EU/Kapitalismus:
> Naechster Halt: Nizza
Nach den Demonstrationen in Prag gegen IWF und Weltbank ist das
naechste Datum im antikapitalistischen Kalender in Europa der 6.-
8.12. Der Regierungsgipfel der EU wird - sofern es die Aktivisten
und Aktivistinnen zulassen - in Nizza vom 7. bis zum 9. Dezember
stattfinden. 50.000 Teilnehmer werden erwartet.
In Nizza sollen wichtige Entscheidungen getroffen werden. Unter
anderem hat nach neunmonatiger Arbeit an der Grundrechtecharta der
"Konvent", der sich aus 63 Mitgliedern der EU-Kommission, des
Europaparlaments sowie der Regierungen und Parlamente der 15
Mitgliedstaaten zusammensetzt, eine Garantie der sozialen Rechte
abgelehnt - unter dem Vorwand, dies seien "Versprechungen, die in
der Zukunft nicht gehalten werden koennen".
Die AutorInnen der Charta haben im Kapitel, das die Ueberschrift
"Freiheiten" traegt, auf subtile Art und Weise das Recht auf
Arbeit in ein "Recht zu arbeiten" verwandelt: "Jeder Mensch hat
das Recht zu arbeiten und einen frei gewaehlten oder angenommenen
Beruf auszuueben" (Art. 15). Die Aufnahme des Rechts zu arbeiten
in das Kapitel "Freiheiten" wurde folgendermaszen begruendet: "Der
Text hebt das Recht auf eine Leistung auf." Im Klartext werden
damit die Regelungen ueber den Bezug von Arbeitslosengeld in Frage
gestellt.
Das Recht auf Wohnen fehlt in der Charta zur Gaenze, ist aber in
der Europaeischen Sozialcharta enthalten. [Die oest.
Bundesregierung hat diese uebrigens bis heute nicht ratifiziert.]
Was das Recht auf ein Mindesteinkommen angeht, ist der Wortlaut
der Charta sehr zweideutig und schlecht: "Um die soziale
Ausgrenzung und die Armut zu bekaempfen, anerkennt und achtet die
Union das Recht auf eine soziale Unterstuetzung und eine
Unterstuetzung fuer die Wohnung, die allen, die nicht ueber
ausreichende Mittel verfuegen, ein menschenwuerdiges Dasein
sicherstellen sollen, nach Maszgabe des Gemeinschaftsrechts und
der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten."
(Art. 34) Der letzte Teil des Satzes stellt keinerlei Garantie
dar, weil das Gemeinschaftsrecht auf die Liberalisierung der
Maerkte und die Konvergenzkriterien fuer die Einheitswaehrung
festgelegt ist, die jeden Staat zwingen, die "Groszzuegigkeit",
die angeblich in seinen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten
enthalten ist, abzubauen. Der erste Teil des Satzes bringt zum
Ausdruck, dasz das Prinzip der Universalitaet der Rechte
aufgegeben wird. Armut und Ausgrenzung werden als notwendiges
Uebel und Naturgesetz hingenommen.
Die neue europaeische soziale Agenda fuer die Jahre 2000 - 2005
beinhaltet sozialpolitische Leitlinien fuer die Mitgliedstaaten.
Sie gibt vor, soziale Ausgrenzung und Armut bekaempfen zu wollen,
schlieszt aber das Prinzip eines Mindesteinkommens aus. Dieser
Vorschlag der EU-Kommission, der in Nizza von den Staats- und
Regierungschefs angenommen werden soll, laeszt eine dramatische
Zunahme der Verarmung befuerchten. Die EU-Grundrechtecharta sieht
ein Recht auf ein Mindesteinkommen nicht vor - nur das Recht auf
soziale Unterstuetzung. Auszerdem haben die Minister im Rahmen der
Ratssitzungen eine unanstaendige Empfehlung angenommen, die dazu
auffordert, den Zustand extremer Prekaritaet zu definieren, der
ein Recht auf Bezug von elementaren materiellen Leistungen
verleiht - als solche werden Leistungen definiert, die mindestens
den Grundbedarf an Nahrung, Kleidung, Uebernachtung und Basis-
Gesundheitsversorgung decken. Anvisiert wird das Recht, im Fall
aeuszerster Not mit Naturalien versorgt zu werden - nicht das
Recht auf eine Geldsumme oder gar auf ein Einkommen. Der Ausschusz
fuer Beschaeftigung und Soziales beim Europaparlament hat
gefordert, dasz die EU-Kommission das Programm der sozialen Agenda
um "eine Initiative fuer das Recht auf ein Mindesteinkommen, eine
Mindestrente und einen Mindestlohn erweitert wird, damit jedem
Buerger und jeder Buergerin ein anstaendiges Lebensniveau und die
Moeglichkeit der Beteiligung an der Gesellschaft gesichert
werden".
Die Staats- und Regierungschefs wollen im EU-Vertrag (Art. 137)
den Weg fuer Aenderungen an den sozialen Regelungen ebnen, die es
moeglich machen, Leitlinien ueber die "Bedingungen fuer den Bezug
von Arbeitslosengeld" anzunehmen - wie die Entwuerfe zum Vertrag
es nahelegen. Der Text, den die franzoesische Praesidentschaft
vorbereitet hat, sieht vor, "die Bedingungen fuer den Bezug von
Leistungen, die Begrenzung des Leistungsbezugs und die Definition
der Verfuegbarkeit der Erwerbslosen fuer den Arbeitsmarkt" auf
europaeischer Ebene festzulegen. Wenn eine solche Leitlinie
angenommen wird, werden die einzelstaatlichen Rechtsprechungen den
Bedingungen angepaszt werden muessen, die in die Leitlinie
hineingeschrieben wurden. (Euromarsch/akin)
Weitere Infos: http://www.euromarches.org
http://ourworld.compuserve.com/homepages/LabourNetAustria/
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