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Aussendungszeitpunkt: 7.11.2000; 19:00
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Medien/Wickel/Antisemitismus-Debatte:

> "Sendeverbot bei Radio Orange"

Unter obigem Titel erreichte uns ein Text der "Aug und Ohr-
Gegeninformationsinitiative", den wir nachstehend sehr stark
gekuerzt wiedergeben. Man hat die akin-Redaktion mehrfach darum
gebeten, einen Abdruck zu unterlassen, da dadurch Informationen an
Unbefugte gelangen wuerden, die fuer die linke Szene gefaehrlich
werden koennten. Nach mehrmaliger Lektuere dieses Textes koennen
wir nun darin leider gar nichts finden, was dem entsprechen wuerde
und es konnte uns bislang auch niemand erklaeren, worin die
groszartig gefaehrliche Enthuellung liegt.

Andererseits behandelt der Text aber sehr wohl eine Frage, die uns
relevant scheint: Wer entscheidet bei einer Sendeleiste von Radio
Orange, was gesendet werden darf und was nicht? Oder auch viel
prinzipieller: Wie liberal oder libertaer koennen informelle
Strukturen wirklich sein, wenn letztendlich doch Entscheidungen
getroffen werden muessen?

Und fuer die Redaktion stellt sich die Frage: Soll jeder Streit
"unter der Tuchent" gehalten werden, nur weil ansonsten
irgendjemand dem linken Spektrum nicht Wohlgesonnener minimalste
Informationen ueber unsere Strukturen erhalten koennte? Koennte
das nicht vielleicht doch zu einer unkontrollierten
Freunderlwirtschaft fuehren, die sich jeder szeneoeffentlicher
Kritik entzieht?

Obwohl wir um die etwas problematische Art der Berichterstattung
von "Aug und Ohr" sehr gut wissen, haben wir uns eingedenk dieser
Ueberlegungen doch fuer einen Abdruck entschieden. Dabei
versuchten wir jedoch, den Text soweit zu kuerzen, dasz
Rueckschluesse auf die dabei betroffenen Gruppierungen moeglichst
erschwert werden, die prinzipielle Kritik an Struktur und Politik
der Sendeleiste aber dennoch verstaendlich bleibt. *Die Redaktion*

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Am 19. Oktober wurde per Mail eine Entscheidung uebermittelt und
unterstuetzt, die das Verbot der Taetigkeit von Aug und Ohr im
sogenannten "Autonom-Anarchistischen" Radio bei Radio Orange zum
Inhalt hatte. Ohne Beweise und Zitate wurde behauptet, dasz
"Aussagen" in einer Sendung von Aug und Ohr als "antisemitisch" zu
bewerten seien. Die Beschuldigung des Antisemitismus betrifft
einen Kommunikationsarbeiter, der seit Jahren, im Rahmen des
Moeglichen, das heiszt der fuer einen grass-root-Journalisten in
Oesterreich gegebenen Moeglichkeiten, auch fuer die Juden, die
juedischen Kulturen und gegen den Antisemitismus Stellung genommen
hat und auch eine kleine Anzahl von Texten aus dem Jiddischen
uebersetzt hat.

Dem Sendungsverantwortlichen des Autonom-Anarchistischen Radios -
der als einziger zusammen mit der aus insgesamt drei Leuten
bestehenden Redaktion ueber derart gravierende Entscheidungen zu
befinden haette - ist diese Tatsache gut bekannt. Es war auch
geplant, im Autonom-Anarchistischen Radio eine verstaerkte
Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus zu fuehren. So war zum
Beispiel ins Auge gefaszt worden, antisemitische Aeuszerungen von
Exponenten der FP systematisch bekanntzumachen und in diesem
Rahmen auch Protestkundgebungen der Wiener Judenschaft zu covern.
Letzteres wurde auch durchgefuehrt, und zwar von Aug und Ohr. Der Sendungsverantwortliche hat dazu
allerdings wenig beigetragen. Der
Beschlusz des Sendeverbots sei -- so wurde uebermittelt -- von den
Traegern des Autonom-Anarchistischen Radios, dem sogenannten
"Vernetzungsplenum", gefaellt worden.

Diese Gruppen haben jahrelang den Sonntagtermin von 20 bis 21 Uhr
verfallen lassen. Das Gros der Sendungen kam von Aug und Ohr.
Zuletzt wurde die Sonntagssendung alternierend von Aug und Ohr und
einem Anarchistenpaerchen getragen, das gelegentlich
Bekenntnistexte zum Anarchismus vorlas. Der
Sendungsverantwortliche hat in keiner Weise etwas mit der realen
redaktionellen Taetigkeit zu tun, hat sich um die Sendungen nicht
gekuemmert und ist de facto nur als Notnagel eingesetzt worden,
und zwar auf Initiative von Aug und Ohr, da niemand sonst fuer den
Part des Sendeverantwortlichen zur Verfuegung stand. Haette AuO
sich nicht fuer die freundlichen Dienste dieses Herrn, der im
Umkreis der Rosa Antifa taetig ist stark gemacht, waere die
Sendeberechtigung laengst verfallen, und die Leiterin von R.
Orange, Frau Steinert, die dem Autonom-Anarchistischen Radio nicht
mit Sympathie gegenuebersteht, haette wohl die Chance
wahrgenommen, auch diesen Termin den zeitgeistigen DJs zu
ueberantworten.

