs
drehen? Die Suedosttangente als Fundgrube fuer Aufregendes,
Alltagsszenen, wie wir sie selbst erlebt haben: Autofahrer, die ohne
Ruecksicht auf Verluste unterwegs sind; Motorradfahrer, die sich
Geschwindigkeitsduelle mit der Polizei liefern; Leute, die
durchdrehen, wenn sie im Stau stehen. Die Dialoge wahrlich aus dem
Leben gegriffen: Die Wirklichkeit schlaegt alles: Unterhaltung dieses
Genres war hierzulande noch nicht entdeckt und fiel wieder der
Vergessenheit anheim.

Wie anders geht's auf dem Kutscherhof zu. Taxi Orange ist was fuer
junge Leute. Fuer Menschen, die noch nicht "gefestigt" sind, deren
Wert- und Identifikationsmuster noch weisze Flecken aufweisen. Ihnen
gibt der ORF Orientierungshilfe. Eine halbe Million Zuseher, viel
Emotionen. Oberflaechlich gesehen geht es um Banales. Warum das grosze
Interesse? Junge Menschen haben ein gesteigertes Beduerfnis nach
Authentizitaet, Identifikation und sozialer Naehe. Was macht der ORF
daraus? Er gibt handfeste Anleitungen zum Handeln, in Form eines
"Spiels" wird der blutige Ernst geprobt. Dies wird indirekt auch
zugegeben, indem die Akteure einander verdaechtig oft versichern, dasz
sowieso alles nur "Spiel" sei.

Die von auszen vorgegebenen Regeln sind fuer die Individuen in der
Glaskugel ebenso unveraenderbar wie die Gesetze des Staates. Niemand
wagt eine Kritik dieser Regeln, niemand komment auf die Idee, sie zu
veraendern. Die den Regeln immanente Logik bewirkt, dasz sich die
Individuen mit zunehmender psychischer Grausamkeit gegeneinander
richten. Selbstdarstellung hat absoluten Vorrang. Die gespielte und
mit Selbstmitleid in Szene gesetzte Taeter-Opfer-Umkehr soll lediglich
verdecken, dasz wir in einer Gesellschaft leben, in der der Mensch dem
Menschen ein Wolf ist, und soll dort Menschlichkeit suggerieren, wo
keine ist. Besonders deutlich wird dies daran, dasz mit Gespuer und
Zielsicherheit die jeweils schwaechste Person - oder diejenige, von
der unterschwellig kolportiert wird, dasz sie die schwaechste sei -
aus dem Rudel hinausgebissen wird. Der Unterschied zum Tierreich ist,
dasz nicht angeborene Instinkte oder physische Ueberlegenheit den
Konkurrenzkampf entscheidet, sondern der Druck der ORF-Macht, die
verlangt, dasz die Individuen sich gegeneinander richten. Die
unmittelbare Parallele zur kapitalistischen Gesellschaft besteht in
der Realitaet der Betriebe, Dienstleistungsstaetten usw. Da darf auch
niemand die Regeln veraendern. Der Druck der Betriebsleitung wird in
Konflikte innerhalb der Belegschaft umgewandelt. Es gibt Lieblinge des
Chefs und solche Mitarbeiter/innen, die permanent Objekt fuer Angriffe
und Schuldzuweisungen aller Art sind. Wer Abteilungsleiter,
Personalchef etc. werden will, musz abwaegen koennen, wer als
naechster zu kuendigen ist. Der Betriebstratsch tut ein Uebriges
(Mobbing).

Die Unterordnung unserer Laiendarsteller/innen beschraenkt sich nicht
auf das formale Einhalten von "Betriebsordnungen". Es ist nicht zu
uebersehen, dasz ihnen ein politischer Maulkorb verpaszt wurde ... von
wegen Meinungsfreiheit. Dies kommt gerade dadurch augenscheinlich zum
Ausdruck, dasz nur solche politischen Themen angeschnitten werden,
ueber die Totalkonsens im Staat herrscht: Kindesmiszbrauch ist
schlecht, intolerant sein ist schlecht, Temelin einschalten ist ganz
schlecht. Niemand kommt auf die Idee, ein Thema aufzuwerfen, das in
der Gesellschaft kontroversiell diskutiert wird. Dies braechte den ORF
als Hohepriester und Zeremonienmeister, in Konflikt mit seinen
Oberherren im politischen Olymp. Die Selbstzensur aller Beteiligten,
vom Lohnkutscher bis zum Generalintendanten, funktioniert
friktionsfrei. So wie sich die Herren auch im groszen einen Staat
wuenschen, in dem Ruhe die erste Buergerpflicht ist. Der Laientaxler
fuerchtet sich vorm Sendungsverantwortlichen, dieser vorm
Generalintendanten, dieser wiederum vor der Vizekanzlerin und jene vor
dem Altparteichef im Baerental. Die altoesterreichische
Militaerordnung ist voll in Kraft und liegt wie ein Alb auf den
Gehirnen der Lebenden.

Den "Kasernierten", die hier als TV-Puppentheater unsere lieben
Kleinen ueber das Leben belehren duerfen, wird das Gefaengnis freilich
vergoldet. Nicht etwa durch eine Million Zerquetschte, die nur einer
bekommt. Die Hoffnung ist grosz und sehr real, dasz dieser/diese oder
jener/jene Laiendarsteller/in von einem Filmproduzenten, einer TV-
Anstalt, einem Landestheater entdeckt wird. Eine Karriere ist fast
schon eingeschlagen, da zahlt es sich allemal aus, ein bisserl grausam
zueinander zu sein.

Was junge Menschen am dringendsten lernen muessten, ist Solidaritaet
innerhalb der Gattung Mensch zu ueben. Die TV-Macher sind
gegenteiliger Auffassung: Hier werden unter dem Deckmantel eines
"Spiels" unsolidarische Verhaltensweisen eingeuebt. Die Individuen
sollen ausschlieszlich von sich selbst und ihrer Karriere ausgehen,
auch wenn die Leichen links und rechts des Weges liegenbleiben. Wer
das im ORF-Puppentheater als 14-Jaehrige/r verinnerlicht, wird als 24-
Jaehrige/r keine Probleme sehen, wenn in Afrika die Menschen wie
Fliegen krepieren. Was TV-"Spiel", Personalabteilung eines Betriebes
und das grenzenlose Sterben auszerhalb der Metropolen der
kapitalistischen Gesellschaft gemeinsam haben? Sehr viel. Allemal
dienen sie dem Profit der Minderheit von Superreichen. Der Weg in die
Barbarei wird fortgesetzt.

Zuerst haben wir uns daran gewoehnt, dasz wir in der Oeffentlichkeit
auf Schritt und Tritt von Kameras verfolgt werden. Zugleich wurden
Personalueberwachungssysteme in den Betrieben perfektioniert.
Vorsichtig wird nun die Auffassung verbreitet, dasz die Ueberwachung
der haeuslichen Intimsphaere unterhaltsam sei. Der totalitaere Staat
laeszt grueszen. *A.&K.*

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