Nicht die Redaktion oder etwa der Sendungsverantwortliche oder
vielleicht die Chefin von R. Orange (sie verbot vor 2 Jahren eine
wesentlich vom Tatblatt konzipierte taegliche politische
Nachrichtensendung) haben sich da reingesetzt, nicht die Gremien,
die unmittelbar mit der Struktur des Radios zusammenhaengen und
real mit der Radioarbeit befaszt sind -- sondern das Sendeverbot
wird auf gut oesterreichische Art von einem externen
Zusammenschlusz von Einzelpersonen und Kleinstgruppen dekretiert,
der rechtlich ueberhaupt kein pouvoir hat.

Die Dauer des Sendeverbots wird nicht einmal spezifiziert:
"Zumindest zwei Wochen", hiesz es, -- die einzelnen Exponenten
oder Initiatoren des Vernetzungsplenums machten sich bis jetzt
nicht die Muehe, Aug und Ohr zu kontaktieren oder eine Mitteilung
respektive Erklaerung zu schicken! -- seien die Sendungen
"auszusetzen", um die "Problematik zumindest miszverstaendlicher
Aeuszerungen" "intern genauer zu eroertern".

Der Vorwurf antisemitischer Aeuszerungen wird nur vollkommen
oberflaechlich gekennzeichnet - und nicht begruendet. Ein
Vertreter teilte woertlich folgendes mit: "Verkuerzt gesagt lautet
der Vorwurf, den einige Leute erheben, dasz Aussagen, wie Du sie
in deiner Sendung getaetigt hast, in Oesterreich als antisemitisch
zu werten sind."

Die Frage ist nur, woher wissen sie denn ueber die Sendung so
genau Bescheid? Die Sendung ist noch nicht, wie bisher zum groszen
Teil ueblich, in schriftlicher Form erschienen. Haben sie einen
Mitschnitt gemacht? Haben sie sich eine Kopie des Videobands von
den TechnikerInnen des R. Orange geholt? Haben sie blosz
zugehoert? Wie sehen ihr Notizen aus? Warum gehen sie denn mit
ihren Materialien nicht an die Oeffentlichkeit?

Die fuer den 22. geplante und vom "Vernetzungsplenum"
"ausgesetzte" Sendung haette Folgendes im Programm gehabt: Ein
Interview mit einem Friedensaktivisten von Gush Shalom ("Block des
Friedens", einer der vorantreibenden Friedensorganisationen, die
derzeit in Israel mobilisieren), ein Aufsatz von demselben, ein
Bericht aus Haaretz.

Und dies in einen besonderen Kontext gestellt: Es sollten unter
dem Titel "Juedische Stimmen" israelische Friedensstimmen
verbunden werden mit der Reprise einer bereits vor Monaten
gebrachten Reportage mit Stimmen von hier, in Wien,
verfolgten/bedraengten Juden und Juedinnen, insbesondere mit
Reden, die waehrend der Kundgebung der juedischen Gemeinde im
Rahmen einer Donnerstagsdemo gehalten wurden und dadurch eine
ubiquitaere politische Einheit von universell geltendem gerechten
Widerstand paradigmatisch vorgestellt werden. Vielleicht kann sich
jemand an diese Sendung erinnern. Sie bestand unter anderem aus
einer aufruettelnden Rede von Doron Rabinovici, einer fein-
ironischen von Chaim Eisenberg, einer beschwingten einer
Vertreterin der Juedischen Hochschuelerschaft und einer zur
Abwechslung ziemlich scharfen von Musicant.

Das politische Konzept dieser ungewoehnlichen Zusammenschau, die
fuer den 22. geplant war, war, zu sagen: Nur die Kategorie des
Opfers darf gelten. Das Konzept war: Dasz man sich hier in Wien
auf die Seite der Opfer zu stellen habe, und in Israel/Palaestina
auch auf die Seite der Opfer, und dasz dazwischen kein Widerspruch
besteht, sondern ein einigendes Konzept, ein weltumspannend
einigendes Konzept - das natuerlich den bloszen Nationalisten,
respektive Nicht-Internationalisten auf beiden Seiten nicht in den
Kram paszt. Es ist einigermaszen verblueffend, zu sehen, dasz es
nun sogar den oesterreichischen "Anarchisten" und den
oesterreichischen "Libertaeren" nicht in den Kram paszt.

*Aug und Ohr, Gegeninformationsinitiative*
 
 

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